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2 Das Team bricht auf
Оглавление»Mein Name ist Johannes Barth, ich bin 58 und seit meiner Lehre, also seit über 40 Jahren hier in der Firma. Als Betriebsleiter bin ich stolz darauf, für Jordan Seniorenbauten zu arbeiten, weil …« Johannes stockte einen Moment und suchte nach Worten. »Na ja, seniorengerechte Anlagen werden eben gebraucht«, beendete er seine Vorstellung etwas hilflos. Nach und nach stellten sich meine sechs Führungskräfte den beiden UnternehmensBeatmern, Eb Schmidt und Steffen Karneth, vor: Klaus Färber, 53, Leiter Holz- und Fertigteilebau, Wenke Schneider, 38, Planungsleiterin, Jasper Kamensieg, 42, Einkaufsleiter, Ali Ben Nasul, 50, Bauleiter und Urs Meckenrath, 31, der Marketing- und Verkaufsleiter.
Es war das erste Treffen, das die UnternehmensBeatmer Kick-off nannten und das dem gegenseitigen Kennenlernen diente. Die Vorstellungsrunde hatten sie verknüpft mit der Anforderung, dass jeder einen Grund nennen sollte, warum er stolz war, für Jordan Seniorenbauten zu arbeiten. Doch was die anderen Fünf da anschließend rausbrachten, war auch nicht viel besser. Bei allen nur Gestammel oder sie plapperten einfach nach, was schon gesagt wurde. Das fing ja gut an. Klar, dass diese Aufgabe mir als Inhaberin leichter fiel, aber identifizierte sich denn keiner meiner engsten Mitarbeiter mit dem Unternehmen?
Eb Schmidt schien das anders zu sehen. Er bedankte sich ausdrücklich für die Mühe, die sich jeder bei der Beantwortung der Frage gegeben habe, gerade weil sie wohl nicht so einfach zu beantworten war. Dann stellte er sich selbst vor. »Ich trage in unserem Team den Beinamen ›der Gelassene‹«, begann er. Er war der Ältere der beiden, hatte Maschinenbau studiert und viele Jahre bei Miele gearbeitet, was ihm offensichtlich ein gewisses Wohlwollen bei meinen Führungskräften einbrachte.
Ich schmunzelte insgeheim. Manche aus meiner Führungsriege hatten offenbar Bedenken gehabt, insbesondere gegenüber »Studierten«, wie sie Akademiker manchmal etwas abschätzig nannten, weil sie ihrer Meinung nach die »wahre« Praxis gar nicht kannten und die Arbeitswelt nach Lehrbuch zu verändern suchten. Was aber auch ich nicht wusste und was mich einigermaßen erstaunte, da ich Eb Schmidt als recht konservativ einschätzte: Er hatte Indien bereist und sich ausgiebig mit Meditation befasst. Mit Mitte 40 kündigte er bei Miele, um mit Frau und zwei Kindern in die USA zu ziehen und dort zehn Jahre in einer spirituellen Gemeinschaft zu leben. Gleichzeitig arbeitete er als COO eines weltbekannten Flötenherstellers, machte sich dann als Berater für Zeitmanagement selbstständig und kehrte anschließend nach Deutschland zurück. Das war eine Menge ›Welt-Erfahrung‹ gegenüber einer Riege, die größtenteils aus Handwerkern hier aus der Gegend bestand. Ich war gespannt, wie das bei den Leuten ankommen würde.
Auch Steffen Karneth, der Jüngere, erzählte eine ungewöhnliche Geschichte. Er war in Ostdeutschland aufgewachsen, wo er es zur Meisterschaft in Gewichtheben gebracht hatte. »Ich bin der Flexible in unserer Runde«, stellte er sich vor, »was nicht nur dafür steht, dass ich seit vielen Jahren Yoga praktiziere. Ich gehe gerne ungewöhnliche Wege«, fügte er mit einem Zwinkern hinzu. Steffen Karneth hatte ein Jurastudium abgebrochen und als Kellner und Serviceleiter in verschiedenen Hotels und Restaurants gearbeitet, bis er sein Verkaufstalent entdeckte und bei Cisco Systems in Amsterdam und Frankfurt Karriere machte. Karneth und Schmidt hatten sich 1994 auf einer Indienreise kennengelernt und kurze Zeit später gemeinsam mit ihren Frauen ein Zentrum für eine weltweite spirituelle Bewegung in Köln ins Leben gerufen. Richard Hawkes, den Gründer von Growth River, lernten beide über ein Beratungsprojekt für diese Bewegung kennen. Er inspirierte sie, sich mit seiner Methode selbstständig zu machen und so gründeten die beiden Freunde 2011 Growth River Deutschland und haben seitdem das amerikanische System für den deutschen Markt angepasst und weiterentwickelt.
