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Kapitel 7: Er ist bei ihm
ОглавлениеSchloss Chambord, 28. Dezember 2027
Es war kurz vor Mittag, und Berger fragte sich, wieso Lavoisier wusste, dass er zu ihm gebracht werden sollte. Er entschied, dass seine analytischen Fähigkeiten dafür verantwortlich waren. Wie sonst hätte er wissen können, dass er auf ihn wartete. Sie verliessen das Büro des Grossmeisters, gingen zurück zur nächsten Türe, wo auch Agent Miller postiert war. Danach bogen sie nach links ab und kamen schliesslich an eine überdimensional grosse Türe.
»Davor stand ich als kleiner Junge, als ich die Absperrungen umgangen habe«, dachte Lavoisier, und tief verborgene Erinnerungen kamen hoch. Er mochte sich daran erinnern, dass ihn damals etwas Wärmendes und sich gut Anfühlendes durchflossen hatte. Nun empfand er wiederum das genau gleiche Gefühl, jedoch erstaunte es ihn in keiner Weise. Vielmehr hatte er den Eindruck, dass ihm alles irgendwie vertraut vorkam. Dies war schon immer so, wenn er, von Orléans kommend, dem Schloss Chambord einen Besuch abstattete, was er regelmässig tat.
Bruder Jacques schickte sich an anzuklopfen, aber die Türe ging augenblicklich, wie von Geisterhand gelenkt, von selbst auf.
»Gehen Sie geradeaus«, wies ihn Berger an. Der Raum war in ein angenehmes dunkelrotes Licht gehüllt, und Lavoisier musste an die Szenen in Ägypten unter der Pyramide denken. Obwohl er wusste, dass er in Kürze mit Gabriel, wobei Berger sagen würde, dem Racheengel Gottes, zusammentreffen würde, hatte er ein ungutes Gefühl. Nicht dass er sich vor ihm fürchtete, es war mehr eine Vorahnung, dass ihn in keiner Weise etwas Gutes erwarten würde. Berger durchströmte eine angenehme Wärme. Er kannte das, wie immer, wenn er sich Gabriel, dem Boten Gottes, näherte. Er beobachte Lavoisier und erwartete eine angemessene Reaktion.
»Dieser Lavoisier ist eiskalt«, dachte er. »Er lässt sich überhaupt nichts anmerken und von nichts beeindrucken.«
Was Berger nicht wusste und auch nie in Erfahrung bringen würde, war die Tatsache, dass Lavoisier dieses Gefühl der angenehmen Wärme seit seiner Kindheit, immer wenn er im Schloss Chambord war, durchströmte. Er kannte es, und deshalb überraschte es ihn nicht.
Sie traten nun vor den Aldemakro, den alle Gabriel nannten. Obwohl er ihn in den Medien schon mehrfach gesehen hatte, beeindruckte ihn die Grösse, Form und Beschaffenheit seines Körpers.
Lavoisier hörte in seinem Kopf eine Stimme und wusste, dass es diejenige von Gabriel sein musste.
»Setzen Sie sich«, kommunizierte Gabriel mit ihnen. Berger und er nahmen auf einem der zahlreihen Stühle Platz.
»Warum wurde ich gegen meinen Willen hierher gebracht?«, fragte Lavoisier den Anführer der Aldemakros.
»Sie kommen sehr schnell auf den wesentlichen Punkt, Dr. Lavoisier«, sagte nun Gabriel mit normaler Stimme, sofern man bei einem anderen Wesen von einer normalen Stimme überhaupt sprechen kann.
»Etwas stimmt hier ganz und gar nicht«, dachte Lavoisier. Er spürte, wie Gabriel nicht nur mit ihm kommunizierte, sondern es fühlte sich so an, als ob er auch versuchen würde, tief in seine Gedanken und Erinnerungen einzudringen.
»Er versucht herauszufinden, was ich alles weiss«, dachte er. Instinktiv wusste er aber, dass er über eine Art Schutzschild verfügte, der dafür sorgte, dass Gabriel nicht an seine Gedanken heran kam. Er hatte keine Ahnung, weshalb das so war. Später würde er es begreifen. Er liess sich jedoch nichts anmerken.
