Читать книгу Dorissima! - Doris Brugger - Страница 14
– 11 – GUSTAVS TOD
ОглавлениеIm April bin ich dann doch auf die länger schon geplante Südamerikareise der Chambre Syndicale de la Haute Couture de Paris mitgeflogen. Auf der einen Seite ging es mir dabei richtig schlecht – ich dachte, mein Platz müsste jetzt an der Seite meines Mannes sein –, auf der anderen Seite war es eine willkommene Abwechslung, um den Kopf freizubekommen. Was ja fast nicht möglich war. Aber wie der Professor meinte: Ich müsste so weiterleben wie zuvor, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen.
Zudem hatte mein Mann ja auch eine Geliebte, die durch den Vertrag, den Gustav für die Zeit der begrenzten Trennung mit mir machte, legitimiert war. Also war er nicht allein.
Wieder zurück in München, eröffnete mir meine Mutter, dass Gustav mit seiner Freundin in Sonthofen im Hotel Sonnenalp wäre und es ihm gar nicht gut ginge. Ich bin sofort hingefahren, nahm auch Berni mit. Ich war entsetzt über seinen Zustand. Er war gelb am ganzen Körper und hatte einen aufgeblähten großen Bauch. Was war nur geschehen? Tatsächlich gingen wir dann auch noch alle gemeinsam zum Mittagessen.
Gustav legte mir dann noch ans Herz, dass ich auf Berni aufpassen solle und meinte ein Intertnat wäre doch sicher das Richtige. Berni war gerade neun Jahre alt und ein Spätentwickler wie ich es in seinem Alter war. Wie falsch das alles war. Ich bekam keinen Bissen runter und machte den Vorschlag, er möge doch gleich mit mir nach Hause kommen. Er versprach mir, am nächsten Tag mit seiner Freundin nach München zu fahren.
Wieder in München, rief ich gleich den Professor an. Dieser meinte, mein oberschlauer Ehemann hätte zur Vorsorge hinter unserem Rücken die Tabletten von diesem Scharlatan in Rom zusätzlich zu den Bestrahlungen eingenommen, und die Leber hätte rebelliert und würde sich auflösen. Was für ein Alptraum. Alles war umsonst!
Da die Versorgung zu Hause nicht gegeben war, fuhren wir ins Krankenhaus Rechts der Isar, was in der Nähe unserer Wohnung lag. Fast rund um die Uhr war ich bei Gustav. Er fiel die meiste Zeit ins Koma oder war im Delirium. In der ersten Woche seines Aufenthaltes im Krankenhaus hatte Berni Kommunion im Bogenhauser Kircherl. Sein Onkel Hubert aus Amerika, Gustavs Bruder, war mit seiner Ehefrau zufällig im Lande. Nach der Kommunion lud ich zu einem Lunch. Beim gemeinsamen Mittagsessen wurde ich so unruhig, dass ich mittendrin abbrach, um zurück ins Krankenhaus zu gehen. Ich war rund zwei Stunden von Gustav weg.
Ich fand ihn ans Bett gefesselt. Er wollte mit aller Gewalt in den Englischen Garten. Man hatte ihn zu dritt nicht halten können, so fesselte man ihn. Ich war außer mir und habe ihn sofort abgebunden.
Seiner Geliebten habe ich angeboten, ihn besuchen zu können, wann immer sie wollte. Sie war überrascht. Ich wollte mich mit ihr abwechseln, so dass er nie allein war.
In seiner kleinen Tasche im Schrank, befand sich ein Schreiben, was vermeintlich ein Testament war. Ich las es und war nicht einmal schockiert über den Inhalt: Gustav hatte unseren Sohn als Haupterben eingesetzt. Seine Tochter Ursula hatte er, da sie einen armen Lehrer geheiratet hatte, auf den Pflichtteil gesetzt, seine Geliebte bekam eine höhere Summe vermacht, mich dagegen hat er enterbt, und auch sollte ich keinen Pflichtteil erhalten – normalerweise gesetzlich gar nicht möglich.
