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Kapitel 4: Im Forschungslabor
ОглавлениеParis, Schloss Chambord, 28. Dezember 2027
Joseph Sarrasin, der Stellvertretende Direktor der Direction centrale du Renseignement Intérieur, war irgendwie dankbar. Dankbar dafür, dass er endlich etwas zu tun hatte. Als er das letzte Mal versuchte, Lavoisier zu überwachen, hatten er und sein Team kläglich versagt. Nun hatte er wiederum eine Chance bekommen. Aber so dankbar er für den Auftrag war, so verwirrend fühlte dieser sich an. Aber ein Auftrag war eben ein Auftrag, und er wusste, was zu tun war.
Er instruierte persönlich seine Agenten, so dass alle genau wussten, womit sie zu rechnen hatten. Sie fuhren, wie von ihrem Auftraggeber angegeben, in ein Industriequartier. Dort parkten sie ihre Fahrzeuge, alte und unauffällige Citroëns und nicht schwarze mit Panzerglas versehene Limousinen. Sie stiegen aus, schlichen durch die Dunkelheit, passierten unerkannt verschiedene viel zu lasche Sicherheitskontrollen und fanden in einem Vorbau den angegebenen Lift vor. Mit den vorhandenen Codes konnten sie die Sicherung der Liftsteuerung so umgehen, dass sie, ohne bemerkt zu werden, auf die Etage des Kontrollraums mit den dazugehörenden Büros gelangen konnten. Sie betraten einen leeren Abstellraum, zogen die dunklen Tarnanzüge aus und schlüpften in die mitgebrachten Kleider einer Reinigungsfirma, wobei sie sich einen Sicherheitsausweis, der an einem Lanyard befestigt war, um den Hals legten. Sie nahmen die bereitgestellten Putzwagons und verteilten sich auf der Etage. Es war kurz nach fünf Uhr und eigentlich viel zu früh für den Einsatz, aber sie wollten auf alle Fälle bereit sein.
»Ich will diesen Lavoisier hier haben, und ich dulde kein Versagen«, erklärte Berger kurz nach sechs Uhr Bruder Patrice, dem Führer des militärischen Arms der Bruderschaft.
»Das Einsatzteam ist seit einiger Zeit in Stellung. Sobald Lavoisier mit seinem Team im grossen Sitzungszimmer eingetroffen ist und die Besprechung beginnt, werden wir gemäss unserer Planung zuschlagen. Wir werden ihn in unsere Obhut nehmen und mit bereitgestellten Hubschraubern direkt ins Schloss Chambord bringen«, erklärte Bruder Patrice, und Berger nickte anerkennend.
»Bring in zuerst zu mir. Ich will alleine mit ihm reden«, flüsterte Berger ihm zu. Bruder Patrice runzelte kurz die Stirne, nickte aber dann und zog sich zurück.
Lavoisier und Alice betraten kurz nach halb acht Uhr den Lift, der sie 80 Meter unter die Oberfläche in den Kontrollraum und ihre Büros im Forschungslabor bringen würde. Das Wetter hatte umgeschlagen, und eine empfindliche Polarluft liess sie frieren. Während der Lift sie kaum wahrnehmbar in die Tiefe brachte, drückte Lavoisier Alice‘s Hand, und zwar so, dass die Überwachungskamera es nicht sehen konnte.
»Danke«, flüsterte sie ihm kaum hörbar zu.
»De rien«, antwortete er nur. Beide schwiegen, bis sie unten angekommen waren. Lavoisier stieg als erster aus, und seine Nase nahm einen anderen, nach neuartigem Putzmittel riechenden Duft wahr. Dieses kleine Detail würde in der nächsten Stunde von grösster Bedeutung sein.
»Vermutlich eine neue Putzfirma, die für weniger Geld noch mehr Dienstleistungen anbietet«, dachte er.
Helen Moody war schon in ihrem Büro, und als sie Alice in Begleitung des Chefs sah, konnte sie einen leisen Freudenschrei nicht unterdrücken.
»Ist sie wieder…?«, fragte sie ganz aufgeregt.
»Ja, sie ist wieder im Team und zugleich meine Stellvertreterin«, sagte Lavoisier.
