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6: Mittwoch, 12. Februar 2003

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Dieser Tatendrang hielt am nächsten Morgen noch an – jedenfalls so lange, bis ich mich im hellen Tageslicht in meiner Müllkippe umgesehen hatte.

Am liebsten hätte ich mir daraufhin wieder die Decke über den Kopf gezogen – wo sollte man da denn anfangen? Und es war schon wieder acht Uhr durch, aber das war jetzt auch egal, auf mich wartete ja niemand.

Deprimierender Gedanke. Mühsam sammelte ich genügend Kraft, um mich aus dem Bett zu wälzen und ins Bad zu taumeln. Die Haare waren verstrubbelt, die Wimperntuschenreste klebten mir an der Backe, und der Pickel am Kinn war prächtig aufgeblüht. Ich drückte eine Zeitlang daran herum, bis mein Kinn rot und verschwollen war – ohne Erfolg natürlich. Vielleicht sollte ich mir lieber doch erst mal die Zähne putzen – und einen guten Vorsatz fassen. Überhaupt, viele gute Vorsätze fassen!

Nr. 1: Immer abends abschminken!

Das Bad sah auch dermaßen grauenhaft aus... die Wanne hatte einen ekligen Rand, das Waschbecken war schmierig, der Spiegel wies so viele Zahnpastaspritzer auf, dass man kaum noch etwas sah, und auf dem Boden lagen ausgekämmte Haare.

Nr. 2: Das Bad regelmäßig putzen!

Das Bad? haderte ich im Stillen mit mir – alles!

Nr. 3: Die ganze Wohnung regelmäßig putzen!

Wieso war ich so verschlampt? War das wirklich nur die winterliche Antriebsschwäche – oder war ich die geborene Loserin, so eine, über die man irgendwann einen Fernsehbericht sah, wie erst ein Sarg und dann säckeweise Müll und Dreck aus der verwahrlosten Wohnung getragen wurden, vorzugsweise von Arbeitern der Entseuchungsbehörde (Gab´s so was? Klang plausibel) mit Atemschutzmasken... Nein, ich würde souverän und erfolgreich mein Leben meistern und es allen zeigen! Dem Arsch aus dem Lift, dem raffigen Suhrbier, überhaupt allen Pappnasen bei MediAdvert und auch Tom, der noch merken würde, wie falsch er sich entschieden hatte! Ach, er war aber so süß! Elegisch seufzend saß ich auf dem Klo. Wie konnte ich ihn von meinen Qualitäten überzeugen, jetzt, da wir nicht einmal mehr Kollegen waren?

Nr. 4: Methode finden, um Tom zu bezaubern!

Ich sah zur Seite. Bezaubern... Carla hatte einen tollen Busen und eine Wespentaille. Und Kulleraugen. Und ich? Mein Busen war nicht weiter auffällig, normal eben. Meine Taille war ein bisschen speckig, und meine Hüften schwabbelten, fand ich, vor allem, wenn ich so dasaß, leicht vornübergebeugt. Ja, da konnte man ordentlich reinkneifen!

Nr. 5: Fit und schlank werden!

Leichter gesagt als getan. Diese doofen Diäten kannte ich schon, man hatte sofort Hunger auf alles, was verboten war, und wenn man sich in einer Woche drei Pfund runtergehungert hatte, hatte man eine Woche später garantiert fünf wieder drauf. Nein, so nicht. Lieber gesund ernähren und viel bewegen. Ich änderte den Punkt im Geiste entsprechend ab:

Nr. 5: Gesund leben!

Tat ich doch, fand ich, immer noch auf dem Klo sitzend. Ich rauchte nicht, ich trank nicht – fast nie, wenigstens. Mit dem gesunden Essen allerdings haperte es ziemlich. Vor meinem geistigen Auge erstand eine Tüte Chips – mit Cheese&Onion-Geschmack. Hatte ich die nicht eigentlich verdient, nach diesem Scheißtag gestern? Allerdings müsste ich erst einmal duschen und mich anziehen – und den Pickel dick überschminken, bevor ich mich in den Billigmarkt trauen durfte. Ach was, Billigmarkt – ich brauchte einen Job. Arbeitsamt stand auf dem Programm. Danach durfte ich eventuell eine Tüte Chips...

Nr. 6: Neuen Job finden!

