Читать книгу Der Totenflüsterer - Dietmar Kottisch - Страница 12

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9.

Sonntag, 9.11. 1980, kurz nach 10 Uhr vormittags. Die Einspielungen übers Radio wurden für Paul selbstverständlich. Er experimentierte kaum noch übers Mikrophon. Er saß wie immer in seinem Zimmer, hatte die Kopfhörer auf und lauschte in die Unendlichkeit des Alls. Das weiße Rauschen und die hintergründigen Geräusche von mehr oder weniger guten Stimmen bannte er aufs Tonbandgerät.

Er überlegte, ob er Klara sagen sollte, dass ihm Sarah ihre Schwangerschaft bestätigt hatte.

Und dass sie von diesem ekelhaften Eckhard vergewaltigt worden ist?

Er überlegte, wie er es Irmgard Kowalski sagen sollte, dass er die Wahrheit kannte.

Draußen hörte er eine Krähe. Er sah zum Fenster, und innerhalb der nächsten Minuten flogen immer mehr Krähen auf den Strommast und auf die Baumgipfel, ihr Krächzen erfüllte die Luft. Nach kurzer Zeit sah er sich einer Szene aus dem Hitchcock Film „Die Vögel“ ausgesetzt. Die ganze Landschaft war schwarz voller Krähen.

Plötzlich flog eine in die Lüfte, und wie Lemminge ins Wasser laufen, folgten die anderen zirka zweihundert Tiere hinterher und verschwanden unter lautem Krächzen am Horizont. Ein schauriges Bild, fand er.

Er schaltete Radio und Tonband ein und bat Esther um Kontakt.

Mit einem Mal war sie wieder da, die Stimme, sie saß genau an seinem Ohr, war lauter und deutlicher. Ihm kam es vor, als würde sie brüllen: >Mörder – Huckepack<.

Er zuckte zusammen, begann zu zittern.

Sein Adrenalin schoss wie an einer Quecksilbersäule nach oben.

Schon wieder! >Mörder – Huckepack<.

Er war wie paralysiert, konnte sich nicht bewegen, starrte auf seinen Block.

>Mörder – Huckepack<

Sekunden später schien ihm wieder jemand mit einem scharfen Messer in den Rücken zu stechen, aber er konnte nicht brüllen, obwohl ihn der Schmerz fast betäubte.

>Mörder – Huckepack<

Er presste eine Hand auf den Rücken, bohrte den Daumenknochen hinein.

>Mörder – Huckepack >

Sein Herz hämmerte.

Nach fast einer Minute war alles vorbei, der Schmerz im Rücken, die brüllende Stimme. In der zitternden Hand hielt er noch den Kugelschreiber, mit dem er Datum, Uhrzeit, Bandnummer und Bandlaufnummer notieren wollte, die andere lag auf der Stop-Taste.

Keine andere Stimme schien da zu sein, nicht die der Freunde, nicht die von Esther, niemand. Er lehnte sich zurück, als plötzlich wieder diese unerklärlichen Schuldgefühle auftauchten und sich zäh in seinem Gefühlschaos ausbreiteten. Nach einer kurzen Zeit jedoch verschwanden sie wieder, wie auch die Ängste verschwanden. Und er fühlte eine Leere in sich und starrte zur Decke.

Verdammt, dachte er, gestern Abend hatte ich wieder diesen bescheuerten Traum. Er sah das tote Babygesicht, das plötzlich die Augen öffnete und sich zur hässlichen Fratze verwandelte.

Da war etwas in deiner Vergangenheit! Diesen Gedanken konnte er nicht mehr loswerden.

Er stand auf und stellte sich vor das große Fenster. Die Krähen waren zurückgekommen und saßen wie Orgelpfeifen aneinandergereiht auf dem Mast. Es war, als stierten sie ihn an. Ein paar putzten ihr Gefieder, ein paar flatterten mit den Flügeln, aber die meisten bewegten sich kaum.

Der Totenflüsterer

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