Die beiden Frauen umarmten sich, und Helen Moody nahm Alice in Beschlag und informierte sie über den aktuellen Stand. Lavoisier nickte den beiden zu und begab sich in sein Büro. Es dauerte noch etwas mehr als eine Stunde, bis die Besprechung mit dem Team Sargon beginnen würde. Lavoisier startete seinen Büro-Laptop und begann nach bestimmten Informationen zu suchen. Insbesondere wollte er in der verbleibenden Zeit mehr über die Abtei Saint-Germain-des-Prés in Erfahrung bringen. Er wusste zwar schon, was er wissen wollte, aber es schadete nie, wenn man noch zusätzliche Dinge in Erfahrung bringen konnte. Manchmal waren es genau diese Details, die am Ende zum Durchbruch verhalfen. Er spürte, dass er auf der richtigen Spur war.
Es war ihm klar, dass er es nicht wirklich wissen konnte, aber wie man manchmal bei einem Fussballspiel das Gefühl hat, dass noch ein Tor fallen werde, so war er überzeugt davon, dass er ganz nah an etwas Wichtigem dran war, nur wusste er nicht, woran. Er fand ein Archiv mit Jahrbüchern der Abtei. Er überflog die einzelnen elektronischen Jahrbücher. Die Bilder darin waren ihm mehr oder weniger gleichgültig. Was ihn wirklich interessierte, waren die Texte mit Namen. Er erhoffte sich weitere Informationen über seine verdächtige Person zu erhalten. Aber er fand keine Hinweise. Nachdem er die Jahrbücher von 2021 bis 2017 durchgesehen hatte, wollte er seine Nachforschungen beenden. Er zog den Pfeil seiner Maus auf dem Bildschirm auf das x-Feld, um das Archiv zu schliessen. Aber irgendetwas hielt ihn zurück. Da war wieder dieses eigenartige Gefühl, dass er ganz nah dran war, aber er wusste nicht, was er eigentlich suchte. So kam es, dass er das Archiv nicht schloss, sondern im Jahrbuch des Jahres 2016 weiter suchte.
»Nichts«, dachte Lavoisier.
»Was machst du da?«, fragte Alice, die sich von Helen Moody hatte lösen können und nun vor ihm stand.
»Ich durchsuche die Jahresbücher der Abtei Saint-Germain-des-Prés.«
»Was erhoffst du dir zu finden?«
»Ich weiss es nicht, aber ich habe das Gefühl, dass ich etwas finden werde, das wichtig ist. Es scheint, als ob es darauf wartet, dass ich es entdecke«, sagte Lavoisier und wusste, dass sich das Ganze sehr eigenartig anhörte.
»Komm, ich helfe dir«, sagte Alice, öffnete ihren Laptop und ging auf dieselbe Internetseite. Beide begannen die Jahrbücher durchzuarbeiten. Nachdem sie die Jahrbücher bis 2008 durchgesehen hatten, fragte Alice:
»Hast du etwas gefunden?«
»Nein, es ist schwierig nach etwas zu suchen, wenn man nicht weiss, wonach.«
»Suchen wir weiter, wir haben noch vierzig Minuten, bis die Besprechung beginnt«, sagte Lavoisier, und Alice nickte.
»Wir müssen gedanklich anders vorgehen«, sagte Alice plötzlich, als hätte sie eine Eingebung gehabt.
»Wie meinst du das?«
»Wir suchen nach Informationen über unsere verdächtige Person«, sagte Alice.
»Das ist richtig. Du meinst, wir sollten …«
»Ja, wir sollten nicht nach Informationen sondern nach Zusammenhängen suchen«, erklärte sie.
»Merde, die Bilder!« rief Lavoisier aufgeregt und schon fast laut, was für ihn untypisch war.
Sie blätterten die elektronischen Jahrbücher durch, wobei sie nur auf die Bilder achteten. Alice begann mit dem aus dem Jahr 2008 und Lavoisier mit dem Jüngsten aus dem Jahre 2021.
Aber sie fanden nach wie vor nichts, was auf ihr Interesse stiess.
»Wir müssen in die Besprechung«, sagte Alice, und Lavoisier nickte. Er blätterte noch die letzten Seiten des Jahrbuchs 2014 durch und brach dann die Suche ab. Sie standen beide auf, nahmen ihre Unterlagen mit und gingen in den Besprechungsraum.
»Hast du alles dabei?«, flüsterte er Alice zu.
»Ja«, war ihre kurze Antwort, denn nun waren bereits weitere Mitglieder des Teams Sargon zu ihnen gestossen. Nachdem alle auf ihren Stühlen Platz genommen hatten, eröffnete Lavoisier die Besprechung.
