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8: Mittwoch, 12. Februar 2003

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Eigentlich war ich jetzt wirklich müde, aber ich konnte morgen nicht gut im Nachthemd im Feinkost-Keller arbeiten. Also steckte ich nun doch Krimi und Kleingeld ein, schulterte die beiden Reisetaschen und schlurfte zur Ecke Ifflandweg. Wenigstens waren zwei Maschinen frei, ich stopfte meinen Kram hinein, schüttete Pulver dazu und warf das Geld ein, dann vertiefte ich mich in den Krimi, der sich als so verzwickt erwies, dass ich ziemlich schnell den Faden verlor und wieder von vorne anfangen musste.

Als die Maschinen mit einem Seufzen zum Stillstand kamen, hatte ich immer noch erst zwanzig Seiten geschafft und schon wieder vergessen, warum der Typ, den sie bei der Leiche erwischt hatten, unschuldig sein musste.

Ich kippte die Wäsche in zwei Trockner, startete sie und versuchte es weiter. Hatte der jetzt ein Alibi oder was? Und welche Interessen verfolgte die rätselhafte Blondine im schwarzen Lackmantel, die behauptete, mit ihm zusammen gewesen zu sein, obwohl das ganz offensichtlich nicht stimmte? Brauchte die selbst ein Alibi - oder was? Apropos Alibi: Hatte Hamm jetzt eins? Und ich, hatte ich auch eins? Aber warum hätte ich diese – wie hieß sie gleich wieder? – umbringen sollen? Nur wegen des blöden Spruchs mit den Schuhen? So unrecht hatte sie wirklich nicht gehabt.

Ja, wenn man heute Hamm übel zugerichtet im Lift gefunden hätte... der hatte mich wirklich bis an die Schmerzgrenze provoziert! Aber diese Frau – blond, gut gestylt, mehr wusste ich gar nicht mehr von ihr, ich hätte ja nicht die geringste Ahnung gehabt, wo ich ihr hätte auflauern müssen, um ihr was anzutun! Nein, Kirschenauge war hoffentlich schlau genug, sich nicht ausgerechnet auf meine Fährte zu setzen!

Außerdem hatte ich andere Sorgen – den popligen neuen Job, meine dürftigen Finanzen, meine wüste Wohnung... fremde Leichen brauchte ich nicht auch noch. Ich versuchte noch einmal, mich auf die Blondine in schwarzem Lack zu konzentrieren, und gab dann auf. Lieber faltete ich ordentlich, was schon trocken war. Mit zwei sehr befriedigend gefüllten Reisetaschen kehrte ich nach Hause zurück, räumte den Inhalt sorgfältig in den Schrank und stopfte die nächsten Haufen in die Taschen. Morgen Abend...

War ich jetzt müde? Hatte ich genug getan? Wenigstens diese Küchenzeile konnte ich noch putzen… Ich beschränkte mich darauf, vergammelte Lebensmittel in einer Tüte zu sammeln und die Arbeitsfläche blank zu polieren, dann trug ich die ziemlich übel riechenden Mülltüten in den Hof, warf meinem Auto einen bösen Blick zu (Wenn du gestern angesprungen wärst, wäre alles anders gekommen, wenigstens wäre ich dann nicht im Lift festgesessen) und bezog schließlich noch mein Bett frisch, was den Wäschehaufen erneut anschwellen ließ. Trotzdem – so war es eindeutig besser, und morgen hatte ich anständige Jeans und ein anständiges Sweatshirt zur Verfügung. Dann flog ich im Feinkostkeller wenigstens nicht deshalb raus.

Ich warf mich aufs Bett und studierte mein Sparbuch. Dreieinhalbtausend waren von dem Geld noch übrig, das meine Eltern in grauer Vorzeit für meine Ausbildung angespart hatten. Das reichte noch eine Zeitlang, sehr beruhigend. Aber dass ich von MediAdvert überhaupt kein Gehalt kriegte, war ja schon ärgerlich.

Ich rappelte mich wieder auf und schrieb einen Brief an die Versicherung, in der ich meinen peinlichen Auftritt bei Hamm zum x-ten Mal schilderte und den Schaden abschätzte. Gleich in den Briefkasten!

Danach war ich wirklich mit mir zufrieden – richtig gut organisiert war ich heute aufgetreten! Abgesehen von meinem Wutanfall im Arbeitsamt, aber die Tussi war auch wirklich zu beschränkt gewesen. Überqualifiziert! Ein Wunder, dass sie das Wort überhaupt kannte – schreiben konnte sie es bestimmt nicht.

Vielleicht sollte ich es mal bei JobTime versuchen, denen war es auch egal, ob man eine schriftliche Kündigung vorzuweisen hatte. Die Sache im Feinkostkeller war ja auch höchstens für zwei Wochen, danach konnte ich mich wieder umsehen.

So, jetzt hatte ich mir aber etwas Freizeit verdient, fand ich und griff zur Fernbedienung, um mir einen angenehm hirnlosen Film zu Gemüte zu führen. Total unrealistisch! Er und sie lernen sich kennen, hassen sich auf den ersten Blick und lieben sich am Ende doch. Quatsch, Hass auf den ersten Blick war viel stabiler als Liebe auf den ersten Blick!

