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ES TUT SO WEH – BEHANDLUNGSFEHLER UND FALSCHE ERWARTUNGEN

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Schlagersängerin Juliane Werding sang einst: „Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst.“ Das Lied wurde 1975 veröffentlicht, aber die Zeile passt zu einem medizinischen Thema der Gegenwart: Rückenweh beziehungsweise: dem Missverständnis zwischen Ärzten und Patienten im Umgang mit Rückenschmerzen. Schließlich unterstellen sowohl Ärzte als auch Patienten ihrem Gegenüber Gedanken, die gar nicht existieren – und deshalb passieren bei der Behandlung viele Fehler.

Ärzte vermuten fälschlicherweise, dass sich Patienten vom Besuch beim Doktor vor allem ein Rezept, eine Überweisung oder Untersuchungen wie Röntgen, Kernspin oder Computertomogramm erhoffen und unzufrieden sind, wenn sie die Praxis ohne diese Vorgaben verlassen. Patienten denken hingegen: Oh je, wenn der Arzt mich röntgen lässt oder in die Röhre schiebt, muss es wohl schlimm sein.

So befeuern sich Fehldeutungen und Unterstellungen gegenseitig. Die Aufwärtsspirale führt zu immer mehr Diagnostik und das Ergebnis ist unbefriedigend: Patienten mit Rückenschmerzen werden viel zu oft geröntgt und ihre Beschwerden häufig nicht optimal behandelt. Neben der schädlichen Strahlenbelastung für Patienten sind immense Kosten für das Gesundheitswesen die Folge. Und besser geht es den Schmerzgeplagten hinterher keineswegs.

Diese Erkenntnisse sind nicht neu, doch trotz ständiger Wiederholung ändert sich wenig, im Gegenteil. Im Jahr 2016 hat der „Faktencheck Rücken“ der Bertelsmann-Stiftung die Fehlentwicklung detailliert aufgezeigt. Der Trend zu mehr Röntgenbildern und anderen Aufnahmen vom Rücken ist ungebrochen. Der Satz von Peer Eysel, dass Rückenschmerzen wie Erkältungen sind, die mit Arzt 14 Tage dauern und ohne zwei Wochen, hat sich zwar unter einigen Medizinern herumgesprochen. Auch die Leitlinien der Orthopäden sehen in Deutschland wie international vor, sich bei „unkomplizierten“ Rückenschmerzen frühestens nach sechs Wochen, manchmal erst nach zwölf Wochen ein Bild zu machen. Unkompliziert bedeutet, dass keine Lähmungen auftreten, kein Bruch vorliegt oder die Entleerung von Darm oder Blase beeinträchtigt ist.

In der Praxis sieht es leider anders aus. Jeder fünfte gesetzlich Versicherte geht mindestens einmal im Jahr wegen Rückenschmerzen zum Arzt – 27 Prozent suchen gar vier Mal oder öfter deswegen einen Arzt auf. „Von jährlich mehr als 38 Millionen rückenschmerzbedingten Besuchen bei Haus- oder Fachärzten und den dabei veranlassten sechs Millionen Bildaufnahmen wären viele vermeidbar“, so der Report aus dem Jahr 2016. Laut der Erhebung erwarten mehr als die Hälfte der Patienten, dass bei Rückenschmerzen schnell ein Bild angefertigt wird. Mehr als zwei Drittel glauben schließlich, dass sich im CT, Röntgen- oder Kernspinbild die Ursache für ihre Schmerzen finden lässt.

Das ist ein Trugschluss, denn nur bei 15 Prozent der Patienten lässt sich der Grund für die Schmerzen mit einer Aufnahme der Wirbelsäule ermitteln. „Oft werden Befunde der Bildgebung überbewertet. Dies führt zu unnötigen weiteren Untersuchungen und Behandlungen, zur Verunsicherung des Patienten und kann gar zur Chronifizierung der Beschwerden beitragen“, sagt Jean-François Chenot von der Universitätsklinik Greifswald.

Häufig geht die Pein im Kreuz nämlich nicht auf eine Unwucht in der Statik zurück oder auf die Bandscheiben. Die Mehrzahl der Rückenschmerzen ist, wie oben gezeigt, psychosomatisch bedingt. Das heißt nicht, dass es nicht trotzdem wehtut. Die Menschen haben Beschwerden, weil privater wie beruflicher Ärger und Stress dem empfindlichen Rückgrat zusetzen, nicht aufgrund von Defekten in der Knochenkette.

Auch die Behandlung der Patienten läuft oft falsch. Physiotherapie kann bei Rückenschmerzen in vielen Fällen helfen – laut aktuellem Report wird aber 43 Prozent der Betroffenen Schonung empfohlen und damit ihr Krankheitsgefühl verstärkt. Dabei sollten Patienten gemäß Leitlinien ihre Aktivitäten beibehalten und sich bewegen – sowie negative Gedanken an ihre Beschwerden vermeiden. 85 Prozent der akuten Rückenschmerzen gelten als „medizinisch unkompliziert und nicht spezifisch“.

Ungefähr ebenso groß ist der Anteil der Röntgenaufnahmen und anderer Bilder vom Rücken, die überflüssig sind: Schätzungen belaufen sich auf 85 bis 90 Prozent, wie weiter unten gezeigt wird. In der Medizin gibt es seit 2011 die Initiative „Less is more – weniger ist mehr“, um unnötige Untersuchungen und Behandlungen zu vermeiden und Patienten zu schützen. Als eine der ersten Untersuchungen, die häufig überflüssig ist und in großem Stil verringert werden sollte, wurde aufgeführt: Röntgen, CT oder Kernspin bei Rückenschmerzen.

Ist das Medizin oder kann das weg?

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