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Nora nippte an ihrem Kaffee, der inzwischen kalt geworden war. Sie behielt den Schluck einen Moment lang im Mund, um den leicht bitteren Koffeingeschmack auf der Zunge zu haben. Es war warm in ihrem nicht allzu geräumigen Büro. Sie zog ihre Strickjacke aus, stand auf und öffnete das Fenster. Anschließend setzte sie sich wieder zu ihren Kollegen und ließ kurz den Blick durch den Raum schweifen. Im Gegensatz zu ihrem Chef bevorzugte sie moderne Büromöbel. Nur ihr Bücherregal war eine Biedermeier-Vitrine. An den Wänden hingen alle verfügbaren Pferdebilder, die der Galerie-Fundus hergab. Na, und? Es konnte jeder wissen, dass sie eine Pferdenärrin war. Sie hatte Andrea, die Magazinmeisterin, die sowieso immer über Platzmangel in den Depoträumen klagte, zu dieser Extrawurst überredet. Normalerweise hatten die Gemälde, die nicht ausgestellt waren, im Magazin zu sein. Auf ihrem Schreibtisch stand gar die Skulptur eines berühmten Zuchthengstes von einem ebenso berühmten Künstler. Sie freute sich jeden Tag an der kleinen Figur und war sich sicher, dass hier der beste Platz dafür war, sowohl für den Bronzehengst als auch für sie.

Seit mehr als vierzehn Jahren arbeitete sie jetzt schon in der Neustädter Galerie und war für die große Gemäldesammlung verantwortlich. Schon gleich nach dem Zweiten Weltkrieg hatte ein rühriger Verein zu sammeln begonnen und war in die Villa gezogen. Kurze Zeit später übernahm die Stadt die Galerie. So etwas passierte heute leider nur noch umgekehrt. Im Fundus waren bis auf einige Werke international bekannter Künstler vor allem die sogenannten Lokalmatadoren vertreten, einheimische Malerinnen und Maler von mehr oder weniger guter Qualität, dafür aber beliebt bei den hiesigen Museumsbesuchern.

Nora wandte sich wieder ihren Kollegen zu. Seit einer halben Stunde saßen sie zusammen und berieten wie fast jede Woche über die Arbeit an der neuen Ausstellung.

Ihr Chef hatte die Teamleitung für den Ausstellungsaufbau Nora übertragen. „Du hast das richtige Händchen dafür, glaub mir!“, hatte er ihr geschmeichelt. Das war gar nicht nötig, denn er konnte das schließlich bestimmen. „Als Kulturwissenschaftlerin bist du genau die Richtige für die praktische Durchführung und kannst Leute motivieren. Komm schon! Du schaffst das! Du bist ordentlich, stets gut vorbereitet, und dein Arbeitszimmer ist aufgeräumt.“ Als ob davon der Erfolg einer Ausstellung abhängen würde! Aber es stimmte, in so einer Möhle, wie sie bei ihm herrschte, konnte sie nicht denken.

Heute allerdings war der große Besprechungstisch mit Raumplänen, Papieren und Notizbüchern übersät. Dazwischen standen Tassen und die große Keksdose aus Blech, die Nora stets auffüllte.

Johannes, ihr Praktikant, berichtete von seinem Besuch bei der Grafikerin. Sie war froh, dass er ausgerechnet jetzt ein Praktikum bei ihr absolvierte. Er war vor zwei Jahren, als Student, schon einmal für sechs Wochen dagewesen. Nun hatte er bereits seinen Bachelor in der Tasche und wollte die Zeit bis zu seinem geplanten Masterstudium damit verbringen, Berufserfahrung zu sammeln. Glücklicherweise konnte er aus den plötzlich fließenden Fördermitteln ein Honorar bekommen. Johannes war ein stiller, junger Mann, keine dreiundzwanzig Jahre, mit wilden schwarzen Locken, die nach allen Seiten abstanden. Nur, wenn er von einem Kunstwerk fasziniert war, kam er aus sich heraus und gestikulierte heftig. Dann wurden die Augen hinter seinen dicken Brillengläsern immer größer, als ob er sicherstellen wollte, dass die Begeisterungsfunken, die sie versprühten, sein Gegenüber auch tatsächlich erreichten. Er alberte nie herum und beteiligte sich auch nicht an den allgemeinen Witzeleien beim Frühstück. Aber dann und wann kam eine wirklich humorvolle Bemerkung von ihm, sodass ihn alle erstaunt ansahen und lachen mussten. Sie würde ihn vermissen, wenn seine Zeit hier um war.

„Wann ist denn der späteste Abgabetermin für die Texte, Johannes? Haben Sie mit Frau Krentz darüber gesprochen?“, fragte Nora nun etwas ungeduldig und wippte mit dem Fuß auf und ab.

Ihr Praktikant hatte sich gerade über die umfangreiche und moderne Technik ausgelassen, die der Grafikerin zur Verfügung stand. Er räusperte sich und spielte mit dem Kugelschreiber in seiner Hand. „Bis zum ersten Juli sollten wir alles abgeschickt haben, Frau Schönemann. Sie bringt die Texte dann in Form und mailt sie zum Übersetzungsbüro. Dann müssen wir wieder Korrektur lesen, die Texte endgültig absegnen, und dann gehen sie in Druck. Aber bis Mitte Oktober schaffen wir das dicke, meinte sie.“

„Hoffen wir’s!“, schaltete sich der Restaurator ein.

