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Kapitel 8: Das Ultimatum

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Paris, 28. Dezember 2027

»Sie ist unten«, sagte Sarrasin zu Alice, nachdem er die schwere, eichenbeschlagene Haustüre eines alten, leicht verkommenen Steinhauses geöffnet hatte und sie eingetreten war. Sie schaute auf die Uhr, und ihr wurde schmerzhaft bewusst, dass in wenigen Minuten das Ultimatum ablaufen würde.

»Danke«, antwortete sie und folgte ihm. Alice legte den Zettel wieder in ihre Tasche, den Sarrasin ihr im Forschungslabor gegeben hatte. Er hatte damals die Adresse notiert, wo er Marie de Beauvoir hinbringen würde. Am Ende des Raums öffnete er eine schwere Stahltüre, und dahinter erkannte sie eine nach unten führende Steintreppe. Sie stiegen den staubigen Treppengang hinunter, wobei eine eingeschaltete Leuchtstoffröhre in einem unangenehmen Rhythmus flackerte.

»Wo führt die Treppe hin?«, fragte Alice ihn.

»In einen tief im Untergrund von Paris liegenden ehemaligen Luftschutzbunker, der noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammt«, antwortete Sarrasin und erklärte, dass die Infrastruktur einwandfrei funktioniere und 30 Personen problemlos einen Monat lang darin überleben könnten.

»Die Anlage gehört einer privaten Stiftung. Sie hätte in Kürze der Öffentlichkeit als Touristenattraktion vorgestellt werden sollen. Wir wollten interessierten Kreisen einen Aufenthalt von einer oder zwei Wochen in der Bunkeranlage ermöglichen, damit sie einen Einblick in frühere Zeiten erhalten würden.«

»So wie es damals war«, antwortete Alice.

»Hätte sein können. Paris wurde ja nicht bombardiert. Die Deutschen marschierten im Juni 1941 kampflos in das menschenleer wirkende Paris ein. Unterhändler auf beiden Seiten hatten eine Vereinbarung getroffen, dass sich die französische Armee aus der Stadt zurückzog. Paris blieb deshalb von grösseren Zerstörungen weitgehend verschont. Dennoch wurden einige wenige Bunkeranlagen gebaut. Bis zur Befreiung im August 1944 besetzte die deutsche Wehrmacht Paris. Der deutsche General Dietrich von Choltitz, der zuletzt Stadtkommandant von Paris war, kapitulierte dann. Von Choltitz hatte vorher geheime Verhandlungen mit unserer Résistance aufgenommen. Er widersetzte sich mehrfach dem Befehl Hitlers, Paris zu verteidigen oder nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen zu lassen. Hitler befahl, dass die Stadt, wenn sie nicht mehr verteidigt werden könnte, gesprengt werden müsse. Von Choltitz verweigerte den Befehl und wurde später deshalb von einigen Seiten als »Retter von Paris« bezeichnet. Er erhielt sogar den Orden »Chevalier de la Légion d’Honneur, also den Orden »Ritter der Französischen Ehrenlegion“, erklärte Sarrasin.

Alice fragte sich, weshalb ihr Sarrasin das alles erzählte. Eigentlich gab es keinen Grund, so detailliert in die Geschichte der Stadt Paris während des Zweiten Weltkriegs einzudringen.

»Ist er ein Held oder ein Landesverräter?«, fragte wie aus dem Nichts Sarrasin.

»Von Choltitz?«, fragte Alice.

»Ja«, antwortete er.

»Schwierige Frage. Einerseits hat er wohl Hunderttausenden das Leben gerettet und Paris vor der Zerstörung bewahrt. Anderseits hat er als General einen Befehl des Oberbefehlshabers verweigert, in diesem Fall von Hitler persönlich. Hätten die Nazis am Ende den Krieg gewonnen, wäre General von Choltitz als Verräter erschossen worden. Aber es ist zum Glück nicht so weit gekommen. Deshalb wurde er von vielen als »Retter von Paris« gefeiert. Letztlich entscheidet immer der Sieger, wer ein Held und wer ein Verräter ist«, antwortete Alice.

