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3: Dienstag, 11. Februar 2003
ОглавлениеDas konnte doch gar nicht sein! Oder hatte ich ihn heute Morgen vergessen? Nein... den Autoschlüssel hatte ich ja auch gehabt, und der hing mit dran. Also hatte ich ihn mitgenommen – ob mich im Bus einer beklaut hatte? Die Tasche war zu gewesen, Reißverschluss und Lasche mit Druckknopf. Nein, das hätte ich gemerkt. Und ein Taschendieb hätte mir doch wohl eher den Geldbeutel geklaut, aber der war unübersehbar noch da. Die Manteltaschen waren auch leer. Verdammt, wo konnte der Schlüssel sein?
Rausgefallen? Aber dazu war er zu schwer... Es hätte fürchterlich klirren müssen. Klirren... Heute hatte es mal geklirrt, fiel mir ein, aber wann? Und wo?
Genau – bei Hamm! Kurz vor meinem unrühmlichen Abgang hatte ich doch meine Tasche vom Tisch gefegt und dann alles hastig wieder aufgesammelt – dabei musste ich den Schlüsselbund übersehen haben. Sicher lag er dort immer noch unter dem Tisch.
Halb sieben... Wahrscheinlich war dort längst zu, aber vielleicht hatten die ja einen Nachtwächter oder Hausmeister oder sonst einen, der mir weiter helfen konnte. Tja, das half ja nun nichts – ich musste noch mal zurück, sonst blieb mir nichts übrig, als im Treppenhaus zu pennen und morgen meinen Wagen kurzzuschließen. Mal davon abgesehen, dass ich so was gar nicht konnte. Soo bildend war Fernsehen nun auch wieder nicht.
Also zurück zur Bushaltestelle, verdammt. Und es war noch kälter geworden und hatte wieder leicht zu schneien begonnen. Shit happens – und wenn, dann gleich richtig. Andererseits kam der Neuner schon nach zehn Minuten, und er war auch ziemlich leer – wer fuhr um diese Zeit schon in ein Industriegebiet?
Ich setzte mich auf einen Fensterplatz und starrte nach draußen, aber außer ein paar Straßenlaternen sah ich bloß mein eigenes verschmiertes Spiegelbild – müde, deprimiert und derangiert. Wirre Haare, aufgelöstes Make up, Ringe unter den Augen. Wenn schon – Tom würde ich jetzt auch nicht über den Weg laufen, und selbst wenn: Er stand ja auf Carla. Carla mit der Sanduhrfigur und den Kulleraugen. Da konnte ich nicht mithalten.
Als der Bus hielt, stieg ich lustlos aus und schlappte durch die glitschige dünne Schneeschicht die Straße entlang bis zur Hamm KG. Zehn nach sieben – ob dort überhaupt noch einer war? Pförtner schien es keinen zu geben, aber das Gebäude war nicht abgeschlossen. Waren die so leichtsinnig oder so fleißig? Viel Licht hatte ich in den Fenstern nicht mehr gesehen.
Im Hintergrund der Halle entdeckte ich einen Aufzug – sehr gut, Treppensteigen war mit diesen Schuhen keine besondere Freude. Zweiter Stock... ich trat in einen leeren Gang, nur von einer grünlichen Notbeleuchtung erhellt, und tappte bis zum Ende. Der Konferenzraum war tatsächlich noch offen! Die waren hier wirklich leichtsinnig. Ich schaltete das Licht ein, und da lag er, mein Schlüsselbund – dick und fett unter dem Tisch. Putzen taten die hier wohl auch nicht? Hastig steckte ich den Schlüssel ein, löschte das Licht und schlich den grünlichen Gang wieder zurück. Meine Pechsträhne schien nachzulassen – der Aufzug stand mit einladend offenen Türen da. Ich stolperte hinein und drückte auf E.
