Читать книгу Der Totenflüsterer - Dietmar Kottisch - Страница 9

Оглавление

6.

Zwei Tage später klingelte in seinem Büro in Frankfurt um neun Uhr morgens das Telefon. Er war gerade dabei, seine Lieferantenrechnungen zu bezahlen. Auf seinem Schreibtisch stand eine Kanne Earl Grey, daneben ein Teller mit einem Sandwich. Unten im Laden war noch nicht viel los, ein paar Kunden, die ihre Tasse Tee tranken, sonst nichts. Der Ansturm würde erst gegen elf Uhr anfangen.

Es meldete sich ein Mann, der Stimme nach zu schätzen war er vielleicht Ende Vierzig. „Guten Tag, Herr Klein.“

„Guten Tag.“

„Kann ich Sie einen Moment sprechen? Haben Sie ein paar Minuten Zeit?“

„Gerne. Um was geht es denn?“ Er dachte, es wäre ein Vertreter, der ihm bessere Angebote für sein Teesortiment unterbreiten wollte. Die Vertreter gaben sich manches Mal die Türklinke in die Hand, um ins Geschäft zu kommen, denn Pauls Qualitäten und Teemischungen galten als die besten.

„Mein Name ist Dietrich Holänder, so wie der Holländer, nur mit einem L“, er unterbrach sich und ließ den Bruchteil einer Sekunde vergehen, damit sich der Name in Pauls Gedächtnis festsetzen konnte. „Ich bin Professor der Physik an der UNI Frankfurt. Und Sie sind in einem Tonbandstimmenverein. Und darum geht es mir.“

„Aha!“ Leute, die sich für die Stimmen interessierten, waren ihm immer willkommen. Und wenn sogar einer von der Fakultät zu ihm kam, um so besser. Nach seinem >Aha< wartete er auf die Fortsetzung.

„Ich möchte nicht allzu sehr Ihre Zeit am Telefon in Anspruch nehmen, bin aber an diesem Phänomen interessiert. Deshalb frage ich an, ob wir uns einmal treffen könnten.“

Er kam gleich zur Sache.

„Gerne. Und wann und wo dachten Sie?“

„Ich möchte Sie entscheiden lassen, denn ich will auch an einem Experiment teilnehmen.“ „Sie möchten an einer Einspielung teilnehmen?“

„Ja, auch.“

Paul überlegte. „Geben Sie mir Ihre Telefonnummer und ich rufe Sie zurück, in Ordnung?“ „Natürlich.“ Er gab ihm die Nummer seines Büros und auch seine private Telefonnummer daheim. Er wohnte in Frankfurt am Main. Als sie aufgelegt hatten, rief Paul Klara an.

„ Gerade hat ein Professor der Physik bei mir angerufen. Er möchte an einer Einspielung teilnehmen und sich mit mir über dieses Phänomen unterhalten. Ich würde ihn für heute Abend zu uns einladen, und würde mit ihm Einspielungen machen, wäre das für dich o.k.?“

Er wollte Klara mit einbeziehen, da sie jetzt sowieso Interesse an der Sache hatte.

„Von mir aus, Paul. Wir haben nichts vor heute Abend. Und wann soll er kommen?“

„Ich bin gegen acht daheim, also halb neun.“

Sie war mit der Uhrzeit gegen halb neun einverstanden. Ein Physikprofessor, überlegte sie, ist einer von den exakten Wissenschaften, die im Allgemeinen von paranormalen Erscheinungen nicht viel hielten. Insofern hatte sie schon ein wenig Bedenken. Aber es war Pauls Entscheidung.

Paul rief den Professor zurück und vereinbarte das Treffen gegen halb neun Uhr abends.

Gegen acht Uhr kam Paul heim. Sie begrüßten sich, er duschte, aß eine Kleinigkeit und begab sich in sein Arbeitszimmer. Klara folgte ihm. „Du weißt, dass so ein Mensch ein Skeptiker ist, Schatz.“

„Natürlich. Aber wenn wir Einspielungen machen und er würde die Stimmen hören, soll er sich äußern, ich bin bereit.“

Das glaub ich, dachte sie, ging in die Küche und begann Tee zu kochen für diesen Abend.

