Читать книгу Katharina und Abigail - Edeltraud-Inga Karrer - Страница 12

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8.

»Nach der Hochzeit zog meine Mutter mit ihrem Ehemann in sein Dorf. Es erwartete sie viel Arbeit, viele Kinder und eine Schwiegermutter, die durch die zahlreichen Geburten ausgemergelt und froh war, endlich eine junge, tatkräftige Unterstützung zu bekommen.

Die romantische Seite dieser Ehe hatte sich schnell unsichtbar gemacht. Ihr Mann, in den sie doch so verliebt war, kam immer öfter erst spät in der Nacht nach Hause. Das Kartenspiel ließ ihn nicht los. Meine Mutter erzählte mir, dass er oft frische, schneeweiße Hemden anziehen wollte, wenn er abends wegging. Das hatte bei ihr den Verdacht aufkommen lassen, dass er nicht nur zum Kartenspiel unterwegs war. Sie wurde immer trauriger.«

Katharina unterbrach an dieser Stelle ihren Bericht, weil sie sich durch Abigails Reaktion gestört fühlte.

»Männer! Ich sag es ja immer wieder – auf keinen ist Verlass!« Sie konnte es sich einfach nicht verkneifen.

»Wollen wir das jetzt erst diskutieren oder kann ich fortfahren? Dein Stöhnen und deine Bemerkungen zwischendurch bringen mich ganz aus dem Redefluss. Wollen wir nicht erst einmal deine Probleme ansprechen? Seit Tagen merke ich doch, dass du etwas mit dir herumschleppst.«

»Blödsinn, ich schleppe nichts mit mir herum! Lass uns einfach weitermachen. Aber jede Resonanz auf deine Erzählung kann ich leider auch nicht unterdrücken. Es empört mich, wenn ich wieder einmal höre, wie selbstverständlich Männer sich herausnehmen, ihren Interessen nachzugehen und die Frauen die Verantwortung tragen zu lassen. Ich werde stinksauer, wenn darüber wie selbstverständlich hinweggegangen wird. Aber ich bin da vielleicht auch ein bisschen zu empfindlich. Komm, lass uns bitte einfach fortfahren!«

Katharina fand es ganz schön frech, wie Abigail sie unterbrach und ihr das Wort abschnitt. Doch sie nahm es zunächst einmal unkommentiert hin und fuhr fort:

»Ihre Schwägerinnen und Schwäger hätten leicht ihre Kinder sein können. Von den Jüngeren gingen noch einige in die Schule. Zu ihrer Versorgung kamen die eigenen, die nicht lange auf sich warten ließen.

Es war für die junge Frau fast zu viel, was sie ertragen musste. Irgendwann konnte sie einfach nicht mehr. Die Enttäuschung und die vielen Aufgaben hatten an ihrer Energie gezehrt und so spannte sie eines Tages die Pferde an, nahm ihre beiden Kinder und fuhr zurück zu ihrem Elternhaus. Sie war es gewöhnt, den Einspänner zu kutschieren.

Ihr Vater nahm sie schon am Tor in Empfang und sah ihren Schmerz. ›Du kannst mit deinen Kindern bei uns bleiben. Du musst nicht zurück. Hier ist dein Zuhause, wenn du willst.‹ Er nahm sie in den Arm und sie schmiegte sich wie eine Ertrinkende an ihn. Sein Angebot tröstete sie. Sie blieb drei Wochen bei ihren Eltern, dann zog es sie wieder zurück zu ihrer Verantwortung, die sie glaubte, ihrem Mann, den Schwiegereltern und all den Kindern gegenüber zu haben. Ihr Vater fragte sie, ob sie ganz sicher sei, dass es richtig wäre, was sie nun vorhabe. Sie nickte, winkte ihm zu und fuhr davon.

Es war Krieg. Mein Großvater hatte seinem Sohn einige Jahre zuvor die Schmiede übergeben. Mein Vater war der Einzige, der sie fortführen konnte. Meine Onkel waren, bis auf einen, bereits an der Front. Onkel Heinz, der als Junge mit Schwarzpulver experimentierte und dabei drei seiner Finger an der rechten Hand verlor, konnte weder eingezogen werden noch das Handwerk eines Schmieds erlernen.