Joggen sollte ich, das wäre gesund. Aber öde und anstrengend. Gab es keine bessere Sportart? Kostenlos, stressfrei, amüsant und ungemein fettverbrennend? Wieso erfand das keiner? Das Leben war schon hart.

Immerhin schaffte ich es jetzt endlich, vom Klo hochzukommen, bevor ich doch noch zum hundertsten Mal diese ältliche Zeitschrift durchblätterte. Ich könnte mir etwas Sinnvolleres neben das Klo legen, ein Buch vom Kaliber So kriegen Sie Ihr versautes Leben wieder in den Griff. Rathausbuchhandlung, überlegte ich. Aber Geld ausgeben? Ich hatte nicht mehr viel und eben auch keinen Job.

Wie machten andere Leute das? Die waren beruflich erfolgreich, hatten vorzeigbare Konten, gebügelte Klamotten und konnten abends Leute zu sich einladen, ohne sich in Grund und Boden zu schämen. Und außerdem waren sie mit ihrer großen Liebe zusammen und glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Denen erklärte der Traummann nicht begeistert, wie toll er eine andere fand!

Nr. 7: Nicht so viel trödeln!

Das war wahrscheinlich der Grund, beschloss ich und stieg mutig unter die Dusche. Wie viel Zeit ich damit vertat, herumzuliegen, nicht hochzukommen, keine Lust zu haben. Damit war jetzt Schluss, ein für alle Mal!

Ich duschte, wusch mir die Haare und beschloss, mit dem harten, aber souveränen Leben auf der Stelle zu beginnen, zu diesem Zweck drehte ich den Hahn entschlossen auf kalt und jaulte empört auf. Wie Nadelstiche – da war der Gedanke an straffe Haut und dahinschmelzendes Fett auch kein besonderer Trost. Hastig drehte ich das Wasser ab und fischte nach dem Handtuch, das im Vergleich zu gestern noch ein bisschen muffiger war. Täglich eincremen war ja auch wichtig... in der Bodylotionflasche befand sich nur noch ein kläglicher Rest, und das Deo pfiff auch auf dem letzten Loch. Ich setzte im Geist den Drogeriemarkt auf die Liste.

Wieder neue Ausgaben.

Aber so würde ich mit der Zeit bestimmt schöner und gepflegter – und Tom würde mich ganz neuem Interesse betrachten... Haha, wann denn? Ich durfte ja das Areal von MediAdvert nicht mehr betreten! Tom wohnte an der Uni... vielleicht gezielte Spaziergänge... in den richtigen Läden einkaufen... wo wohnte er genau? In das feuchte Handtuch gewickelt, warf ich mich aufs Bett und wühlte mich durch mein Telefonbuch. Ah, da – Sophienstraße 5. War da nicht das Uni-Lädle in der Nähe? Was konnte ich dort kaufen?

Leider brauchte ich überhaupt nichts von dort.

Schaufenster gucken konnte ich aber wenigstens, vielleicht stolperte ich ja über ihn – oder noch besser er über mich... Ich versank in zauberhafte Tagträume: Tom, wie er sich freute, mich zu sehen, mir sein Leid klagte, wie mies Carla war und sehr sie ihn menschlich enttäuscht hatte... Er würde nach meiner Hand greifen... Du verstehst mich, Heike – du bist die Richtige für mich... Schön!! Was, schon halb zehn? Mist, verdammter!

Ich rappelte mich unlustig hoch und tauchte in die Tiefen des Kleiderschranks. Neunzig Prozent meiner Klamotten lagen zerknüllt und ungewaschen auf dem Schrankboden oder überall auf dem schäbigen Teppichboden verteilt, die völlig untragbaren übrigen zehn Prozent hingen oder lagen tadellos im Schrank. Ich fand wenigstens ein Paar einigermaßen saubere und nur ganz wenig zerknitterte Jeans, wenn auch in einem Grünton, bei dem ich wirklich fragen musste, warum ich das mal schön gefunden hatte. Und dazu?

Hm – das letzte Sweatshirt, in grau. Das mit dieser bescheuerten Stickerei auf dem Rücken, drei kleine Hasen im Gras – hatte ich damals irgendwie Ostergefühle gehabt? Außerdem klemmte der Reißverschluss am Kragen und das ganze Ding war ein bisschen zu kurz.

