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ZUCKER, WAS IST DAS EIGENTLICH?

Zucker: Bei diesem Wort denken die meisten Menschen vermutlich sofort an etwas Süßes: an Konfekt, Desserts, Eis, Gebäck, Schokolade, Marmelade oder einfach an die kleinen weißen Kristalle in der Zuckerdose zu Hause. Zucker steckt aber von Natur aus auch in frischem Obst, und das nicht zu knapp. Und wer ab und zu einen Blick auf die Zutatenliste von industriell gefertigten Nahrungsmitteln wirft, hat zudem vielleicht schon entdeckt, dass heute fast überall Zucker drinsteckt – von Essiggurken über Fischkonserven bis hin zum TK-Gemüsemix.

Was viele aber nicht wissen: Zucker findet sich auch in einer nicht unerheblichen Zahl »unverarbeiteter« Lebensmittel, in denen man ihn erst mal nicht vermutet, wie zum Beispiel Kartoffeln, Reis, Nudeln oder Brot. Alles eher herzhafte Grundnahrungsmittel. Trotzdem bestehen sie hauptsächlich aus Traubenzucker. Dieser liegt lediglich in einer anderen Form vor, als wir es vom kristallinen Haushaltszucker kennen: in Stärke. Oder wie ich sie in diesem Buch nenne, um den Zusammenhang deutlich zu machen: in Traubenzuckerstärke.

Dass man stärkehaltigen Nahrungsmitteln den Zucker nicht sofort »anschmeckt«, liegt an seiner chemischen Struktur: Je mehr Zuckermoleküle aneinanderhängen, je länger eine Zuckerkette also ist, desto weniger süß schmeckt sie. Das bedeutet: Sogenannte Einfachzucker, die lediglich aus einem einzigen Zuckerbaustein bestehen, sind sehr süß. Zweifachzucker aus zwei Zuckerbausteinen sind schon etwas weniger süß und Vielfachzucker sind überhaupt nicht mehr süß, weil die Zuckerbausteine in ihnen zu sehr langen Ketten verknüpft sind, die erst einmal voneinander gespalten werden müssen, um die Moleküle freizusetzen. Normalerweise geschieht das erst im Darm. Sie können jedoch zum Beispiel auch einfach einmal ein bisschen Mehl länger im Mund behalten oder ein Stück Brot lange kauen. Dann wird unter dem Einfluss der Verdauungsenzyme im Speichel der Traubenzucker aus der Stärke freigesetzt und es schmeckt süß.

Schon nach diesen paar Zeilen mag klar sein: Den einen »Zucker« gibt es nicht. Der Begriff umfasst vielmehr Hunderte von verschiedenen Zuckern mit sehr unterschiedlichen, teilweise konträren Eigenschaften: Es gibt Zucker, die nur aus einem Zuckermolekül bestehen, und solche, die sich aus zwei, drei oder ganz vielen Zuckermolekülen zusammensetzen. Es gibt extrem süße Zucker und solche, die kaum süß schmecken. Genauso sind einige Zucker reich an nutzbarer Energie, andere liefern uns wenig oder keine Energie. Und genau diese Vielfalt macht es möglich, dass wir unsere Ernährung perfekt an unsere heutige Situation und Bedürfnisse anpassen könnten. Denn eins ist Zucker keinesfalls: der alleinige Übeltäter in unserer Nahrung. Auch wenn viele ihn gern als das Nahrungsgift schlechthin bezeichnen.

EINE SÜSSE ERFOLGSGESCHICHTE?

Viele Jahrtausende lang kannte man in unseren Breiten als Süßungsmittel nur Honig. Erst etwa 1300 n. Chr. kam mit venezianischen Händlern erstmals aus Zuckerrohr isolierter Zucker aus Indien über Arabien und Nordafrika nach Europa. Zucker war ein Luxusgut für die Reichen – und das sollte er auch noch lange Zeit bleiben.

Seit dem 16. Jahrhundert entwickelte sich zunächst die Karibik zum Hauptanbaugebiet für Zuckerrohr. Im Lauf des 18. Jahrhunderts begann man zudem mit dem großflächigen Anbau in Amerika, denn das Geschäft mit dem Zucker war überaus lukrativ. Frankreich und die Niederlande verzichteten sogar auf Territorialansprüche im heutigen Kanada und Nordamerika, um sich im Gegenzug »Zuckerkolonien« in der Karibik zu sichern. Millionen von Arbeitssklaven wurden von westlichen Sklavenhändlern in die Karibik verkauft, um die harte Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen zu bewerkstelligen.

Tausende Kilometer entfernt begann in den 1780er-Jahren der deutsche Naturwissenschaftler Franz Carl Achard mit Versuchen, einen zuckerhaltigen Sirup aus Rüben zu gewinnen. Allen Angeboten und Drohungen der Engländer zum Trotz, die um ihr Zuckermonopol fürchteten, bat Achard den Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. um die Erteilung einer Konzession für die Herstellung von Rübenzucker – und er erhielt sie.