»Weil ich einige Dinge von Ihnen wissen will«, antwortete Gabriel in einem freundlichen, aber sehr bestimmten Ton.
»Ich habe schon Ihrem Handlanger«, und hier deutete er auf Berger, »mitgeteilt, dass ich nichts zu berichten habe.«
»Oh doch, das haben Sie, und Sie werden es mir bald sagen«, hörte er nun wieder die Stimme in seinem Kopf, und anhand einer ausbleibenden Reaktion seitens Bergers ging er davon aus, dass Gabriel nur mit ihm kommunizierte.
»Ich will wissen, wie Sie herausgefunden haben, dass sich unterhalb der Pyramide ein altes Kontrollzentrum befunden hat«, sagte er nun mit lauter und bedrohlich wirkender Stimme.
»Das ist nun bedeutungslos, und ich beabsichtige nicht, diese Frage zu beantworten. Ich bin ein französischer Staatsbürger, und Sie haben kein Recht, mich hier gegen meinen Willen festzuhalten«, antwortete Lavoisier und beabsichtige damit, Gabriel zu provozieren.
»Ihr müsst doch eine Schwachstelle haben, zeig sie mir«, dachte er. Nun spürte er es wieder, diesen Versuch in seine Gedanken einzudringen. Es fühlte sich stärker als vorhin an, und es fiel Lavoisier auf, dass nun der Körper Gabriels in einem helleren Blau leuchtete. Aber auch diesen Versuch musste Gabriel abbrechen, denn er realisierte, dass er so Lavoisier nicht beikommen konnte. Lavoisier lächelte ihn kurz an und sagte:
»Netter Versuch.«
Berger sah ihn überrascht an, und man konnte erkennen, dass er keine Ahnung hatte, was da zwischen Gabriel und Lavoisier vonstatten ging.
»Ich wiederhole meine Frage nochmals. Ich will wissen, wie Sie herausgefunden haben, dass sich unterhalb der Pyramide ein altes Kontrollzentrum befunden hatte«, sagte er nun mit todernster Stimme.
»Kein Kommentar«, antwortete Lavoisier unbeeindruckt. Er wusste, dass, wenn er seine Quellen preisgeben würde, sie die letzte Chance, auch wenn sie sehr minim war, verspielen würden. Es würde nicht lange dauern, bis die Aldemakros dann alle aufgespürt und diejenigen, die Bescheid wussten, ausgelöscht hätten. Lavoisier wurde sich erstmals richtig bewusst, dass sein Team, seine Freunde und er in Lebensgefahr schwebten. Aber er fühlte nichts Beängstigendes oder Bedrohliches. Er hatte eine Vorahnung, dass am Ende doch alles gut herauskommen würde, obwohl er keine Vorstellung davon hatte, was unter »gut« zu verstehen war.
»Alain«, sagte nun Gabriel zu Berger. »Lass uns für einen Moment alleine.« Berger schaute Lavoisier mit einem hasserfüllten Blick an. Er war sichtlich aufgebracht, dass er den Raum verlassen musste.
»Warum wehren Sie sich gegen uns, die Racheengel des Herrn. Ist Ihnen nicht bewusst, dass unsere Feinde die Feinde des einzig wahren Gottes sind? Wer gegen uns ist, ist auch gegen den König der Könige«, versuchte Gabriel ihn einzulullen.
Lavoisier sah ihn an, und einen Augenblick lang fragte er sich, ob Gabriel vielleicht nicht doch ein Bote Gottes war.
»Er versucht, mich zu manipulieren. Er sucht meine Schwachstelle«, dachte Lavoisier. Es schien, als ob Gabriel über Kräfte verfügte, die Einfluss auf seinen Verstand hatten, und zwar in der Art, dass das logische Denken beeinträchtig wurde.
»Lassen Sie das, antwortete er, es wird bei mir nicht funktionieren«, sagte Lavoisier. »Wer immer Sie sein mögen, ein Bote des Herrn sind Sie nicht. Das können Sie vielleicht Berger und seinen Brüdern der Bruderschaft des reinen Herzens weismachen.«
Gabriels Farbe veränderte sich wieder und wechselte diesmal ins Violette, wobei es den Eindruck machte, dass das Pulsieren intensiver wurde.