»Was denken Sie?«, fragte sie nun Sarrasin.«

»Ich denke, dass er eher ein Held als ein Verräter war. Schliesslich hat er sich den Befehlen Hitlers widersetzt und mit seinem Handeln sichergestellt, dass Paris und die dort lebenden Menschen verschont wurden«, antwortete er.

»Das denke ich auch«, sagte Alice und wollte das Thema eigentlich ad acta legen, denn ein wichtiges Gespräch mit Marie de Beauvoir stand ihr bevor.

»Was bin dann ich?«, fragte Sarrasin völlig überraschend.

»Wie meinen Sie das?«

»Sehen Sie, ich hatte vom Innenminister den Befehl erhalten, alle Instruktionen, die Sie als Leiterin des Teams Sargon mir geben würden, auszuführen.«

»Das haben Sie auch immer getan. Dafür bin ich dankbar«, antwortete Alice.

»Da ist aber noch etwas, das Sie wissen müssen«, fuhr Sarrasin weiter. Alice schaute ihn verwundert an und merkte, dass sie ihm gedanklich nicht ganz folgen konnte. Sie spürte, dass es Sarrasin schwer fiel, weiterzureden.

»Aber Sie hatten auch noch andere Befehle?«, fragte sie plötzlich aus einer Eingebung heraus.

»Ja«, antwortete er.

Alice schwieg. Sie spürte, dass Sarrasin mit sich rang. Sie wartete deshalb ab, was er ihr mitteilen wollte. Ihr wurde nun klar, warum er detailliert vom deutschen General von Choltitz sprach. So wie von Choltitz damals steckte auch Sarrasin in einer Zwickmühle.

»Ich habe auch die Anweisung erhalten, dass Marie de Beauvoir unter dem persönlichen Schutz des Innenministers stehe und ich für ihre Sicherheit verantwortlich sei«, sagte er nun.

Alice lief ein Schauder über den Rücken. Sie fragte sich, was Sarrasin nun tun würde. Gewichtete er die Anweisung des Innenministers, verantwortlich für die Sicherheit von Marie de Beauvoir zu sein, höher ein als die Anweisung, ihre Befehle zu befolgen.

»Ich habe mich entschieden, Madame Bonmont«, sagte nun Sarrasin, »und ich hoffe, wenn ich Ihre Befehle befolge, dass die Geschichte mich nicht als Verräter abstempeln wird.«

»Das wird sie nicht. Es besteht noch Hoffnung, auch wenn sie sehr klein ist. Ich brauche Ihre Hilfe. Wir brauchen Ihre Hilfe«, sagte Alice und versuchte ihm Mut zu machen und bedankte sich für seine Offenheit.

»Es gibt nur zwei Schlüsselbunde mit allen Schlüsseln für die Zugänge«, erklärte er nun sachlich und zog einen zweiten gleich aussehenden aus seiner Tasche.

»Nehmen Sie ihn. Das ist der zweite.«

»Vielen Dank«, antwortete Alice.

Sarrasin erklärte die Funktionsweise der gesamten Anlage.

»Hier ist noch eine Anleitung dazu«, sagte er und übergab ihr ein kleines Leporello, wo kurz und bündig alles Wesentliche drinstand. Sie waren nun am unteren Ende der Treppe angelangt uns standen vor einer weiteren Stahltüre.

»Hier gibt es keine elektronischen Schliessvorrichtungen. Alles funktioniert mechanisch«, sagte er, nahm einen weiteren grossen Schlüssel zur Hand und öffnete die Türe. Sie standen jetzt im Eingangsbereich der unterirdischen Bunkeranlage. Es hatte einen kleinen Vorraum, von dem drei Flure ausgingen.

»Nach links«, erklärte Sarrasin.

