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– 1 – ERSTE BEGEGNUNG

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Da ich in einer Kleinstadt nahe der französischen Grenze zu Straßburg geboren wurde hat man uns, meine Mutter und mich, während des Zweiten Weltkriegs nach Bodelshausen bei Tübingen evakuiert. Man wollte uns vor der französischen Artillerie schützen. Hier wurde ich zum ersten Mal mit dem Tod konfrontiert.


Es war wunderbar dort. Ich hatte mich gleich zu Hause gefühlt, war ich doch erst zwei Jahre alt und offen für alles Neue. Was übrigens mein ganzes Leben so anhielt. Kathrin, die Bäuerin und Schwester des Bürgermeisters, die unehelich und kinderlos den Hof der Eltern übernahm, der gleich hinter dem kleinen Rathaus lag, nahm uns mit offenen Armen auf und liebte mich von Anfang an abgöttisch. Ich durfte alles anstellen.

Mit vier Jahren konnte ich meine Mutter überreden – oder besser: erbetteln – mit mir wieder zu Kathrin zu fahren, um den Sommer bei und mit ihr zu verbringen. Es war für mich noch schöner als beim ersten Mal, da ich alles bewusster erleben konnte. Sie hatte einen zauberhaften Obstbaumgarten, der spitz auf einen Hang zulief und von einem plätschernden Bach durchlaufen wurde. Der Hühnerstall war über einem Heuschober, und die Hühner mussten sich über eine Leiter hochbalancieren. Dazu kam noch ein Kuh- und ein Schweinestall. Ich durfte den großen Heuwagen allein vom Feld durchs Dorf nach Hause führen, den Kühen die Schwänze waschen und Lockenwickler eindrehen, sodass sie ganz buschige, hellblonde Lockenrosen hatten. Meine Mutter, der es in Bodelshausen gar nicht gefiel, schüttelte nur noch den Kopf.

Kathrin nahm mich überall mit hin. Auch zu den Nachbarn. So kam es, dass eine Bäuerin, die Rieke hieß, schwer erkrankte und wir ihr einen Besuch abstatteten. Als wir ihre Schlafstube betraten, lag sie ganz abgemagert mit großen, weiten, glänzenden Augen und offenem Mund in ihren dicken, rotweißen Federkissen, und ein schönes Lächeln der Entrücktheit umspielte ihr Gesicht. Als ich in ihre glanzvollen, fiebrigen Augen blickte und Kathrin ihr die Hände faltete, ist ihre Seele davongeschwebt.

Ich hatte keine Angst es hat mich nur unglaublich gepackt, bei diesem Ereignis dabei gewesen zu sein. Da Kathrin das als das Normalste der Welt abhandelte, tat ich es ihr nach und fühlte das auch so. Wir zündeten eine Kerze an, öffneten das Fenster und beteten für ihre Seele. Ich kam mir sehr erwachsen vor und war fast ein bisschen stolz. Der Tod war mir nicht fremd, und ich wusste, ich würde ihm wieder begegnen.

Als meine Mutter davon erfuhr, war sie außer sich und beschimpfte Kathrin mir so etwas anzutun – mich mit dem Tod zu konfrontieren. Kathrin aber war sich ihrer Sache sicher, und ich hatte verstanden.

Als ich dann zwei Jahre später in die Schule kam, habe ich immer darauf gewartet, dass es im Unterricht oder auch zu Hause einen Aufklärungsunterricht über den Tod geben würde. Der kam aber nicht. Immer wenn ich dieses Thema anschnitt, wurde ich gleich unterbrochen. Ich hatte das Gefühl, man hatte Angst, darüber zu reden, und die Menschen benahmen sich so, als würden sie ewig am Leben bleiben und den Tod aus ihrem Leben verjagen wollten. Diese Vorstellung war mir schon als Kind fremd. Ich hatte nie diese große Distanz empfunden und der Tod war ein Teil meines Lebens.

Dorissima!

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