Читать книгу Der Totenflüsterer - Dietmar Kottisch - Страница 5

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2.

Für den nächsten Abend hatten sich Lothar und Annemarie angemeldet.

Lothar war für Klara der richtige Skeptiker, seine Frau Annemarie dachte schon eher in Richtung, alles kann möglich sein in dieser Welt. Auch sie nahm Hamlet als Beispiel, dass > es mehr Ding` im Himmel und auf Erden gibt, als eure Schulweisheit sich träumen lässt<. Klara fragte Paul, ob sie es den beiden mitteilen soll, was sie gestern Abend erfahren hatte, weil es unweigerlich immer wieder zum Thema Tonbandstimmen kam. Er sagte: „Das musst du selber wissen, wenn du davon überzeugt bist, Liebling.“

„Überzeugt ist nicht der richtige Ausdruck. Ich hab zum ersten Mal solche Stimmen gehört, bin ziemlich aufgewühlt über Sarahs Stimme. Ich brauche viel Zeit, um wirklich - - na ja - - alles zu verinnerlichen.“

„Klar, sprich drüber, wenn du willst.“

Lothar war ein hoch gewachsener Mann mit hellen, nach hinten gekämmten langen Haaren, dessen Oberlippenbärtchen das schmale Gesicht betonte.

Er nannte Paul sarkastisch den „Totenflüsterer“ und lehnte seine Interpretation mit dem Hinweis ab, sein Freund sehe oder höre die Dinge so, wie er sie gerne sehen oder hören möchte. Wenn er mit den Stimmen konfrontiert wurde, zuckte er nur mit den Schultern. „Ich höre zwar Flüsterstimmen und Geräusche, manchmal auch ein Wort, aber nichts Genaues.“

Paul gab es dann schließlich auf, ihn überzeugen zu wollen. Lothar sah in Klara eine Mitstreiterin der exakten Wissenschaft gegen die Spinnerei eines Paul Klein. Die Meinung seiner Frau Annemarie, die zumindest zu Paul tendierte, nahm er auch nicht für voll.

Beide hatten einen zehn Jahre alten Sohn, Arnold.

Klara hatte gegrillten Lachs gemacht. Lothar und Paul tranken Rotwein, Annemarie gerne einen Weißwein und Klara mied den Alkohol.

Heute Abend jedoch befand sie sich in einer Zwickmühle. Sie hatte ein wenig Angst vor Lothars Sarkasmus, wenn sie gestehen muss, dass sie die Stimme von Sarah gehört hatte. Sie würde nicht darum herumkommen, Farbe zu bekennen, wenn die Diskussion losging.

Nach dem leckeren Essen hob Lothar sein Glas. „Auf eine reale gute Köchin, das war ein richtiger Genuss, zum Wohl!“

Alle hoben ihre Gläser und tranken. Es war ein wunderschöner kalter Spätherbstabend mit untergehender Sonne, die ihr Licht an die Wand des Esszimmers warf.

Lothar zündete sich eine Zigarette an, suchte nach dem Aschenbecher, bis Klara ihm einen aus der Küche holte.

„Na, Klara, bist du jetzt endlich so weit, deinen Totenflüsterer überzeugt zu haben, dass es dort ein so leckeres Essen nicht gibt!“

Keiner lachte und Lothar fuhr fort: „Könntest du mir als Banker nicht die nächsten Börsenbewegungen voraussagen lassen? Oder die Lottozahlen?“

„Ich finde deine Häme unangebracht, Lothar. Du kannst nur meckern, aber etwas Konstruktives kannst du nicht beitragen,“ tadelte seine Frau und schaute ihn aus schmalen Augen an. „Oder hast du Beweise für deine negativen Ausführungen? Kannst du mir beweisen, dass das alles Humbug ist,?“ fuhr sie fort. Lothar zuckte leicht zusammen und schwieg erst mal.

Annemarie war eher klein gewachsen, hatte kurzes, dunkles, gelocktes Haar, ein rundes Gesicht, und ihre Augen waren von einem intensiven Haselnussbraun.