Lautlos schlossen sich die Türen, und der Lift setzte sich in Bewegung – aber nach oben. Mist! Im siebten Stock hielt er, und ein Mann trat ein, in der linken einen Pilotenkoffer (scheußliches Teil), in der Rechten eine Handvoll Papiere, in denen er las. Er grunzte kurz, ohne aufzusehen. „Drücken Sie mal T, bitte.“
Ich drückte T und starrte dann auf die Tafel an der Wand. Nächster TÜV 4/2003 Max. Gewicht 750 kg (8 Personen) Planzer Aufzüge.
Darunter 7-6-5-4-3-2-1-E-T-U-Notruf-Tür auf.
Tja, mehr gab´s hier nicht zu lesen. „Ganz schön spät schon“, sagte der Mann.
Ich gab einen zustimmenden Laut von mir, aber drehte mich nicht um. Wenn ich ihn nicht sah, konnte er mich auch nicht sehen... schließlich hatte ich hier eigentlich nichts zu suchen.
„Ich kenne Sie doch! Was machen Sie denn noch hier?“
Was? Ich fuhr herum. „Ach, Sie“, sagte ich dann missvergnügt. Der blöde Hund, der meine Präsentation nicht so überzeugend gefunden hatte! „Und, was machen Sie hier – um diese Zeit?“ Er sah mich streng an.
„Wenn Sie glauben, ich wollte hier was ausspionieren oder was klauen, sind Sie schief gewickelt“, fauchte ich. „Ich hab nur meinen Schlüssel geholt, der mir heute Morgen aus der Tasche gefallen war.“
„Ach ja?“
„Ach ja!“
„Herzeigen!“ Ich fischte den Schlüsselbund aus der Tasche und hielt ihn ihm vor die Nase. Ganz schön verknittert, der Kerl. Vielleicht sollte er seinen Anzug mal bügeln lassen. „Tatsächlich.“
Er verstummte. Vielleicht war ihm jetzt eingefallen, dass das überhaupt kein Beweis für meine Behauptung war. „Und wieso jetzt erst?“, fing er dann wieder an. Bevor ich antworten konnte, blieb der Lift mit einem verdächtigen Knirschlaut stehen, und das Licht wurde merklich trüber. Notbeleuchtung? Der struppige Kerl sah auf die Uhr, erfolglos.
„Haben Sie ein Feuerzeug?“
„Ich rauche nicht“, antwortete ich würdevoll. Er kramte in seinen Hosentaschen, dann in den Jackentaschen, schließlich drückte er mir seine Papiere in die Hand und suchte in seinem Koffer.
„Wer sagt´s denn... Oh, schon acht – ja, dann...“
„Was heißt das?“, schnappte ich.
„Dass der Lift nachts abgestellt wird.“
„Toll. Ist Hamm so pleite, dass die schon Strom sparen müssen? Vielleicht sollten Sie sich lieber einen anderen Job suchen."
„Die müssen das Geld für die Geräte wieder reinholen, die Sie heute Morgen geschrottet haben.“
„Was? Das kriegen Sie doch von MediAdvert wieder! Suhrbier hat mein ganzes Gehalt einbehalten!"
„Suhrbier? Interessant.“ Er klopfte wieder seine Taschen ab und fluchte dann leise. „Haben Sie ein Handy dabei?“
„Logisch“, antwortete ich von oben herab. Gar nicht so einfach, das überzeugend hinzukriegen, wenn man einen halben Kopf kleiner ist! „Kann ich mal?“ Ich fischte es aus der Tasche und reichte es ihm.
Er tippte kurz herum und schnaubte dann. „Warum wundert mich das nicht?“
„Kein Netz?“ Das war fast gar nicht hämisch gemeint.
„Kein Saft! Der Akku ist total leer. Hier, das nützt mir auch nichts.“
„Und der Notrufknopf ist wohl die reine Attrappe, was? Wahrscheinlich leistet sich dieser Laden nicht mal einen Hausmeister.“
Freundliche Angestellte jedenfalls nicht!
