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3.1. Norwegen und norwegischer Hof

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Die übersetzten riddarasögurriddarasögur, zu denen auch die Karlamagnús saga ok kappa hansKarlamagnús saga ok kappa hans gehört, die als Hauptvorlage der altostnordischen Karlsdichtung gilt, sind ein wichtiges Zeugnis für die Interaktion zwischen Herrschaft, Kultur und Literatur im Norwegen des 13. Jahrhunderts.1 Als Initiator für Übertragungen der höfischen Literatur ins Norwegische gilt Hákon IV. Hákonarson (1204–1263, Regierungszeit 1217–1263), der mit 13 Jahren von den Birkenbeinar, den Gegnern der sogenannten Bagler im norwegischen Bürgerkrieg, zum König gewählt wurde.2 Zwar musste er sich am Anfang seiner Herrschaft gegen andere Thronanwärter und auch seinen Vormund Skúli Bárðarson behaupten sowie seine königliche Abstammung nachweisen, in seiner Regierungszeit galt er jedoch bis zu seinem Tod als ein kluger und zurückhaltender Herrscher. Von Matthäus Paris, einem bedeutenden Geschichtsschreiber im Benediktinerkloster St. Albans in England, der sich in den Jahren 1248–1249 in Norwegen am Hof Hákons in Bergen und im Kloster Niðarhólmr aufhielt, wird er zudem als bene litteratus bezeichnet.3 Zu seinen innen- und außenpolitischen Errungenschaften zählen u.a. die Etablierung eines dauerhaften Friedens, Regelung der Thronfolge nach festen Regeln auf Grundlage des Erstgeburtsrechts und Erweiterung seines Herrschaftsbereiches auf Island und Grönland.4 Desweiteren ließ er viele Kirchen und Klöster bauen.

Das überlieferte Urkundenmaterial aus Hákon Hákonarsons Regierungszeit zeigt deutlich, dass wirtschaftliche und diplomatische Allianzen mit vielen europäischen Monarchien dieser Zeit, unter anderem mit Dänemark, Frankreich, Deutschland und England, von norwegischer Seite initiiert wurden. Hákons Bestreben war es, sein Reich nach dem Vorbild der führenden europäischen Reiche zu formen, und so pflegte er intensiven Kontakt zu Herrschern wie beispielsweise dem deutschen Kaiser Friedrich II.Þiðreks saga af Bern5 Das gute Verhältnis zwischen den beiden wird in der Hákonar saga Hákonarsonar betont, die als wichtige Quelle zu Hákons Leben und Wirken angesehen wird.6 Einen weit intensiveren Kontakt hatte Hákon jedoch zum englischen König Heinrich III., mit dem er Briefe und Geschenke austauschte. In seiner prosopographischen Untersuchung der reisenden Skandinavier in Europa zwischen 1000 und 1250 stellt Dominik Waßenhoven fest, dass die Hälfte aller Reisen, die die Norweger in dieser Zeit unternahmen, nach England führten.7 Dies ist zum einen durch die Intensivierung der Handelsbeziehungen, zum anderen durch das freundschaftliche Verhältnis zwischen Hákon und Heinrich III. zu erklären. Bis nach Tunesien sollen Hákons Gesandte gekommen sein, um dem Sultan preisgekrönte Falken zu überreichen. Der Höhepunkt seiner Allianzen mit den kontinentaleuropäischen Königshöfen wurde mit der Heirat seiner Tochter Kristín und des Bruders des spanischen Königs, Don Felipe, erreicht.riddarasögur8

Durch Kontakte zu anderen europäischen Höfen, vor allem aber zum anglonormannischen Königshof, kam Hákon auch mit der höfischen Literatur in Berührung. Von ihm stammt der Impuls für deren Übersetzungen ins Norröne: Als 22-Jähriger ließ er im Rahmen seiner Kulturpolitik den altfranzösischen Stoff um Tristan und Isolde von Bruder Robert übersetzen. Auskunft darüber gibt die Saga selbst.9

