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Kapitel 6

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Überraschenderweise wurde Hannas Schlaf auch am Montag durch kein lautes Geräusch gestört. Gut ausgeruht kam sie mittags herunter.

Bei ihrer Rückkehr von ihrem Lauftraining mit Geisha waren die Kinder bereits aus der Schule gekommen. Mit ihrer Mutter saßen sie in der Küche beim Mittagessen. Es gab Bauernsalat mit Schafskäse, dazu Fleischspieße und Tomatenreis. Außerdem Oliven, Peperoni und frisches Fladenbrot.

„Setz dich zu uns, Hanna“, forderte Marie ihre Cousine auf. „Sicher bist auch du hungrig.“

„Eine Portion Salat könnte ich tatsächlich vertragen“, sagte Hanna und nahm neben Lisa Platz.

„Schmeckt echt lecker“, befand Sara. „Wie in Griechenland. Nur die Oliven sind ätzend.“

„Die mag ich auch nicht.“ Hanna griff nach der Salatschüssel. „Dafür liebe ich Peperoni. Die sind schön scharf.“

„Anna und Sara haben heute in der Schule auch was Scharfes erlebt“, meinte Marie wie beiläufig. „Erzählt doch mal.“

„Wir haben einen neuen Studiendirektor“, berichtete Anna, die dasselbe Gymnasium wie Sara besuchte. „Als der mit der Kaiserin in unsere Klasse kam, ist mir die Luft weggeblieben.“

„Anscheinend ein gut aussehender junger Lehrer“, vermutete Hanna. „Dazu noch so sportlich durchtrainiert, dass ihm sämtliche Mädchenherzen im Sturm zugeflogen sind.“

„Außerdem ist er super nett“, fügte Anna vergnügt hinzu. „Sein Unterricht ist richtig locker. Nicht so langweilig wie bei unserem alten Klassenlehrer. Es wurde wirklich Zeit, dass sie den Müller in Pension geschickt haben.“

„Welche Fächer unterrichtet denn euer neuer Schwarm?“

„Deutsch, Geschichte und Musik“, gab Anna ihr Auskunft. „Eigentlich wundert es mich, dass er nicht auch Biologie gibt. – Wo er sich doch so gut mit Gartenarbeit auskennt.“

„Hat er euch davon erzählt?“

„Er nicht – aber du.“

„Ich?“ Verwundert schaute Hanna sie an. „Woher sollte ausgerechnet ich ...“ Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitz, so dass ihr fast die Gabel aus der Hand fiel. „Nee, ne!?“

„Doch.“

„Dieser Radaubruder von nebenan ist wirklich dein neuer Klassenlehrer?“

„Cool, oder?“

„Darüber kann man geteilter Meinung sein. Wäre er mein Pauker, würde ich wahrscheinlich einen Schulwechsel in Erwägung ziehen.“

„Du bist unmöglich, Hanna“, tadelte Marie ihre Cousine. „Nur weil du mit Herrn Jensen nicht klar kommst, bedeutet das nicht, dass er ein unfähiger Lehrer oder Pädagoge ist. Als Studiendirektor muss er schon was auf dem Kasten haben.“

„Deine Worte in Gottes Gehörgang.“

„Wir werden ihn morgen testen“, verkündete Sara. „In unserer Klasse gibt er Geschichte. Dann wird sich herausstellen, wie cool der Herr Dr. Jensen wirklich ist.“

„Was habt ihr mit ihm vor, Sara?“ fragte ihre Mutter beunruhigt. „Ich möchte nicht, dass du ...“

„Da muss jeder neue Lehrer durch“, fiel Sara ihr ins Wort. „Ihr habt das früher sicher genauso gemacht.“

„Stimmt“, gab Marie zu. „Treibt es aber bitte nicht zu weit.“

Um Mitternacht saß Hanna als Engel der Nacht im Studio vor dem Mikrofon und begrüßte ihre Zuhörer. Mit sanfter Stimme nannte sie das Thema der Sendung und bat um Beiträge.

Wie immer gingen zahlreiche Anrufe im Sender ein. Nur ein mit Spannung erwartetes Gespräch blieb aus: In dieser Nacht meldete sich Dracula nicht zu Wort. Hannas Redakteur zeigte sich ein wenig enttäuscht darüber.

„Schade, dass Dracula nicht dabei war“, sagte Sandro, als sie am frühen Morgen die Redaktion betrat. „Auch Ulrich meinte, er würde wieder anrufen. Das wäre ein Highlight gewesen.“

„Ihr könnt doch nicht erwarten, dass der Vampir jede Nacht vor dem Radio sitzt“, erwiderte Hanna müde. „Wenn er nicht gerade arbeitslos ist, muss er morgens wahrscheinlich zeitig aus den Federn. – Oder aus dem Sarg.“

„Womöglich arbeitet aber auch er nachts“, überlegte Sandro. „Heute waren es wieder unglaublich viele Anrufe. Vielleicht ist Dracula einfach nur nicht durchgekommen!?“

„Oder er hat die Nacht in den Armen einer attraktiven, jahrhundertealten Draculine verbracht“, meinte Hanna trocken. „Vermutlich ist es sogar besser, wenn er nicht jede Nacht auf Sendung ist. Sonst glauben die Hörer am Ende doch noch, seine Anrufe seien von uns inszeniert.“

„Möglich“, räumte Sandro ein und schaute ihr dabei zu, wie sie sich wieder vollständig in die türkische Putzfrau verwandelte.

„Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr ein Mensch sich äußerlich verändern kann. Wirst du auf dem Maskenball am Samstag auch als anatolisches Dorftrampel erscheinen?“

„So fragt man Leute aus. Du wirst mich hinter meiner Maskerade sowieso nicht erkennen.“

„Deine wunderschönen Augen werden dich immer verraten“, behauptete er mit charmantem Lächeln. „Und deine aufregenden Beine und ...“

„Vergiss es“, lachte Hanna. „Meine Verkleidung wird perfekt sein.“

„Wetten wir, dass ich dich trotzdem erkenne?“

„Um was?“

„Um ein Abendessen im ersten Haus am Platze?“, schlug er vor. „Oder lieber um einen Theaterbesuch nach Wahl?“

„Um beides.“

„Okay“, stimmte Sandro zu. „Was bietest du mir an, falls du die Wette verlierst, Suleika?“

„Was möchtest du denn von mir?“

„Das bekomme ich ja doch nicht“, sagte er bedauernd. „Wie wäre es stattdessen mit einer Flasche Champagner? Zwar ist die nicht annähernd so prickelnd wie du, aber dafür musst du sie zusammen mit mir im Mondschein trinken.“

„Einverstanden“, sagte Hanna, die überhaupt nicht in Erwägung zog, diese Wette zu verlieren. „Gleich wenn ich nach Hause komme, schaue ich in der Zeitung nach, was die Theater demnächst auf dem Spielplan haben. Das wird ein teurer Spaß für dich, Sandro.“

„Abwarten“, erwiderte er gelassen. „Du kannst den Champagner schon kaltstellen.“

Angel - Engel der Nacht

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