„Vorausgesetzt, dass es funktioniert,“ rief sie von der Küche aus.

„Es wird schon……“ Er wusste, dass es nicht immer funktionierte, dass er Abende vor seinem Tonband saß und keine Stimmen bekam.

Punkt halb neun hörten sie draußen einen Wagen vorfahren. Klara ging zum Küchenfenster. Er stieg aus einem Renault aus.

„Er kommt.“

Dietrich Holänder war ein mittelgroßer Mann. Er hatte einen sympathischen Blick aus seinen dunklen Augen, sein schütteres Haar war nach hinten gekämmt, sein Händedruck war ungewöhnlich fest, Paul zuckte fast schmerzhaft zusammen. Klara nahm seinen Trenchcoat ab und hängte ihn auf einen Bügel in der Gardarobe. Sie gingen zuerst ins Wohnzimmer und sie bot ihm Tee an. „Ich hoffe, dass sie Tee trinken, weil wir keinen Kaffee im Haus haben.“

„Aber sehr gerne. Ich konnte mir schon denken, dass es in einem Teehaushalt kaum Kaffee gibt.“

Und dann begann er zu niesen, nahm ein Taschentuch aus der Hose und schnauzte sich. „Typisch für dieses Wetter.“ Seine Stimme war leicht kratzig.

„Wie kamen Sie auf meine Adresse?“ fragte Paul und nahm ihm gegenüber Platz.

„Nun, wie Sie wissen, gibt es in Deutschland nur einen Lehrstuhl für paranormale Erscheinungen, und der ist in Freiburg. Professor Bender. Institut für Grenzgebiete der Parapsychologie. Mit denen habe ich gesprochen, und man hat mich auf Ihren Verein verwiesen. Aber mein Besuch bei Ihnen und das Interesse an den Stimmen ist rein privat, wenn Sie verstehen.“

Natürlich verstand Paul.

„Und außerdem sind die Tonbandstimmen gelegentlich auch Thema in der Presse gewesen.“

Klara brachte den Tee, stellte die Tassen auf den kleinen Tisch und goss ein. Der Darjeeling stand goldgelb in der Tasse und duftete herrlich. Der Professor nahm ein paar Stückchen weißen Kandiszucker. Nachdem er seinen ersten Schluck genommen hatte und die Tasse wieder hinstellte, sagte nicht nur seine Mimik, dass der Tee ihm schmeckte. „Köstlich, einfach köstlich. Woher kommt dieser Tee?“

„ Darjeeling, Nordindien, zirka zweitausend Meter hoch, an den Südhängen des Himalaya Gebirges. Geerntet im Frühjahr dieses Jahres.“

„Und wie kommen Sie zu diesem Phänomen?“

Paul musste lachen. „Wie kommt man dazu? Ich sah vor ein paar Jahren die Sendung im Fernsehen. Der Besuch der Deutschen Bundespost in Schweden bei einem Friedrich Jürgenson, der es zufällig entdeckte. Und schon war es passiert. Ich kam nicht mehr davon los. Der Gedanke, dass man durch ein Tonbandgerät Verbindung aufnehmen kann mit verstorbenen Menschen faszinierte mich. Das mag alles unglaublich klingen, aber in der Zwischenzeit und durch meine Experimente bin ich fest davon überzeugt, dass es die Verstorbenen sind!“

Holänder nickte nur und musste wieder zweimal niesen.

Klara hatte sich dazugesetzt. Hoffentlich wirft der nicht mit Bazillen um sich, dachte sie.

„Es ist bekannt, dass englische Wissenschaftler Dr. Raudives Stimmen als Fakten anerkannt haben, als er sie in einem Faradayschen Käfig aufnahm. Der Lette Raudive begann fast zur gleichen Zeit wie der Schwede Jürgenson, dieses Phänomen zu entdecken. Nur über die Interpretationen kann man sich streiten. Wenn ich also die Stimme einer Verwandten höre und sie mir interne Dinge mitteilt, wer könnte es wohl anders sein?“

Dietrich Holänder nickte wieder.

„Erzählen Sie mir, wie so etwas in der Praxis vor sich geht,“ bat Holänder.