»Guten Morgen«, sagte er eher leise und bat alle Teilnehmer aufzustehen und eine symbolische Gedenkminute für Steven Smith, General Gresse und ihre Mitarbeiter abzuhalten. Es fiel allen sehr schwer, aber sie wollten Steven Smith, General Gresse und ihren Mitarbeitern die letzte Ehre erweisen.
»Die Zeit der Trauer wird kommen«, begann nun Lavoisier, nachdem die Gedenkminute, die sich endlos lang anfühlte, vorbei war.
»Aber nun müssen wir alles daran setzen, dass der Tod unserer Mitarbeiter nicht vergebens war.«
Lavoisier schaute in die Runde und stellte in den Gesichtern eine Mischung aus Trauer, Wut, aber auch Entschlossenheit und Kampfgeist fest.
»Eine gute Mischung. Genau das, was wir jetzt brauchen«, dachte er. Dann durchzuckte es ihm förmlich. Denn er sah vor seinem inneren Auge, was ihm in den Archivbüchern, oder besser gesagt in den Bildern, verborgen geblieben war. Er sah es nun ganz klar und deutlich.
»Helen«, sagte er, »kannst du uns über die Situation der Wurmlöcher und die gelandeten Raumschiffe informieren?«
Helen Moody machte sich daran, mit ihren Ausführungen zu beginnen. Lavoisier schrieb eine kurze Notiz auf ein Post-It und steckte es Alice zu. Sie las es und steckte es ein.
»Insgesamt sind zwölf Raumschiffe gelandet. Alle in der Grösse des Raumschiffs, das beim Schloss Chambord gelandet ist«, informierte nun Helen Moody.
»Gibt es Aktivitäten, die von diesen Raumschiffen ausgehen?«, fragte Lavoisier.
»Nein, bis jetzt noch nicht. Ich habe den Eindruck, dass sie alle abwarten«, fuhr Helen fort.
»Sie warten das Ultimatum ab«, sagte Alice, und alle stimmten ihr zu.
»Interessant ist aber, dass es einen Zusammenhang zwischen dem ersten Magnetfeld über der Oase Siwa und allen anderen gibt.«
»Wie meinst du das?«, fragte Robert Bruce.
»Wir, also die NASA, die ESA, die russischen und die chinesischen Weltraumexperten, haben übereinstimmende Messungen durchgeführt und dabei festgestellt, dass das Raumschiff in der Oase Siwa eine Art Kontrollzentrum für den Aufbau für weitere Wurmlöcher ist.«
Lavoisier gefiel ihre Ausdrucksweise. Sie sprach von ‚wir‘, und er fragte sich, ob die gesamte Menschheit in der Zukunft sich wirklich als ein ‚Wir‘ verstehen würde, oder ob einfach diese Extremsituation eine gemeinsame Basis schuf, die später wieder zusammenbrechen würde, so dass jede Nation das täte, was ihr am meisten nützte. Er wischte diesen Gedanken beiseite, denn Helen sprach weiter.
»Wenn es also gelingen würde, das kleinere Raumschiff in der Oase zu eliminieren, dann hätten die Aldemakros wohl keine Möglichkeit mehr, weitere Wurmlöcher zu öffnen.«
Lavoisier nickte und fühlte sich insofern darin bestätigt, dass das Schliessen der Wurmlöcher absolut höchste Priorität hatte.
»Dann sollten wir…«, sagte Lavoisier, konnte aber nicht mehr weiter sprechen. Vom Flur her drangen plötzlich Schreie zu ihnen, und Lavoisier glaubte Schüsse aus kleinkalibrigen Waffen zu erkennen. James Woods, der am nächsten zur Türe sass, stand auf und öffnete die Türe. Sie sahen, wie Menschen davon rannten, schrien und wild mit den Händen fuchtelten. Einige waren blutverschmiert und bewegten sich wie in Trance an ihnen vorbei. Dazwischen erkannten sie Männer in roten Reinigungsanzügen, die bewaffnet waren und in die Gegenrichtung nach rechts zurückschossen. Lavoisier erinnerte sich augenblicklich an den Duft des neuen Reinigungsmittels. Ihm war alles sofort klar. Er schaltete schnell und rief seinen Leuten zu:
»Macht, dass ihr rauskommt. Geht nach links, nicht nach rechts. Haltet euch an die Reinigungskräfte. Die sind auf unserer Seite«, rief er, und zu Alice gewandt: »Du weisst, was du zu tun hast.«
Dann fielen die ersten Schüsse in ihrer Nähe. Nachdem alle Mitarbeiter des Teams Sargon den Besprechungsraum verlassen hatten, blieb Lavoisier alleine im Raum zurück. Er hatte so etwas erwartet.