Diese doch recht persönlichen Vorstellungen der beiden weckten offensichtlich schon eine gewisse Sympathie bei meinen Leuten. Und lag nicht auch ein Funken Hoffnung in ihren Augen, als Steffen Karneth nun den Sinn des Workshops erläuterte?
»Unsere Arbeit zielt darauf, dass alle in einem Führungsteam verbundenen Menschen vertrauensvoll und erfolgreich zusammenwirken. Das hat nicht nur Auswirkungen auf das Team selbst, sondern es ermöglicht, im gesamten Unternehmen eine Kultur zu etablieren, in der Zusammenhänge verständlich werden und eine Verbundenheit aller spürbar wird. Das ist nur möglich, wenn Sie als Führungskräfte den Mut aufbringen, authentisch zu handeln, auf ihre Intuition zu hören, sie selbst zu sein und anderen Wertschätzung entgegenzubringen.« Ein leichtes Räuspern und Hüsteln machte sich bemerkbar.
Steffen Karneth fuhr unbeirrt fort: »Wir verstehen diese vertrauensvolle Verbundenheit in einem Team als Basis für die notwendige kreative Reibung. Die Verschiedenheit aller Charaktere und beruflichen Interessen kann so für alle Prozesse im Unternehmen nutzbar gemacht werden. Und sie schafft neben dem wirtschaftlichen Erfolg eine Zufriedenheit, die sich weit über den Arbeitsalltag hinaus erstreckt.«
›Vertrauensvolle Verbundenheit‹ – das klang fast zu schön, um wahr zu werden. Das hatte ich in meinem Leben als Unternehmerin und als Tochter des vorherigen Inhabers in all den Jahren noch nie erlebt. Und von Erzählungen befreundeter Unternehmer wusste ich, dass die Versprechungen von Unternehmensberatern zu oft zu großspurig waren. Hatten die beiden meine Gedanken gelesen? Eb Schmidt jedenfalls beschrieb recht offen, was die UnternehmensBeatmer von anderen Unternehmensberatern unterschied:
»Die meisten Berater leisten gute Arbeit und der zusätzliche Blick von außen ist so gut wie immer hilfreich. Die Preisfrage ist: Wonach sucht der Chef? Stehen Firmenübernahmen, größere Umstrukturierungen oder Entlassungen an und möchte das Management sich entlasten, dann beauftragt man gerne renommierte Beratungsunternehmen, ich nenne sie mal ›McKinseys‹. Die schauen sich die Zahlen an, mischen sie ordentlich durch und präsentieren am Ende ein Modell, in dem die Mitarbeiterzahlen gehörig geschrumpft sind. Dann geht es mit Kündigungen und Kosteneinsparungen weiter wie bisher. Bis sie erneut kommen müssen, weil sich nichts Grundlegendes geändert hat.
Dann gibt es zum anderen die Coaches. Sie nehmen sich des ein oder anderen Mitarbeiters an, der geschult und entwickelt werden soll und entlassen ihn am Ende in die gleiche Gemeinschaft von Kollegen, die weiterhin mobbt oder ihre eigenen Vorteile sucht oder einfach schlecht zusammenarbeitet.
