Читать книгу Wenn Schuldgefühle zur Qual werden - Doris Wolf, Dr. Doris Wolf - Страница 17
Auf unsere Schlussfolgerungen kommt es an
ОглавлениеDie Gedanken (B), etwas falsch gemacht zu haben, alleine erklären nicht vollständig, weshalb wir Schuldgefühle haben und es uns so schlecht geht. Was ist denn nur so Schlimmes dabei, etwas versäumt oder falsch gemacht zu haben? Was ist so schlimm daran, etwas nicht zu tun, was man tun müsste? Was in aller Welt bewirkt, dass in uns dieses nagende Gefühl entsteht und wir nur schwer aufhören können, uns immer wieder Vorwürfe zu machen? Die Erklärung ist, dass wir in unseren Selbstgesprächen (B) aus unserem Vorwurf noch eine Schlussfolgerung ableiten: „Wir hätten uns nicht so verhalten sollen, und da wir es dennoch getan haben, müssen wir uns verurteilen. Wenn man so etwas tut, dann ist man ein schlechter, ablehnenswerter Mensch.“ Es ist diese vernichtende Schlussfolgerung, die uns solche Probleme macht. Wir müssen also unser Modell davon, wie Schuldgefühle entstehen, noch ergänzen:
A Situation:
Wir tun, sagen, denken oder fühlen etwas.
B Selbstgespräch/Bewertung:
Wir bewerten unser Tun, unsere Gedanken, unsere Worte oder unsere Gefühle als falsch: „Ich hätte das nicht tun/sagen/denken/fühlen dürfen.“ oder „Ich sollte so etwas nicht tun, sagen, denken, oder fühlen.“
… und weil wir etwas getan, gesagt, gedacht oder gefühlt haben, das wir verurteilen, folgern wir daraus:
„Ich bin ein schlechter, ablehnenswerter Mensch.“
C Gefühle und Verhalten:
Wir fühlen uns schuldig, bekommen körperliche Symptome und verhalten uns in einer bestimmten Art und Weise. Dieses Schema trifft auf alle Schuldgefühle und auf alle Menschen zu. Abhängig von der Kultur, der Religion und der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen unterscheiden wir uns nur darin, was wir als gut und schlecht, richtig und falsch ansehen. Die Regeln und Normen, nach denen wir unser Leben gestalten, sind unterschiedlich. Gemeinsam ist uns: Wenn wir unser Verhalten und gleichzeitig uns als Menschen verurteilen, werden wir Schuldgefühle verspüren.
Vielleicht mögen Sie nun einwenden: „Gibt es denn nicht Verhaltensweisen, wegen derer man einfach Schuldgefühle bekommen muss? Situationen, in denen man quasi keine Einflussmöglichkeiten auf seine Gefühle hat?“ Dann möchte ich an dieser Stelle nur kurz auf Ihren Einwand eingehen. In Kapitel 3.1 werden wir uns noch eingehender damit beschäftigen.
Wir haben immer Einflussmöglichkeiten auf unsere Gefühle. Dennoch gibt es sicher Situationen, in denen Sie im Augenblick einfach Schuldgefühle bekommen müssen – weil Sie dort vehement Ihren moralischen Vorstellungen zuwiderhandeln. Sie sind der Meinung, dass dies ein besonders schwerer Verstoss sei, den Sie sich nicht durchgehen lassen können, sondern mit Selbstverurteilung bestrafen müssen. Sie ganz persönlich müssen dann in dieser Situation im Augenblick mit Schuldgefühlen reagieren. Wenn Sie es für richtig und angemessen finden, sich deshalb Schuldgefühle zu machen, dann ist das ja auch in Ordnung. Für die Zukunft können Sie jedoch entscheiden, ob Sie sich weiterhin so behandeln wollen oder nicht. Sie können zu jedem Zeitpunkt entscheiden, Ihre Schuldgefühle aufzugeben und sich zu verzeihen – wann immer Sie glauben, sich genügend Schuldgefühle gemacht zu haben, und wann immer Sie nicht mehr unter ihnen leiden möchten.
Auch den Einwand: „Ist es denn nicht ganz normal, sich Schuldgefühle zu machen?“, höre ich oft von meinen Klienten. Ich antworte dann darauf immer: „Ja, es ist ganz normal, sich Schuldgefühle zu machen, wenn wir unter „normal“ vestehen, dass sich die meisten Menschen Schuldgefühle machen.“ „Normal“ heißt jedoch nicht, dass diese Denkweise gesund und hilfreich für Sie ist.