Zunächst jedoch konnte sich der Rübenzucker nicht durchsetzen. Er war sogar als gesundheitsschädlich verschrien, weil er aus einer Rübe gewonnen wurde, die ansonsten als Viehfutter diente. Das änderte sich erst, als Napoleon Bonaparte 1806 eine Kontinentalsperre verfügte: Um England und seine Kolonien in einen Wirtschaftskrieg zu zwingen und die französische Wirtschaft zu stärken, unterband er Exporte auf das europäische Festland. Die dadurch ausgelöste Nachfrage nach Ersatz für den Zucker aus Übersee brachte den Durchbruch für Achards Entdeckung.

Weil Zucker aus Rüben günstiger und zudem lokal produziert werden konnte, sank gleich auch noch der Preis. Immer mehr Menschen konnten sich nun das Süßungsmittel leisten und auch bei der Herstellung von Nahrungsmitteln wurde immer öfter Zucker eingesetzt. Nicht ohne Folgen: Der Zuckerkonsum nimmt seit 1800 bis heute rasant zu. Vor gut 120 Jahren lag er noch bei zwei bis vier Kilogramm pro Kopf und Jahr. 1900 waren es bereits 18 Kilo, 1950 25 Kilo und 1960 30 Kilo. Und seitdem ist der Verbrauch noch weiter gestiegen. Allein in Deutschland konsumierte in den Jahren 2007/2008 jeder Einwohner 34 Kilogramm Zucker – und bei dieser Statistik wurde nur der reine Haushaltszucker berücksichtigt.

Wie viel Zucker ist zu viel?

Die tatsächliche Zuckermenge, die jeder von uns im Jahr zu sich nimmt, ist weitaus größer. Zum einen, weil sehr vielen industriell gefertigten Nahrungsmitteln Zucker als Geschmacksstoff oder zur Haltbarmachung beigesetzt wird – vom Joghurt über Gewürzgurken, Ketchup und Salatdressings bis hin zu Wurst. Zum anderen wird eine große Menge Zucker in Form von gesüßten Getränken konsumiert. Trinkt man jeden Tag einen Liter Softdrinks wie Cola oder Limonade, die durchschnittlich etwa zehn Prozent Zucker enthalten, nimmt man alleine dadurch schon 100 Gramm Zucker pro Tag zu sich. Bei vermeintlich gesunden Obstsäften ist es nicht besser; auch sie haben einen Zuckergehalt von etwa zehn Prozent. Aufs Jahr gerechnet kämen so noch mal 36,5 Kilo Zucker dazu – und der Pro-Kopf-Verbrauch stiege auf über 70 Kilogramm.

Den Großteil an Zucker aber nehmen wir in Form von Kohlenhydraten zu uns: Der Kohlenhydratanteil in unserer Nahrung beträgt heutzutage etwa 60 Prozent. Wenn der durchschnittliche Energiebedarf eines Erwachsenen bei rund 2000 Kilokalorien pro Tag liegt, stammen also 1200 davon allein von Kohlenhydraten. Und das wiederum bedeutet umgerechnet auf den Energiegehalt von 4 Kilokalorien pro Gramm Zucker, dass wir jeden Tag 300 Gramm Zucker essen. Wenn also der durchschnittliche Konsum von Kristallzucker pro Jahr und Person in Deutschland »nur« rund 34 Kilogramm beträgt – das sind etwa 93 Gramm pro Tag –, nehmen wir mehr als 200 Gramm Zucker in Form von (Traubenzucker-)Stärke zu uns. Sie ist somit unsere Hauptquelle für den Zucker.

Während Softdrinks und Fruchtsaft einen Zuckergehalt von rund 10 Prozent aufweisen, besteht zum Beispiel Weizenmehl zu 70 Prozent aus Zucker. Aus diesem Grund ist auch Brot ein zuckerreiches Lebensmittel, wenngleich wir es nicht als solches wahrnehmen. Dasselbe gilt für klassische Sättigungsbeilagen – Nudeln, die ebenfalls hauptsächlich aus Getreidemehl hergestellt werden, Reis und Kartoffeln. Mais und Produkte daraus, die ebenfalls einen hohen Anteil an Traubenzuckerstärke aufweisen und in unserer Ernährung eine immer größere Rolle spielen, erhöhen den Zuckerkonsum noch weiter.


Früher kaufte man Zucker für viel Geld in der Apotheke. Heute gehört er zu den günstigsten Lebensmitteln überhaupt. Während ein Kilogramm Fisch, Fleisch und Käse im Durchschnitt zwischen 15 und 30 Euro kosten, erhält man ein Kilo Zucker für weniger als einen Euro.

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