Alice las an den Wänden deutsche Wörter und Propagandatexte und entdeckte zahlreiche Hakenkreuze. Nach etwa fünfzig Metern blieb Sarrasin stehen und öffnete zu seiner Rechten eine weitere Türe. Sie traten ein, und Sarrasin schloss die Türe wieder.

»Willkommen im Gefangenentrakt«, erklärte er kurz.

Alice folgte ihm, und nachdem sie an fünf Zellentüren vorbei gegangen waren, blieb er wiederum stehen und schaute durch das kleine Beobachtungsfenster in die dahinter liegende Zelle. Er nickte und bat Alice, auch einen Blick hinein zu werfen.

»Ich sehe sie«, sagte Alice. »Ich werde alleine mit ihr reden. Deshalb bitte ich Sie, draussen vor der Zelle zu warten und die Türe zu verriegeln. Ich will auf Nummer sicher gehen«, erklärte sie Sarrasin, der froh war, dass er Marie de Beauvoir nicht sehen musste.

Sarrasin drehte den Schlüssel im Schloss, schob den Stahlriegel zur Seite und öffnete die Türe der Zelle. Alice trat ein. Danach schloss er die Türe wieder. Marie de Beauvoir konnte ihn nicht sehen.

»Hallo Marie«, begrüsste Alice sie in einem höflichen Ton.

»Hast du genug zu trinken?«

»Was willst du hier?«, fragte Marie abweisend.

»Ich will verstehen, warum du das alles getan hast.«

»Das geht dich nichts an!«, antwortete sie barsch und schaute teilnahmslos auf das Fernsehgerät. Alice wusste, dass es nur einen Kanal zu sehen gab, und zwar denjenigen, der in wenigen Minuten eine Liveschaltung ins Schloss Chambord bringen würde. Das Ultimatum würde dann abgelaufen sein und ihr Onkel würde der Menschheit erklären, wie die Länder der Erde entschieden hatten und welche Konsequenzen die Aldemakros daraus ziehen würden.

»Was meinst Du. Haben alle Länder klein bei gegeben und die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet?«, fragte sie Marie.

»Ich hoffe nicht«, antwortete sie.

»Warum hoffst du das?«

»Die Ungerechten und Bösartigen soll die göttliche Strafe treffen.«

»Müssten dann nicht alle Länder dieser Welt vernichtet werden? Oder kennst du ein Land, in dem es keine Ungerechtigkeiten und keine bösartigen Menschen gibt?«

»Das ist mir egal, sollen doch alle umkommen«, schrie sie leicht hysterisch.

»Ist es wegen damals?«, fragte Alice sie.

»Was meinst du wegen damals?«, feixte Marie.

»Du weisst ganz genau, wovon ich spreche.«

»Lass mich in Ruhe.«

Alice zog den Laptop aus ihrer Mappe heraus.

»Wegen damals«, wiederholte sie und drehte den Bildschirm des Laptops zu Marie hin, damit sie einen gross aufgemachten Zeitungsartikel sehen konnte.

Als Marie den Zeitungsartikel sah, schaute sie sofort weg.

»Nimm den Laptop weg!«, schrie sie Alice an, nahm die Fernbedienung des Fernsehers und drückte mehrmals auf den Lautstärkeknopf.

»Das erste Ziel ist erreicht«, dachte Alice und schaute auf die Uhr. Es war genau 18:00 Uhr.

»Ich begrüsse wiederum alle Menschen dieser Welt«, begann Berger mit seiner Rede, wobei seine Stimme im Gegensatz zu früheren Ansprachen alles andere als monoton klang. Sie klang zornig, und man konnte erkennen, dass er seine Wut nur schwer unter Kontrolle halten konnte.

»Wir haben alle Länder unmissverständlich darauf aufmerksam gemacht, dass es keine Verhandlungen geben wird, wenn nicht alle Länder dieser Welt bedingungslos kapitulieren.«

Berger senkte die Stimme und fuhr fort:

»Elf Länder sind dieser Aufforderung nicht nachgekommen.«

Nun wurde der Bildschirm wieder in mehrere Fenster unterteilt, und man erkannte eine Weltkarte. Darauf waren mit roter Farbe diejenigen Länder eingezeichnet und mit Namen bezeichnet, die nicht kapitulierten.