Und dann gibt es uns. Wir bringen Führungsteams zusammen und schaffen genau die Rahmenbedingungen, die alle auf den gemeinsamen Erfolg ausrichten. Diese verhindern, dass persönliche Animositäten, Karrierewünsche Einzelner, Neid, Missgunst, divergierende Ziele, schlechte oder mangelhafte Aufgabenverteilung, das Abschieben von Verantwortung und vieles mehr einer guten Zusammenarbeit im Wege stehen. Wir wollen nicht in zusammenhanglosen, sterilen Seminaren punktuell wirken, was dann im Arbeitsalltag nur allzu schnell wieder verloren geht, sondern unsere Arbeit erstreckt sich über einen längeren Zeitraum, in dem wir Teams begleiten. Ich nenne es gerne ›Operation am offenen Herzen‹, denn letztlich geht es darum, dass aus Kollegen sich unterstützende Teamplayer werden. Das schaffen wir, indem wir einen Kontext kreieren, der die gegenseitige Abhängigkeit berücksichtigt und bewusst macht, der eine wertschätzende Kommunikation befördert und eine positive Entwicklung ermöglicht. Jede Verbesserung ist eine, die das gesamte Team weiterbringt. Und beginnen tut das alles mit der Bereitschaft der TOP-Führungskraft, sich als wesentlicher Teil des Veränderungsprozesses zu sehen. Diese hat erkannt«, Eb Schmidt schaute mich an, »dass die bewusste Gestaltung der Unternehmenskultur eine Reise ist – eine Reise zu Hochleistung bei niedrigem Puls.«
Die Reihe war an mir, darauf hatten die beiden mich vorbereitet. Ich musste meine Mitarbeiter bestens motivieren, jedem die Dringlichkeit der Veränderung klar machen. Das war ganz in meinem Sinne. Wenn ich schon das Wagnis einging, Berater ins Boot zu holen, dann wollte ich, dass wir den höchstmöglichen Gewinn daraus zögen.
Also fasste ich zum ersten Mal vor allen Führungskräften zusammen, wie es um Jordan Seniorenbauten stand. Ich ging auf die zunehmenden Beschwerden der Kunden ein, die zum großen Teil berechtigt waren, auf die Mitarbeiterkündigungen, die teilweise dafür verantwortlich waren, dass die Lieferzeiten nicht eingehalten werden konnten, was wiederum dazu führte, dass die Zahlungsmoral gesunken war. Ich berichtete von zwei großen und mehreren kleinen Qualitätsmängeln, die mich in Schwierigkeiten gebracht und schließlich zu Rabatten geführt hatten, die nicht einkalkuliert waren. Dass ich aufgrund fehlender Einnahmen einige Investitionen zurückgestellt hatte und nun nicht wusste, wie wir den Bau des Altenheims in der Hauptstraße gut zu Ende bringen sollten, weil jetzt auch noch Bodo Beyer gekündigt hatte. »Obwohl wir in diesem Jahr schon drei Mitarbeiter mehr haben als im vergangenen Jahr, haben wir bisher nicht eine müde Mark mehr erwirtschaftet«, erklärte ich die Situation. »Dabei müssen wir dringend weitere Mitarbeiter einstellen, wie Sie alle wissen. Das bedeutet mehr Ausgaben bei weniger Einnahmen. So kann es nicht weitergehen. Es muss sich etwas ändern. Und dabei müssen alle – jeder Einzelne von uns – mitziehen, sonst wird es uns nicht gelingen. Und was das bedeutet, wissen Sie!«
Als ich schließlich geendet hatte, herrschte betroffenes Schweigen.
»Dass es so schlimm ist, habe ich nicht gewusst«, meinte Klaus Färber. Und sofort fielen die anderen ein. Außer Johannes Barth war sich keiner im Klaren über das Ausmaß der Probleme. Alle hatten nur einzelne Details mitbekommen, keiner kannte die Gesamtsituation. Umso mehr freute mich der aufmunternde Satz unseres Marketingleiters, Urs Meckenrath, zum Abschluss: »Wir ziehen den Karren schon aus dem Dreck, Chefin. Gemeinsam!«
Nach dieser Stunde gegenseitigen Vorstellens ging es in die Einzelgespräche. Die UnternehmensBeatmer hatten einen Fragenkatalog vorbereitet, den sie mit jedem unter vier Augen durchgehen wollten, um so zu einer Situationsanalyse zu kommen, die jede einzelne Sicht berücksichtigte, aber auch eine Gesamtschau erlaubte. Zugegeben, das machte mich ein wenig nervös, weil ich diese Gespräche ja nicht kontrollieren konnte und nicht wusste, was da hinter verschlossenen Türen vor sich ging. Ich kannte den Fragenkatalog nicht, wusste aber aus dem Vorgespräch mit den UnternehmensBeatmern, dass unter anderem Führungsstile beleuchtet würden – auch meiner. Ja, ich stand genauso auf dem Prüfstand wie alle meine Führungskräfte. Kein angenehmes Gefühl, aber nun gab es kein Zurück mehr.