„Kommen Sie mit.“ Paul stand auf. Holänder und Klara erhoben sich ebenfalls. Sie gingen über den Flur in Pauls Arbeitszimmer. Er bot dem Gast einen Stuhl an und setzte sich selbst hin. Klara nahm ebenfalls Platz.

„Im Prinzip ist es ganz simpel. Jeder kann es machen. Ich stelle das Mikrophon auf den Tisch, steuere es sehr hoch aus und schalte das Band ein. Dann begrüße ich die Freunde von drüben und stelle meine Fragen. Ich lass das Band ein paar Minuten laufen, stoppe es dann ab und höre mir an, was drauf ist.“

Holänder nickte wieder.

„Ich registriere die Stimmen in mein Buch. Ich trage das Datum, die Uhrzeit und die Bandnummer ein. Manche benutzen das Radio als Energiequelle, sie gehen sozusagen zwischen zwei Sender in ein Weißes Rauschen, bei manchen kommen die Antworten direkt während der Einspielung, man nennt das ein Dialogexperiment. Oder sie gehen auf einen ausländischen Sender, dessen Sprache sie nicht kennen und spüren die Nachricht durch eine Umformung des Wortes auf. Zum Beispiel: sie hören ausländische Nachrichten, und plötzlich wird ein ausländisches Wort von den Jenseitigen in ein deutsches Wort umgeformt.“

„Ich habe zu Hause eine Schallplatte von Raudives Stimmen, „UNHÖRBARES WIRD HÖRBAR“ ich kenne also schon Stimmeneinspielungen, allerdings nur, wie gesagt, von einer Schallplatte. Jetzt hätte ich die Gelegenheit, es einmal vor Ort zu erleben, “ reagierte der Professor.

„Und? Was sagen Sie zu den Stimmen,?“

Es war für den Bruchteil einer Sekunde, als Paul die Mimik in seinem Gesicht sah. Und die verriet mehr als nur Skepsis.

„Wenn ich ganz ehrlich bin……“ er sah erst in Pauls, dann in Klaras Gesicht, „…so habe ich meine Schwierigkeiten. Einige Stimmen sind gut hörbar, aber viele lassen mehrere Auslegungen zu. Der eine hört dies, der andere hört das. Vielleicht kommt es auch auf eine gewisse Übung beim Abhören an.“

„Richtig. Und deshalb interessieren mich diese nicht einwandfreien Stimmen nicht, ich brauche keinen Kauderwelsch. Für mich sind nur Stimmen von Bedeutung, die einwandfrei zu hören und zu verifizieren sind.“

Sollte jetzt eine Stimme nicht klar und deutlich sein, würde er sie nicht akzeptieren.

„Und was ist mit den Stimmen, die Sie gut hören und verifizieren können?“

Aber Holänder schien zu überlegen. Er strich mit gespreizten Fingern durch sein Haar.

„Seien Sie mir nicht böse, aber auch da hab ich meine Bedenken.“

„Andererseits, durch einen Faradayschen Käfig dringen keine elektronischen Wellen, er schirmt alles ab. Und trotzdem hat Raudive in diesem Käfig unter der Aufsicht englischer Physiker Stimmen aufgenommen, was keiner leugnen konnte. Aber lassen wir das Problem mit den Radiostimmen, was ist mit denen, die nicht durch das Radio aufgenommen wurden, wenn sie gut hörbar sind?“

Holänder wandte sich wie ein Aal. Typisch für die Menschen, dachte Paul, die an den Tod als endgültiges Aus gewohnt waren. Und die Antwort bestätigte seine Vermutung. Holänder schlug ein Bein übers andere: „Sehen Sie, es ist so unglaublich schwer, an so etwas zu glauben, oder es nur für wahrscheinlich zu halten.“

Genau das ist das Problem. Vor allen Dingen, wenn man es nicht selbst erlebt hat, dachte Paul.