„Paul hat wenigstens einen Anscheinsbeweis für seine These. Er kann jederzeit die Stimmen vorspielen. Er schaltet das Tonbandgerät ein und man hört die Stimmen.“

„Ich hör` nichts, nur Geräusche und Geflüster.“

„Weil du nichts hören willst.“

„Es gibt nichts zu hören,“ erwiderte er trotzig.

„Siehst du! Du behauptest, Paul höre, was er hören will, du reagierst genauso, du willst nichts hören, also hörst du nichts. Basta.“

„Und du? Hörst du was Genaues?“

„Ich bemühe mich. Ich höre zwischen den Geräuschen Stimmen. Man muss sich konzentrieren, weil sie manchmal leise sind oder ganz schnell oder sehr langsam.“

Sie schien heute auf Konfrontation aus zu sein, dachte Klara und war ihr dankbar. Lothars einziger Ausweg war jetzt Klara; er warf ihr einen flehenden Blick zu, als wolle er sagen: hilf mir! Aber sie konnte ihm nicht mehr helfen. „Was ist, Klara, meine allerbeste Freundin? Stehe ich jetzt alleine auf weiter Flur gegen die Spiritisten oder Animisten oder wie die sich nennen? Sag was dazu.“ Er tippte die Asche ab und zog wieder an der Zigarette.

Klara stand auf. „Wir räumen das Geschirr ab.“

Als die beiden Frauen alleine in der Küche waren, konnte sich Klara nicht mehr beherrschen. „Du weißt, dass ich die ganze Zeit zu deinem Mann gehalten habe. Aber jetzt kann ich nicht mehr.“ Sie stapelte die Teller und das Besteck in den Geschirrspüler. Annemarie stand mit verschränkten Armen am Küchenschrank gelehnt und wartete auf eine Fortsetzung. Klara machte die Klappe zu und setzte sich auf einen Stuhl. Versonnen starrte sie auf das Muster der Tischdecke. „Warum kannst du nicht mehr? Geht dir sein Geschwätz auf die Nerven? Kann ich verstehen, Klara.“

„Das ist es nicht. Gestern ist etwas passiert, was ich …was ich noch nicht verdaut habe.“ Der Abend dämmerte und Klara machte das Licht an. Es war zwischenzeitlich acht Uhr. Annemarie wartete.

„Ihr beide kennt die Geschichte mit meiner Schwester Sarah.“

Annemarie nickte und setzte sich zu ihrer Freundin an den Tisch. Vom Wohnzimmer aus hörten sie die Stimmen der Männer.

„Du weißt, dass es für mich ein dunkles, trauriges Kapitel war und immer noch ist.“

Annemarie nickte wieder: „Der Tod von einem so jungen Menschen ist immer eine Katastrophe.“

Klara holte tief Atem, bevor sie weiterfuhr. „Paul hat die Stimme von Sarah auf Band.“

Es dauerte, bis bei Annemarie die Botschaft umgesetzt wurde. „Der hat was?“ Sie starrte die Freundin an.

„Paul hat die Stimme meiner toten Schwester auf seinem Tonband. Ich habe sie gehört.“

Nach einer ganzen Weile sagte Annemarie: „Jetzt brauch ich `nen Cognac. Hast du einen da?“

Klara sah, wie Annemarie blass wurde. Die Küchenuhr tickte, die Stimmen der Männer waren plötzlich weit im Hintergrund. Klara nickte, stand auf, ging ins Wohnzimmer zur Anrichte und holte die Flasche Cognac heraus.

„Ich denke, ihr räumt in der Küche auf?“ Lothar spürte, dass etwas in der Luft lag. „Dann prost!“

Paul und Klara tauschten Blicke aus. Paul ahnte, weswegen die Flasche jetzt in der Küche gebraucht wurde, sagte aber nichts.

