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4 Präziser Fokus

Alle warteten bereits auf mich, als ich schließlich abgehetzt zur Nachmittagssitzung erschien. Ein spürbares Knistern lag in der Luft, das mich schnell zum Bericht greifen ließ. Zum Lesen war ich in der Pause nicht gekommen, ich musste also die Seiten überfliegen, während es bereits losging. Weit kam ich nicht, denn zuerst musste ich die harten Faktoren, also Zahlen, Daten und Fakten meines Unternehmens erläutern. »2013 haben wir mit insgesamt 92 Mitarbeitern 17,5 Millionen Euro Umsatz gemacht, 2014 mit 93 Mitarbeitern 16 Millionen und 2015, das ist abzusehen, wird es dabei bleiben oder sogar etwas weniger werden«, fasste ich am Ende alles zusammen.

Nachdem wir übereingekommen waren, wohin sich Umsatz und Mitarbeiterzahlen entwickeln sollten, gingen wir über zum zweiten Teil, auf den der Fokus gelegt werden sollte: der Unternehmenskultur. Auch die war in Skalen mit Zahlen und Fakten deutlich ablesbar, was ich so nicht erwartet hatte. Wie soll ein so abstrakter Begriff sich in Zahlen ausdrücken, hatte ich mich schon im Vorgespräch mit den UnternehmensBeatmern gefragt, als sie das angekündigt hatten. Jetzt offenbarte die Situationsanalyse, wie es funktionierte.

Die Situationsanalyse

Die UnternehmensBeatmer hatten ihre Analyse in sieben verschiedene Bereiche aufgeteilt, analog zu den sieben vorgestellten Schritten und zu jedem Bereich Aussagen bewerten lassen oder Fragen gestellt. Jede Antwort wurde auf einer Skala von eins bis sechs erfasst und zudem einzelne Kommentare notiert. Ganze 32 Seiten umfasste der Bericht. Die ersten Fragen und Antworten zum Thema ›Inspirierender Sinn‹ boten keine besondere Überraschung. »Wie klar ist Ihnen die Bedeutung dieses Teams?« Wen wundert’s, wenn bei einer solchen Frage die meisten sich auf der unklaren Seite der Skala sahen? Schließlich empfanden sie sich ja nicht mal als Team. Aber schon die Diskussion darüber verfehlte ihre Wirkung nicht.

»Leute, wenn sich hier was verändern soll, dann müssen wir uns als Team begreifen«, mahnte Johannes Barth. »Ständig meckern und Schuld verteilen hilft nicht. Wir müssen gemeinsam vorgehen, sonst macht das doch alles keinen Sinn.«

»Aber was soll denn im Team besser werden, wenn zum Beispiel Färber und Kamensieg sich ständig zoffen?«, erwiderte Wenke Schneider. »Die müssen doch erst mal ihren Krieg beenden.«

»Da gibt's noch einige andere, die hier Krieg führen«, erwiderte Klaus Färber mit Blick auf Johannes Barth und mich.

»Wir werden noch Gelegenheit haben, die Rolle eines jeden Einzelnen zu beleuchten«, unterbrach Eb Schmidt den aufkeimenden Zwist. »Fest steht, dass zum Zeitpunkt der Befragung Einigen die Bedeutung des Teams nicht klar war. Ich bin zuversichtlich, dass sich das ändern wird. Können Sie denn zum jetzigen Zeitpunkt den Aussagen zustimmen, die Verbesserungspotenzial benennen?«

Wir gingen die entsprechenden Aussagen durch:

 Der Austausch untereinander muss besser werden.

 Wir müssen mehr zusammenwachsen.

 Wir sollten alle an einem Strang ziehen.

 Wir sollten als Team hinter der Chefin stehen.

Bei den ersten drei Punkten hatten alle zugestimmt, bei diesem letzten aber wurde es plötzlich still.

»Das kommt von mir«, sagte Jasper Kamensieg, »das finde ich wirklich. Frau Jordan wird ständig zum Sündenbock gemacht, wenn was nicht läuft. Ist ja auch einfach. Sie hat die Verantwortung. Aber sich mal an die eigene Nase zu fassen, kommt so schnell keinem in den Sinn.«

Ali Ben Nasul nickte und fügte hinzu: »Und wir kommen auch nicht weiter, wenn wir uns vielleicht mal als Team begreifen können, aber die Chefin außen vor ist.«

»Na, das heißt aber auch, dass sie sich umgekehrt hinter uns stellen sollte«, gab Wenke Schneider zu bedenken.

