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Moskau–Jekaterinburg 23.9.2019

Pünktlich am Abend des nächsten Tages wurde die kleine gut organisierte „Transsib-Reisegesellschaft“ vom Hotel zum Jaroslawer Bahnhof gefahren, zur ersten längeren Etappe über zwei Nächte bis Jekaterinburg. Meine drei Mitreisenden im Abteil kamen aus Wales, Paris und Quebec, die anderen Teilnehmer der Reisegruppe war genauso international, ein Ehepaar aus Genf, ein niederländisch/englisches Paar und ein Ehepaar aus London, alle in meinem Alter zwischen sechzig und siebzig. Während der Zwischenaufenthalte bis Ulan Bator würden wir uns alle immer wieder zum Plausch treffen. Der Schlafwagen war einer von der alten Sorte: Die Betten zwar sauber, aber sehr schmal, Geräuschdämmung gleich null, Toiletten schmutzig, alle Hinterlassenschaften wurden aus der Toilette mithilfe einer schlichten Klappe auf die darunter vorbei huschenden Bahn-Schwellen befördert. Aus dem praktischen Grund werden alle Toiletten eine Viertelstunde vor Erreichen des nächsten Bahnhofs abgesperrt. Selbst inständiges Flehen erweicht die Waggon-Schaffnerin nur in ganz großen oder überzeugend vorgetragenen Notfällen zu einer Ausnahme. Ich versuchte in einem Stakkato von Geräuschen zu schlafen, einem scharfen Schlagen der Räder das in einen Trommelwirbel überging, wenn der Wagen über Weichen rumpelte, gefolgt von einem anschwellenden Zischen, das zum Dröhnen anschwoll und wieder verebbt, wenn der Zug irgendwo auf freier Strecke zum Stehen kam. Plötzliche Stille, noch getragen vom leisen Schnarchen der Mitreisenden. Geschlafen habe ich dennoch, wenn auch mit Unterbrechungen. Unsere Schaffnerin bot zum Frühstück Porridge mit einer Banane, einer Scheibe Brot und einer Tasse Tee an. Das musste bis zum Abend reichen. Es sei denn, der Passagier hatte sich, wie die meisten, selbst mit Proviant eingedeckt, was sehr empfehlenswert ist.

Ein typischer Tag in der Transsib wird von vielen Fahrgäste mit Lesen, aus dem Fenster schauen oder mit Schlafen verbracht. Manchmal entwickeln sich allerdings auch interessante Gespräche. Mit meinem walisischen Abteil-Nachbarn Niclas konnte ich zum Beispiel herrlich über Politik diskutieren, wobei wir meistens einer Meinung waren und zum Beispiel den Brexit für eine Schnapsidee hielten. Niclas klärte mich darüber auf, dass die Landwirtschaft in Wales in hohem Maße von Subventionen aus Brüssel abhängig ist. Die werden nach dem Brexit natürlich wegfallen, wie Niclas mit Bedauern bemerkte. Ähnliche Nachteile erwartete er für den Fischfang oder andere Sektoren der Wirtschaft von Wales und England insgesamt. Unser Zug erreichte schließlich am nächsten Morgen gegen fünf Uhr den Bahnhof von Jekaterinburg. Wir wurden allerdings schon zwei Stunden vorher von der strengen WaggonSchaffnerin geweckt. Es hieß Betten abziehen und ordentlich gefaltet zurechtlegen, obendrauf die Kissen. Das Gepäck für den Ausstieg musste im Gang bereitgestellt werden. In Jekaterinburg wurde die kleine Reisegruppe bereits am Bahnsteig von einem Guide erwartet, der uns zu einem guten Frühstück in ein Hotel in der Stadt brachte und um uns mit dem Tagesprogramm vertraut zu machen.

360 Längengrade für Methusalem

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