»Dr. Lavoisier«, hörte er eine Stimme rufen. »kommen sie, noch besteht eine Chance zu entkommen.«
»Wer sind Sie?«, fragte Lavoisier einen Mann, der in einem roten Overall einer Reinigungsfirma steckte.
»Es ist etwas kompliziert. Kommen Sie, es eilt.«
»Ich werde nirgendwo hingehen«, erklärte Lavoisier, was den Mann sichtlich verwirrte. Weitere Schüsse fielen, und Lavoisier wusste, dass er nur noch wenige Augenblicke Zeit hatte.
»Wir können die anderen nicht mehr lange aufhalten«, drängte ihn der Mann nun zum Gehen.
»Sagen Sie mir, wer Sie geschickt hat und wer uns beschützt?«, fragte er nochmals den Mann, der nun angefangen hatte, aus seiner Schnellfeuerwaffe rechts von seinem Zimmer in den Flur zu schiessen. Lavoisier war froh, dass Alice und seine Mitarbeiter wohl noch rechtzeitig in den linken Flur hatten abbiegen und verschwinden können. Er vermutete, dass die Angreifer es nur auf ihn abgesehen hatten.
»Dr. Lavoisier, bitte leisten Sie keinen Widerstand mehr. Es ist aussichtlos«, rief jemand laut aus dem Flur.
»Wer hat Sie geschickt, und wer sind Sie?«, fragte Lavoisier den Mann im Besprechungszimmer und hielt ihn zurück, denn er wollte gerade auf den Flur hinaus stürzen und das Feuer eröffnen.
»Special Agent Joseph Sarrasin, stellvertretender Direktor der Direction centrale du Renseignement Intérieur, und ich handle im Auftrag von Pascal Robin, dem Innenminister.«
»Lassen Sie es gut sein, Special Agent Sarrasin. Es sind schon genug Menschen auf der Welt gestorben. Die wollen nur mich!«, und bevor Sarrasin etwas sagen konnte, rief Lavoisier laut auf den Flur hinaus:
»Ich bin Dr. Lavoisier, ich bitte Sie, das Feuer einzustellen. Ich komme mit erhobenen Händen heraus.«
Sie konnten hören, wie der Einsatzleiter über sein Headset einige kurze Befehle erteilte, Augenblicke danach wurde im Gebäude nicht mehr geschossen.
»Dr. Lavoisier, kommen Sie heraus!«, rief eine befehlsgewohnte Stimme, »ich will ihre Hände sehen.«
»Ich danke Ihnen, Special Agent Sarrasin, und richten Sie meinen Dank auch Robin aus!«, sagte er zu ihm und ging zur Türe.
»Ich komme jetzt heraus«, rief Lavoisier laut und zeigte als erstes seine erhobenen Hände.«
Sarrasin nickte und sagte:
»Ich bewundere Ihren Mut. Viel Glück!«
Lavoisier war sich bewusst, dass es mit Mut nicht viel zu tun hatte. Er hatte seit gestern Abend vermutet, dass so etwas geschehen könnte. Er war jedoch überzeugt, dass er dabei nicht in Lebensgefahr schwebte. Sie wollten ihn lebend. Und er sollte recht behalten.
Dann ging es sehr schnell. Nachdem Lavoisier sich ergeben hatte, traten zwei schwarz gekleidete Spezialagenten zu ihm, zogen seine Hände auf den Rücken und legten ihm Handschellen an.
»Ist das wirklich nötig?«, fragte er den nun dazu getretenen Einsatzleiter.
Sie schauten sich eine Weile in die Augen und musterten sich gegenseitig.
»Nehmt die Dinger wieder ab. Es wird nicht nötig sein. Dr. Lavoisier wird uns keine Schwierigkeiten machen!«, sagte Agent Clint Miller mit einem amerikanischen Akzent. Er informierte kurz seine Leute, dass das gesuchte Objekt sichergestellt sei. Danach zogen sie sich zurück, wobei Lavoisier erkennen konnte, dass die Art, wie sie vorgingen, klar nach CIA aussah. Schnell brachte sie der Lift nach oben, und nach einem kurzen Fussmarsch stiegen alle in bereitstehende Bell-Hubschrauber ein und flogen Richtung Süden, Richtung Chambord.