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3 Inspirierender Sinn Der Betriebszweck

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»Ich denke, wir sind bereit, den nächsten Schritt zugehen«, startete Steffen Karneth die nächste Phase. »Es geht darum, eine Art Leitgedanken zu entwickeln: Warum wir tun, was wir tun. Und mit welchem Anspruch. Welche Ziele wir gemeinsam verfolgen und welche Werte wir uns selbst und anderen gegenüber vertreten. Das bedeutet konkret, dass wir ein Leitbild entwickeln.« Um uns die Arbeit ein wenig zu erleichtern, und wohl auch schon in eine bestimmte Richtung zu lenken, gab er uns ein Grundgerüst mit. »Beim Leitbild orientieren wir uns an diesen vier Koordinaten«, sagte er und wies auf ein weiteres Flipchart (Abbildung 3.1).


Abb. 3.1: Das Unternehmensleitbild

»Dazu zählen:

1 Betriebszweck: Dieser Punkt beantwortet die Frage: Was genau machen wir tagtäglich?

2 Mission: Sie beantwortet die Frage: Warum gibt es uns und was macht uns besonders?

3 Vision: Hier beantworten wir die Frage: Wonach streben wir mit allen unseren Aktivitäten?

4 Werte: Damit beantworten wir die Frage: Für welche Art von Gemeinschaft, Tugenden und Prinzipien stehen wir?

In diesem Koordinatenkreuz ist alles auf die Kundenerfahrung ausgerichtet. Es beschreibt das Spannungsfeld zwischen den eigenen Fähigkeiten und den Ergebnissen, die der Kunde erwarten kann, sowie den Nutzen, den man den Kunden liefert und die Beziehungen, die sich durch eine erfolgreiche Zusammenarbeit ergeben.

Beginnen wir mit Punkt 1, dem Betriebszweck der Firma Jordan. Wie würden Sie den definieren? Den Betriebszweck werden Sie übrigens nur intern zur eigenen Klärung nutzen, der ist nicht zur Kommunikation an die Kunden gedacht. Um Ihnen ein Beispiel zu geben, nehme ich einmal unser eigenes Unternehmen. Für unsere Growth River GmbH lautet der Betriebszweck: ›Wir entwickeln, verkaufen und liefern Change Leadership Werkzeuge für Unternehmensleiter und ihre Führungsteams.‹ Was würden Sie sagen, wie lautet der Betriebszweck für Jordan Seniorenbauten

»Wir bauen Altenheime«, antwortete Ali Ben Nasul spontan.

»Sie können doch nicht nur auf das momentane Projekt gucken«, erwiderte Johannes Barth. »In anderen Jahren bauen wir auch Rehakliniken oder Wohnanlagen.«

»Das Wort ›Betriebszweck‹ – die Betonung liegt auf ›Zweck‹ – beinhaltet doch ein ›Wozu‹, sagte Wenke Schneider. »Das heißt, wir müssen mitdenken, dass wir Anlagen bauen, die für alte Menschen gedacht sind.«

»Nein, nein, Herr Karneth hat doch deutlich gesagt, es geht darum, was wir machen. Von ›für wen‹ war nicht die Rede.«

»Ja, aber wir bauen doch nicht für irgendwen. Wir bauen doch ausschließlich Wohnanlagen für Senioren«, schaltete sich Jasper Kamensieg ein.

»Ja, gehört denn das ›für wen‹ zum Betriebszweck?«, wollte Herr Nasul wiederum wissen. Dabei betonte er, wie üblich, die erste Silbe jedes Wortes.

»Dann müssten wir doch die Kirche nennen. Schließlich bauen wir in deren Auftrag, also für die.« »Aber auch hier wieder: Doch nicht nur. Die Kirche ist zwar unser größter Kunde, aber wir haben ja auch andere. Ich denke nur an die Kreisverwaltung.«

»Eine Verwaltung ist doch kein Auftraggeber, sondern nur dessen Organ«, meldete sich jetzt Urs Meckenrath zu Wort.

»Und es sind nicht irgendwelche Anlagen, es sind Großanlagen.«

»Und außerdem bauen wir nicht nur, wir planen auch.«

»Und entwickeln neue Gebäude.«

»Und verkaufen.«

Die Diskussion nahm an Fahrt auf und es dauerte ziemlich lange, bis sich alle auf eine Formulierung geeinigt hatten: Der Betriebszweck von Jordan Seniorenbauten ist das Planen, Verkaufen und Bauen seniorengerechter Großanlagen für Kirchen und öffentliche Auftraggeber.

Erleichterung machte sich breit. Und auch eine gewisse Zufriedenheit. Die Führungskräfte hatten zum ersten Mal in dieser Ausführlichkeit über ein übergeordnetes Thema, das kein Projekt betraf, miteinander diskutiert und sich auf einen gemeinsamen Nenner geeinigt, der die Basis für ihre Zusammenarbeit legte. Denn war nicht auch der Betriebszweck der Sinn des Unternehmens?, ging es mir durch den Kopf.

