Читать книгу Das Osmanische Reich - Douglas Dozier Howard - Страница 35
Die Stiftung
ОглавлениеDen Kern der Stadtzentren entlang dieser Handelswege bildete jener Komplex öffentlicher Einrichtungen, dessen finanzielle und rechtliche Basis die wohltätige Stiftung oder vakıf darstellte.66 Die Scharia-Rechtsschule der Hanafiten hütete den alleinigen Anspruch des Monarchen darauf, den Grund und Boden des Reiches zu verteilen, betrachtete sie ihn doch als göttliche Gabe an das Sultanat kraft Eroberung. Auf Ackerland behielten die Dörfler den Nießbrauch, wie es die göttliche Gerechtigkeit erforderte. Die Steuereinnahmen, die auf diese Flächen fällig wurden und ein Bargeldäquivalent zu Lehnsdiensten darstellten,67 wurden in Paketen (hass) verteilt. Die Hass-Einkünfte des Sultans selbst wurden von seinen Steuereintreibern für seine Privatschatulle eingetrieben, der Rest wurde im Rahmen eines lehnsrechtlichen Geschäfts, bei dem Unterhalt (dirlik) gegen Dienst getauscht wurde, Reitersoldaten zuerkannt. Privater Landbesitz (mülk) war nur durch Übertragung aus dem Besitz des Sultans selbst zu bekommen. Wer Stiftungen für ein vakıf ausstatten wollte, durfte das nur mit Grund und Boden tun, der sich in Privatbesitz befand.68
Errichtet wurde ein vakıf durch einen Rechtsvertrag, der ordnungsgemäß bei der Zivilverwaltung registriert werden musste. Die Urkunde benannte die Finanzmittel, mit denen die Stiftung errichtet wurde, und ihren spezifischen religiösen oder wohltätigen Zweck.69 Außerdem führte sie namentlich einen Verwalter und dessen Personal auf, welche die Stiftungstätigkeit überwachten. Jede Form von Geschäfts- und Wohnimmobilien – einschließlich Grundbesitz in der Stadt und auf dem Land – oder auch von beweglichem Eigentum konnte in ein vakıf überführt und dann vermietet werden, um Kapital für die Nutznießer zu erwirtschaften. Frauen und Männer, Gemeine und Adlige gründeten gleichermaßen Stiftungen. Ein städtischer Gebäudekomplex auf vakıf-Basis umfasste typischerweise eine Moschee, eine öffentliche Küche, einen Markt, eine Herberge, oft auch das Grab des Stifters, ein Bad und das Ordenshaus oder Kloster jener Derwischgruppe, die den Vertrag angebahnt hatte.70 Die han oder bedestan genannten Marktbauten beherbergten die Läden, aus denen die Einkünfte zur Finanzierung der übrigen öffentlichen Bauten stammten. Üblicherweise war das Marktgebäude eine gewölbte Halle, die auf beiden Seiten von Läden mit Kuppeldächern gesäumt war. Manche dieser Hallen waren zweigeschossig und fungierten zugleich als Herbergen (Karawansereien) für Händler und andere Reisende. So kam in ihm die architektonische und institutionelle Verflechtung von Gemeinschaftsleben, Handel und Reinlichkeit zum Ausdruck sowie die moralische Pflicht, seinen Reichtum für wohltätige Zwecke einzusetzen. Die Stadtverwaltung ernannte einen öffentlichen Aufseher, der die Interessen ziviler Behörden schützte.
Zwar war das vakıf in der islamischen Welt nichts völlig Neues, doch hatte sich seine hohe Flexibilität als Finanzinstrument während der Seldschuken- und Mamlukenzeit erwiesen, besonders was die Finanzierung der Medrese und damit der öffentlichen höheren Bildung betraf.71 Evrenos, der mächtige Untergebene Murads I., hatte der Stiftung als Mittel zum Aufbau türkischer Siedlungen in Thrakien und Makedonien, wo viele von ihren christlichen Einwohnern verlassene Städte mit muslimischen Türken aus Anatolien neu besiedelt worden waren, den Weg geebnet.72 Stiftungen wurden zum sichersten Instrument der Kapitalakkumulation und zur wichtigsten Schöpferin neuer Arbeitsplätze in den osmanischen Ländern. Ihr finanzielles Potenzial wurde in osmanischer Zeit ausgeschöpft wie in keiner anderen Phase der islamischen Geschichte.