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Ulan Bator 1. Oktober 2019


Bild 13 Bewohntes Abteil im Transsib

Die Fahrt mit der Transsib von Irkutsk nach Ulan Bator dauerte einen Tag und eine Nacht. Die Belegung meines Abteils hatte sich inzwischen verändert, da war noch mein alter Reisebegleiter Niclas aus Wales, mit dem ich mich angefreundet hatte und zwei junge Deutsche, die ein Jahr um die Welt reisen wollten. Für China hatten sie allerdings keine Visa erhalten, vermutlich weil sie Bundeswehr Offiziere waren. Die beiden hatten eine Wanderung um den Baikal See hinter sich, Begegnungen mit Bären inklusive. Die ließen sich aber mit viel Geschrei und Topfschlagen wieder brummend vertreiben. Von dem Trip hatten sie noch einen ordentlichen Vorrat an Gurken und viel Wodka dabei, der sich gut ergänzen ließ mit meiner stattlichen Ration an Pökelfleisch und Brot aus Irkutsk. Niclas konnte noch seine Kartoffel Chips beisteuern, sodass einem feucht fröhlichen Abend in unserem Abteil also nichts mehr entgegenstand. Wir tranken den Wodka aus Teetassen, die von René ständig nachgefüllt wurden. Beim Nachschenken flüsterte René mir immer wieder zu: „Alter, nimm mich mit auf deine Reise“. Japan als eines meiner Ziele hatte im wohl besonders gut gefallen. Niclas spielte auf einer imaginären Gitarre und sang dazu mit angestrengt rotem Kopf walisische Lieder, erst leise dann immer lauter werdend und von mir auf einem Kamm improvisierend begleitet, René und Adrian fielen in ein irres nicht enden wollendes Gelächter. So hätte das Besäufnis fast noch einen kleinen Nebeneffekt gehabt, gebar es doch einen möglichen Arbeitstitel für mein Buch („Alter, nimm mich mit auf deine Reise“). Es war kurz nach Mitternacht, wir lagen alle vier in einem tiefen berauschten Schlaf, als wir die russischmongolische Grenze erreicht hatten. Für die russische Zollkontrolle blieb der Zug hier etwa 1,5 Stunden stehen. Ein Rauschgift Schnüffelhund, wurde in unser Abteil geführt, in dem Männerschweiß und Wodka-Geruch wie eine fast schon sichtbare Wolke schwül, dunstig und süßlich in der Luft hingen. Der verdutzte Hund hob kurz den Kopf, sog das seltsame Luftgemisch ein, wedelte mit dem Schwanz und machte auf der Stelle kehrt, den ratlosen Zöllner mit sich ziehend. Dann wurden die Pässe eingesammelt, gründlich mit Gesichtskontrolle inspiziert und nach einer Stunde gestempelt wieder abgeliefert. Danach ging die Fahrt für etwa 30 Minuten weiter, bis zum mongolischen Grenzpunkt. Der Zug wurde im hell erleuchteten Bahnhof von eindrucksvoll strammstehenden und salutierenden mongolischen Zöllnern begrüßt. Der Empfang roch stark nach Nordkorea, die Zöllner erwiesen sich hinterher aber als ganz locker. Das Visum von Niclas dem Waliser wurde genauestens geprüft, wir drei Deutsche brauchten kein Visum für die Mongolei. In Ulan Bator trennten sich dann unsere Wege, Niclas folgte der klassischen Transsib Route nach Wladiwostok, René und Adrian hatten einen Flug nach Vietnam gebucht. Sie wollten ursprünglich nach Peking, aber Peking wollte sie überhaupt nicht im Land haben, vermutlich wegen ihrer Bundeswehr Karriere. Ich hatte deshalb eine ganz private Reiseleiterin in Ulan Bator, die mich zunächst mal zum Duschen und Schlafen, ins Hotel brachte. Sie hatte wohl noch Reste meiner nächtlichen Wodka-Orgie in der Nase und hielt die fürsorgliche Maßnahme für angebracht. Hunger und Neugier trieben mich gegen Mittag aus dem Hotel zu einer kleinen Erkundungstour in die Stadt. Dabei springen die Gegensätze zwischen hypermodernen Hochhäusern mit gläsernen Fassaden und alten buddhistischen Tempel sofort ins Auge, schöne fremdartige Tempel, die wiederum in der Nachbarschaft von einfachen Jurten stehen. Eine Jurte ist das traditionelle Rund-Zelt der Nomaden. Heutzutage werden die Jurten in der Stadt meistens von Arbeitern bewohnt, die auf einer der vielen Baustellen eine Arbeit gefunden haben. Mich zog es zu einem mongolischen Restaurant im 8. Stock des Shangri La Towers. Ein sehr vornehmes Lokal mit dezenter Musik, umher huschenden uniformierten Bedienungen, weißen Stoff Servietten neben silbernem Besteck und dazu ein toller Ausblick auf die Stadt. Aus der kunstvoll verzierten Karte wählte ich eine Mehlsuppe und danach gab es frittierte Teigtaschen mit Fleisch gefüllt und etwas