Mama erzählte uns von der schönen Stadt Posen, die die Hauptstadt des Warthegaus war. Sie wohnten in der Nähe von Litzmannstadt. Wenn sie zum Beispiel Papiere für die Errichtung von Gebäuden brauchten, mussten sie nach Litzmannstadt. Immer, wenn die Mutter von diesen beiden Städten berichtete, geriet sie fast ins Schwärmen und es lag Wehmut und Heimweh in ihrer Stimme. Manchmal liefen auch Tränen. Immer wieder sprach sie davon, wie gerne sie zurückgehen würde, dorthin, wo sie sich auskannte. Aber ich bin sicher, sie hätte sich nicht mehr zurechtgefunden.«

Katharina trank einen Schluck auf ihrer Kaffeetasse und fuhr fort: »Meine Großeltern väterlicherseits hatten zwölf Kinder. Ich glaube, vier oder fünf starben schon im Kleinkindalter. Vier ihrer Söhne, viel zu jung, um schon zu kämpfen, blieben auf dem ›Feld der Ehre‹. Es war schrecklich mit anzusehen, wenn wieder eine Todesnachricht von der Front meine Oma und den Opa erreichte. Dann saßen sie da, Hand in Hand, und beweinten ihre Söhne.

Der Krieg riss tiefe und furchtbare Schneisen durch fast alle Familien. Täglich erreichten neue Hiobsbotschaften das kleine Dorf, das so viele junge Männer an die Front hatte schicken müssen. Befehl war Befehl!

Dann traf es auch Amalias Mann, unseren Vater, der eigentlich nicht hätte eingezogen werden sollen, da der älteste Sohn zu Hause bleiben durfte und normalerweise vom Wehrdienst freigestellt war. Doch irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem alles, was männlich war und wenigstens schon ein paar Flaumfedern hatte, wie meine Mutter es ausdrückte, für den Führer und die Heimat verheizt wurde. Nur zwei Onkel überlebten diesen entsetzlichen, grausamen und nutzlosen Krieg, der als nur Schmerz, Trauer, Elend, gebrochene Biographien und verstümmelte Seelen hinterließ.

Nachdem mein Vater gestorben war, übernahm mein Großvater wieder den Betrieb. Er, ein sehr weiser Mann, führte eines Tages ein ernstes Gespräch mit Amalia, meiner Mutter. Sehr eindringlich machte er ihr klar, dass dieser Krieg immer noch Opfer suchte und es für alleinstehende Frauen und deren Kinder besonders gefährlich war. Sie bräuchte einen Beschützer. Er hatte noch einen Sohn, den Jüngsten, der in Estland stationiert war. Er legte ihr nahe, sich einmal zu überlegen, ob das nicht eine Option wäre.

Als dieser Onkel zu seinem nächsten Fronturlaub zu Hause eintraf, schlug mein Opa ihm vor, Amalia zu heiraten, und trug ihm auch seine Gründe dafür vor. Damals waren Gefühle nicht so wichtig wie Hausverstand. So heiratete meine Mutter, die zu diesem Zeitpunkt mit dem fünften Kind schwanger war, das noch von meinem Vater gezeugt wurde, bevor dieser einem nutzlosen und sinnlosen Tod zum Opfer fiel. Dann musste unser neuer Papa wieder zurück an seinen Stationierungsort.«

Inzwischen war es Abend geworden. Der Spaziergang ließ sie ein wenig durchatmen. Katharina scheute sich, über die Veränderung in ihrer Beziehung zu reden. Nicht jetzt, wo Abigail so friedlich und ausgeglichen zu sein schien. Und möglicherweise hatte sie es sich ja wirklich nur eingebildet. Sie war es einfach nicht mehr gewöhnt, einen Menschen täglich so nah um sich zu haben.

Die letzten müden Vögel hörten sie noch leise piepsen, es wurde kein Lied mehr. Kein Mensch war unterwegs. In den Häusern brannten hier und da Lichter. Bei den meisten waren schon die Vorhänge zugezogen oder die Rollos heruntergelassen.

Die Nacht schritt voran, und auch die beiden Frauen brauchten nicht lange, bis sie eingeschlafen waren.

Katharina und Abigail

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