Читать книгу Medizin ohne Schnickschnack - Dr. Mohsen Radjai - Страница 19
ОглавлениеGUT SCHLAFEN – WICHTIG FÜR DIE GESUNDHEIT
SCHLAFLOS IN KÖLN
Mit der Bitte um ein Rezept für Schlaftabletten kommt Mustafa Y. in die Sprechstunde. Der freiberufliche Grafikdesigner hat schon lange Schlafstörungen, die sich aber in den letzten Monaten deutlich verschlimmert haben. Er muss im Job enge Abgabetermine einhalten und steht deshalb stark unter Druck. Laptop und Mobiltelefon hat er immer griffbereit in seiner Nähe, auch nachts im Schlafzimmer. Abends versucht er, vorm Fernseher runterzukommen, und schläft davor auch regelmäßig ein. Im Bett aber liegt er dann gefühlt stundenlang wach und versucht verkrampft, wieder einzuschlafen, schaut dabei ständig auf die Uhr und ärgert sich, dass er seit Stunden nicht schlafen kann. Seine Gedanken kreisen um die Arbeit, um das Nichtschlafenkönnen und zermürben ihn. Erst in den frühen Morgenstunden schläft er ein und wird dann gegen 7.30 Uhr vom Wecker aus dem zerpflückten Schlaf gerissen. Nun ist er natürlich gerädert. Dadurch ist er gereizt, seine Stimmung verschlechtert sich und er fühlt sich zunehmend erschöpft.
Schlafprobleme nehmen seit Jahren zu, weil viele Menschen unter Dauerstress stehen und sich keine ausreichende Erholung gönnen. Fernsehen wirkt übrigens nicht erholsam.
Seine Gegenmaßnahmen haben die Situation noch verschlimmert: Er trinkt abends Alkohol, um besser einschlafen zu können. Das klappte zunächst zwar, aber morgens fühlte er sich trotzdem nicht erholter. Den Schlafmangel gleicht er teilweise durch einen längeren Mittagsschlaf aus. Der jedoch behindert das Ein- und Durchschlafen in der Nacht.
Nachdem ich organische Ursachen für Herrn Y.s Schlafprobleme ausschließen konnte, lautet die Diagnose: nichtorganische Schlafstörung. Um ihm den Leidensdruck zu nehmen und seinen Organismus an einen »richtigen« Schlafrhythmus zu gewöhnen, verschreibe ich ihm die gewünschten Schlaftabletten. Vor allem aber erkläre ich ihm in mehreren Gesprächen, was für einen guten Schlaf nötig ist und was er dafür verändern muss. Wir Mediziner nennen das Schlafhygiene (mehr dazu ab > ). Außerdem empfehle ich ihm eine parallele Behandlung in der »Schlafschule« der Lungenklinik.
Die Schlaftabletten nimmt er in den ersten drei Monaten – zum Glück – höchstens dreimal pro Woche und inzwischen nur noch ein- bis zweimal im Monat.
Info
SCHLAFTABLETTEN – MIT VORSICHT ZU GENIESSEN
Die Klassiker bei den Schlaftabletten sind die Benzodiazepine. Als sogenannte Hypnotika haben sie aber ganz erhebliche Nachteile: Sie machen bereits nach 10 bis 20 Tagen abhängig! Hinzu kommt ein Gewöhnungseffekt, sodass Patienten mit der Zeit immer mehr und immer öfter davon brauchen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Außerdem ist der Schlaf weniger erholsam, weil wir nicht so tief schlafen. Nächtliche Toilettengänge können mit Stürzen einhergehen, weil die Tabletten die Muskeln entspannen. Hypnotika können eine Schlafapnoe (siehe > ) verstärken. In Einzelfällen können sie paradoxe Wirkungen entfalten und das Gegenteil von dem, was sie eigentlich tun sollen, geschieht: Sie halten uns vom Schlafen ab. Neuere Präparate wie die sogenannten Z-Substanzen und Nicht-Benzodiazepine wirken ähnlich bei insgesamt geringeren Nebenwirkungen. Unbedenklich sind sie deshalb aber keineswegs. Auch wenn sie eher die bessere Wahl sind, sollte ihr Einsatz zeitlich klar befristet sein.