»Er scheint emotional zu reagieren«, dachte Lavoisier.
Und plötzlich sah er vor seinem inneren Auge etwas, was er sich nicht erklären konnte. Er sah einen Planeten, der fast wie die Erde aussah. Er konnte ihn aus dem Weltraum betrachten. Es gab mehr Kontinente, und an den beiden Polen waren nur ganz kleine Eiskappen zu sehen. Das blaue Wasser der Meere hatte eine dunklere Farbe als auf der Erde. Nun sah er, dass er, vom Weltraum ausgehend, immer näher an die Oberfläche eines der Kontinente kam. Er konnte bereits die ersten Landstriche, weite Ebenen einer Art Graslandschaft, und Lebewesen erkennen. Es waren zahlreiche Aldemakros zu sehen, und was ihm fast das Blut in den Adern gefrieren liess, war die Tatsache, dass sie Hunderttausende von menschenähnlichen Wesen vor sich hertrieben, als handle es sich um riesige Viehherden. Die menschenähnlichen Wesen waren versklavt und wurden mit Schlägen traktiert, wenn sie nicht genau das taten, was sie sollten. Auch schreckten einige Aldemakros nicht davor zurück, renitente Sklaven zu töten, indem sie aus ihren Augen grelle Blitze auf sie schleuderten. Es erinnerte ihn an ein Bild, das er als Junge einmal gesehen hatte, als weisse Siedler in Nordamerika Jagd auf eine riesengrosse Bisonherde machten, indem sie aus einem fahrenden Zug mit Gewehren wahllos auf die Tiere schossen. Lavoisier fragte sich, was er da soeben gesehen hatte.
Gabriel stöhnte auf eine eigenartige Weise auf, denn er wusste, was Lavoisier gesehen hatte. Es hörte sich wie eine Mischung aus einem Schrei und einem gutturalen Glucksen an, das tief aus seiner Kehle kam.
»Wer sind Sie?«, fragte Gabriel ihn etwas verwundert.
»Das wissen Sie bereits. Ich bin Dr. Lavoisier, und Sie halten mich hier gegen meinen Willen fest.«
»Ich weiss, was Sie gesehen haben«, sagte Gabriel in einem für Lavoisier überraschend freundlichen Ton.
»Er wechselt seine Strategie, um an mein Geheimnis zu kommen«, dachte Lavoisier. Er fragte sich, ob es Gabriel nun doch gelungen war, seine Gedanken und Erinnerungen zu lesen, und dies bereitete ihm Unbehagen.
»Nur ganz wenige sind in der Lage, Gedanken von uns Aldemakros zu lesen«, begann Gabriel, »und dass Menschen dazu in der Lage sind, ist nicht nur bemerkenswert, sondern eigentlich unmöglich. Zu primitiv seid ihr konstruiert worden. Sie sehen zwar wie ein Mensch aus, aber wer sind Sie?«
Lavoisier sah ihn erstaunt an.
»Ich bin ein ganz normaler Mensch. Vielleicht bin ich ein wenig intelligenter als die meisten, aber deshalb bin und bleibe ich ein ganz normaler Mensch.«
»Interessant«, antwortete Gabriel und schwieg. Es schien, als ob er nachdachte. Nach einer kurzen Pause fragte er Lavoisier:
»Wollen Sie an meiner Seite dem Wohle des Herrn dienen und die Führung der Menschheit übernehmen?«
Die Frage traf Lavoisier völlig unvorbereitet. Er war perplex und überzeugt, dass es ein weiterer Versuch war, ihn zu manipulieren.
»Dafür habt ihr schon Grossmeister Berger«, antwortete er schnell.