„Ihre Antwort ist normal, Herr Professor. Fast jeder Mensch denkt so. In uns ist ganz tief die Vorstellung verwurzelt, dass der Tod das endgültig Aus ist, dass es danach nichts mehr gibt. Lediglich die Religionen lehren uns ein Weiterleben, sagen uns aber nicht, wie es konkret aussieht. Jürgenson und Raudive haben bis zu ihrem Tod an dieser Wissenschaft gearbeitet, haben Tausende von Stimmen eingespielt, Bücher geschrieben, es sind Schallplatten produziert worden.“

„Und mit den Stimmen könnten Sie den Beweis erbringen, dass und wie es nach dem Tod weitergeht?“

Paul nickte. „Und noch mehr sagen uns diese Stimmen. Sie nehmen ihre Lebensvielfalt mit hinüber, teilen uns manchmal ihre Mentalität und sogar ihre Emotionen mit.“

Holänder schwieg.

„Sie warten sogar darauf, dass wir uns mit ihnen in Verbindung setzen…..“

In dem Moment bemerkte Klara, wie Holänder seine Hände aneinander rieb, als friere er.

„Was wir heutzutage machen, was Jürgenson und Raudive entdeckt haben, ist erst der Anfang. Es wird noch eine ganze Zeit dauern, bis dieses Phänomen keines mehr ist.“

„Für die exakten Wissenschaften ist dies… nun ja… nicht nachvollziehbar.“

„Vor hundert Jahren hatte auch keiner geglaubt, dass die Menschen mal zum Mond fliegen, vor über vierhundert Jahren zu Kopernikus` Zeiten hat man die Leute gezwungen zu glauben, die Erde sei der Mittelpunkt des Planetensystems, und erst Freud hat das Unbewusste des Menschen entdeckt und die Psychoanalyse begründet. Warum sollte der Tod des Menschen das absolute Aus sein, wenn man entdeckt, dass er in irgendeiner Form weiterlebt und sich die verstorbene Person selbst zu erkennen gibt?“

Holänder atmete einmal tief durch. „Können wir jetzt eine Einspielung machen, Herr Klein?“

„Wir können, Herr Professor.“

Paul schaltete die Tonbandmaschine ein, nahm sein Buch und einen Kugelschreiber, stellte das Mikrophon ein paar Zentimeter weg. „Wir machen jetzt einen Einspielungsversuch über das Mikrophon. Wenn ich auf die Starttaste drücke, laufen die Bänder und ich beginne mit dem üblichen Gruß. Ich richte meinen Gruß an meine Freunde und an meine Kontaktperson Esther.“

„Eine Kontaktperson?“ fragte Holänder verwundert.

„Fast jeder Experimentator bekommt im Laufe der Zeit eine Kontaktperson, diese meldet sich und scheint eine Art Führung zu übernehmen. Meine heißt Esther. Herr Professor, was wollen Sie denn unsere Freunde fragen?“

Holänder starrte Paul an und schwieg.

„Sagen Sie etwas,“

Klara bemerkte, wie der Gast seine Miene veränderte.

Holänder wirkte sehr nervös. Sie spürte, dass etwas sehr Persönliches dahinter steckte, dass er mit jemandem Kontakt haben wollte, dass er an alles andere dachte, als an seinen exakt-wissenschaftlichen Zweig.

Dann wanderten seine Augen zu Paul und dann zu Klara.

Als Paul nickte, holte er tief Atem: „Fragen Sie,…..wie….es… meiner Frau.. geht…..!“

Also doch, dachte Klara. Es war seine verstorbene Frau, die ihn an das Tonband trieb.

Paul drückte auf die Aufnahme-Taste, die Spulen drehten sich und er begrüßte die Freunde im Jenseits.

„Es ist Mittwoch, der zweiundzwanzigste Zehnte neunzehnhundertachtzig, einundzwanzig Uhr dreiunddreißig. Ich begrüße Euch, meine lieben Freunde, ich begrüße Esther,“ sagte er ins Mikrophon.