»Afghanistan, Indien, Irak, Israel, Kuba, Nigeria, Pakistan, Ruanda, Syrien, Venezuela und Tansania«, las Alice.

Die Perspektive wechselte wieder, und nun trat Gabriel neben Berger. Der Aldemakro verkündete mit tiefer Stimme:

»Die Menschheit hat einmal mehr gezeigt, dass sie nicht bereit ist, sich dem Willen Gottes zu unterwerfen. Aber wer sich seinem Willen nicht unterwirft, der wird seinen Zorn zu spüren bekommen.«

Alice beobachtete Marie und stellte fest, dass sie beim letzten Satz wohl zum Zeichen ihrer Zustimmung leicht nickte.

»Ich habe deshalb entschieden, dies als Zeichen unseres guten Willens, nur diejenigen Länder zu bestrafen, die nicht bedingungslos kapituliert haben. Im Weiteren wird es eine neue Weltordnung geben. Alle Länder stehen von morgen an unter der Führung der zwölf Racheengel des Herrn. Wir werden heute die Länder zuteilen, so dass sie wissen werden, wer für sie zuständig ist. Jeder Aldemakro wird seine Länder in zwölf geografisch gleichwertige Provinzen aufteilen. Die Aldemakros werden entscheiden, wer jeweils in der Provinz die Verantwortung trägt. Sie werden bedingungslosen Gehorsam verlangen. Wenn der Veränderungsprozess abgeschlossen ist, wird der König der Könige zu uns stossen, und gemeinsam werden wir das neue Himmelreich Gottes errichten. Aber diejenigen von euch, die sich gegen uns auflehnen, werden wir mit aller Härte bestrafen«, schloss Gabriel seine kurze Ansprache.

Dann sah man wiederum Bilder, die aus dem Weltraum zu kommen schienen. Sie zeigten die Länder, die nicht kapituliert hatten.

Dann ging es sehr schnell. Man konnte eine Art kosmischen Strahl erkennen, der sich in mehrere Teile aufspaltete. Diese schossen wie riesige Blitze auf die rot eingezeichneten Länder herab und schlugen mit verheerender Wirkung ein. Dann sah man, wie in konzentrischen Kreisen, wie wenn ein Stein ins Wasser geworfen wird und es entsprechende gegen aussen laufende kreisförmige Ringe gibt, alles, was dort vorhanden war, sich in nichts auflöste. Die einzelnen Länder wurden allesamt in ihre einzelnen Atome zerlegt. Dass es dort jemals Häuser, Strassen mit Autos, Menschen und Anzeichen von Zivilisation gab, war nicht mehr zu erkennen.

Danach hörte man Gabriels Stimme sagen:

»Möge unser Herr ihren Seelen gnädig sein.«

Nicht nur Millionen von Menschen, Alice und Marie sahen die Zerstörung der elf Länder, sondern auch Lavoisier musste sich in seinem Verlies diese Szenen anschauen. Die Brutalität, mit der die Aldemakros vorgingen, erstaunte ihn nicht, denn er hatte in den Erinnerungen von Gabriel erkennen können, wozu die Aldemakros fähig waren. Aber etwas anderes erstaunte und verwirrte ihn zugleich.

»Warum war es mir möglich, Erinnerungen von Gabriel zu sehen? Wollte er, dass ich sie sehe? Stellte er mich auf die Probe, um herauszufinden, was ich erkennen kann? Oder war Gabriel selber überrascht, dass ich das überhaupt konnte? Und warum konnte er meine Gedanken nicht lesen?«, fragte sich Lavoisier.

Und nun nahm bei ihm ein bestimmter Gedanke konkretere Gestalt an.

»Aber wäre das überhaupt möglich?« fragte auch er sich abschliessend.

Aldemakros

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