Schön war ich nicht, als ich fertig war, aber zur Not präsentabel. Und der zerknüllte, muffig-feuchte Regenmantel hatte heute frei! Ich hängte ihn auf und hoffte, dass er sich bis zum Abend wieder erholt haben würde.

Danach sah ich mich kritisch um – grauenhaft, ich musste wirklich mal aufräumen und putzen. Und endlich waschen, ich hatte praktisch die allerletzten Klamotten an, inklusive diesem schauerlichen BH, aus dem immerzu die Drahtbügel rausschauten und mich pieksten. Socken waren auch keine mehr da, und Unterhosen nur noch die ehemals weißen, die ich mal aus Versehen mit neuen schwarzen Jeans in die Maschine gesteckt hatte – jetzt waren sie graufleckig und dienten als Notfallausrüstung.

Nr. 8: Regelmäßig waschen und bügeln!

Das war auch leichter gesagt als getan – der Waschsalon war doch einige Minuten entfernt, da rebellierte regelmäßig mein innerer Schweinehund. Langweilig war es dort auch. Und bügeln... das Ödeste, was jemals erfunden worden war! Ich kickte die Berge von Schmutzwäsche in einer Ecke zusammen und spülte erst einmal mit spitzen Fingern und im Geiste zugehaltener Nase ab; danach war ich schon wieder erschöpft. Sollte ich nicht doch erst einmal aufs Arbeitsamt gehen? Vielleicht gab es ja etwas Neues, viel Besseres! Genau, das war das Vernünftigste. Außerdem brauchte ich ein neues Deo, und neben dem Arbeitsamt gab es einen Drogeriemarkt.

Guter Plan.

Der blöde Mantel fühlte sich immer noch klamm an, also nahm ich den Anorak, der sich mit den grünlichen Jeans biss. Egal, mich sah ja keiner, und wenn ich im Arbeitsamt recht bedürftig wirkte, war das vielleicht auch besser so.

Ich trabte durch den Schneeregen zur Bushaltestelle, registrierte unterwegs das Gezeter der Meinerz´ aus dem offenen Fenster (es schien um die Frage zu gehen, wer den Fußabtreter eingesaut hatte), weiteren Müll im Vorgarten und auf dem Bürgersteig und drei verdammt finster aussehende Gestalten an der Ecke, die anscheinend gar nichts zu tun hatten. Im Vorübergehen winkte ich ihnen zu. „Ey, Heike, wohin?“

„Neuen Job suchen!“, rief ich zurück und lief weiter. Jochen, Berti und Silvio – total harmlos, aber sehr überzeugend als Straßenschreck aufgemacht. Unsere Kleinganoven, aber mehr als mal einen aufgebrochenen Zigarettenautomaten oder ein paar geklaute Radkappen kriegten sie auch nicht auf die Beine. Meine Radkappen ließen sie in Ruhe, die waren so alt, dass sich dafür kein Abnehmer mehr fand. Mist, ich hätte fragen sollen, ob sie irgendwo einen passenden Auspuff gesehen hatten! Und ob sie ihn mitgehen lassen könnten – aber das fragte ich nun lieber nicht, so etwas wollte ich nicht so genau wissen.

Heute ergatterte ich wenigstens einen MorgenExpress für die Busfahrt, aber gute Jobangebote fanden sich dort auch nicht – Regale auffüllen im Kaufhaus am Markt, sieben Euro brutto, netto wohl die Hälfte, wenn man die Scheißsozialabgaben abzog Umfragen, Zeitschriftenwerbung, Gastronomie, Hauspersonal und jede Menge Putzjobs. Putzen war nichts für mich, ich kriegte ja nicht einmal meine eigene Wohnung auf die Reihe. Anfängerin für aufstrebende Werbeagentur gesucht, keinerlei Vorkenntnisse erforderlich – so was schrieben sie nie rein!

Im Arbeitsamt zog ich eine Nummer und setzte mich. Zehn Leute vor mir, für drei Sachbearbeiter – ich kalkulierte eine Stunde ein und beschloss, den Morgenexpress gründlich zu lesen. Rätselhafter Tod in Rothenwald aufgeklärt... das war mir vorher auch nie aufgefallen. In Rothenwald wohnten ohnehin nur reiche Idioten, das war noch schlimmer als Leiching. Dann lieber noch im Spitzinger Slum oder am Kreuz West – besser ehrliche Unterschicht als diese Möchtegern-Schickis.