Holänder sah, wie die rote Nadel nach rechts ausschlug, Paul wartete ein paar Sekunden. Dann fuhr er fort. „Bei uns ist Dietrich Holänder zu Gast.“ Dann wieder ein paar Sekunden Pause, dann fragte Paul: „Esther, kannst du mir sagen, wie es der Frau von Dietrich Holänder geht?“

Wie gebannt starrte er auf das Gesicht von Paul. Die Minuten zogen sich wie Gummi. Dann endlich drückte er auf die Stop-Taste, nahm seine Kopfhörer und setzte sie auf. „Jetzt höre ich das Band ab.“ Er spulte es zurück und stoppte es wieder an jener Bandlaufstelle, die er notiert hatte, dann startete er wieder.

Holänder nahm die Teetasse in die zitternde Hand und wollte einen Schluck trinken, kam aber nicht dazu. Er holte tief Atem, sah zu Klara, die sein Zittern beobachtete, dann stellte er die Tasse wieder ab. Für ihn musste die Ruhe im Raum eine Tortur sein. Die Spulen drehten sich, Paul hörte konzentriert. Klara fiel auf, dass Holänder nicht den Namen seiner Frau gesagt hatte. Plötzlich erhob er sich langsam und zog seine Jacke aus, dann setzte er sich wieder. Grausam, wie sich fünf oder sechs Minuten dehnen konnten, dachte sie und sicherlich auch der Gast.

Endlich nahm Paul die Kopfhörer herunter, stoppte das Band und spulte es zurück. Er drehte sich zu Holänder. „Ich habe zwei Stimmen auf dem Band, ich spiele sie Ihnen vor, o.k.?“

Holänder nickte nur, dann beugte er sich zu den Lautsprechern.

Es war das unerhört laute Rauschen, das zuerst an sein Ohr drang, dann kam eine helle, schnelle Frauenstimme: <Endlich Paul bist du…>

Paul stoppte das Band ab, schaute Holänder fragend an.

„Ich höre…endlich…Paul…..“

Paul spulte zurück, dann wieder vor. <Endlich Paul bist du….>

<Endlich Paul bist du….>

„Ja, ich höre es,“ sagte Holänder, …. . „Endlich Paul bist du….““

„Sie begrüßt mich so, als hätten wir lange Zeit keinen Kontakt mehr. Das war sie, Esther.“

„Oh mein Gott!“ entfuhr es Klara, „wie zwei Verliebte! ..und konnten zusammen nicht kommen, weil der Bach so tief war .. oder so ähnlich!“

Paul ignorierte diese Bemerkung. Holänder schien sie gar nicht gehört zu haben.

„Und jetzt die zweite Stimme.“

Er drückte auf eine Taste, sie hörten wieder atmosphärische Geräusche, und dann kam diese etwas verzerrte und tiefe Alt-Stimme aus den Lautsprechern: <Ute…im…Katzenloch.>

Holänder zuckte zusammen. „Noch mal!“ rief er und fuhr mit seinen gespreizten Fingern durch sein Haar.

<Ute…im…Katzenloch.>

„Noch einmal bitte…..!“

<Ute…im…Katzenloch.>

„Was…was hören Sie, Herr Klein?“

Zweifellos traute er seinen eigenen Ohren nicht, wollte eine Bestätigung. Sein Gesicht zeigte rote hektische Flecken. Paul sagte es ihm: „ Ich höre „Ute..im..Katzenloch“, was bedeutet es für Sie, Herr Holänder?“

Dann sackte der Mann in sich zusammen. Klara sprang auf. „Hallo, Herr Holänder…hallo!“ Sie schüttelte ihn an den Schultern, nahm sein Kinn und hob seinen Kopf hoch. Dann endlich öffnete er den Mund. „Entschuldigung, bitte entschuldigen Sie… du meine Güte, oh mein Gott..,“ stammelte er. Paul war auch aufgestanden und holte aus der Küche ein Glas Wasser. Holänder trank es. „Es geht, vielen Dank, es geht….“ Er setzte sich wieder aufrecht hin.

„Was war es,“ fragte Klara.

Nach ein paar Minuten sagte er, dass es seine Frau war, dass es Ute war.

„Sie ist es. Sie ist es. Ich erkenne sie an dieser Stimme, das gibt es nicht, das ist…

unvorstellbar….“

Klara schenkte ihm noch eine Tasse Tee ein. Er trank sie, setzte die Tasse ab.

„Was bedeutet <Katzenloch>?“ fragte Paul.