„Dafür leistet sich MediAdvert keine fähigen Leute“, blaffte er mich an, „aber wenn Sie für Suhrbier arbeiten, erstaunt mich wirklich gar nichts mehr.“
„Warum haben Sie uns dann überhaupt zur Präsentation geladen? Ach, woher sollten ausgerechnet Sie das wissen! Außerdem arbeite ich nicht mehr für Suhrbier.“
„Ach ja?“
„Ach ja! Er hat mich gefeuert, was dachten Sie denn!“
„Na, nach der Vorstellung, die Sie heute geboten haben... Machen Sie das immer so?“
„Klar. Unbeholfenheit als Verkaufstrick? Seien Sie nicht so blöd.“
„Wer ist hier blöd? Ich hab meinen Job wenigstens noch.“
„Schön für Sie.“ Etwas Besseres fiel mir leider nicht ein. „In dieser Klitsche“, fügte ich dann noch hinzu und sah mich abfällig um, „wo abends nicht mal der Lift geht.“
„Niemand hat Sie gebeten, hier herzukommen.“
„Es mag Sie erstaunen, aber ich hatte keine Lust, vor meiner Wohnungstür zu kampieren“, schnauzte ich ihn an. „Intelligente Leute haben einen Schlüssel bei den Nachbarn hinterlegt“, erläuterte er mit einem fiesen, sanften Lächeln. Ich unterdrückte den Impuls, ihn ans Schienbein zu treten. „Sie kennen meine Nachbarn nicht“, antwortete ich nur. „Ich kann´s mir denken. So, wie Sie arbeiten, können Sie sich wohl bloß ein Loch im Slum leisten, was? Wie wär´s, wenn Sie mal üben, wie man eine Präsentation richtig aufbaut?“
„Wozu denn noch? Die Sache ist ja wohl gegessen.“
„Ja, wenn Sie so wenig Ehrgeiz haben, kann ich Ihnen auch nicht helfen!“
„Wozu noch Ehrgeiz?“, maulte ich. „Morgen such ich mir was anderes. Werbung ist der letzte Scheiß.“
„Sie geben ja verdammt schnell auf.“
„Finde ich nicht. Ich hab fünf Wochen gearbeitet, und was kommt dabei raus? Kein Pfennig, Schulden, ein Haufen Anschnauzer. Da such ich mir doch lieber was Friedlicheres.“
„Am besten werden Sie Hausfrau, da kann man nichts falsch machen. Und Sie könnten den ganzen Tag in Schlappen und Kittel herumlaufen. Wäre direkt eine Verbesserung“, fügte er hinzu und betrachtete mich kritisch. Mittlerweile hatten wir uns wohl beide an das funzelige Notlicht gewöhnt und sahen nun wieder ziemlich gut. „Ach ja? Haben Sie keinen Spiegel? Den Anzug kann ja auch die beste Hausfrau nicht mehr retten. Ihre arme Frau!“
„Ihr Mann kann einem ja auch bloß Leid tun, wahrscheinlich haben Sie schon die Stereoanlage, den Fernseher und das Auto ruiniert. Wo Sie auftauchen, hinterlassen Sie eine Spur der Verwüstung.“
„Arschloch“, murmelte ich. „Früher haben Sie wohl Erstklässler verprügelt, was? Gibt Ihnen das einen Kick?“
„Erstklässler? Klar. An solche Giftnattern wie Sie traut sich doch keiner ran. Wahrscheinlich haben Sie gar keinen Mann, kein Wunder.“
„Dann brauchen Sie ihn ja auch nicht zu bedauern, oder?“
„Sowenig wie Sie diese imaginäre Ehefrau! Zimtzicke.“
„Arroganter Angeber.“
„Versagerin.“
„Schnösel.“
„Was?“
„Schnösel“, wiederholte ich freundlich. „Haben Sie auch noch was an den Ohren? Da fragt man sich doch, was Ihre Chefs von Ihnen halten.“
„Meine Chefs?“
„Gibt´s hier ein Echo oder was? Die drei Leutchen, mit denen Sie heute die Präsentation angeguckt haben.“
„Sie meinen – den Präsentationsversuch.“
„Toll! Fühlen Sie sich jetzt besser, ja? So richtig groß und stark? Glückwunsch.“
„Spielen Sie hier nicht das Opfer, so bissig, wie Sie sind. Und kämmen Sie sich mal, Sie sehen aus wie eine Wetterhexe.“
„Passt doch zum Wetter.“
„Hier schneit es aber nicht. In diesem ganzen Chaos werden Sie ja wohl auch einen Kamm haben.“
Ich kramte herum und fand tatsächlich einen, dann zog ich die schon gefährlich lose sitzende Spange aus den Haaren, zwang den Kamm mühsam durch die verfilzten Strähnen und band die Haare danach wieder stramm zurück.
