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Kapitel 16

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Aruni saß im Schneidersitz auf ihrem Bett, hinter ihrem Rücken lag griffbereit ein langer Holzsplitter, den sie von einem Brett an der Wand abgebrochen hatte. Dieser Dämon würde sie nicht noch einmal wehrlos erwischen. Sie hatte die Augen geschlossen und lauschte. Wo blieb Ash? Nach einer Weile stand Aruni auf und ging zur Tür. Sie machte sie auf, um in den Gang zu sehen ... und stieß sich die Stirn an Lierds Faust.

„Aua. Du Idiot“, schimpfte Aruni. „Was soll das?“

Verdutzt sah er sie an. „Tut mir leid, ich wollte nur anklopfen.“

Malenka schob ihn zur Seite und nahm ihre Tochter in die Arme. „Aruni, mein Fünkchen“, säuselte sie. „Was muss ich da hören? Du bist nicht glücklich zuhause?“

Aruni machte sich los. „Mama, ich bin hier nicht zuhause. Aber genau da will ich jetzt wieder hin, in meine Wohnung.“

Sie zögerte einen Moment und fragte dann leise: „Ist Papa tot?“

Malenka lachte. „Noch lange nicht. Wie kommst du darauf?“

„Ziemlich lebendig“, murmelte Lierd.

Aruni sah verwirrt zwischen ihrer Mutter und ihrem Bruder hin und her.

„Ich verstehe nicht. Du hast doch gesagt … Wo ist er?“

„Verdammt, was für ein Durcheinander“, schimpfte Arunis Mutter leise vor sich hin. „Komm mit.“

Aruni lief hinter ihrer Mutter her, Lierd blieb hinter ihrem Rücken. Wohl, damit sie nicht abhauen konnte.

„Was hab ich da gehört von Aidan?“, fragte Malenka plötzlich und blieb stehen. „Hat er dir wehgetan?“

„Fast“, sagte Aruni nur. „Ich will nicht darüber reden.“

„Verdammt“, murmelte Malenka. Sie sah unbeholfen zu ihrer Tochter. Dann drückte sie deren Schulter und setzte ihren Weg fort. Trösten war Arunis Mutter schon immer schwer gefallen.

Sie kamen zu Malenkas schwerer Holztür. Malenka zog den Feuerstein aus der Tasche ihres Kimonos und platzierte ihn in dem Emblem im Fels neben der Tür. Aruni sah jemanden im Zimmer, stutzte kurz, und stürzte dann mit einem Aufschrei hinein. „Papa!“, rief sie und warf sich in seine geöffneten Arme.

„Meine Kleine!“ Ihr Vater drückte sie fest. Dann löste er sich von ihr und sah sie ernst an. „Wie geht es dir?“

„Gut, also jetzt. Papa, was machst du hier? Wo warst du so lange? Ich hab dich gesucht!“ Die Worte sprudelten nur so aus Aruni heraus.

„Ich war hier“, sagte er nur. „Bei deiner Mutter.“

Ash trat aus den Schatten heraus.

„Wer bist du? Wie kannst du es wagen, ohne Erlaubnis in meine Höhle einzudringen?“, fragte Malenka und trat einen Schritt auf Ash zu.

„Ich bin Arunis Freundin“, erklärte Ash schnell und wandte sich dann an Aruni.

„Dein Vater ist hier und war hier, damit du bei den Menschen sein konntest. Es war eine Abmachung. Sie gilt noch fünf weitere Jahre. Aber da du jetzt hier bist ...“

Sie brach ab und sah zu Malenka.

Die schloss langsam ihren Mund und setzte sich schwerfällig auf die Bettkante. „Abmachung? Ja, natürlich war es eine Abmachung. Aber er wollte doch auch bei mir sein, und Aruni wollte unbedingt die Welt erkunden. Was hätte ich denn tun sollen?“

Aruni sah zu ihrer Mutter. „Du hast ihn als Pfand behalten?“, fragte sie ungläubig.

„Nein, ich war freiwillig hier. Es war meine Idee, und deshalb hatte deine Mutter endlich zugestimmt, dass du dein Glück über der Erde suchen durftest. Sieben Jahre klang nach einer guten Zeitspanne.“

„Oh, Papa“, flüsterte Aruni. „Dann darf er jetzt gehen“, fauchte sie ihre Mutter an.

„Nein. Ich werde hier bleiben. Die vollen sieben Jahre, und du darfst wieder nach Hause. Und dein Freund auch, nicht wahr, Malenka?“

„Mein Freund?“, fragte Aruni erstaunt. „Aidan ist ganz bestimmt nicht mein Freund. Den nehme ich nirgendwohin mit!“

„Ilvio“, erklärte Ash. „Wir sind gemeinsam herunter gekommen, um dich nach Hause zu holen.“

Ilvio war hier? „Wo ist er?“ Angst packte sie. Was, wenn ihre Dämonensippe ihn erwischt hatte? „Wo ist er?“, wiederholte sie ihre Frage und funkelte Lierd an.

Er nuschelte etwas.

„Was?“, fragte Aruni.

„Bei Jenna“, wiederholte er gerade so laut, dass sie es verstehen konnte.

Aruni rannte los, dicht gefolgt von Ash. „Jenna!“, brüllte sie, während sie lief. „Rühr' ihn ja nicht an!“ Schwer atmend kam sie vor Jennas Höhle an. Sie warf sich gegen die Tür. Die bewegte sich keinen Millimeter.