Wenn man jemanden auf Anhieb nicht leiden konnte, bewies das einen gesunden Instinkt, warum sollte man dem nicht trauen? Ich wusste jedenfalls sicher, dass ich diesen Hamm nicht ausstehen konnte. Suhrbier hatte ich auch schon beim Vorstellungsgespräch zum Kotzen gefunden – und hatte ich etwa nicht Recht gehabt? Und diese Schnepfe damals im Deutsch-LK: Ich hatte schon, als sie zum ersten Mal in den Kursraum kam, gewusst, dass sie eine arrogante Kuh war und außerdem eine unsoziale Petze, die nicht halb so intelligent war, wie sie glaubte. Und dann hatte sie dafür gesorgt, dass Nicky beim Spicken erwischt wurde, den armen Kursleiter genervt, weil sie alles besser wusste und schließlich verkündet, unser Abiball sei ihr zu provinziell, sie feiere mit schickeren Leuten in einem angesagten Münchener Nachtclub. Also – hatte ich da nicht einen prima Instinkt bewiesen?

Auf dem Bildschirm küssten sich die beiden und der Abspann lief. Typisch – jetzt ging der Ärger bekanntlich doch erst richtig los! Ich musste an diesen unverschämten Kuss von Hamm denken. Was hatte der sich eigentlich eingebildet? Erst beleidigte er mich am laufenden Band – und meine Reaktionen mussten ihm doch gezeigt haben, dass ich ihn widerlich fand – und dann glaubte er, ich würde mich von ihm küssen lassen? Falsch gedacht, Mistkerl!

Widerlich... widerlich war nicht das richtige Wort, sinnierte ich und ärgerte mich sofort über mich selbst. Wozu vertat ich meine Zeit damit, über diese Pfeife nachzudenken? Vielleicht war er obendrein ein Mörder!

Nein, nicht widerlich. Er küsste sehr aufregend, aber trotzdem war das eine Frechheit. Und er konnte wirklich sehr gut erst diese Schwarzmeier oder Schwarzmüller kaltgemacht haben und dann in den Lift gestiegen sein. Vielleicht hatte er den Lift selbst außer Betrieb gesetzt?

Schwachsinn!

Nein... das war doch ein tolles Alibi, niemand würde doch denken, dass – Quatsch. Bestenfalls würde man nicht glauben, dass er den Lift kaputt gemacht hatte, aber dass ein Mörder auf der Flucht im Aufzug hängenblieb: Gab´s da nicht einen ziemlich berühmten Film? L´ascenseur pour l´echafot? Oder so ähnlich?

Nein, ein Alibi musste man anders zurechtbasteln, er konnte ja auch nicht wissen, dass noch jemand anderes im Aufzug war und dass ich nie auf die Uhr schaute. Der Mörder konnte er sehr wohl sein, aber die Sache mit dem Lift war wirklich Zufall.

Oder ein anderer hatte die Frau ermordet und den Aufzug blockiert, weil Hamm sonst über ihn gestolpert wäre. Oder ich – du lieber Himmel, vielleicht hätte ich beinahe einem Mörder Aug´ in Auge gegenüber gestanden!

Auch blöd. Der Mörder hätte sich auch im Klo verstecken und warten können, bis wir zankenderweise das Haus verlassen hatten.

Nein, die Sache mit dem Lift konnte man nicht sinnvoll einbauen.

Andererseits hatte ich immer schon eine blühende Phantasie gehabt, schließlich liefen ja dauernd kleine Filme vor meinem inneren Auge ab – etwas, was mich geradezu für die Werbebranche prädestinierte, wie ich fand. Schade, dass sonst niemand dieser Ansicht war! Die Schwarzmüller, nein, Schwarzmeier hatte jemanden beleidigt. Aber ordentlich, nicht so lasch wie mich, richtig fies. Dass Huffland ein alter Sack mit Glatze war, der nicht mehr lange bei den Frauen landen konnte (oder keinen mehr hochkriegte, das machte Männer doch zu mordenden Bestien, oder?). Glanzhaar konnte sie ähnlich attackiert haben, Hamm vielleicht die Aktien unter dem Hintern weggekauft haben, um an die Mehrheit zu kommen. Nicht übel, aber das war eine ganz andere Kiste. Und eine Mörderin? Wenn sie unverschämte Stylingtipps gegeben hatte... Schwächlich.