„Katzenloch nennen die Dänen das Kattegat, die Meerenge zwischen Jütland und Schweden.“ Er atmete tief seufzend ein und fuhr fort. „Wir hatten im letzten Jahr vor dem Tod meiner Frau dort Urlaub gemacht, auf der Insel Samsö. „…..ich kann es nicht glauben.“

Paul machte den Vorschlag, eine Pause einzulegen, das Band abzuschalten und ins Wohnzimmer zu gehen, damit der Gast den Schock verdauen konnte. Sie verließen das Arbeitszimmer. Klara kochte eine neue Kanne Tee, dazu servierte sie schottisches Butter- und englisches Ingwergebäck. Holänder sah man den Schock an. Er war kreidebleich im Gesicht und sichtlich dankbar für die Unterbrechung. Nach ein paar Minuten der Entspannung trank er einen Schluck Tee.

„Verzeihen Sie diesen Schwächeanfall, aber so etwas hatte ich nicht erwartet.“

„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, das geht Vielen so, „ sagte Paul.

„Es ist immer noch unbegreiflich, was ich eben erlebt habe.“ Er nahm noch einen Schluck Tee und fuhr fort. „Es ist zwei Jahre her, dass meine Frau gestorben ist. Sie litt an Leukämie. Obwohl ich innerlich darauf vorbereitet war, war ihr Tod ein großer Schock für mich.“

Es traten ein paar schweigsame Minuten ein. Dann fuhr Holänder fort. „Wie schnell man in die Vergangenheit zurückfallen kann, es genügt nur ein Bild, eine Melodie, ein Geruch, um die Assoziation in Gang zu setzen. Aber das hier, die Stimme meiner geliebten Ute, stürzt mich tief in die Erinnerung unserer Zeit.“

Er atmete schwer. „Es ist nicht dieselbe Stimme wie die auf einem Video von uns. Wenn ich mir das Video anschaue, dann ist es ihre Stimme von damals. Aber jetzt vermitteln Sie mir den Eindruck, als sei es die Stimme von heute. So als lebe Ute noch.“

„In einer uns noch unbekannten Sphäre lebt sie, das glauben wir. Und es ist die Stimme von heute. Einer aus unserem Interessenverein hat mal gefragt, wo „sie“ seien. Und die Antwort war: >Im Raum<. Wenn wir weitermachen, könnten wir noch mehr über sie erfahren, Herr Holänder.“

„Ich muss das erst mal innerlich verarbeiten, verstehen Sie?“

„Noch was,“ sagte Paul, „das Leben zwischen den beiden Menschen im Diesseits hat eine Fortsetzung im Jenseits, das ist unsere Erkenntnis.

Konstantin Raudive schreibt auf Seite 134 seines Buches >Überleben wir den Tod?<: „ Ein Beispiel, dass die rein menschlichen Beziehungen durch den Tod nicht verloren gehen, sondern weiter bestehen und sich weiter entwickeln. Während der letzten dreißig Jahre ist der Experimentator seinem Bruder nicht begegnet. Erst nach dem Tod meldet sich Alex wieder.“

Inzwischen war es schon kurz vor elf Uhr. Holänder verabschiedete sich, dankte für die Gastfreundschaft und versprach, in Verbindung zu bleiben.

„Ja.“

Holänders Reaktion erinnerte Paul an seine eigene Reaktion vor 4 Jahren, als er das erste Mal die Stimme seines Vaters hörte. Sein Vater starb mit 51 Jahren an Magenkrebs. Paul war damals 21 Jahre alt. Als der Vater dann starb, wog er nur noch knappe fünfzig Kilo, er war praktisch verhungert.