In und out... Frühjahrsputz war in, Pelzmäntel und Winterstiefel waren out. Aber solange das niemand Petrus mitteilte? Kinokritiken, Theaterkritiken, Leserbriefe – wegen des Müllabfuhrstreiks in den letzten Wochen - , Klatsch und Tratsch aus dem Showbiz. Alles sehr fesselnd!

Zwanzig nach elf... noch vier vor mir. Puh, war das langweilig!

Um Viertel vor zwölf leuchtete endlich meine Nummer auf. Die Sachbearbeiterin war freundlich, nahm meine Daten auf, bedauerte mich und wollte dann die schriftliche Kündigung sehen. „Bitte? Ich war noch in der Probezeit, mein Vorgesetzter hat mir gesagt, ich soll verschwinden und wenn ich mich noch mal da blicken lasse, ruft er die Polizei.“

„Himmel, was haben Sie denn angestellt?“

„Eine Präsentation vermasselt.“

„Tja... und jetzt wollen Sie Arbeitslosenunterstützung? Ohne schriftlichen Nachweis? Tut mir Leid...“

„Nein – ich will einen Job! Irgendeinen, ich muss ja von was leben, oder? Bei MediAdvert haben sie als Entschädigung mein ganzes Gehalt einbehalten.“

„Wie bitte? Was sind das denn für Räubermethoden?“

Sie guckte so verblüfft, dass ich mich tatsächlich bemüßigt fühlte, Suhrbier zu verteidigen: „Ich hab doch bei dem Kunden zwei Geräte umgeschmissen. Bloß will ich nicht, dass MediAdvert abkassiert und die Hamm KG noch mal, ich hab ja nicht mal eine Quittung.“

„Sie sollten sich einen Anwalt nehmen, der sich im Arbeitsrecht auskennt“, empfahl sie und starrte auf ihren Bildschirm.

„Dafür hab ich kein Geld“, murrte ich. „Ja, also auch wenn Sie eine schriftliche Kündigung hätten – hier gibt es leider nichts Passendes...“

„Mir ist es ziemlich egal, was ich mache – irgendeinen Bürojob...“

„Aber dafür sind Sie doch überqualifiziert!“ Sie sah mich rundäugig an.

„Deshalb hab ich trotzdem Hunger“, entgegnete ich patzig und hoffte, dass sie nicht wie der Idiot von gestern fand, ein paar Tage hungern würden mir gar nichts schaden. „Trotzdem... es ist nichts da, von keiner Agentur, Sie kennen doch die Wirtschaftslage...“

Ich stand auf. „Gut, dann such ich mir selber was. Geht sicher eh schneller. Löschen Sie meine Daten ruhig, ich will Ihnen ja nicht die Statistik versauen. Schönen Tag noch!“ Damit ging ich und knallte von draußen die Tür zu. Wenigstens etwas!

So eine doofe Kuh, wütete ich draußen, hatte die überhaupt nicht kapiert, dass ich irgendeinen Job brauchte, egal, was für einen? Vor der Tür zog ich mein Handy heraus – wenigstens war es jetzt wieder aufgeladen. In der Personalabteilung von MediAdvert ging wieder diese schnippische Ziege von gestern dran.

„Schriftliche Kündigung? Wieso das denn?“

„Fürs Arbeitsamt, Mensch!“, schnappte ich.

„Na, von mir kriegen Sie die nicht, da müssen Sie schon Ihren Abteilungschef fragen. Rufen Sie den doch an.“

Damit legte sie auf, ohne weiter zu verbinden. Schnepfe.

Also rief ich Suhrbiers Nummer an. Der brüllte sofort los: „Was fällt Ihnen ein, hier noch mal anzurufen? Und wo bleiben die restlichen dreitausend Euro?“

„Zweitausend“, verbesserte ich zornig. „Und bevor ich nicht eine schriftliche Kündigung und eine Quittung über mein komplettes Gehalt habe, zahle ich gar nichts.“

„Das wird Ihnen noch Leid tun! Sie zahlen sofort, in bar!“

„Höchstens auf ein Firmenkonto“, entgegnete ich. „und bar geht doch gar nicht - haben Sie vergessen, dass ich mich dem Firmengelände nicht mehr nähern darf? Ich denke, wir sollten das Problem der Geschäftsleitung vortragen“, fügte ich hinzu, weil mich der Verdacht beschlich, dass Suhrbier ein bisschen auf eigene Rechnung arbeitete. „Unterstehen Sie sich! Dann sorge ich dafür, dass Sie nie wieder in der Werbung arbeiten können!“

„Ich scheiß auf die Werbung, alles Betrüger, das sieht man ja an Ihnen“, brüllte ich in mein Handy. „Das ist Verleumdung!“, zeterte er.