„Na, viel besser ist das auch nicht. Aber weniger schmuddelig immerhin. Kriegen Sie auch noch das weiße Zeug von ihrer Jacke ab?“
„Wenn ich rote Farbe an der Sakkotasche hätte, wäre ich ja ganz, ganz leise“, antwortete ich starrte anzüglich auf seine rechte Seite, wo sich die Tasche ziemlich beulte. Er untersuchte sofort sein Sakko und fluchte recht phantasievoll, als er einen offenen roten Tintenkuli herauszog. „Dokumentenecht“, hoffte ich und meine Stimme hörte sich sogar in meinen eigenen Ohren sehr befriedigend höhnisch an. „Verdammt, ja – ob das wieder rausgeht... Grinsen Sie nicht so blöd, das ist nicht lustig.“
„Nein? Ich finde, dass geschieht Ihnen recht, so rüde, wie Sie sich benommen haben.“
„Sie sind kindisch.“ Er zupfte immer noch an der ausgebeulten Tasche herum. „Haben Sie ernsthaft geglaubt, die Vorstellung, die Sie heute geboten haben, bringt Ihnen einen Auftrag ein?“
„Nein. Aber das Konzept war doch in Ordnung!“
„Das Konzept schon, aber Ihr unzusammenhängender Vortrag und die eingebauten Slapsticks, dazu der stumme Gast...“
„Welcher stumme Gast?“
„Na, wieso haben Sie denn diesen Pumuckl dabei gehabt? Der hat außer Grüß Gott und Auf Wiedersehen doch nichts geboten.“
„Tom ist kein Pumuckl!“, entrüstete ich mich. Das war doch die Höhe, und das von diesem langweilig aussehenden Typen! „Sieht aber aus wie einer. Sie stehen wohl auf den?“
„Blödsinn“, murmelte ich. „Er wollte doch bloß, dass ich es auch mal probiere.“
„Das war Ihr allererster Versuch? Und dann bei einem so großen Konto? Sind Sie beide denn wahnsinnig? Sie hätten doch auch bei etwas weniger Wichtigem üben können. Dieser – hm – Tom – ist das auch so ein Anfänger wie Sie?“
„Nein. Was geht Sie das eigentlich an?“
„Sie sind gut - wir stehen ohne Werbekampagne da, und das soll mich nichts angehen?“
„Darüber können sich ja wohl ihre Chefs aufregen. Und was heißt denn hier ohne Kampagne? Nach uns waren doch noch mehr Agenturen dran?“
„Da taugten die Konzepte nicht viel. Allerdings waren sie tadellos präsentiert.“
Er grinste frech, und ich holte aus, aber er fing meine Hand blitzartig ab.
