Читать книгу Wenn Schuldgefühle zur Qual werden - Doris Wolf, Dr. Doris Wolf - Страница 13

1.3Wie entwickeln sich unsere Schuldgefühle?

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Wir haben uns in diesem Buch zum Ziel gesetzt, zu lernen, Schuldgefühle, die uns quälen, zu überwinden. Hierzu müssen wir zunächst einmal wissen, wie Schuldgefühle entstehen. Erst dann können wir uns Wege überlegen, sie abzulegen oder zumindest abzuschwächen. Die Suche nach den Quellen unserer Schuldgefühle führt uns zurück in unsere Kindheit.

Wir werden nicht mit Schuldgefühlen geboren, sondern nur mit der Fähigkeit, uns Schuldgefühle machen zu können. Wir erlernen die Fähigkeit, in uns Schuldgefühle zu erzeugen, durch unsere Eltern, Lehrer, kirchliche und gesellschaftliche Vertreter. Vielleicht haben Sie als kleines Kind auch Botschaften gehört wie etwa:

•„Mami muss sich schämen mit dir, wenn du nicht danke sagst.“

•„Mami ist ganz traurig, weil du ihr keinen Kuss gibst.“

•„So was macht ein kleiner Junge nicht. Du solltest dich was schämen.“

•„Du bist nicht mehr Papas kleiner Liebling, wenn du jetzt nicht sofort dein Zimmer aufräumst.“

•„Das ist nun der Dank. Wir haben so viel für dich getan, und du verhältst dich so schlecht.“

•„Wegen dir hat Vater die ganze Nacht kein Auge zugetan.“

•„Du bist ein schlechter Junge, deiner Mutter so weh zu tun.“

•„Du bist schuld, wenn ich noch krank werde.“

•„Du bringst mich noch ins Grab.“

•„Dir wird es noch leid tun, dass du so unartig bist.“

•„Brave Kinder sind nicht wütend, lügen nicht, räumen ihre Kleider auf, schlagen nicht, machen sich nicht schmutzig, unterbrechen Erwachsene nicht im Gespräch, machen ihren Eltern keine Sorgen, machen ihren Eltern keine Schande, halten ihre Versprechen usw. und wenn du diese Vorschriften nicht befolgst, bist du böse und dafür zu verurteilen.“

Haben Sie sich einige der Botschaften aus Ihrer Kindheit in Erinnerung rufen können? Wie haben Sie sich damals als Kind gefühlt, als Sie solche Vorwürfe zu hören bekamen? Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass mein Bruder und ich solche Vorträge als „Gardinenpredigt“ bezeichneten. Sie haben uns zwar nicht von Unartigkeiten abgehalten, aber wir hatten dann immer ein schlechtes Gewissen, etwas angestellt zu haben. Wir haben uns dann auch darin geübt, „Notlügen“ zu erfinden, um dem Tadel aus dem Weg zu gehen. Wahrscheinlich haben Sie sich nach solchen Vorwürfen auch schuldig gefühlt. Da wir von unseren Eltern gemocht werden wollen und ihnen nicht wehtun wollen, fühlen wir uns schlecht und schuldig. Unsere Eltern setzen Schuldgefühle als ein Mittel zur Erziehung ein. Sie vermitteln uns die Botschaft: „Wenn du nicht tust, was wir wollen, lehnen wir dich ab. Außerdem fühlen wir uns schlecht und du bist schuld daran. Der einzige Weg, unsere Liebe zu gewinnen ist, dass du dich nach unseren Vorstellungen verhältst. Dann bist du auch ein liebes Kind und von deiner Schuld befreit.“ Sie brauchen diese Botschaft noch nicht einmal mit Worten auszudrücken. Es genügt, wenn Papa uns nicht mehr beachtet, Mama nur noch das Nötigste mit uns spricht, mit Leidensmiene umherläuft, uns tadelnde Blicke zuwirft, die Stirn runzelt, uns keinen Gute-Nacht-Kuss gibt oder sich ans Herz fasst, weil sie vor Aufregung keine Luft mehr bekommt. Für nonverbale Signale wie Mimik, Gestik, Blickkontakt, Körperhaltung und den Stimmklang sind wir als Kinder sehr empfänglich. Wann immer wir uns abgelehnt fühlen oder bei anderen uns wichtigen Menschen eine negative Reaktion sehen, entsteht in uns der Eindruck, etwas verkehrt gemacht zu haben. So lernen wir schließlich, aus Angst vor der negativen Reaktion der Erwachsenen gar nicht mehr zu tun, was wir uns so sehr wünschen, oder uns zumindest mit Schuldgefühlen zu bestrafen, wenn wir es dennoch tun.

