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Prolog

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1973. Grasse, reizendes provenzalisches Städtchen mit seinen Blumen, seinen Düften, seinen dreißigtausend Einwohnern und knapp tausend zugewanderten Arbeitskräften, häufig aus Tunesien, Landarbeiter, Bauarbeiter, allesamt Schwarzarbeiter.

Im Herbst 1972 beschließt die französische Regierung, die migrantische Bevölkerung strenger zu kontrollieren als bisher. Der Runderlass Marcellin-Fontanet verlangt, dass Einwanderer, die sich in Frankreich niederlassen wollen oder dort bereits ansässig sind, einen Arbeitsvertrag und eine »anständige« Wohnung vorweisen müssen, ehe sie eine Aufenthalts­erlaubnis erhalten und so »legalisiert« werden. Damit wechseln 86 Prozent der Immigranten in Frankreich von der Rubrik »Schwarzarbeiter« in die Rubrik »illegale Arbeitskräfte« und bilden von einem Tag auf den anderen eine neue Kategorie, die der »Sans-Papiers«, der »Illegalen«: ab Sommer ’73 Abschiebekandidaten.

Als der Termin näherrückt, an dem das Gesetz in Kraft treten soll, wirft sich die nationalistische rechtsextreme Bewegung Ordre nouveau in die Bresche, die die Regierung geschlagen hat, und lanciert am 9. Juni 1973 die landesweite Kampagne »Stoppt die wilde Einwanderung«.

In Grasse wie andernorts fühlen sich die eingewanderten Arbeiter bedroht. Sie haben weder Arbeitsvertrag noch anständige Unterkunft. Am 11. Juni 1973 halten sie in der Altstadt, wo viele von ihnen in Bruchbuden leben, eine Versammlung unter freiem Himmel ab und beschließen, am nächsten Tag für Arbeitsverträge und anständige Unterkünfte zu streiken. Über Nacht bedecken sich die Mauern der Stadt mit Schwarzweißplakaten, der Slogan »Stoppt die wilde Einwanderung« trägt den Stempel des Ordre nouveau.

Viele folgen dem Streikaufruf für den 12. Juni, zwei- bis dreihundert Streikende versammeln sich am Morgen vor dem Rathaus von Grasse. Sie verlangen, dass der Bürgermeister eine Delegation empfängt, die ihm ihre Forderungen vortragen soll.

Statt die Delegation zu empfangen, ruft der Bürgermeister die Feuerwehr, lässt die Arbeiter mit Wasserwerfern auseinandertreiben und fordert zur Verstärkung die Bereitschaftspolizei CRS (Compagnies Républicaines de Sécurité) an.

Am Nachmittag schlendern Gruppen von Streikenden durch die Altstadt, wo viele von ihnen wohnen, und diskutieren. Gegen 16 Uhr gehen die CRS-Truppen mit Schlag­stöcken heftig gegen sie vor, die Handwerker und Händler von Grasse bewaffnen sich mit Knüppeln und schließen sich den CRS an. Die Jagd auf Immigranten bis in die Häuser hinein dauert den ganzen Abend und einen Teil der Nacht. Bilanz: fünf Schwerverletzte, zweihundert Verhaftungen.

Am nächsten Tag gründen die Einwohner von Grasse ein »Wachsamkeitskomitee der Händler und Handwerker«, dessen erklärtes Ziel lautet: »die tausende Müßiggänger loswerden, die dem guten Ruf der Stadt schaden«.

Der Bürgermeister (ein Politiker der Mitte) verkündet der einberufenen Presse: »Diese Demonstrationen von Immigranten sind absolut skandalös und stören die öffentliche Ordnung. Es ist nicht minder skandalös, dass sie nicht mit größerer Härte niedergeschlagen werden.« Er fügt hinzu: »Es ist wirklich unerträglich, wissen Sie, so von ihnen überschwemmt zu sein.«

L’Express, seinerzeit das wichtigste überregionale Nachrichtenmagazin, berichtet über die Ereignisse unter dem Titel: »Die Hexen von Grasse. Etwas Folgenschweres ist im Entstehen begriffen, und es trägt einen Namen: Rassismus.«

Marseille.73

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