„Lassen Sie das. Ihnen gehen wohl langsam die Argumente aus?“
„Nein, aber die Geduld. Hat dieser Saftladen hier jetzt einen Hausmeister oder nicht? Und wieso passiert nichts, wenn man auf den Notruf drückt? Ist das wirklich bloß eine Attrappe?“
„Natürlich gibt´s hier einen Hausmeister, und das ist kein Saftladen, sondern ein ziemlich solider mittelständischer Betrieb. Seien Sie nicht so arrogant, oder gehört Ihnen etwa Microsoft? Das würde Ihre lasche Arbeitsauffassung erklären.“
„Solide? Wir hängen jetzt schon eine Dreiviertelstunde hier herum, und dieser Hausmeister kriegt seinen Arsch nicht hoch? Liegt der schon irgendwo besoffen in der Ecke?“
„Nein!“, fauchte der Schnösel. „Wahrscheinlich ist er auf seinem Rundgang. Wenn er in sein Büro zurückkommt, wird er es schon blinken sehen. Luft kriegen wir doch, also was soll´s? Oder wollten Sie auf die Piste? So??“
„Nein! Wozu denn auch? Glauben Sie, ich hab heute groß was zu feiern?“
„Ihr komischer Kollege könnte Ihnen ja wenigstens ein Essen spendieren, wenn er Sie schon ins Messer laufen lassen musste.“
„Der ist nicht komisch, und er hat´s bloß gut gemeint. Dass ich Erfahrungen sammle und so.“
„Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. So ein Holzkopf!“
„Hacken Sie nicht dauernd auf Tom rum, Sie kennen ihn doch gar nicht.“
„Kunststück, so wenig, wie er sich heute profiliert hat. Soll ich lieber auf Ihnen herumhacken?“
„Von mir aus, der Tag ist ohnehin schon beschissen gelaufen. Und außerdem will ich hier raus, und zwar subito.“
„Werden Sie jetzt auch noch hysterisch? Führen Sie sich nicht auf wie in einem drittklassigen Katastrophenfilm – und behaupten Sie bloß nicht, Sie hätten Klaustrophobie. Das kauf ich Ihnen nicht ab.“
„Sag ich ja gar nicht. Und ich bin nicht hysterisch!“
„Aber nahe dran.“ Er rutschte langsam an der Edelstahlwand entlang nach unten und setzte sich gemütlich hin. „Recht haben Sie“, kommentierte ich.
„Ach was! Inwiefern?“
„Der Anzug ist sowieso ruiniert, so wie Sie aussehen, dann können Sie sich auch im Dreck wälzen.“
„Eben. Setzen Sie sich doch auch – oder glauben Sie, Ihr Kostüm ist noch zu retten?“
„Dem fehlt gar nichts, was eine Kleiderbürste nicht in Ordnung bringen könnte“, schnappte ich und blieb trotzig stehen.
„Wie sie wollen. Sie bocken wie eine Dreijährige.“
„Herzlichen Dank. Sie haben die Manieren eines Zehnjährigen!“
„Immerhin.“ Er klappte seinen Koffer auf und studierte den Inhalt einer Plastikbox, dann seufzte er. „Hat die Mami kein Pausenbrot eingepackt?“, höhnte ich. „Doch, aber das hab ich leider schon verspeist. Ich wollte eigentlich essen gehen, aber bis wir hier rauskommen...“ Hunger hatte ich auch, aber das konnte ich jetzt nicht mehr zugeben. Dass er nichts mehr zu essen hatte, freute mich aber wenigstens. „Muttersöhnchen“, murmelte ich also nur.
„Nur kein Neid.“
„Neid?“, keuchte ich. „Mitleid! Sie sind – na, vierzig doch mindestens, und da wohnen Sie noch bei Mami? Ist ja erbärmlich!“
„Hab ich nie behauptet.“
„Haben Sie wohl!“
„Nein. Sie müssen besser zuhören.“
„Ich hab zugehört! Sie haben das Brot, das die Mami Ihnen eingepackt hat, leider schon gegessen. In der großen Pause wahrscheinlich“, fügte ich finster hinzu. Durst hatte ich auch, und einen miesen Geschmack im Mund.