Klara schenkte der Freundin Cognac ein und setzte sich wieder hin. Das Blubbern aus der Flasche mischte sich mit dem Ticken der Uhr. Annemarie nahm den Schwenker und trank ihn mit einem Zug halb leer. „So, und jetzt erzähl weiter. Ich ahnte immer schon, dass an dieser Sache was dran ist …“

„Die Stimme alleine war nicht so sehr der Schock. Es könnten tausend Sarahs gewesen sein, die aus dem Lautsprecher kamen, aber trotzdem glaube ich, Sarah erkannt zu haben, sogar nach neunzehn Jahren. Und ich hatte das Gefühl, dass die Stimme älter klang. Es war die Botschaft, die mich schockte.“

Annemarie griff wieder zum Glas, als wolle sie sich wappnen. „Die Botschaft?“

„Sie sagte einen Namen, nämlich Äppli.“

Gespannt hörte die Freundin zu.

„Äppli war Sarahs erste Liebe, ein Junge aus Bern. Wir waren in der Schweiz auf Urlaub und sie hatte ihn dort kennen gelernt. Sie verliebte sich sofort in ihn. Die erste Liebe …mein Gott, was sag ich da?“ Plötzlich weinte Klara. Annemarie stand auf und legte einen Arm um ihre Schulter. „Was sag ich da? Die erste Liebe? Die einzige Liebe in ihrem kurzen Leben, verdammt noch mal, die einzige!“

Annemarie nahm den Cognacschwenker und hielt ihn an Klaras Mund. „Komm, trink einen Schluck, das beruhigt.“ Klara nahm einen kleinen Schluck. „Es geht schon wieder, es geht schon. Verstehst du, was das bedeutet? Ahnst du, was das heißt, dieses kleine beschissene Wort Äppli?“

„Ja, ich glaube. Es bedeutet, dass deine Schwester weiterlebt und dir eine Botschaft sendet. Eine Sarah, die einen Äppli kennt, wird es wohl im ganzen Universum nicht zwei Mal geben. Mit Sicherheit nicht!“

Die beiden Freundinnen schwiegen, jede mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Dann hörten sie Lothars Stimme aus dem Wohnzimmer. „Dürfen wir euch beim Aufräumen helfen? Kriegen wir auch einen Cognac?“ Annemarie verdrehte die Augen. Dann hörten sie Pauls Stimme: „Kommt ihr wieder ins Wohnzimmer?“

Als die beiden Frauen zurückkehrten, sah Lothar, dass Klara geweint hatte. Er drückte die Zigarette in den Aschenbecher, stand auf und legte ihr einen Arm um die Schulter. „Hab ich was Falsches gesagt? Das wollte ich nicht.“

„Nein, du kannst nichts dafür.“

Dann sah Lothar Paul an: „Weißt du, um was es geht?“

„Ich denke schon, aber dich wird es sicherlich kaum interessieren.“

„Nun mal halblang,“ protestierte er.

Seine Frau setzte sich zu ihm. „Wenn ich dir erzähle, was ich eben erfahren habe, wirst du dich wundern, mein Lieber!“

Verdutzt sah er sie an. „Jetzt bin ich aber gespannt“.

„Paul, erzähl du es ihm,“ bat Annemarie, „du bist der Fachmann.“

„Ich kenne deine Meinung, „ begann er, „zumal du schon öfters Stimmen von mir gehört und sie als Einbildung bezeichnet hast. Aber jetzt spiele ich dir diese zwei Stimmen einmal vor. Bilde dir selbst ein Urteil, mein Freund, o.k.?“

Lothar nickte und sagte nichts mehr. Sie standen auf und gingen ins Arbeitszimmer, Paul nahm seinen Platz ein und die anderen verteilten sich auf die Stühle, nur Lothar blieb stehen. Paul schaltete das Tonbandgerät ein, suchte in seinem Block die Daten. „Hier hab ich sie.“ Er schaute seinen Freund an. „Bist du bereit?“

„Ja.“ Lothar schaute in die Runde, seine Miene spiegelte Verlegenheit wider, als habe man ihn bei etwas Unerlaubtem erwischt. Und dann zuckte er kurz zusammen, als er die Stimmen laut und deutlich hörte.

Er konnte nicht ahnen, dass er 2 Monate später…

Der Totenflüsterer

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