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Wieder ein Totgefixter, dachte Kriminalhauptkommissar Lou Feldmann, als er aus dem Wagen stieg und am Ufer des Landwehrkanals die Streifenwagen stehen sah. Ich möchte nur wissen, warum sie immer mich holen. Sein Blick glitt noch kurz hinüber zum Maybachufer und zu dem dort ankernden Ausflugsboot, das noch keine Touristen an Bord hatte, bevor er sich einen Ruck gab und auf die Gruppe unterhalb des Café Übersee zuging. Lou Feldmann nickte den Uniformierten zu, er kannte sie, es waren Fischer und Kramm, zuverlässige, unaufgeregte Kollegen. Er betrachtete die junge Frau, die auf dem Boden hockte, den Kopf des toten Fixers im Schoß. Eine Pietà der anderen Art. Ihre Hände waren mit einer Acht gefesselt. „Warum die Fesseln?“, fragte Feldmann.

Der jüngere der beiden Polizisten hielt ihm den Ausweis der Frau hin. „Nur für den Fall, dass sie es sich anders überlegt“, sagte er. „Remy Straub – sie steht auf der Fahndungsliste.“

Feldmann warf einen Blick auf den Ausweis, ging zu der Frau hin und musterte sie. Schmal, kurze schwarze Haare, ärmelloses T-Shirt, Shorts, Sandalen. Neben ihr ein kleiner gelber Rucksack. Er schätzte sie auf Anfang zwanzig.

Die Frau sah ihn an. „Darf ich bei ihm bleiben, bis er abgeholt wird?“ Ihre Stimme war leise, nicht unangenehm.

Feldmann musterte sie weiter. Offener Blick. Klare Augen. Pupillen normal. Keine Einstichstellen an den Armen. Keine an den Füßen. „Sie selbst hängen nicht an der Nadel“, stellte er fest. „Sind Sie deshalb nicht abgehauen, bevor wir gekommen sind?“

Sie antwortete nicht, hielt nur den Kopf des Toten mit einer ungewöhnlichen Zärtlichkeit umfasst. Feldmann deutete auf den kleinen Rucksack und sah fragend zu Fischer und Kramm. Fischer schüttelte den Kopf. „Nichts“, sagte er, „zwei Taschenbücher, Turnschuhe, ein dünnes Regencape.“

Feldmanns Handy klingelte. Er holte es aus der Jacke, hörte zu, warf einen Blick auf seine Uhr. „Mindestens zehn Minuten, falls ich nicht in einen Stau komme.“ Als er Kramm den Ausweis zurückgab, sagte er: „Lasst sie bei ihm sitzen, bis er abgeholt wird.“

Wider Erwarten kam er glatt nach Friedenau durch. Er musste nicht einmal das Blaulicht aufstecken.

In der Wielandstraße stellte er seinen Wagen halb auf den Gehsteig. Es war noch Platz genug, um vorbeizugehen, aber ein alter Mann hatte es mit der Ordnung und schlug mit seinem Krückstock auf die Motorhaube. Feldmann schaute ihn dabei mit einem so gleichgültigen Blick an, dass dem Alten angst und bange wurde. Kopfschüttelnd ging er schnell weiter. Lou Feldmann dagegen zögerte noch auszusteigen. Er war müde. Er wollte keine Toten mehr sehen. Keine Täter. Keine Opfer. Er wollte keine Fragen mehr stellen müssen. Schließlich stieg er doch aus. Neben einer anscheinend seit längerem geschlossenen Eckhauskneipe stand eine Haustür offen. Ein überraschend helles, breites Treppenhaus, im ersten Stock eine nur angelehnte Wohnungstür. Auf dem Klingelschild stand: Andersen. Er ging in die Wohnung hinein. Gepflegt. Parkett. Alte Möbel. Jugendstilgarderobe. Es roch nach Tod. Im Wohnzimmer machte der Polizeifotograf Michael Klein eine letzte Aufnahme, dann packte er seine Sachen zusammen, nickte Feldmann, der in der Tür stehen geblieben war, zu und zwängte sich an ihm vorbei nach draußen. Jetzt war der Blick frei auf einen alten Mann, der auf einem Stuhl vor einer Jugendstilcouch saß, auf der eine tote alte Frau lag. Joe Becker, der Rechtsmediziner, stand am Wohnzimmertisch, schloss seine Tasche und blickte Feldmann aus gutmütigen braunen Dackelaugen an. „Herr Andersen hat uns selbst gerufen. Seine Frau hat Zyankali geschluckt. Er sagt, er hat es ihr gegeben. Sieht nicht nach Gewaltanwendung aus.“ Er hob wie entschuldigend die Schultern, nahm seine Tasche und verließ die Wohnung.

Lou Feldmann betrachtete die Szene. Die tote Frau Andersen auf der Couch – er schätzte sie auf achtzig Jahre –, ganz entspannt schien sie dazuliegen. Andersen, etwa im gleichen Alter, starrte hinunter auf den chinesischen Seidenteppich, als könne er etwas Neues in den Mustern erkennen.

„Stimmt das?“, fragte Feldmann.

„Was?“

„Dass Sie ihr das Zyankali gegeben haben?“ Andersen brauchte eine Weile, um zu antworten. „Sie hat das Morphium nicht mehr vertragen. Sie hat geschrien vor Schmerzen. Sie wollte nicht mehr. Es ging um Tage, vielleicht auch noch Wochen. Ich habe ihr geholfen.“

„Musste es unbedingt Zyankali sein?“

„Ich habe nichts anderes bekommen.“ Andersen stand auf, hielt ihm die ausgestreckten Hände für die Handschellen hin.

Feldmann schüttelte den Kopf. „Nein.“ Er legte eine Visitenkarte auf den Tisch. „Kommen Sie morgen Nachmittag bei mir vorbei. Wir müssen ein Protokoll machen.“

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