„Ich hab nur gesagt, dass ich das Brot schon gegessen habe. Die Mami haben Sie ins Spiel gebracht. Meine Sandwiches hole ich mir morgens bei Break & Fast. Haben Sie nichts mehr zu futtern?“
„Nö. Ich bin nicht so verfressen“, log ich.
„Ehrlich? Sieht man gar nicht“, kam prompt die Antwort. Ein Königreich für einen Baseballschläger! Oder für ein vergiftetes Sandwich... in Todesqualen sollte er sich zu meinen Füßen winden! Obwohl, dann würde er mir bloß auf die Schuhe kotzen. Andererseits konnte ich die sowieso wegschmeißen, Absatz ab, Naht geplatzt... „Soll das heißen, ich bin zu dick?“, empörte ich mich, leider nicht ganz ohne Quieken in der Stimme.
„Nein, nein...“ In einem Tonfall, der eindeutig das Gegenteil besagte.
Damit hatte er meine Achillesferse erwischt – das Kostüm saß wirklich ein bisschen stramm um die Hüften, vielleicht sollte ich doch mal so eine Diät... wenn ich hier jemals rauskam, würde ich mir eine Zeitschrift kaufen und die Diätvorschläge akribisch befolgen – mindestens zwei Wochen lang... na gut, eine. Aber eine Woche lang wirklich! Und Gymnastik für schlanke Hüften...
„Was passt Ihnen denn nicht?“, fragte ich kriegerisch.
„Wieso? Ich hab doch gesagt, nein. Nagt das an Ihnen?“ Der feixte ja schon wieder!
„Unsinn. Außerdem – was Sie von mir denken, kratzt mich nun wirklich nicht. Wenn wir hier raus sind, sehen wir uns doch sowieso nie wieder. Gott sei Dank“, fügte ich noch hinzu, um sicher zu gehen, dass er das auch als Beleidigung auffasste. „Ja, Gott sei Dank“, wiederholte er unverschämterweise. „Ich hab Hunger, verflixt...“
Ich fand in meiner Tasche noch ein ältliches Pfefferminzpäckchen und bot ihm ein Bonbon an. Er nahm es mit spitzen Fingern. Nach einem Moment fing er an zu husten. „Puh, ist das scharf...“
„Wie heißt es so schön – sind sie zu stark, bist du zu schwach“, freute ich mich und ließ mir nicht anmerken, dass mir das Zeug eigentlich auch zu heavy war.
„Ich hab´s mehr mit dem Spot, wo der Mafiaboss verminzt wird und den Übeltäter mit Betonschuhen im Hafenbecken versenken lässt“, knurrte er. Ich musste lachen. „Jetzt setzen Sie sich doch endlich hin, ich kriege schon einen ganz verkrampften Hals“, brummte er. „Oder genießen Sie es, dass endlich mal jemand zu Ihnen aufschaut?"
„Klar. Aber ich will mal gnädig sein.“
Ich legte den Mantel unter und versuchte, mich einigermaßen elegant zu setzen, aber das Ergebnis war, dass zum einen mein zerrissener Strumpf besonders gut zur Geltung kam und zum anderen, als ich fast ganz unten war, ein hässliches Knirschen mir zeigte, dass mein Kostümrock die Beanspruchung nicht mehr ausgehalten hatte.
Hastig tastete ich nach der hinteren Naht. Na klasse! Und ich konnte mir auf dem Heimweg nicht einmal die Jacke umbinden – wegen des Erdbeerflecks und wegen der Kälte. Immerhin war es draußen ja dunkel, tröstete ich mich. Und ein Taxi konnte ich mir notfalls auch nehmen. Langsam konnte ich mich über gar nichts mehr aufregen – mein Adrenalin war für das nächste halbe Jahr verbraucht. Ich regte mich nicht einmal mehr über den Spott in den grauen Augen mir gegenüber auf.