»Richtig«, meldete ich mich zu Wort. »Ich bin bereit zu lernen. Mir ist es wichtig, dass wir uns als Team begreifen, zu dem ich genauso zähle wie alle anderen hier.«

Prioritäten setzen

»Das bringt uns schließlich zum nächsten Punkt: ›Präziser Fokus‹«, lenkte Herr Schmidt die Aufmerksamkeit wieder auf den Bericht. »Die Leitfrage zu diesem Thema ist: Verstehen wir unsere vergangene und gegenwärtige Situation mit Blick auf eine inspirierende Zukunft? Das heißt also: Haben wir alle Ressourcen auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet?« Ich stutzte, als ich das hörte. ›Ressourcen‹ – diesen Begriff hatte ich bisher immer nur im Zusammenhang mit der Bewältigung unserer Aufträge gesehen. Die Verbindung mit einem Ziel, das nicht konkret mit einem Auftrag zusammenhing, erschien mir höchst seltsam. Und nicht nur das, wenn von ›Ressourcen‹ die Rede war, hatte ich bisher immer Kapital und Anzahl der Arbeitskräfte im Kopf gehabt. Was nun kam, war eher das, was man wohl als softe Faktoren bezeichnet, wie schon die erste Frage zeigte:

»Um die Situation effektiv zu ändern, müssen wir klare Prioritäten setzen. Wie gut beherrscht das Team dies?«

Die überwiegende Zahl der Sternchen in der Skala schwebte über der 1. Was für ein katastrophaler Wert, dachte ich bei mir. Die Kommentare, die die UnternehmensBeatmer dazu im Bericht aufgelistet hatten, betrafen überwiegend mich. Während Johannes Barth und Klaus Färber wohl ganz gut im Prioritätensetzen waren, bemängelten alle, dass ich mich verzetteln würde, dass ich Aufgaben nicht klar verteilte und dass ich mich immer unterbrechen ließe, wenn man mit mir redete oder ich etwas erledigte. Fast alle brachten Beispiele vor, die diese Aussagen belegen sollten. Es stimmte, das musste ich zugeben. Ich wollte für alle da sein und niemanden abweisen, der mir etwas sagen wollte. Und dann passierte es mir, dass ich plötzlich ganz was anderes machte, als ich ursprünglich vorhatte. Ich gelobte Besserung. Das ermutigte wohl Klaus Färber. Er schlug vor, da in seiner Abteilung Holzbau auch fehlende Prioritäten beanstandet wurden, dort eine Prioritätenliste auszuhängen und regelmäßig zu aktualisieren. Das stieß auf allgemeinen Beifall. So wie mit diesem Punkt der Situationsanalyse ging es mir bei fast allen weiteren. Manche Ergebnisse überraschten, andere wiederum weniger – immer aber gab es irgendeinen Blick in eine ganz individuelle oder eher allgemeine Bewertung, die mich erstaunte.

»Lassen Sie uns die Situationsanalyse in eine kleine Übung übertragen, die das Wichtigste aus allen Bereichen zusammenfasst.« Eb Schmidt bildete Zweiergruppen nach dem Zufallsprinzip und stellte ihnen eine Aufgabe: »Stellen Sie sich vor, die WAZ, die Westdeutsche Allgemeine Zeitung, würde über Jordan Seniorenbauten berichten und hätte diese Analyse vorliegen. Bitte beantworten Sie die folgenden Fragen:

1 Wie würde die Schlagzeile lauten?

2 Gab es Überraschungen?

3 Was sticht heraus?

4 Welche Themen müssen unbedingt angesprochen und gelöst werden?

5 Was passiert, wenn nichts passiert?

Die Teams stellten ihre Ergebnisse anschließend auf verschiedenen Flipcharts vor. Natürlich gab es unterschiedliche Aussagen, aber doch mehr Übereinstimmungen. Die emotionalste Schlagzeile hatten Klaus Färber und Jasper Kamensieg gefunden. Offensichtlich hatten die beiden Dauerkontrahenten in der gemeinsamen Bewältigung der Aufgabe recht gut zusammengefunden. Jedenfalls standen sie nebeneinander vor den anderen und präsentierten stolz ihr Ergebnis:

Schlagzeile: Schonungsloser Einblick ins Führungsteam
Überraschung: Die meisten würden gerne mehr Verantwortung übernehmen und ein Team werden
Was sticht heraus: Dass sich alle einig sind, dass die Zusammenarbeit und die Kommunikation verbessert werden müssen, dass aber Berührungsängste bestehen und Anfeindungen im Raum stehen.
Themen, die gelöst werden müssen: Berührungsängste auflösen und Anfeindungen klären. Die Rolle von Achim Hagedorn und insgesamt die Zuständigkeiten, Kompetenzen und Verantwortungen, die mit jeder Rolle einhergehen.
Was passiert, wenn nichts passiert? Katastrophe! So kann es auf keinen Fall weitergehen.

Es stellte sich heraus, dass alle drängenden Themen, die diese beiden und die anderen herausgearbeitet hatten, die beiden Schritte ›Wirkungsvolles Mindset‹ und ›Klares Rollensystem‹ auf unserem Reiseplan betrafen. »Widmen wir uns also jetzt diesen Themenkomplexen«, beendete Eb Schmidt die Übung.

Vom seidenen Faden zum gemeinsamen Strang

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