Читать книгу Homöopathie - Das große Handbuch - Dr. med. Markus Wiesenauer - Страница 8

Die homöopathische Anamnese

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Die homöopathische Behandlung setzt die genaue Beobachtung eines Patienten mit all seinen gesundheitlichen Symptomen voraus. Bei dieser so genannten Anamnese wird der gesamte Mensch mit seiner physischen und psychischen Grundstruktur, seiner körperlichen und seelischen Verfassung, seinen Vorlieben und Abneigungen sowie seinen charakterlichen Besonderheiten und seinem Verhalten erfasst.

Körperbau, Körperhaltung, Bewegungsweise, Zustand der Haut, Haare und Nägel, Mimik und Gestik, Sprache und Sprechweise, Neigungen, Talente und vieles mehr lassen Rückschlüsse auf die Lebensenergie eines Menschen zu. Für diese übergeordnete Lebenskraft wiederum sind Veranlagung und Konstitution ausschlaggebend, weshalb sie bei der homöopathischen Anamnese eine nicht wegzudenkende Rolle spielen.

Krankheit: gestörte Lebenskraft

Die Lebensenergie steuert alle Lebensfunktionen des Organismus. Ihr Ziel ist es, die natürliche Ordnung und Ausgeglichenheit im Körper zu erhalten bzw. diese wiederherzustellen. Jede Zelle des Körpers trägt zu dieser Kraft bei; gleichzeitig wird sie aber auch von ihr beeinflusst.

Faktoren wie z. B. Stress, Überlastung oder psychische Probleme können die Lebenskraft negativ beeinflussen und schwächen. Der Körper ist dann nicht mehr in der Lage, sich vor Bakterien, Viren und schädigenden Einflüssen zu schützen. Er wird krank.

Entzündungen, Geschwüre und andere Veränderungen weisen darauf hin, dass etwas mit dem inneren Gleichgewicht nicht stimmt. Körperliche oder auch psychische Symptome sind also nicht die Krankheit selbst, sondern die Folge der Disharmonie.

Je stärker dieses Ungleichgewicht ist, umso ausgeprägter oder schwerer ist die Erkrankung. Homöopathische Mittel bringen wie kleinste Gewichte diese innere Waage ins Lot. Befinden sich dann Körper, Geist und Seele wieder in Einklang miteinander, ist die Lebenskraft ausbalanciert und der Mensch gesund.

DIE KONSTITUTION

Welches geistige, seelische und körperliche Potential ein Mensch besitzt, wie seine grundsätzliche Verfassung ist und welche Tendenz bei ihm besteht, an bestimmten Leiden zu erkranken, das ist im Wesentlichen eine Frage seiner Konstitution. Diese wird entscheidend von der genetischen Veranlagung, der „Disposition“, geprägt. Manche Menschen sind durch nichts zu erschüttern, haben eine robuste Konstitution. Andere hingegen geraten schon bei minimalsten Anforderungen psychisch und/oder physisch an ihre Grenzen. Ihre Konstitution ist eher zart.

Die Konstitution bestimmt aber nicht nur, wie ein Mensch mit Stress umgeht, sondern auch, wie anfällig seine Organe für Krankheiten sind. So hat jeder Mensch eine oder mehrere „Schwachstellen“. Der eine erkrankt wiederkehrend an Infekten, weil seine Abwehrkräfte nicht besonders stark sind. Der andere reagiert auf Stress mit Magenbeschwerden oder Rückenschmerzen, oder die Belastung schlägt ihm auf das Gemüt.

Im Laufe eines Lebens verändert sich die Konstitution in Nuancen durch die Erziehung, die Umwelt sowie den eingeschlagenen Lebensweg. In gewissen Grenzen ist die Konstitution also beeinflussbar. Die Homöopathie macht sich dies zunutze, indem sie die seelische, körperliche und geistige Verfassung eines Menschen positiv umstimmt.

Die Diathese

Bedeutet Disposition die Veranlagung zu einer Erkrankung, so versteht man unter dem Begriff der Diathese die angeborene Krankheitsbereitschaft. So spricht man beispielsweise im Fall einer allergischen Erkrankung in der Homöopathie von einer „allergischen Diathese“. Das heißt, auch wenn z. B. keine akuten Heuschnupfen-Symptome bestehen, ist die Erkrankung dennoch latent vorhanden. Sie kann bei einsetzendem Pollenflug jederzeit auftreten.