Natürlich hätte ich diese unbeglaubigte Verfügung vernichten können. Nur wie sollte ich damit leben? Also gab ich sie noch am selben Tage Gustavs Sozius, der auch als Testamentsvollstrecker benannt war. In einem letzten lichten Moment fragte mich Gustav nach diesem Schreiben, und ich beruhigte ihn und versprach ihm, es abgegeben zu haben.
Gerne hätte ich, bevor er immer weniger wurde, von ihm erfahren, wo er gerade ist und was er empfindet. Dazu aber gab er mir keine Gelegenheit und war auch leider nicht bereit dazu. Wie später auch meine Mutter. Ich konnte nur in seinem Gesicht lesen. Es wurde immer heller und klarer, und ich konnte genau beobachten, wie er der Unendlichkeit entgegenging.
Später habe ich sehr schöne philosophische Gedichte und Abhandlungen von ihm gefunden, was mich sehr berührte. Diese Seite hätte er mehr leben sollen, eher als raffinierte Klauseln und Schriftsätze auszuklügeln.
Wahrscheinlich hat er zu meiner weiteren Entwicklung maßgeblich beigetragen: die Wahrhaftigkeit zu entdecken. Zu sich zu stehen, man selbst zu sein und sich genau zu beobachten. Mir wurde immer klarer, dass wir einen Innenmenschen und einen Außenmenschen haben, unseren Kindmenschen nicht zu vergessen. Ich meine nicht eine doppelte Identität, eine gespaltene Persönlichkeit, ein schizophrenes Denken oder die Seele und den Geist. Nein, wenn man genau beobachtet, wie man auf verschiedene Ereignisse reagiert, kann man es genau verfolgen, welcher Mensch in einem zuerst da ist. Ich überrasche mich des Öfteren und sage mir: Hoppla, diese Reaktion hätte ich jetzt nicht erwartet, so wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde.
So ist Gustav auch nicht mehr zurückgekommen und am 12. Juni 1975 für immer gegangen. Er wurde nur 46 Jahre alt.
Es regnete in Strömen, als er beerdigt wurde. Eine lange Zeremonie, bei der ich größtenteils geistig nicht anwesend war. Die gesamte Belegschaft der Bavaria, viele bekannte Autoren, Regisseure und einige Stars waren anwesend, und man hielt viele Ansprachen. Sie erwiesen ihm eine große Ehre, dem wirklich guten und loyalen Anwalt Dr. Dr. Gustav Brugger. Aus seiner engen Erziehung und dem engen Elternhaus hatte er sich leider nicht befreien können. Das Zeug dazu hätte er gehabt.
Dr. Dr. GUSTAV BRUGGER mit (HUNTER) HANNES OBERMAIER u. LUCKY WALDLEITNER
Obwohl ich nicht bereit war, sein Leben so zu teilen, empfinde ich heute noch große Bewunderung und Hochachtung vor diesem Mann. Seinem Wunsch entsprechend habe ich nie wieder geheiratet.
Am gleichen Tag ist auch mein lieber Freund Heinz Bosl, der eine erstaunliche Karriere als erster Tänzer der Münchner Staatsoper absolvierte, gestorben. Er war ein Ausnahmetänzer allererster Güte. In seinem kurzen Leben wurde er ein international anerkannter danseur noble und war unter anderem Partner von Dame Margot Fonteyn.
In einer kleinen Szene einer Fernsehshow hatte ich die Ehre, mit ihm tanzen zu dürfen. Es war wunderbar, von ihm gehoben zu werden, man kam sich wie ein Engel vor und schwebte nur so dahin. Seine Sprünge waren außergewöhnlich, er stand förmlich in der Luft.
Er starb mit 29 Jahren an Leukämie auf dem Höhepunkt seiner Kariere. Ich war tief berührt über seinen Tod und denke heute noch oft an ihn. Ich höre immer noch sein humoriges Lachen und sein herrliches Bayerisch.
Warum und wieso der Tod dem Leben so überraschend Einhalt gebietet, wird uns ein Rätsel bleiben. Es gibt viele Versionen von Deutungen. Welche nun die Richtige ist, werden wir eventuell im Jenseits erfahren. Nur denke ich, dass die Entscheidung nicht beim Tod liegt sondern bei uns selbst.