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1.1Was verstehen wir unter Schuld- und Reuegefühlen?

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Fallbeispiel: „Ich hätte nicht so egoistisch sein sollen.“

Gerade hat Frau H. den Telefonhörer aufgelegt. Ihre Freundin bat sie, ihr beim Umzug zu helfen. Frau H. hat zwar innerlich mit sich gerungen, der Freundin dann letzlich doch mit der Entschuldigung, dass sie genau an diesem Tag einen dringenden Arzttermin hätte, abgesagt. Jetzt fühlt sie sich elend und voller Schuldgefühle. Sie zermartert sich den Kopf: Sieht eine wirkliche Freundschaft so aus, dass sie die Freundin in einer schwierigen Lage im Stich lässt? Hätten sie nicht doch eigene Interessen zurückstellen und weniger egoistisch sein sollen?

Waren Sie auch schon einmal in einer solchen Situation? Haben Sie sich auch schon einmal schlecht gefühlt, weil Sie einem anderen Menschen den Wunsch auf Hilfe abgeschlagen haben, um eigene Bedürfnisse zu erfüllen? Und hinterher kamen Ihnen dann gehörige Zweifel an der Richtigkeit Ihres Verhaltens? Dann wissen Sie, wie sich Ihre Schuldgefühle bemerkbar machen. Doch zurück zum Ausgangspunkt: Was versteht man denn eigentlich unter Schuld und Schuldgefühlen? In verschiedenen Lexika findet man unter dem Begriff Schuld: „Verpflichtung zu einer Gegenleistung“, „Verantwortung für die Verletzung von Geboten und Pflichten“. Irgendjemand scheint für uns Regeln zu formulieren und zu entscheiden, wann eine Leistung eine Gegenleistung erforderlich macht. Schuld zu haben, hat mit Verantwortung zu tun, der Verantwortung für das eigene Handeln und die Verpflichtung, für das eigene Handeln geradezustehen und einen eventuellen Schaden wiedergutzumachen. In unserer Sprache finden wir Redewendungen wie: „Ich stehe in deiner Schuld.“, „Ich fühle mich frei von Schuld.“, „Ihn trifft keine Schuld.“, „Ich bin mir keiner Schuld bewusst.“ Um von Schuld einem anderen gegenüber sprechen zu können, muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem eigenen Handeln und einem Schaden bestehen, den ein anderer erlitten hat. Je nachdem, wer die Gebote und Pflichten formuliert, folgen der Schuld unterschiedliche Konsequenzen. Übertreten wir die Gesetze unseres Staates, so müssen wir mit Strafe durch den Gesetzgeber rechnen. Wir werden schuldig gesprochen und im Namen des Staates verurteilt. In manchen Ländern besteht die Höchststrafe sogar auch heute noch in der Todesstrafe. Sind wir Mitglied einer kirchlichen Organisation, so sind beispielsweise die zehn Gebote eine Richtschnur, anhand derer unser Verhalten beurteilt wird. In diesem Leben oder zumindest nach unserem Tode erwarten uns dann ebenfalls Konsequenzen, wenn wir ihnen zuwiderhandeln. Ob man schuldig gesprochen wird, hängt auch davon ab, ob zum Zeitpunkt der Verurteilung alle Tatsachen über die Tat bekannt waren und ob das Verhalten zu diesem Zeitpunkt als falsch bewertet wurde. Manches Verhalten stellt sich sogar erst Generationen später als falsch und schädlich heraus.

Schuldgefühle werden definiert als: „Gefühle, jemandem Unrecht getan zu haben“. Sie laufen im Innern von uns ab und sind nicht von außen kontrollierbar. Außerdem setzen sie voraus, dass wir ein Unrechtsbewusstsein haben, Bescheid wissen, was rechtes und unrechtes Verhalten beinhaltet, und erkennen, unrecht gehandelt zu haben. Schuldgefühle werden häufig auch mit der Redewendung „ein schlechtes Gewissen haben“ umschrieben. Schuld und Schuldgefühle müssen nicht zwangsläufig zusammen auftreten. Es gibt Menschen, die fühlen sich für alles und jedes schuldig, obwohl sie keine Schuld trifft. Und es gibt Menschen, beispielsweise manche Kriminelle und Psychopathen, die keinerlei Schuldgefühle verspüren, obwohl sie sich eines schweren Vergehens schuldig gemacht haben. Sie fühlen sich nicht in die Folgereaktionen ein, die sie beim anderen ausgelöst haben und haben kein Mitgefühl.

Wenn Schuldgefühle zur Qual werden

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