Leo, Noras Lieblingskollege, hatte bis jetzt geschwiegen, sich aber eifrig Notizen gemacht. Er steckte sein Heft in die Tasche seines blauen Kittels, den er auch trug, wenn er nicht in seiner Werkstatt war. „Wenn ihr den Transportplan für die Leihgaben macht, denkt daran, dass ich die beiden Gemälde aus Privatbesitz noch restaurieren muss. Zwei Monate werde ich schon brauchen. Größere Schäden sind’s ja nicht, aber wer weiß, was noch zutage kommt, wenn ich erst mal angefangen habe.“ Den Leihvertrag für die beiden Gemälde, zwei Bürgermeisterporträts aus dem achtzehnten Jahrhundert, hatte Nora einem Autohausbesitzer abgeschwatzt. Sie passten wunderbar in die Darstellung der Stadtgeschichte. Anfangs wollte er sie nicht als Dauerleihgabe hergeben, aber die Aussicht darauf, dass sie in der Galerie kostenlos restauriert werden sollten und sein Name als Leihgeber genannt würde, hatte ihn schließlich überzeugt. „Den Transportplan macht Andrea, da kannst du ganz beruhigt sein, Leo.“

Sie wandte sich der jungen Magazinmeisterin mit dem schwer zu bändigenden, blonden Kraushaar zu, die sofort in den Kalender schaute und mit ihrer hellen, leicht kieksenden Stimme antwortete: „Sobald ich die Rückmeldung von der Kunsttransportfirma habe, sag ich dir Bescheid. Die beiden Bilder werden eh zuerst geholt, weil das Autohaus abseits der anderen Routen liegt.“ Auf Andrea konnte sie sich verlassen. Sie hatte schon mehrmals bewiesen, dass sie logistisches Talent besaß. Sie arbeitete nur fünfzehn Stunden pro Woche für die Galerie, man hatte aber stets das Gefühl, dass sie immer da sei.

Zwei der drei Depots waren außerhalb der Villa untergebracht. In allen herrschte eine mustergültige Ordnung, die selbst Nora manchmal unheimlich war und in ihrer Branche wohl ihresgleichen suchte.

„Dann haben wir für heute alles besprochen“, hob Nora die Runde auf. „Ich stelle noch mal die Aufgaben für jeden zusammen und passe den Zeitplan an. Ich schicke euch alles per E-Mail. Wir treffen uns nächste Woche wieder.“

Als auch die anderen sich erhoben, klopfte es an die Tür. Noch ehe Nora „Herein!“ rufen konnte, hatte Günther Börner den Raum betreten. „Setzt euch wieder hin, Leute!“ Damit ließ er sich selbst auf den erstbesten Stuhl sinken und zerrte an seinem Schlipsknoten.

Nora kannte ihn lange genug, um zu ahnen, dass jetzt nichts Gutes kam.

Er war rot und verschwitzt, wahrscheinlich vom Treppensteigen und hatte das unvermeidliche Eukalyptusbonbon zwischen den Zähnen. „Es ist also so …“, begann er umständlich, „dass wir eine Planänderung haben. Der, äh, Eröffnungstermin ist verschoben worden.“

Na toll, dachte Nora, hoffentlich nicht bis nach meiner Abreise!

„Macht doch nichts“, flüsterte Johannes ihr zu, „dann schaffen wir das erst recht, wenn wir noch ein bisschen mehr Zeit haben.“

„Genau genommen“, fuhr ihr Chef fort, „um vier Wochen nach vorn.“

„Waaas?“, riefen alle fast gleichzeitig und redeten durcheinander.

Börner hob die Hände: „Ich kann da auch nichts machen“, meinte er bedauernd, „die Schnee…äh die Bürgermeisterin hat das so festgelegt, weil der Minister später keine Zeit mehr hat. Und wir wollen doch, dass er kommt. Schließlich ist das alles ganz hoch angebunden.“

Nora war sprachlos. Sie überschlug kurz den Zeitplan, den sie gerade festgelegt hatten und ahnte, dass es ganz knapp werden würde. Zu viele Wochen hatten sie schon mit der Konzeption vertrödelt, die andauernd erneut den finanziellen Vorgaben angepasst werden musste. Die Bürgermeisterin hatte wirklich überhaupt keine Ahnung, wie viel Arbeit in so einer Ausstellungsvorbereitung steckte. Woher auch?

Da alle anderen schwiegen und sie ansahen, wandte sie sich an Günther: „Du musst ihr klarmachen, dass das so nicht geht! Rede noch mal mit ihr, vielleicht kann der Minister ja was anderes absagen, und du schlägst wenigstens zwei Wochen raus! Das können die doch nicht einfach mit uns machen!“, nun wurde sie richtig wütend. Sie riss die Augen auf und hob unwillkürlich ihre Stimme. „Das ist alles ganz knapp kalkuliert, und außerdem will sie doch, dass wir Qualität abliefern“, appellierte sie an sein Verständnis. „Rufst du sie noch mal an?“

Er war schon an der Tür. „Versprochen!“, kam es über seine Schulter. Es klang halbherzig. Vielleicht war es auch etwas naiv anzunehmen, ein Minister würde seine Pläne ihretwegen ändern. Im Grunde wusste sie, dass Günther die Einmischung der Bürgermeisterin hinnehmen würde. Eher würde er seine Leute oder sich selbst antreiben, als dass er eine Entscheidung der Obrigkeit infrage stellte. Dauernd hatte er Angst, anzuecken und sagte zu allem Ja und Amen. Sie seufzte.

Pläne sind zum Ändern da

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