ZU VIEL SCHLAF IST AUCH NICHT GUT
Mit dem genauen Gegenteil kommt Helmut H. zu mir, allerdings nicht ganz freiwillig, sondern auf sanften Druck seiner Ehefrau: Sie sorgt sich um ihren Gatten, weil er bereits am Esstisch bei den Gesprächen während des Abendessens einnickt! Ein Schelm, wer da nur reine Langeweile vermutet … nein, es ist ernst: Selbst in Meetings ist der Speditionskaufmann schon eingeschlafen und musste sich dafür vor seinem Chef verantworten – auch weil er seit gut einem Jahr seine Arbeitsziele nicht erreicht. Das Ehepaar hat außerdem seit mehr als zehn Jahren getrennte Schlafzimmer, weil der 59-Jährige so stark schnarcht.
Aber das ist noch längst nicht alles: Helmut H. klagt außerdem über eine erektile Dysfunktion, im Volksmund auch Impotenz genannt, sowie Konzentrationsschwierigkeiten und es stören ihn in letzter Zeit ein unangenehm trockener Mund sowie leichte Kopfschmerzen. Letztere führt er auf seine sitzende Tätigkeit am PC zurück und auf seine schon bekannten Verspannungen von Hals und Nacken.
Ich kenne Herrn H. bereits als Bluthochdruckpatienten, der mit einer Körpergröße von 1,70 Meter und einem Gewicht von 98 Kilo Adipositas Grad I hat, also deutlich zu dick ist. Kein Wunder: Er treibt keinen Sport, gönnt sich aber jeden Abend bis zu drei Flaschen Weizenbier. Vermutlich liegt in seinem starken Übergewicht die Ursache für seine Schlafprobleme.
Aber zunächst untersuche ich Lunge und Blutdruck, analysiere das Blutbild – alles ohne neuen Befund – und schicke ihn zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt: Ich muss sicher sein, dass Herrn H.s obere Atemwege nicht anatomisch verengt sind. Außerdem überweise ich ihn zum Lungenfacharzt mit Verdacht auf »obstruktives Schlafapnoesyndrom«. Tatsächlich bestätigt der Kollege meine Vermutung und im Schlaflabor findet man heraus, dass die Schlafapnoe hauptsächlich in der Rückenlage auftritt.
Oft kommt bei einer solchen Diagnose direkt eine maschinelle Therapie mit Atemgerät zum Einsatz. Das ist für die meisten Patienten sehr unangenehm. Wir probieren deswegen zunächst eine konservative Behandlung, also ohne maschinelle oder chirurgische Eingriffe, und setzen auf Gewichtsverringerung und eine Rückenlageverhinderungsweste.
Mit einer Schlafapnoe ist nicht zu spaßen und Herr H. sieht nun ein, dass er etwas gegen seine Fettleibigkeit tun muss, um schlimmere gesundheitliche Folgen und auch einen Jobverlust zu vermeiden. Er steigt zum Beispiel auf alkoholfreies Weizenbier um und geht jetzt täglich nach dem Abendessen mit der Gattin und dem Hund 45 Minuten spazieren. Er versucht, dreimal pro Woche mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Das sind immerhin 60 Kilometer pro Woche. So nimmt er in etwa 16 Monaten 18 Kilo ab!
Das macht sich bezahlt: Morgens fühlt sich Helmut H. bedeutend frischer und ausgeruhter, er schläft tagsüber nicht mehr ein und seine Arbeitsleistung ist wieder im Zielbereich. Die Kopfschmerzen sind weg, die Potenz ist wieder da und ich kann seine Blutdruckmedikation halbieren, weil sich der Bluthochdruck stark verringert hat. Wenn er sein Gewicht noch weiter normalisiert, können wir sogar versuchen, die Tabletten ganz wegzulassen.