• Lange Tradition

Bereits in der Antike beschäftigte man sich in der Heilkunde mit der Konstitution. Die berühmte „Humoralpathologie“ des griechischen Arztes Galen (129–199 n. Chr.) ging davon aus, dass im Körper vier Säfte fließen: die gelbe Galle („cholos“), die schwarze Galle („melancholos“), der Schleim („phlegma“) und das Blut („sanguis“). Fließen diese Säfte nicht richtig oder vermischen sie sich zu sehr, entsteht ein Ungleichgewicht; der Mensch wird seelisch und/oder körperlich krank.

Aber auch die unterschiedlichen Temperamente der Menschen wurden den Körpersäften zugeschrieben. Galen zufolge prägte ein Zuviel an gelber Galle den Choleriker, der Phlegmatiker hatte zu viel Schleim und der Melancholiker zu viel schwarze Galle.

Eine moderne Konstitutions- und Typenlehre entwickelte der deutsche Psychiater Ernst Kretschmer (1888–1964). In seinem 1921 erschienenen Lehrbuch „Körperbau und Charakter“ werden drei Typen unterschieden: der hochwüchsige, mit einem schmalen Körperbau ausgestattete Leptosome, der von seinen Gefühlen her entweder überempfindlich oder unempfindlich ist; der eher kleinwüchsige, stämmige Pykniker, der heiter, lebhaft, aber auch depressiv veranlagt ist; dann der Athletiker mit einem muskulösen Körperbau und der Neigung zu einer schizophrenen Gemütslage.

Hahnemann und die Mediziner seiner Zeit waren zwar noch von der antiken Humoralpathologie beeinflusst, gleichzeitig entwickelten sich aber bereits die Anfänge der Zellularpathologie (die auf der Zellenlehre basierende Krankheitslehre), auf welcher die moderne Medizin basiert.

MIASMATISCHE BELASTUNG

Für Hahnemann existierten drei große Erbkrankheiten, die jeden Menschen in seiner Anlage, das heißt in seiner Neigung zu erkranken, bis in die heutige Zeit prägen. Er sprach von den so genannten Miasmen (Miasma, griechisch = Befleckung, Unreinheit). Hierbei handelt es sich um die Psora (Krätzekrankheit), die Gonorrhoe und Syphilis. Die Vertreter der Homöopathie in Frankreich ergänzten diese drei Miasmen Hahnemanns um eine weitere, die Tuberkulose. Miasmen bedeuten jedoch nicht, dass jemand an einer dieser Krankheiten akut leidet; vielmehr sind die Folgen dieser Erkrankungen über Generationen hinweg weitergegeben. Nach homöopathischem Verständnis gelten sie als die eigentlichen Auslöser für die Krankheitsneigung (Diathese) und für die seelischkörperliche Verfassung (Konstitution). Es sind also die langfristigen Auswirkungen der Miasmen, welche die Krankheitsanfälligkeit, Widerstandskraft und Fähigkeit zur raschen Genesung prägen.

Bei einer miasmatischen Belastung ist die Lebensenergie aufgrund einer solchen vererbten Störung reduziert. Diese Schwächung ist mit Ursache für chronische Erkrankungen. Denn die Selbstheilungskräfte reichen hier nicht aus. Die angeborene schwache körpereigene Abwehr hat deshalb einer Erkrankung nicht genug entgegenzusetzen.

Ein guter Homöopath wird deshalb den Patienten immer auch nach Krankheiten im Verwandtenkreis fragen, so wie er gleichfalls über zurückliegende Erkrankungen in der Kindheit informiert werden will.

AKUTE KRANKHEITEN

Sowohl bei der akuten als auch bei der chronischen Erkrankung ist die Lebenskraft geschwächt. Im akuten Krankheitsfall kann die Beeinträchtigung jedoch in der Regel innerhalb kurzer Zeit durch die Selbstheilungskräfte überwunden werden. Der Körper versucht hier, das innere Gleichgewicht durch entlastende Maßnahmen zu erreichen. Zu diesen zählen Ausscheidungs- und Reinigungsvorgänge wie Erbrechen, Durchfall, Fieber, Schnupfen und Hautausschläge.