»Wir lassen es für heute dabei bewenden«, sagte Steffen Karneth mit Blick auf die Uhr, »und werden auf die drei anderen Bereiche des Leitbildes an anderer Stelle eingehen.«

Wie ein Kraftakt in Sachen Einigung war mir die ganze Diskussion vorgekommen. Ich hätte nie gedacht, dass ein so einfaches Wort wie ›Betriebszweck‹ so unklar sein oder so viele verschiedene Deutungen erfahren könnte. Wie sollte das nur weitergehen? Wenn das bei allen Themen so kompliziert sein würde und in so kleinen Schritten voranginge, hatten wir ja eine lange Reise vor uns. Wieder kamen mir Zweifel und ich musste über das nachdenken, was mir bei der Entwicklung der Führungsmannschaft wirklich wichtig war: Würden die Mitarbeiter sich tatsächlich so entwickeln, wie ich es mir erhoffte? Würde Johannes Barth nach dem Workshop etwas besonnener handeln? Würde Klaus Färber aufhören, ständig rumzunörgeln, etwas ruhiger und weniger impulsiv werden? Ich ging die ganze Riege durch und war sehr skeptisch. Die meisten waren schon Jahre bei uns und hatten sich kein bisschen geändert, obwohl ich sie oft genug auf ihre wenig förderlichen Verhaltensweisen hingewiesen hatte. Wenn die Firma sich weiterentwickeln sollte, dann musste jeder von ihnen einen gewaltigen Schritt tun und dann dürften wir uns nicht an so kleinlichen Dingen wie ›Betriebszweck‹ aufhalten. Wie sollten wir da jemals zu einem ganzen Leitbild kommen?

Die UnternehmensBeatmer gaben uns einen Bericht in die Hand, den sie Situationsanalyse nannten und baten uns, ihn in der Mittagspause zu lesen. Ich war gespannt. Das war die Zusammenfassung der Interviews nach dem Kick-off, die sie mit jedem Einzelnen von uns durchgeführt hatten. Ob sie den Mitarbeitern wohl ordentlich auf den Zahn gefühlt hatten? Dass es darum gar nicht ging, sollte mir erst viel später klar werden. Die Informationen, so hatten es die Berater allen versichert, würden vertraulich behandelt und die Ergebnisse nur anonymisiert zusammengefasst. Es sollte alles zur Sprache kommen, aber keiner würde bloßgestellt oder müsse sich zu irgendetwas vor versammelter Mannschaft bekennen. Diese Zusicherung hatten alle Führungskräfte bekommen. Den Kommentaren, die ich nach den Einzelgesprächen aufgeschnappt hatte, zufolge, waren alle sehr angetan von den Gesprächen.

»Endlich hat mir mal jemand in aller Ruhe zugehört!«, hatte Jasper Kamensieg mit Blick zu mir gesagt.

»Die haben mit ihren Fragen ja regelrecht ins Schwarze getroffen«, war Wenke Schneiders Kommentar. »So offen habe ich hier noch nie reden können.«

»Puh, das ging ganz schön ans Eingemachte. Da blieb nichts an der Oberfläche«, meinte Klaus Färber.

Da hatten die beiden es durch intensives, einfühlsames Zuhören und die zugesicherte diskrete Behandlung offensichtlich geschafft, ein gutes Maß an Vertrauen der Führungskräfte zu ihnen aufzubauen. Gleich würden wir hören, wie es um unser Team stand.

Die Mittagspause begann und als hätte sie es gerochen, rief mich die junge Frau von der Grube aus der Verwaltung auf dem Handy an und berichtete von einer Fehllieferung. Ich musste dringend ins Büro. Ich ging zu Steffen Karneth, erklärte ihm, was los war, und entschuldigte mich für den Nachmittag. Aber wider Erwarten ließ er mich nicht mit bedauernden Worten gehen, sondern erinnerte mich an meine Verpflichtung. »Ja aber«, stotterte ich überrascht, »Ich dachte, das gilt mehr für die Führungskräfte …, also die Männer und Frau …« Er konnte doch nicht so unhöflich sein, mich aufzuhalten. »Sind Sie denn keine Führungskraft?«, fragte er entwaffnend. Er bat mich, genau abzuwägen, ob Frau von der Grube nicht doch noch drei Stunden warten oder jemand anderes ihr beistehen könne. Er ließ so lange nicht locker, bis ich nach zwei weiteren Telefonaten verkündete: »Okay, ich bleibe!« Herr Karneth schien sich aufrichtig darüber zu freuen, dass ich das Problem in andere Hände gelegt hatte. »Wie sagte schon Laotse?«, lächelte mich Herr Schmidt an, der gerade dazugekommen war und mitbekommen hatte, worum es ging. »Wer nicht genügend vertraut, wird kein Vertrauen finden.«

Vom seidenen Faden zum gemeinsamen Strang

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