Aruni trommelte auf Jennas Tür. „Verdammt, mach auf, du blöde Schlampe!“

Ash kam neben Aruni zum Stehen, nahm eine lange spitze Nadel aus ihrem Haar, die irgendwie einem chinesischen Essstäbchen ähnlich sah, und steckte sie in das Schlüsselloch. Wie gut, dass Jenna nur diese einfache Holztür hatte mit einem fast normalen Schloss. Nach ein wenig Herumstochern ertönte ein Klicken, dann stießen Aruni und Ash gemeinsam die Tür auf.

Jenna hockte über Ilvio. Seine Augen waren verbunden, und er war ans Bett gefesselt.

„Vielleicht möchtest du zugucken, während ich ihn um den Verstand bringe?“, flüsterte Jenna, ohne sich umzudrehen.

Mit einem wütenden Aufschrei sprang Aruni auf Jenna zu, riss sie vom Bett und schleuderte sie krachend gegen einen Schrank.

„Er ist nicht dein“, brüllte Jenna und warf sich mit ausgefahrenen Krallen auf Aruni.

„Er gehört sich selbst, verdammt, aber ich liebe ihn!“, knurrte Aruni zurück und verpasste Jenna eine Ohrfeige. Jenna biss in Arunis Schulter. Aruni schrie auf.

Ihre Krallen sausten durch die Luft, Stofffetzen flogen, und von allen Seiten der Höhle hallte lautes Kreischen und Fauchen wider.

„Aruni?“, fragte Ilvio aufgeregt und zerrte erneut an seinen Fesseln.

„Ja, sie ist hier“, bestätigte Ash und nahm ihm die Augenbinde ab. „Ich löse jetzt deine Fesseln, okay?“ Mit einer scharfen Kralle durchtrennte sie den Knoten. Sie sprang schnell aus dem Weg, als er unwillkürlich um sich schlug. „Pass auf, auf wen du zielst“, empfahl sie ihm knapp.

Hektisch sah sich Ilvio im Raum um.

Aruni und Jenna rollten mittlerweile wild fauchend über den Boden und kratzten sich die Haut auf, wo ihre Krallen nur etwas zu fassen bekamen. Als Arunis Krallen von ihrer Gegnerin abglitten, biss sie ihr kräftig in den Nacken.

Jenna jaulte auf. Aruni rollte sich zur Seite und sprang auf die Füße.

„Was ist hier los?“, donnerte eine Stimme von der Tür her. Lierd.

Aruni fuhr herum und sprang fauchend auf ihn zu. „Du bist an alldem hier schuld. Du und nur du! Halt deine Schlampe gefälligst unter Kontrolle!“

Lierd packte Aruni und presste sie an seine Brust. Aruni versuchte, loszukommen und ihn ebenfalls zu kratzen, während heiße Tränen über ihre Wangen rannen. Schließlich verebbten ihre Schreie zu einem unverständlichen Murmeln. Endlich hielt sie ihre Fäuste still und ließ sich von Lierd den Rücken streicheln. Ihr Hemd und die dunkle Jeans hingen in Fetzen von ihrem Körper.

Aruni spürte, wie jemand hinter sie trat und einen leicht rauen Stoff über ihre Schultern legte. Dabei stieg ihr ein sehr bekannter Duft in die Nase. „Ilvio“, murmelte sie. Dann wiederholte sie den Namen noch einmal prüfend und wollte sich umdrehen. Lierd ließ sie langsam los. Aruni zog den Stoff enger um sich. Es war Ilvios Hemd.

Da stand er. Ihr Meereself. Sein Blick sprach Bände. Er hatte zu viel gesehen, bestimmt fand er sie jetzt abstoßend. Verzweifelt sah Aruni auf Ilvios Hemd hinunter und dann auf seine nackte Brust. In seine Augen konnte sie nicht sehen. Was, wenn er sich jetzt ihrer schämte? Sie hatte sich aufgeführt wie eine Furie. Überdies hatte man Ilvio bestimmt gesagt, dass sie mit einem Dämon gepaart werden sollte. Vielleicht kannte er sogar den Namen des für sie Ausgewählten, einen Namen, den sie garantiert nie wieder aussprechen würde. Alleine der Gedanke an ihn hinterließ schon einen schlechten Geschmack auf ihrer Zunge.

Ein Räuspern ließ sie schließlich zur Tür sehen. Da stand nun auch ihre Mutter neben Lierd. Dieser wirkte ehrlich zerknirscht. Ein seltener Anblick.

„Vergib mir“, flüsterte Arunis Mutter.

Hatte sie das wirklich gesagt? Aruni war sich nicht sicher. Wiederholen würde Malenka es sicher nicht. Auch sonst sprach niemand.

Ash stand wie eine Statue neben Ilvio und sah sie interessiert an. Sie blinzelte kein einziges Mal. Bei Katzen hieß das nichts Gutes, meinte Aruni sich zu erinnern. Im nächsten Moment rann ein tiefes Grollen durch die Mauern. Der Boden unter Arunis Füßen bebte. Schwere Schritte waren zu hören.

Aruni ließ ihren Kopf hängen und kauerte sich auf den Boden. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie ihre Mutter und ihr Bruder respektvoll zur Seite wichen.

Feuerkuss und Flammenseele

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