Da Herrn H.s Atmung vor allem in der Rückenlage aussetzte, bekommt er außerdem eine spezielle Weste, die ihn durch eine Art Päckchen auf dem Rücken dazu bringt, dass er auf der Seite statt auf dem Rücken liegt. Das ist anfangs gewöhnungsbedürftig, aber mittel- und langfristig effektiv. Die letzte Kontrolle beim Lungenfacharzt zeigt ein stabiles Bild: Eine maschinelle Therapie mit speziellem Atemgerät ist weiterhin nicht erforderlich. Für die nächste Kontrolle planen wir die Untersuchung ohne lästige Rückenlageverhinderungsweste. Vielleicht geht es zukünftig auch ohne dieses Utensil.
Info
SCHLAFAPNOE
Wenn es im Schlaf zu Aussetzern der Atmung kommt, spricht man von Schlafapnoe. Dadurch wird der Körper in Stress versetzt, der Blutdruck steigt. Außerdem bekommt der Organismus zu wenig Schlaf und die Folgen sind gravierend: Ständige Müdigkeit führt zu Konzentrationsproblemen, die Unfälle im Straßenverkehr auslösen können. Kopfschmerzen und trockener Mund sind typisch. Menschen mit Schlafapnoe schnarchen meist sehr laut – dadurch fällt das Problem oft erst auf. Durch diese Atemstörung steigt das Risiko für die Entwicklung von Bluthochdruck, Herzinfarkt sowie Schlaganfall.
EINFACH ZU VIEL UM DIE OHREN?
Auch Susanne H. klagt über ständige Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Antriebsarmut. Außerdem ist ihr selbst in gut geheizten Räumen oft kalt. Ihre Haut ist trocken geworden, ihr Haar brüchig, die 44-Jährige hat zugenommen und leidet öfter unter Verstopfung, obwohl sie an ihrer Ernährung nichts geändert hat. Das alles führt die alleinerziehende Mutter auf ihre Überlastung zurück: Beruf, Haushalt, zwei Kinder und Stress mit deren Vater haben zu Schlafmangel geführt.
Die Blutuntersuchung im Labor ergibt neben leicht erhöhten Fettwerten einen auffällig hohen TSH-Wert. – Das Thyreoidea stimulierende Hormon (= TSH) reguliert die Bildung der Hormone, die die Schilddrüse steuern. – Auch die anderen Schilddrüsenwerte sind nicht im Normbereich. Die Sonografie, also der Ultraschall, der Schilddrüse zeigt das typische Muster von Hashimoto. Das ist eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse. Andere Autoimmunerkrankungen wie Gastritis mit Vitamin-B12-Mangelerscheinungen, Vitiligo (Weißfleckenerkrankung der Haut) oder Nebennierenerkrankungen konnte ich ausschließen. Die Diagnose lautet also nicht Überlastungssyndrom, wie Susanne H. vermutet hätte, sondern manifeste Hypothyreose, Autoimmunthyreoiditis Hashimoto (klinisch symptomatische SD-Unterfunktion aufgrund einer autoimmunen Erkrankung).
Behandelt wird Hashimoto in der Regel mit Tabletten, die die Schilddrüsenhormone ergänzen oder ersetzen. Wie hoch die Dosis sein muss, sagt der Laborbefund leider nicht. Wir beginnen mit einer niedrigen Dosierung und tasten uns an den tatsächlichen Bedarf heran. Der Körper braucht eine Weile, um sich neu einzustellen, sodass zu Beginn alle sechs bis acht Wochen Laborkontrollen nötig sind. Da Hashimoto bis jetzt nicht heilbar ist, muss Susanne H. die Tabletten lebenslang einnehmen und die Schilddrüsenwerte zweimal jährlich überprüfen lassen.