Unterdrückt man diese den Körper entlastenden Vorgänge mit Medikamenten, entwickelt sich eine akute Erkrankung möglicherweise zu einem chronischen Leiden. Die Beschwerden können sich dann im Inneren festsetzen oder auch ausbreiten. So verändern sich beispielsweise unter Umständen akute Symptome wie eine akute Hauterkrankung mit Pustelbildung zu anhaltenden Gelenkbeschwerden. Deshalb wird eine solche Erkrankung trotz der Hautsymptome homöopathisch in der Regel „von innen her“ behandelt; eine mögliche homöopathische äußerliche Therapie unterstützt allenfalls zusätzlich den Heilungsprozess.

CHRONISCHE KRANKHEITEN

Gerade bei chronischen Krankheiten wird das weitergehende Konzept der Homöopathie deutlich. Denn diese Krankheiten entstehen, wenn die Selbstheilungskräfte des Körpers zu schwach sind, um die Gesundheit wiederherzustellen. Im Verständnis der Homöopathie gibt es vor allem drei Gründe hierfür:

 die miasmatische Belastung (tiefe, vererbte Störung der Lebenskraft),

 die Persönlichkeitsmerkmale und

 die Unterdrückungen – das heißt, wie bereits oben beschrieben, die wiederholte Unterdrückung der Symptome bei akuten Erkrankungen und damit möglicherweise die Blockierung der natürlichen Ausscheidung.

Üblicherweise entwickelt sich eine solche Krankheit schleichend über viele Jahre hinweg, wobei die Beschwerden zunächst kaum wahrgenommen werden, bis sie dann zunehmend verstärkt auftreten.

WAS BEDEUTET HEILUNG?

Eine schulmedizinische Behandlung beseitigt zwar in der Regel die Symptome einer Krankheit, aber nicht deren eigentliche Ursache. Auch wenn der Mensch in diesem Fall von seinen Beschwerden befreit ist, heißt dies nicht, dass er geheilt ist. Echte Heilung bedeutet eine Wiederherstellung der harmonischen Lebenskraft. Homöopathische Arzneimittel stärken immer die Lebenskraft.

Bei chronischen Erkrankungen wie Kopf- und Nervenschmerzen, Allergien, Asthma bronchiale oder auch Depressionen hilft die länger angewandte Homöopathie sogar, die Erkrankung auszuheilen.

• Anderer Heilungsverlauf

Der Heilungsverlauf in der Homöopathie – zumal bei chronischen Krankheiten – unterscheidet sich von demjenigen in der schulmedizinischen Behandlung. Gerade nicht erwünscht ist dabei das rasche Verschwinden lange bestehender Beschwerden: Verständlicherweise fühlt sich ein Patient mit juckendem Hautausschlag wie „erlöst“, wenn seine Symptome durch eine schulmedizinische Salbenbehandlung rasch abklingen. Umso größer ist die Enttäuschung, tritt nach Absetzen der Salbe der Hautausschlag wieder auf, und das dann oft auch noch verstärkt.

Typisch für den Verlauf wäre hier in der Homöopathie möglicherweise zunächst die kurze Intensivierung des Hautausschlags als Zeichen einer ersten Reaktion des Körpers („Erstverschlimmerung“, siehe >). Danach würden die Beschwerden dann allmählich, zwar über mehrere Wochen oder Monate hinweg, dafür aber auf Dauer abklingen. Bei der homöopathischen Behandlung muss jedoch mit Tagesschwankungen der Symptome gerechnet werden.

Typischer Heilungsverlauf

Üblicherweise erfolgt bei einer homöopathischen Therapie die Heilung nach einem Schema: Als Erstes bessert sich der Hautausschlag im Gesicht, am Hals und Oberkörper, während er an (Unter-)Armen, Unterschenkeln und Knöcheln sowie an den Händen noch lange Zeit bestehen kann.

Diese Systematik wurde von dem amerikanischen homöopathischen Arzt Constantin Hering (1800–1880) beobachtet und in den „Hering’schen Regeln“ zu drei typischen Heilungsverläufen zusammengefasst. Der Heilungsprozess erfolgt:

 anatomisch betrachtet von oben nach unten bzw. vom Körperstamm hin zu den Armen und Beinen,

 von innen nach außen, das heißt, innere Erkrankungen heilen ab, wobei dabei ein Hautausschlag auftreten oder ein bestehender sich verstärken kann (die Haut dient als Ausscheidungsorgan),

 in der umgekehrten Reihenfolge des Auftretens der einzelnen Erkrankung (z. B. treten die längst vergessenen, früher aber häufigen Kopfschmerzen – abgeschwächt – wieder auf).

Homöopathie - Das große Handbuch

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