Er stellte die Frage, wie es seinem Vater gehe. Nachdem ein gewaltiges Rauschen abgeklungen war, hörte er die typische Stimme seines Vaters: <Ich esse>. Mehr nicht. Zunächst erschrak er bis ins Mark. Seine Frage wurde beantwortet. Dann erkannte er den Sinn dieser Aussage, nämlich dass ihm sein Vater ein >Erkennungswort< gegeben hatte, das mit seinem Tod zusammenhing: <Ich esse>, weil er vorher durch den Magenkrebs kaum mehr essen konnte und daran starb. Konstantin Raudive nannte ein ähnliches Beispiel, wonach der Mensch nach dem Tod immer noch an die Gegebenheiten im diesseitigen Leben hing. Auf Seite 134 seines Buches >Überleben wir den Tod? < schreibt er: >Monika, die Tochter meines Bruders, starb 1944 als zwölfjähriges Kind an Lungenentzündung. Sie starb, als der Krieg herrschte, ohne medizinische Hilfe. Der Durst, den sie beim Sterben erlitt, beschäftigte ihre Seele auch nach dem Tode: „Die kleine Monika bittet um Wasser….“

Die Mitteilung >Ich esse< war außer der Stimme das wesentlichste Kriterium, an dem er seinen Vater erkannt hatte.

Es hatte eine Zeitlang gedauert, bis ihm bewusst wurde, dass hier wirklich und wahrhaftig sein Vater aus der anderen Dimension zu ihm gesprochen hatte.

Hier die zwölfjährige Monika, deren irdische Qual vor dem Tod der Durst war, und die diesen Durst dann artikulierte quasi als letzte Erinnerung vor dem Übergang (< die kleine Monika bittet um Wasser>)

… dort sein Vater, dessen irdische Qual vor dem Tod der Hunger war, und der ihn ebenfalls aus der jenseitigen Dimension artikulierte (<Ich esse>)

Dann kamen von seinem Vater weitere kurze Nachrichten (>Dein Vater Bernhard hier<), und immer wieder der Hinweis auf die Kraft der Gedanken (>Bernhard – Gedanken – sind –sprechen – sprechen <). Seine Mutter Luise beobachtete diese Experimente mit Ängsten und Misstrauen. Sie konnte nicht glauben, dass es ihr Mann sein sollte, dessen teils für sie zuerst unverständliche Wörter auf dem Tonband waren. Eines Abends rief Paul sie in sein Zimmer und spielte ihr die Stimme vor: > Luise – glaub – das <. Sie sah ihren Sohn an und sagte: „Eigenartig ist das schon, denn ich habe die ganze Zeit über deine Stimmen nachgedacht!“ Sein Vater schien über Paul zu wachen, denn sporadisch nahm er Bezug auf Alltäglichkeiten. Auch die Stimme seiner Mutter, die im Februar 1972 bei einem Verkehrsunfall getötet wurde, spielte er ein. Eine etwas seltsame Botschaft erreichte ihn von seiner Mutter im April 1974: >dein Bruder – Gefahr für dich<. Er fragte immer wieder nach, erhielt aber keine Reaktion mehr. Weshalb sollte sein Bruder Gustav eine Gefahr für ihn sein?

Diese Botschaft kam aber immer wieder, 1975, 1979.

Paul begann darüber nachzudenken. Es war sehr schwer, ein tief verwurzeltes Denkschema „umzukrempeln“, nämlich dass der körperliche Tod das absolute Ende des Menschen bedeutete. Und jetzt stellten er und ein Teil der forschenden Menschen fest, dass sich dieser Tote mit seiner Stimme wieder meldete, dass er „mit seiner Seele“ sprach. Dass er von seinen Erlebnissen auf der Erdendimension redete und von seinen Gefühlen, die er hatte, und vieles mehr. Diese Erkenntnis war mehr als revolutionär.

Klara räumte das Geschirr weg und wollte sich gerade fürs Bett fertig machen, da klingelte es wieder an der Haustüre. Paul ging hinaus. Dann hörte sie Holänders Stimme: „Tut mir leid, dass ich noch mal störe, aber…. kann ich noch ein paar Minuten mit Ihnen sprechen?“

Klara verdrehte die Augen, Paul zuckte mit den Schultern. Wie konnte er so ein Nervenbündel abweisen?

„Schatz, ich komme gleich …. Warte nur auf mich, ja?“ Er warf ihr eine Kusshand zu und machte mit der anderen Hand eine eindeutige Geste. „Mach schon mal die Flasche Rotwein auf…“

„Von wegen…“ Sie rauschte hinaus.