Sie hatte jemanden erpresst und der hatte keinen anderen Ausweg mehr gesehen. Eine/r, der/die fremdging – Koks schnupfte – fremde Kampagnen klaute – Firmengelder abgezweigt hatte – gar kein Abitur hatte – Steuern hinterzog – Kinderpornos auf dem Bürorechner bunkerte – beim Wichsen im Büro erwischt worden war – an Kleptomanie litt – mal einen Pornofilm gedreht hatte – seine Zeugnisse gefälscht hatte... Ein ziemliches Durcheinander, das fiel ja sogar mir auf. Jedenfalls gab es reichliche Gründe, jemanden zu erpressen. Fast jeder hatte doch ein, zwei dunkle Geheimnisse, die er nicht allgemein verbreitet wissen wollte. Sogar ich konnte mich an einige Peinlichkeiten erinnern – das Spicken in der Zwischenprüfung... wie ich Reinhard nachgelaufen war, der doch gar nichts von mir wissen wollte – da hatte ich mich böse zum Affen gemacht – der Abend in der Disco in Berlin auf der Abifahrt, wo ich so blau gewesen war, dass ich mit zwei wildfremden Kerlen geknutscht hatte... und nicht nur geknutscht – wenn Verena mich nicht praktisch an den Haaren ins Hotel zurückgeschleift hätte, hätte ich wahrscheinlich mit beiden gevögelt, so weggetreten war ich. Ob die mir dort was in den Drink gekippt hatten? Oder waren zwei Long Island Ice Tea schon zu viel gewesen? Zwei ziemlich große, zugegeben.

Aber würde ich jemanden umbringen, der mir mit einem Foto von dieser Disconacht vor der Nase herumwedeln würde? Nein, aber mir war ja egal, was die anderen von mir dachten. Meistens wenigstens. Meine Eltern würden platt auf den Rücken fallen, aber das taten sie auch schon, wenn ich mein Auto ungewaschen spazierenfuhr. Gudrun würde mir Hilfe anbieten, das tat sie auch immer. Julia würde mir erzählen, wie sehr ihr lieber Mike sich kränken würde, wenn es von ihr ein solches Foto gäbe, Iris würde sich kranklachen... Tom? Ich seufzte. Tom würde wahrscheinlich zu einer längeren Rede ansetzen, wie viele Kerle hinter der zauberhaften Carla her waren und wie prima es von mir war, dass man mit mir über all so was reden konnte. Und ob ich Carla nicht auch entzückend fände?

Äh. Das Männer immer so blind sein müssen! Die nutzte ihn doch nur aus. Weil er so süß war, weil er bei MediAdvert viel besser Bescheid wusste als sie, weil er wahrscheinlich auch viel mehr verdiente, weil... weil sie einfach eine miese kleine Kuh war. Gut, vielleicht liebte sie ihn ja wirklich, aber sie war auf jeden Fall die Falsche für ihn, weil ich nämlich die Richtige war, so einfach war das.

Schlecht gelaunt lümmelte ich vor dem Fernseher, ohne das Kulturmagazin weiter zu beachten. Wie konnte ich Tom klar machen, dass Carla die Falsche war? Ich konnte doch nicht ewig in seiner Gegend herumlungern! Wieso hatte er sich eigentlich noch nicht bei mir gemeldet? Er musste doch gemerkt haben, dass ich nicht mehr da war? Dass man mich gefeuert hatte?

Im Moment sollte ich ihm besser ohnehin nicht auflauern, stellte ich fest, geistesabwesend mein Kinn reibend – ich kriegte schon wieder einen neuen Pickel.

Wo wohnte diese Carla eigentlich? Dazu müsste ich wissen, wie sie mit Nachnamen hieß, Mist! Wenn er sich dauernd bei ihr herumtrieb, traf ich ihn ja nie!

Ich schlurfte ins Bad und begutachtete den Pickel – na, es ging noch, er hatte sich größer angefühlt. Sicherheitshalber kramte ich aber doch die Peeling-Waschcreme aus dem Sammelsurium in meinem Schränkchen heraus und schrubbte mir das Gesicht ganz gründlich, bevor ich Pickelcreme auftrug. Sollte ich mir vielleicht die Haare schneiden? Neues Leben, neue Frisur? Nein, sie gefielen mir ganz gut, und wenn ich das selber machte, wurde es ja doch bloß schief. Lieber nicht.

Aber wenn ich morgen Abend noch mal zwei Ladungen in den Waschsalon trug – und vielleicht mal Staub saugte – und das Fenster putzte: Dann sähe es hier doch gar nicht mehr so furchtbar aus?

Trotzdem fand ich mein Leben öde – doofe kleine Wohnung, peploser Job (Werbung hatte eben doch mehr Glamour), kein Liebhaber, weil Tom einen Geschmack hatte wie ein Pferd, die Bullen im Genick, weil eine Tussi umgebracht worden war, mit der ich gerade mal einen Satz gewechselt hatte. Und von Idioten umzingelt. Wenigstens konnte es kaum noch schlimmer werden, fand ich, als ich endlich in mein immerhin frisch bezogenes Bett kroch und das Licht löschte. Um sieben Uhr musste ich antreten, also sollte ich um halb sechs spätestens aufstehen – bitter! Da war´s ja noch total dunkel! Aber wenn ich gleich am ersten Tag verpennte, war ich den Job schneller wieder los, als mir lieb sein konnte. Los jetzt, schnell einschlafen, es war ohnehin schon fast elf – nur noch sechseinhalb Stunden... Ich fühlte mich sehr ausgebeutet, wie ich mit fest geschlossenen Augen dalag und natürlich länger warten musste, bis ich endlich wegpennte.

Fehlstart

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