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Den Fokus ausrichten

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Wenn wir nun dabei sind, uns auf die Reise durch unser Lebensland vorzubereiten, sollten wir zunächst einmal entscheiden, was wir dabei in den Blick nehmen wollen. Es ist sicher leicht, über ganz viel zu klagen und zu stöhnen, unzufrieden zu werden und neidvoll in die Lebensländer der anderen zu spähen. Andererseits können wir natürlich auch versuchen, uns das Trommeln der Regentropfen an den Fenstern als Applaus des Himmels schönzureden und über jedes Problem einfach hinwegzulächeln. Beides hilft uns am Ende aber nicht weiter. Ich bin kein großer Fan vom Mittelweg – dafür aber umso mehr von der Wahrheit.

Bezogen auf meinen Ruhe-Kaffee-Gedankenmoment sage ich es so: Meine Fenster sind absolut dreckig und die Terrasse hat dringend eine Putzattacke nötig – aber dennoch scheint die Sonne und ich möchte den beginnenden Frühling in vollen Zügen genießen. Meine letzten Wochen waren ein Auf und Ab und ich komme alldem emotional noch nicht ganz hinterher – aber ich bin so dankbar, dass mein Leben vor Leben nur so strotzt! Es sind eben beide Seiten der Medaille, die die Wahrheit zur Wahrheit werden lassen. Und darum wird es Buchabschnitte geben, die eher die Probleme in den Fokus nehmen werden, und wiederum andere, bei denen der Blick absolut und in vollem Umfang auf das Verheißungsvolle und Leuchtende und Gute gerichtet sein wird. Das ist richtig und wichtig und nur so werden wir uns der Wahrheit nähern können.

Auch wenn ich deine Lebensumstände und die Besonderheiten deines Lebenslandes nicht kenne, so bin ich mir sicher, dass es auch voller Gegensätze und Kontraste ist. Nun ist die Frage, wie deine »innere Lupe« ausgerichtet ist. Nimmst du eher die Täler und dunklen Ecken in den Blick, die dir Angst machen oder dir viel abverlangen? Oder bist du doch mehr der positive Typ, dem die Sonne meistens ins Gesicht scheint und der bildlich gesprochen gerne tanzend neue Weiten entdeckt?

Zunächst möchte ich dir sagen: Beides ist gut. Beides ist wichtig. Es ist eine unterschiedliche Wahrnehmung, aber keine ist richtiger als die andere. Die eine ist vielleicht leichtfüßiger und wünschenswerter, aber die andere darum nicht per se schlecht.

Ich selbst befinde mich in der Darstellung und Bewertung meines Lebenslands oft bei meinen Baustellen. Wenn ich gefragt werde, wie es mir geht, kommt mir ein »Alles bestens!« nur schwer über die Lippen, denn das stimmt in den wenigsten Fällen. Selbst wenn diese Frage meist eher rhetorisch gemeint ist, so ist es mir ein Anliegen, nicht den Anschein zu erwecken, dass bei mir immer alles easy peasy ist und ich die Dinge – von Ehe und Familie über Job und Ehrenamt bis hin zu Selbstmanagement und persönlichem Befinden – komplett im Griff habe. Demnach strengen mich Leute, die gefühlt immer drei Zentimeter über dem Boden schweben, auch ziemlich an, denn ich kann mir kaum vorstellen, wie perfekt mein eigenes Leben verlaufen müsste, um es so durchweg positiv und fröhlich zu bewerten.

Gerade weil mein Negativ-Sonar grundsätzlich sehr sensibel ist und von Natur aus schneller anschlägt, halte ich mich oft selbst dazu an, das Gute meines Lebens nicht für selbstverständlich zu nehmen und es im Blick zu behalten. Dabei geht es mir nicht um beteuerte Relevanz, gespickt mit einem Haufen »eigentlich«, sondern um eine gesunde und wohlwollende Wahrnehmung. Ich selbst kann nur wenig anfangen mit Sätzen wie: »Aber guck doch mal hin. Dir geht es doch eigentlich so gut. Du müsstest eigentlich aufhören zu klagen! Du müsstest doch eigentlich viel glücklicher und dankbarer sein! Was willst du denn eigentlich noch?«

Ich bin der festen Überzeugung, dass so ein selbstauferlegtes Mantra kein gesundes Fundament ist, um den Umgang mit dem eigenen Leben auf ein zufriedeneres Level zu heben. Denn im selben Moment werden Stimmen in mir laut, die flüstern: »Ach ja, jetzt sucht sie wieder nach dem Guten, um das Schlechte nicht so deutlich zu spüren. Aber ihr Herz denkt und fühlt doch sowieso ganz anders. Warten wir einen Moment ab. Dann ist wieder ausreichend Raum für negative Gedanken.«

In die Weite leben

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