»Berger ist schwach, nicht wirklich intelligent, aber bis jetzt sehr nützlich. Wir haben ihm viel zu verdanken. Es wird so oder so der Moment kommen, wo wir ihn ersetzen müssen. Die Aufgaben, die auf ihn zukommen werden, sind zu gross für ihn. Sie dagegen sind aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Sie und ich könnten die Menschen auf den richtigen Weg bringen. Wir könnten das himmlische Jerusalem errichten und die bösartigen und niederträchtigen Menschen ihrer gerechten Strafe zuführen, so dass Friede, Gerechtigkeit und Liebe vorherrschen würden. Dies alles zum Wohle des einzig wahren Gottes.«
Seine Aussagen hatten etwas Verlockendes, ja geradezu Erhabenes. Lavoisier wusste, dass viele dieses Angebot nicht ausschlagen würden und der Verlockung nicht widerstehen könnten. Aber er empfand jedes einzelne Wort nicht nur als Heuchelei, sonders als pures Gift. Er musste auf der Hut sein. Er wählte seine Worte mit Bedacht und antwortete Gabriel höflich, wenn auch bestimmt:
»Ich bedanke mich für das Angebot, es tönt verlockend, aber ich muss trotzdem ablehnen. Ich bin nicht der, wofür Sie mich halten mögen. Offen gesagt bin ich sogar überzeugt davon, dass Ihre Gründe, hier zu sein, nicht im geringsten etwas mit einer göttlichen Mission zu tun haben. Berger und seine Brüder mögen das glauben, aber ich werde den Verdacht nicht los, dass Ihre Ziele anderer Natur sind.«
Zwischen beiden entstand eine Pause. Sie musterten sich wie Rivalen, und obwohl Lavoisier wusste, dass Gabriel ihn innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde in einzelne Atome zerlegen konnte, hatte er keine Angst. Gabriel seinerseits spürte, dass Lavoisier keine Angst vor ihm hatte, und davor empfand er Respekt.
»Er ist definitiv anders«, dachte Gabriel.
Gabriel hob kurz seinen Kopf und sogleich erschien Berger wieder im Raum und setzte sich.
»Telepathie«, dachte Lavoisier und fragte sich, warum es Gabriel nicht möglich war, in seine Erinnerungen vorzudringen und seine Gedanken zu lesen.
»Dr. Lavoisier, ich gebe Ihnen noch eine letzte Chance, es sich anders zu überlegen«, hörte er Gabriel sagen, wobei ihm nicht klar war, ob er sein Angebot oder das Herausrücken der gewünschten Information über das alte Kontrollzentrum unterhalb der Pyramiden meinte.«
»Sie kennen meine Meinung dazu«, antwortete Lavoisier ebenso doppeldeutig.«
Gabriel blickte zu Berger und sagte:
»Dann wird er dafür sorgen, dass ich bis morgen Mittag die gewünschte Information habe.«
Und zu Lavoisier gerichtet:
»Mir ist es gleichgültig, was er mit Ihnen anstellt. Ich habe nur eine Bedingung; ich will, dass Sie am Leben bleiben. Aber Details interessieren mich nicht.«
Berger nickte, und ein zufriedenes Lächeln huschte ihm über die Lippen.
»Nun habe ich dich, du Besserwisser, und wir werden keine Gnade walten lassen«, dachte er.
Gabriel war fertig mit ihnen und zeigte auf seine Weise an, dass die Besprechung zu Ende war. Sie verliessen den Raum. Vor der grossen Türe standen bereits einige Sicherheitsleute und nahmen Lavoisier in Gewahrsam. Sie führten ihn ab und brachten ihn in ein altes, tief im Boden liegendes Verlies unterhalb des Schlosses. Sie sperrten ihn ein und liessen ihn alleine. Vor der Türe postierten sie einen Wachmann. Lavoisier sah sich im Schein einer grell leuchtenden Glühbirne um. Der Raum war klein, fensterlos, und es roch muffig. Die ihn umgebenden Steinwände waren kalt und staubig. Auf der rechten Seite befand sich ein Bett und seitlich davon fand er einen Stuhl vor, der neben einem kleinen Tisch stand, auf dem sich ein kleiner Fernseher befand. Er setzte sich und war überrascht, dass alles sauber war.
»Er hatte es schon länger geplant«, dachte Lavoisier, und mit »er« war Berger gemeint.
Gabriel dachte über das Gespräch mit Lavoisier nach. Er fragte sich, wieso er Lavoisiers Gedanken nicht lesen konnte und, was noch viel gravierender war, weshalb Lavoisier Zugang zu seinen eigenen Erinnerungen hatte. Ein schlimmer Verdacht nahm immer konkretere Gestalt an.
»Aber wäre das überhaupt möglich?« fragte er sich abschliessend.