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Vor dem Altbau in der Friedenauer Wielandstraße war ein Parkplatz frei. Feldmann parkte ein. Der Alte mit dem Krückstock war wieder da und auf dem Gehsteig stehen geblieben. Als Feldmann ausstieg, sagte er: „Sie sind lernfähig.“

Sofort ärgerte Feldmann sich, dass er nicht auf dem Gehsteig geparkt hatte. Ohne auf die Bemerkung des Alten einzugehen, ging er zur Haustür und drückte auf Andersens Klingelschild.

Der Alte beobachtete ihn. Er machte ein paar Schritte auf Feldmann zu. „Seine Frau ist gestern gestorben.“

Feldmann klingelte erneut. Als wieder keine Reaktion erfolgte, sah er den Alten an. „Sie kennen sich in dem Viertel aus?“

Jetzt kam der Alte ganz heran. Er strich sich mit der Hand über die Glatze. Seine kleinen Augen funkelten. „Meine Mutter hat mich schon im Kinderwagen hier entlanggeschoben. Und hier werde ich entlanggehen, bis ich nicht mehr laufen kann.“

„Das heißt, die Andersens kennen Sie auch?“

„Wie nicht? Die wohnen hier ja auch schon seit Jahrzehnten. Sind immer Hand in Hand gegangen. Überall hin Händchen haltend. Ich weiß nicht, ob ich das rührend finden soll oder peinlich.“ Er schüttelte den Kopf. „Tut mir wirklich leid, dass er jetzt allein ist, der Alte.“ Er stieß mit seinem Krückstock die Haustür auf. „Bestimmt sitzt er in seiner Kneipe.“ Er machte eine Kopfbewegung zu den heruntergelassenen Jalousien neben der Haustür und deutete mit dem Stock in den Flur hinein. „Hintereingang.“

Feldmann nickte dem Alten zu und ging ins Haus.

Jetzt bemerkte er die Tür im Erdgeschoss, die offenbar zur Kneipe führte. Als er gestern zu Andersen in die Wohnung hochgestiegen war, hatte er sie nicht beachtet. Er klopfte. Keine Reaktion. Er öffnete die Tür, die unverschlossen war, und rief: „Herr Andersen?“ Nichts rührte sich. Schwaches Licht fiel von hinten in den Flur, in dem Bierkästen und Fässer gestapelt waren. An ihnen vorbei gelangte Feldmann in eine sauber aufgeräumte Küche und von dort in den Gastraum. Über dem Tresen brannte eine schwache Lampe. Davor saß Andersen auf einem Barhocker. Er schien vor sich hin zu sinnieren, nichts um sich herum wahrzunehmen. Einen Augenblick lang verharrte Feldmann, betrachtete ihn, nicht ohne sich dabei vorzukommen wie ein Eindringling, ein ungebetener Gast. Dann machte er ein paar Schritte vorwärts und stellte sich neben Andersen. „Herr Andersen“, sprach er ihn leise an, fast so als habe er Angst, ihn zu stören, „wenn Sie nicht zu mir kommen, komme ich zu Ihnen.“

Andersen hob den Kopf und sah Feldmann müde an. „Sie wollen mich verhaften?“, fragte er. Seine Stimme war brüchig, tonlos.

Feldmann schüttelte sanft den Kopf. „Nein. Der Staatsanwalt vielleicht. Oder Kollegen. Ich nicht. In meinen Augen haben Sie keine Straftat begangen.“

„Was wollen Sie dann von mir?“

„Sie sollen mir helfen, ein Protokoll zu schreiben.“

Andersen griff über den Tresen, nahm die Whiskyflasche, die dahinter stand, goss sich nach, ließ die Flasche auf dem Tresen, angelte mit derselben Hand neben der Spüle nach einem zweiten Glas und schob es wortlos vor Feldmann hin. „Schreiben Sie doch, was Sie wollen oder was Sie müssen. Wo ist das Problem?“

Feldmann schenkte sich ein. Er hielt das Glas fest, ohne es anzuheben, betrachtete Andersens müdes Gesicht. Wahrscheinlich hat er die ganze Nacht nicht geschlafen, dachte er. Wäre kein Wunder. Seine Frau ist gestern gestorben. Als er sein Glas zum Mund führen wollte, bemerkte er den Briefbogen, der zwischen ihm und Andersen lag. „Schlechte Nachrichten?“, fragte er.

Andersen nahm einen Schluck. „Metastasen überall.“ Er sah Feldmann nicht an. „Drei bis fünf Monate ... höchstens. Kann auch schneller gehen. Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich nicht nur eine Portion Zyankali besorgt. Dann wären wir wenigstens gemeinsam gestorben.“

Feldmann kippte den Inhalt seines Glases mit einem Schluck hinunter, griff erneut nach der Flasche, schenkte erst Andersen, dann sich wieder ein. „Haben Sie Angst?“

„Angst wovor? Vor dem Knast oder vor dem Sterben?“

Während Feldmann noch Andersens Frage nachlauschte, hörte er jemanden in den Flur hinter der Küche kommen. Eine tiefe männliche Stimme rief: »Andersen, bist du da?“ Dann stand ein untersetzter Mann mit großem grauen Schnauzbart und borstigen grauen Haaren in der Tür und klopfte gegen den Rahmen.

Andersen machte eine Kopfbewegung zu Feldmann hin. „Darf ich vorstellen? Hauptkommissar Lou Feldmann. Mordkommission. Dimitri Cordalis. Eigentümer mehrerer Lokalitäten und mein Freund. Trinkst du was, Dimitri?“

Dimitri Cordalis musterte Feldmann genau, sah wieder zu Andersen hin, schüttelte den Kopf. „Andersen, das mit deiner Frau tut mir leid. Kann mir ungefähr vorstellen, wie hart das war für dich.“

Wie meint er das, dachte Feldmann, wenn er sagt, „wie hart das war für dich“? Weiß er Bescheid? Oder hat er sich nur im Tempus vergriffen? Könnte ja auch sein.

Als er sich wieder auf das Gespräch konzentrierte, hörte er Cordalis sagen: „Ich brauche dich, Andersen. Wann kannst du kommen?“

Andersen schüttelte den Kopf. „Gar nicht. Ich kann nicht mehr. Ihr müsst euch einen anderen Schlichter suchen.“

„Dein letztes Wort?“ Cordalis’ Blick wanderte erneut von Andersen zu Feldmann und wieder zu Andersen.

„Tut mir leid“, sagte Andersen.

„Mir auch.“ Cordalis klopfte mit dem Fingerknöchel auf die Theke, drehte sich um und ging. Vom Flur her rief er zurück: „Lass mich wissen, falls ich irgendwas für dich tun kann.“

Feldmann trank einen Schluck. „Also kein Protokoll?“

Andersen schüttelte den Kopf. „Macht Ihnen das Probleme?“

Feldmann zuckte die Schultern. „Ihnen vielleicht.“

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