Wir Kinder lernen diese Lektion sehr rasch. Wir lernen: „Tue ich etwas Schlechtes oder Verbotenes, dann bin ich ein schlechter und nicht liebenswerter Mensch und muss mich dafür verurteilen und schämen.“ Da wir noch nicht in der Lage sind, den Worten unserer Eltern kritisch gegenüberzustehen, übernehmen wir das vernichtende Urteil der Eltern. Wir lernen, dass man stets die Wünsche und Erwartungen anderer Menschen erfüllen muss. Tut man das nicht, dann wird man abgelehnt und verurteilt; und wer möchte das schon? Auf diese Weise wachsen die meisten von uns als unsichere und ängstliche Menschen heran, die von der Meinung der Mitmenschen abhängig sind. Sind wir erwachsen, flammen diese Schuldgefühle stets auf, wenn wir glauben, andere Menschen enttäuscht oder verletzt zu haben. Dann kommt die ganze Selbstverurteilungsmaschinerie in Gang. Oder aber wir lernen, uns zwar entgegengesetzt der Regeln oder Erwartungen anderer zu verhalten, aber die Verantwortung dafür abzulehnen. Uns fällt es schwer, Fehler zuzugeben. Immer sind dann die anderen schuld oder das Schicksal, die Umstände …

Bis jetzt können wir uns die Entwicklung von Schuldgefühlen folgendermaßen vorstellen:

1.Das Kind tut etwas.

Eltern sagen: „Das ist falsch. Das darf man nicht. Du tust uns weh. Du bist ein böses Kind. Wir haben dich nicht mehr lieb.“ Eltern drücken mit nonverbalen Signalen Ablehnung und Missbilligung aus.

2.Das Kind lernt die Einstellung.

Ich habe etwas falsches getan, verdiene Strafe, bin ein böses Kind. Ich habe andere verletzt, bin ein schlechtes KInd.

3.Das Kind vermeidet, Falsches zu tun und andere zu verletzen, oder tut es nur noch mit schlechtem Gewissen, bestraft sich mit Schuldgefühlen.

Je wichtiger die Eltern oder andere Bezugspersonen für das Kind sind, umso empfänglicher wird es für Schuldgefühle sein. Mit der Zeit wird das Kind aus Angst vor Ablehnung und Schuldgefühlen sogar zukünftige Verhaltensweisen, die den Geboten der Bezugspersonen widersprechen können, vermeiden. Es wird sich nach den Normen der Eltern ausrichten und nur noch tun, was in den Augen der Eltern richtig ist. Es wird sozusagen dann fremdgesteuert, lernt, nicht mehr auf eigene Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen zu hören. Es verinnerlicht die Wertungen der Eltern und auch wenn die Eltern nicht zugegen sind, wird es sich nach deren Regeln verhalten. Aus der Sicht der Eltern ist dann der Erziehungsprozess abgeschlossen und die Erziehung gelungen: „Das Kind kommt nicht mehr auf dumme Gedanken und wird erwachsen.“ Handelt es dennoch den Vorstellungen der Eltern zuwider, so bestraft es sich mit Schuldgefühlen und Selbstverachtung.

Nun will ich hier keine Schimpfkanonade auf die Eltern loslassen. Die Eltern sind fast immer davon überzeugt, das Beste für ihr Kind zu tun. Sie handeln in bester Absicht, aus ihrem Kind einen reifen, verantwortungsvollen erwachsenen Menschen zu formen. Tatsache ist, wir müssen als Kinder eine Unmenge an Geboten und Regeln lernen, um uns nicht in Lebensgefahr zu bringen, in dieser Gesellschaft integriert zu sein und funktionieren zu können. Außerdem haben die meisten Eltern in der eigenen Kindheit ähnliche Erfahrungen gemacht und ihr Erziehungsverhalten von den eigenen Eltern gelernt. Fatalerweise ist jedoch die Erziehung mit Hilfe von Schuldgefühlen keine effektive geeignete Erziehung. Kinder lernen hierdurch nicht, den Sinn von Regeln und Normen zu verstehen. Sie lernen nicht, dass es besser für sie ist, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen. Sie lernen lediglich, aus Angst vor den Konsequenzen die Regeln zu befolgen.

Wenn Schuldgefühle zur Qual werden

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