saurer Sahne. Getrunken wurde Bier und zum Abschluss ein kleiner Wodka. Der Gegensatz zu meinem letzten Essen im engen Abteil der Transsib zusammen mit Niclas, René und Adrian hätte nicht größer sein können. Nach diesem gepflegten Menü hatte ich noch Zeit mich durch die Shopping-Mall im Shangri La Tower treiben zu lassen. Das Angebot ist fast identisch mit Angeboten in München, Berlin oder Moskau, überall die gleichen Marken. Nach einem Blick in einen der buddhistischen Tempel, die ich von oben gesehen hatte, ging es zurück zum Hotel, wo ich mich auf den nächsten Tag vorbereiten wollte. Denn es sollte in den Gorkhi-Terelj Nationalpark gehen. Pünktlich am nächsten Morgen meldete sich meine Reiseleiterin bei mir, eine Mongolin, die einige Jahre in der DDR gelebt hatte, wo sie ein nettes sächsisches-deutsch mit all seinen genuschelten Vokalen, gelernt hatte. Sie war eine lebhafte Frau mit einer heiteren Miene und wie aus dem Ei gepellt gekleidet. Ich war ihr einziger Gast bei der Exkursion, die uns zunächst zum Dschingis-Khan Monument führen sollte. Dschingis-Khan ist der große National-Held der Mongolen. Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten eroberte er ein riesiges Reich, das vom Kaspischen Meer im Westen bis zum Japanischen Meer im Osten reichte. Der einstmals arme Waisenjunge wurde so zu einem der größten Herrscher der Weltgeschichte. Seine Reiterhorden waren gefürchtet und berüchtigt und nicht zimperlich bei ihren Eroberungen bei denen regelmäßig ein Teil der Beute für die Reiter abfiel. Das alles erzählte mir meine Begleiterin ehrfürchtig und in ihrem singenden sächsischen Akzent, der mich mehr an den letzten DDR-Regierungschef erinnerte als an Dschingis Khan. Während im russischen Sibirien noch starke europäische Einflüsse in Architektur und Kultur vorherrschen, wird mir spätestens hier in der Steppe der Mongolei klar, dass ich in einen anderen asiatisch geprägten Kulturkreis gewechselt bin. Eine Welt, die ein starkes Gefühl der Fremdartigkeit vermittelt und bei mir eine gewisse Neugier auf die andersartige Kultur und Lebensweise der Menschen hier. Meine Neugier wurde noch verstärkt als es zu einem 4 gängigen Menü in ein Restaurant in der Nähe des Nationalparks ging. Etwas leichtes Gebäck gefolgt von einer Hammelfleischsuppe eröffnet das Menü, danach eine deftige Portion gekochtes Lammfleisch mit gedünstetem Gemüse, dazu wird ein rötlicher Hibiskus Tee gereicht, zwischendurch gab es getrocknete Quark Streifen. Zum Abschluss wurde noch ein kleiner Wodka gekippt. Ein Menü also, dass sich an die alten Traditionen des Landes anlehnt. Das Essen der mongolischen Nomaden wird traditionell auf einem Ofen in der Mitte der Jurte zubereitet und besteht aus den Bestandteilen, die die Herde liefert. Das sind also Lamm-, Schaf-, Dromedar, Rind- oder Pferde-Fleisch, seltener auch Yak-Fleisch. Die Tiere liefern auch die Milch die zu verschiedenen Käsespeisen oder Getränken verarbeitet wird. Auf dem Rückweg nach Ulan Bator, hatte ich die Gelegenheit, einen Pferdezüchter in seiner Jurte zu besuchen. Mir wurde dabei als Zeichen der Gastfreundschaft eine Schale mit saurer Stuten Milch gereicht und etwas Gebäck dazu. Der säuerliche Geruch der Milch stand schon beim Eintritt in die Jurte in der Luft. Erstaunlich war zu sehen, mit welch reichhaltigem Mobiliar die Jurte eingerichtet war. Es gab schöne geschnitzte Truhen, Bänke und einen großen Tisch nicht weit entfernt vom zentralen Ofen. An den Wänden hingen Pfeil und Bogen, ein Krummschwert, Bilder und sehr auffallend, ein großer Tiermagen, in dem saure Milch zum Gären gebracht wurde. Die Truhen dienten gleichzeitig als Behältnis, als Bettstatt und als Sitzgelegenheit. Der Boden der Jurte war mit dicken Teppichen ausgelegt. In so einer Jurte entwickelt sich bestimmt ein gemütliches Wohngefühl, wenn draußen ein eisiger Wind über die Steppe pfeift und innen der Ofen eine angenehme Wärme abstrahlt. Wenn es zu anderen Weidegründen geht, werden Zelt und Mobiliar auf den Rücken der Pferde oder Dromedare gebunden und die Wanderschaft kann losgehen. Immerhin ein Drittel der gut drei Millionen Mongolen leben als Nomaden, die sich regelmäßig zu wilden Reiter-Wettkämpfen oder archaisch wirkenden Ringkämpfen in der Steppe treffen und so ihre alten Traditionen weiterleben lassen.