„Natürlich, kommen Sie rein.“

Holänder schüttelte den Kopf. „Ich bin so unruhig, ich… ich ..können Sie das verstehen?“ Natürlich konnte Paul das verstehen

„Was möchten Sie denn jetzt machen,?“ fragte er und ahnte es schon.

„Können Sie noch eine Einspielung machen? Vielleicht höre ich Ute.. noch einmal..!“

Paul nickte und sie gingen ins Arbeitszimmer. Es klang wie eine Rechtfertigung von Holänder: „Weil sie vorhin gesagt haben, >wenn wir weitermachen, könnten wir noch mehr erfahren<, ja?“

Er setzte sich, und Paul stellte das Band wieder an. Er nahm seinen Kuli und seinen Block, drückte auf Aufnahme: „Liebe Freunde – hier ist wieder Paul und sein Gast Dietrich Holänder. Er möchte gerne noch einmal seine Frau hören, wäre das möglich?“ Dann ließ er das Band laufen.

Holänder hatte seine Hände wie zum Gebet gefaltet und rieb vor Nervosität seine Daumen aneinander, während er auf die Spulen starrte. Paul schaute auf seinen Schreibtisch.

Nach ein paar Minuten stoppte er das Band ab, spulte zurück, nahm seine Kopfhörer und drückte auf Play. Und dann konzentrierte er sich, schloss die Augen und hörte.

Holänder zuckte zusammen, als ihm Paul zunickte. Es war etwas da! Nach ein paar Minuten nahm Paul die Kopfhörer ab: „Also, wir haben zwei Stimmen, aber hören Sie selbst.“

Holänder beugte sich zu den Lautsprechern und hörte eine roboterhafte schnelle Stimme: >Uta – komm – raus - < und dann sofort hinterher diese weibliche Altstimme: > Dietrich – Grippe Virus<.

Paul wollte immer wieder neue Beweise auf die Frage, woher die Stimmen kommen, und auf welche Weise sie Bezug auf die momentane Situation während der Einspielung nahmen. Zwar glaubte er fest an seine These, dass es die Toten sind, aber er wollte sich gegen die skeptischen Menschen mit festen Argumenten wappnen. Falls die Skeptiker überhaupt mit Gegenargumenten kamen und nicht einfach sagten, sie glauben es nicht.

Gewiss, diese Stimmen waren teils abgehakt, verdreht, waren Wortfetzen, Fragmente, abgehakte Substantive, Konsonanten, schnelle oder langsame Vokale, manchmal singend, manchmal roboterhaft eisern, waren verdrehte Grammatik, scheinbar nicht zusammen hängend, es kamen Flüsterstimmen oder rufende Stimmen aufs Band, sprachen in Symbolen, und waren manchmal sehr deutlich. Klar, exakte Wissenschaften haben Fakten, Logik und Beweise nach Messungen als Grundlage. Weshalb aber bezweifeln sie die Ernsthaftigkeit der Stimmen? Sind die Stimmen etwa keine hörbaren Fakten? Wenn es irgendwelche Stimmen im Raum wären, die man zwar hören, aber nicht verifizieren könnte, und die manchmal nicht auf die momentane Situation eingehen würden, könnte man die Skepsis oder Ablehnung nachvollziehen. Aber die guten Stimmen sagten ihm im Hier und Jetzt, was Sache war, sie gaben sich zu erkennen, manchmal durch ein Codewort oder ein sonstiges Zeichen, sie melden sich mit ihren Namen und Erinnerungen, sie zeigen Gefühle und manchmal nicht ganz jugendfreie! Einige Botschaften waren klar in ihrer Aussage. Zum Beispiel die Stimme >Gedanken bedeuten sprechen-sprechen<. Die Stimme sagte zweifellos, dass unsere Gedanken sofort bei ihnen ankommen, bevor wir sie aussprechen, so als würden wir sie laut sagen.

Alles im allem ein Phänomen mit vielen noch ungelösten Antworten. Und dann die Zeiten. Wenn schon hier die Zeit ein relativer Begriff und ein relatives Empfinden ist, dachte Paul, was verbirgt sich wohl in der anderen Dimension dahinter?

Der Totenflüsterer

Подняться наверх