Die überaus produktive Übersetzungstätigkeit in Hákons Zeit umfasste literarische Stoffe aus den Bereichen der chansons de gestechansons de geste, matière de France, matière de Bretagne sowie der romans dʼaventure. Diese stellten im Kontext der Sagaliteratur erhebliche Innovationen dar: Sie machten das norwegische Publikum mit den „avanciertesten Formen und den neuen narrativen und rhetorischen Mitteln des höfischen Versromans“10 vertraut. Diese Initiation des norwegischen Publikums in die europäische feudal-höfische Kultur wird als eine der zentralen Übersetzungsintentionen angesehen. Eine weitere liegt in der didaktischen Funktion dieser Texte: Das neu eingeführte Hofzeremoniell und die feudalen Titel, die Hákon seinen Gefolgsmännern verlieh, bedurften einer Orientierungsgrundlage. Während das didaktische Moment bei den übersetzten Werken höfischer Literatur in der Forschung noch kontrovers diskutiert wird, etwa bei Ingvil Brügger Budal, wenn sie schreibt: „om det didaktiske aspektet i verka er spegla i dei norrøne omsetjingane er eit ope spørsmål“,riddarasögur11 so gelten didaktische Absichten eines anderen wichtigen literarischen Werkes aus Hákons Umfeld, nämlich der Konungs skuggsjá, in der Forschung als bestätigt.12 Hier sind die Parallelen zwischen den Bestrebungen des norwegischen Königs beim Aufbau einer höfischen Gesellschaft nach europäischem Vorbild und deren Verankerung in seiner literarischen Tätigkeit erkennbar, so dass man auch in den übersetzen riddarasögurriddarasögur durchaus erzieherische Elemente erkennen kann. Obgleich es Hákon nur zum Teil gelingen konnte, Norwegen zu einer feudalen Gesellschaft zu formieren, so lieferten die importierten Rittergeschichten eine ideologische Grundlage für die neue aristokratische Gesellschaft, die sich an bestimmten Idealen der Tugend, Ehre, Liebe und Ritterlichkeit orientieren sollte.

Hákon IV. Hákonarson repräsentiert einen neuen Herrschertypus des 13. Jahrhunderts: Als gebildeter und weitblickender Mann schaffte er es, neben den positiven innenpolitischen Ereignissen wie Konsolidierung Norwegens und Etablierung dauerhaften Friedens, Norwegen gegenüber kontinentaleuropäischen Einflüssen zu öffnen, um so das norwegische Publikum mit den zentralen literarischen Figuren und Thematiken Kontinentaleuropas vertraut zu machen. Obwohl seine Kulturagenda auch harschen Urteilen ausgesetzt war – als Beispiel dient Hans E. Kincks Essay Storhetstid, in dem Hákons Übersetzungspolitik als „oppløysningsfenomen“13 bezeichnet wird, stellen die literarischen Adaptionen dieser Zeit ein herausragendes Beispiel für den kulturellen Austausch zwischen unterschiedlichen Gesellschaften und Kulturen dar. Dass die literarischen Übertragungen der altfranzösischen und anglonormannischen höfischen Dichtung in Norwegen und später in Schweden und Dänemark nicht nur passiv rezipiert wurden, sondern im neuen Umfeld auch weitergeführt und so zur Entstehung einer neuen Gattung der Märchensagas beigetragen haben, entspricht dem, was zuvor als Kulturtransfer definiert wurde: eine produktive Adaption und Reproduktion des Importierten im neuen sozialen und kulturellen System. Als Initiator dieses Kulturtransfers in Norwegen des 13. Jahrhunderts steht eben jener norwegische Herrscher Hákon Hákonarson mit seiner Kulturpolitik.

Auch wenn die Karlamagnús sagaKarlamagnús saga ok kappa hans aufgrund ihrer Herkunft aus der heldenepischen Tradition als solche keinen genuinen ritterlich-höfischen Roman darstellt, so ist nach Susanne Kramarz-Bein im Hinblick auf das Rezeptionsmilieu die Zugehörigkeit zum Umfeld des norwegischen Hofes und kulturellen Milieu Hákons Hákonarson evident. Hierfür spricht zum einen die Datierung der nicht vollständig erhaltenen, aber ursprünglicheren α-Redaktion auf das Jahr vor bzw. um 1250Þiðreks saga af Bern14 als auch der intensive Gebrauch von literarischen Modewörtern der übersetzten riddarasögurriddarasögur, so dass die Saga zumindest auf lexikalischer Ebene Züge der übersetzten höfischen Literatur trägt.Þiðreks saga af Bern15 Unter dieser Prämisse ist es daher nachvollziehbar, dass die Frage nach dem Übersetzungs- und Aufzeichnungsinteresse der Karlsepik im altwestnordischen bzw. altnorwegischen Literatursystem mit dem Potenzial dieser Texte, ein „literarisches Identifikationsangebot“16 für Hákon Hákonarson zu liefern, beantwortet werden kann.

Karl der Große im Norden

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