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Mit verschlossener Miene ging Lou Feldmann den langen Gang des Kommissariats entlang und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie ihm der hier herrschende Geruch zuwider war. Selbstverständlich wusste er, dass dieser Geruch nur ein Produkt seiner Fantasie war, aber ebenso genau wusste er auch, dass Kriminalität sich nicht nur auf die von ihnen verfolgten Tatbestände erstreckte. Die Kriminalität waren auch sie selbst. Staatliche Instanzen, Politiker, Banker, Gesetzesschützer. Manchmal, wenn er wieder einmal mit der Nase darauf gestoßen wurde, wie viele arme Menschen es in dieser Stadt gab, und dass es immer mehr wurden, fragte er sich, wen er, Kriminalhauptkommissar Lou Feldmann, eigentlich schützte.

Er stieg die Treppe ins Untergeschoss hinunter. Fast die gesamte untere Etage war jetzt von Kollegen der Polizeidirektion 1, die durch die Baumaßnahmen im eigenen Gebäude heimatlos geworden waren, belegt. Niemand war besonders begeistert von dieser Umsiedlung gewesen. Die einen nicht, weil sie sich hier wie unwillkommene Kellerkinder fühlten, die anderen nicht, weil sie nur wenig bis keinen Wert auf täglichen Umgang mit den Polizei-Kommissaren legten.

Dass man sich nicht grün war, beruhte auf Gegenseitigkeit. Aber darauf konnte die Baubehörde selbstverständlich keine Rücksicht nehmen.

Vor einer der Türen stoppte Feldmann. Er trat ein, ohne anzuklopfen, was dazu führte, dass Polizeihauptkommissar Klaus Winkler, der gerade dabei war, Weinbrand in eine Kaffeetasse zu gießen, sich bei seinem Anblick so erschreckte, dass er einen nicht zu kleinen Schluck verkleckerte. „Du könntest wenigstens anklopfen“, sagte Winkler vorwurfsvoll und ließ die Flasche schnell wieder in einem Schreibtischfach verschwinden.

Weil Feldmann absolut nicht nach Smalltalk zumute war, verzichtete er auf jeden weiteren Kommentar. „Ich brauche die Akte Remy Straub“, sagte er nur. Und: „Du hast damals gegen sie ermittelt. Ich lasse mich von dir nicht länger verarschen.“

Auch wenn Winkler die Gereiztheit seines Kollegen und die Aggression, die sich im Raum aufstaute, spürte, fragte er voller Unschuld: „Wozu? Hast du denn nicht gesagt, mit Einbruchdiebstahl hast du nichts zu tun?“

„Es geht nicht um Einbruchdiebstahl, es geht um Mord“, sagte Feldmann so nachsichtig wie möglich, „und Remy Straub ist eine Zeugin in diesem Mordfall, in dem ich ermittle.“

„Das musst du mir schon ein wenig genauer erklären.“ Winkler spielte immer noch den Unwissenden.

„Einen Dreck muss ich“, sagte Lou Feldmann drohend und nun gar nicht mehr nachsichtig. „Du machst deine Arbeit. Ich mache meine. Und niemand wird mich daran hindern.“

Damit ging er an Winkler vorbei zu einem Regal, in dem Akten gestapelt waren. Winkler sprang auf und versuchte sich dazwischen zu stellen, doch Feldmann schob ihn zur Seite, so heftig, dass auch der naivste Kollege spüren musste, dass er bereit war zuzuschlagen. Winkler wich zurück. Feldmann begann, den Aktenstapel zu durchsuchen.

„Das hat ein Nachspiel“, sagte Winkler.

Keine zwei Minuten später hatte Lou Feldmann die Akte in der Hand. Winkler streckte die Hand danach aus, wagte jedoch nicht, sich ihm in den Weg zu stellen, als er an ihm vorbei zur Tür steuerte. „Leck mich am Arsch“, sagte Feldmann bloß und ließ die Tür hinter sich offen stehen.

Winkler stand da, wütend, mit geballten Fäusten. Er wollte nach dem Telefon greifen, zögerte aber, schloss erst die Tür, drehte dann eine Runde um seinen Schreibtisch herum und noch eine, bis seine Wut in Grübelei überging und er sich endlich wieder in seinen Stuhl fallen ließ.

In seinem Büro rollte Lou Feldmann angesichts der vielen Notizzettel auf seinem Schreibtisch, noch bevor er sich setzte, die Akte Remy Straub zusammen, schob sie in seine Jacke, drehte sich auf dem Absatz um und machte sich auf den Weg nach draußen. Irgendwohin, wo ihn dieser Geruch nicht länger verfolgte.

Er landete in einer zu dieser Tageszeit noch nicht von Gästen und Touristen heimgesuchten Bar, ließ sich einen Whisky mit Wasser geben, hockte sich in eine Nische und nahm sich die Akte vor. Zunächst überflog er sie von vorne bis hinten, dann nahm er den Notizblock aus seiner Jacke und fing mit dem Lesen noch mal am Anfang an. Diesmal las er langsamer und unterbrach nur, um sich Notizen zu machen. Systematisch, sorgfältig. Je mehr Zeit verstrich, desto deutlicher merkte er, wie er innerlich zu kochen begann. Von Anmerkung zu Anmerkung wurde er zorniger, seine Schrift heftiger, unleserlicher. Es dauerte einige Zeit, bis er schließlich Akte und Aufzeichnungen zur Seite schob und nach seinem Glas griff, das er völlig vergessen hatte. Er nahm einen Schluck, blickte auf die Wand gegenüber und durch sie hindurch in weite Ferne.

Es war bereits später Nachmittag, als Feldmann die Bar verließ und wieder ins Freie trat. Die lärmige Großstadt überfiel ihn ohne Vorwarnung. Sein noch ganz benommener Kopf, die Wut in seinem Bauch, ließen ihn einen Moment still stehen. Im Versuch, sich wieder zu sortieren, überlegte er, was jetzt als Nächstes anstand. Nach Hause wollte er auf keinen Fall. Nicht in seine seit Maries Tod öde gewordene Wohnung, die er längst hätte wechseln müssen. Ins Kommissariat ebenso wenig. Erst ein Blick auf seine Armbanduhr ließ ihn zusammenfahren – beinahe hätte er vergessen, dass er sich für heute am späteren Nachmittag mit Manu verabredet hatte. Er musste so schnell wie möglich nach Treptow in die Elsenstraße.

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