Читать книгу 360 Längengrade für Methusalem - Dieter Kaiser - Страница 10

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Jekaterinburg 25.September 2019

Die Stadt am Ural strahlt etwas Freundliches, gemütlichländliches aus, mit ihren alten Vierteln, den russisch-orthodoxen Kirchen mit ihren Zwiebeltürmen und dem gemächlich dahinfließenden Fluss Isset, auf dem einige Frachtkähne träge flussabwärts trieben. Die Geschichte, die ich mit Jekaterinburg verbinde und die ich kurz erzählen will, hat viel mit Menschen zu tun, die sich in blindem Hass und fürchterlichem Fanatismus zu grausamen Taten hinreißen ließen, die sie hinterher vor ihrem eigenen Gewissen sicher nicht mehr vertreten konnten. Was war passiert? Aber zunächst ging es zu einem pompösen Denkmal, das die imaginäre Grenze zwischen Europa und Asien markiert, die etwa 40 km östlich der Stadt verläuft. Danach fuhren wir zum Kloster Janina Jama, das heutzutage ein Wallfahrtsort geworden ist, früher war dort nur ein Bergwerkschacht. Das war der Ort, den sich die Bolschewiken als Versteck für die Leichen der Zarenfamilie ausgedacht hatten.


Bild 7 Das Kloster Janina Jama

Wie eine Meute vom Blut berauschter Raubtiere war im Juli 1918 ein Trupp Bolschewiki über den von Petersburg nach Jekaterinburg geflohenen Zaren Nikolaus II und seine hilflose Familie hergefallen. Dabei haben sie die gesamte Familie und einige Diener im Keller ihrer provisorischen Unterkunft in Jekaterinburg, grausam ermordet. Beim Kloster Janina Jama wurde uns die noch existierende Grube gezeigt, in die die gesamte Familie von Zar Nikolaus II nach ihrem tragischen Tod im Juli 1918 vergraben worden war. Der Ermordung durch die Bolschewiki, die sozusagen die extremen Fundamentalisten unter den Kommunisten waren, fielen der Zar Nikolaus II., Zarin Alejandra, ihre fünf Kinder und vier Angestellte zum Opfer. Die Tat, die sich im Keller des alten Ipatjew-Hauses in Jekaterinburg ereignet hatte, muss enorm brutal gewesen sein. Die Opfer, die durch die ersten Schüsse nicht direkt tot waren, wurden mit Bajonettstichen umgebracht. Anschließend wurde den Leichen alles an persönlichem Schmuck geraubt. Teile davon tauchten später in verschiedenen Auktionshäusern wieder auf.


Bild 8 Die Familie von Zar Nikolaus II

Danach wussten die Bolschewiki nicht wohin mit den prominenten Toten, bis man auf den einsamen Bergwerkschacht namens Janina Jama 15 km außerhalb der Stadt in einem Birkengehölz verfiel. Dort, wo heute das kleine Kloster steht und wo man den Toten in überlebensgroßen Abbildungen ein Gesicht gibt. Das Leben im damaligen Russland um 1918 war voller gesellschaftlicher und sozialer Umbrüche, eine unerbittliche und teilweise grausame Revolution raste durch das Land, alte Lebensformen und Strukturen wurden gestürzt, neue mit Gewalt etabliert. Das erklärt, wie es zu den grausamen Ereignissen von Jekaterinburg kommen konnte, eine Entschuldigung ist es nicht. Wir Menschen sind eigentlich moralische Wesen, in denen allerdings das Gute und das Böse leider gleichermaßen nebeneinander wohnt. Wenn das Böse, wie auch immer, hemmungslos die Überhand gewinnt, dann kann es zu Ereignissen wie in Jekaterinburg oder sonst auf der Welt kommen. Es lässt sich natürlich auch darüber philosophieren um wie viel schöner eine Welt gänzlich ohne Menschen wäre, vielleicht nur mit ein paar friedlich dahinlebenden Aborigines in Australien und den Indianern von Nordamerika. Die waren allerdings untereinander auch nicht immer friedlich, wie wir später noch sehen werden. Zurück nach Jekaterinburg, wurden wir in die Gruft der Heilig-Blut-Kathedrale geführt, wo das Verbrechen im Keller des Ipatjew-Haus 1918 geschah. Das Haus ist 1977 abgerissen worden, an seiner Stelle steht heute die Kathedrale. Am Abend dieses aufregenden Tages ging die Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn weiter zu den nächsten Stationen Irkutsk und zum Baikalsee. Ab jetzt, wollen wir meine weiteren Erzählungen überwiegend friedlich und freundlicher verlaufen lassen.

360 Längengrade für Methusalem

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