Bild 14 Der Autor (links) in der Jurte des Pferdezüchters

Zum Antritt der letzten Etappe meiner Transsib Reise von Ulan Bator nach Peking hieß es am nächsten Morgen um 7: 00 Uhr Abschied nehmen von meinem netten Guide in Ulan Bator. Am Abend zuvor hatte sie mir noch geholfen in einem riesigen Store House, dass ich alleine nie gefunden hätte, etwas Wäsche, zwei Hemden und Proviant für die Weiterreise zu kaufen. Ich konnte mich mit einem kleinen mongolischen Dinner bei ihr revanchieren.(Übrigens, zwei der soliden Hemden aus Ulan Bator haben später seinen Weg in eine Spende für Buschfeuer Opfer auf Känguru Island in Australien gefunden, aber das ist eine spätere Geschichte). Vor der Ankunft in Peking muss noch eine bemerkenswerte Hürde genommen werden, der Grenzübergang zwischen der Mongolei und China bei Erlian. Die Züge, die auf den Gleisen der Transsibirischen Eisenbahn bis Peking verkehren sind von sehr unterschiedlichem Standard. Manche der älteren Waggons rollen und nicken so unglaublich wie eine Segeljolle bei schwerem Wetter, während die moderneren Waggons ruhig und gleichförmig ihren Dienst absolvieren. Das Fahrverhalten hängt natürlich auch vom Gleis Unterbau ab und der ist auf vielen Bahnabschnitten alt und Reparatur bedürftig. Mein Zug zwischen Ulan Bator und Peking gehörte zur besseren Kategorie. Er braucht für die rund 1500 km etwa 30 Stunden. Der Grund für diese lange Reisedauer ist die Grenzstation bei Erlian in die wir gegen 21: 00 Uhr einliefen. Hier erfolgt zunächst die mongolische Zollkontrolle mit den Ausreise-Formalitäten, die problemlos waren. Danach rollt der Zug weiter bis zum chinesischen hell erleuchteten Grenzpunkt voll mit uniformierten, und bewaffneten Grenzbeamten. Dort müssen alle Reisenden den Zug mit ihrem gesamten Gepäck verlassen und sich in ein Immigration Building begeben, vor dem sich natürlich sofort eine lange Schlange gebildet hat. In diesem Gebäude bekomme ich einen kleinen Vorgeschmack auf die Kontroll- und Sicherheitsbedürfnisse in China. Formulare müssen ausgefüllt werden, Pass- und Visa-Kontrolle gefolgt von der Abnahme der Fingerabdrücke und einem Gesichts-Scan mit zusätzlichem Foto schließen die Personenkontrolle ab. Danach wird das Gepäck durchleuchtet und bei Verdacht fallweise ausgepackt und kontrolliert. Wer dann ohne Auffälligkeit durch die Durchleuchtungs-Schleuse gewandert ist, darf sich in den bereits überfüllten Wartesaal begeben, der von einem bunten Sprachgemisch dominiert war. Englisch, Deutsch, Französisch und Russisch konnte ich erkennen, insgesamt herrschte eine lockere Stimmung unter den Reisenden, trotz der späten Stunde und der strengen Kontrollen. Um die Wartezeit etwas kurzweiliger zu gestalten, hatte ich Goethes Wahlverwandtschaften im Rucksack, die aber beim Lesen eine gewisse Konzentration erfordern zu der ich müde und abgelenkt kaum noch bereit war. In Erlian muss gewartete werden, bis der Zug auf die in China übliche Spurweite der Bahnschienen umgebaut ist. Die ganze Prozedur mit den Kontrollen dauerte von 21: 00 Uhr bis etwa 1: 00 Uhr, dann durften die Reisenden den Zug zur Weiterfahrt wieder besteigen. Dabei ist es nützlich, sich die Waggon-Nummer und die Abteil-Nummer vorher gemerkt zu haben, wer das nicht getan hatte, irrte mit samt Gepäck hektisch auf dem Bahnsteig umher, auf der Suche nach dem richtigen Schlafplatz im Zug, und das waren nicht wenige. Mit Erleichterung und müde lag ich schließlich wieder in meinem Bett, und registriere zufrieden das Rollen des Zuges Richtung Peking, das gegen Mittag am nächsten Tag erreicht wurde.


Bild 15 Der Himmelstempel, eines der Wahrzeichen Pekings

360 Längengrade für Methusalem

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