„Nein, nur eine absolut zutreffende Beleidigung“, stellte ich richtig, durch meinen Ausbruch etwas besänftigt, „aber Sie können mich gerne verklagen. Dann packe ich mal so richtig aus. Also, was ist jetzt mit einer formellen Kündigung und einem annehmbaren Zeugnis?“

„Nichts!“, brüllte er und legte auf. Klasse. Ich hatte mich zwar so richtig ausgelebt, aber überhaupt nichts erreicht! Was jetzt? Jetzt musste ich mir wirklich selbst irgendeinen Blödeljob suchen, weil ich sowohl im Arbeitsamt als auch bei Suhrbier verschissen hatte. Sollte ich doch den hinterfotzigen Brief an die Geschäftsleitung schreiben? Das konnte ich immer noch, wenn ich ein paar Tage gewartet hatte, klang das Jammern sicher noch überzeugender.

Und jetzt?

Drogeriemarkt, Deo kaufen. Die hatten da ganz raffinierte Badesalze... sollte ich? Erdbeer-Vanille? In heißem, duftenden, rosa Wasser liegen, Musik hören, die Unordnung ignorieren... Und dieser violett schillernde Nagellack – wenigstens für die Fußnägel? Der sah bestimmt scharf aus... Ich schob schließlich einen ziemlich vollen Wagen zur Kasse und wurde mehr als dreißig Euro los, was mich draußen fürchterlich ärgerte: Ein Deo hatte ich kaufen wollen – dreißig Euro?? So dicke hatte ich es auch nicht. Und in Toms Gegend musste ich mich jetzt auch nicht herumtreiben, erstens war ich scheußlich angezogen und zweitens musste er arbeiten – ihn hatten sie ja nicht gefeuert.

Wahrscheinlich saß er mit der süßen Carla beim Mittagessen und sah ihr tief in die Kulleraugen, dieser Idiot. Wann würde er erkennen, dass ich viel besser zu ihm passte? Bei meinem Glück nie, da musste ich nachhelfen.

Ich schlenderte ein bisschen durch die Straßen und hoffte, dass mir ein Traumjob über den Weg lief, aber stattdessen begegnete ich Gudrun, die mich etwas befremdet musterte. „Was machst du denn um diese Zeit hier?“

„Und du?“, konterte ich sofort.

„Ich hab Mittagspause, unsere Dienststelle ist doch gleich drüben in der Marktgasse.“ Gudrun arbeitete in der Stadtverwaltung. Ein Job fürs Leben, die feuerte keiner, die Glückliche. „Und du? Deine Agentur ist doch ewig weit von hier weg – hast du dir frei genommen?“

„Sozusagen, ich bin gefeuert worden“, brummte ich.

„Ehrlich? O Gott, in diesen Zeiten – wie ist denn das passiert?“

Jetzt musste ich das alles noch mal erzählen, samt allen krummen Touren von Suhrbier. Allmählich ließ die Empörung nach und ich begann, die Details etwas herunterzuleiern. Gudrun entrüstete sich sehr erfreulich über Suhrbier, den sie schon nach meinen früheren Erzählungen als Schwein eingeordnet hatte, und versprach, das Ganze einem befreundeten Anwalt vorzutragen.

„Dafür hab ich kein Geld“, wehrte ich ab, „erstmal brauch ich einen Job, irgendwas.“

„Bei uns gibt´s grade gar nichts, leider. Ich hör mich mal um, ja? Aber bist du sicher, dass die dir überhaupt ganz richtig gekündigt haben? Vielleicht ist das gar nicht verbindlich, was dieses Schwein so von sich gibt, vielleicht denken die jetzt, du kommst einfach nicht zur Arbeit?“

„Ich hab ihn doch vorhin angerufen, weil ich die Kündigung schriftlich brauche – der ist noch genau so wütend wie gestern. Ach, ist doch wurscht, Gudrun, ich find schon wieder was. Und wie geht´s dir?“

„Das ist doch jetzt egal! Wir müssen dich wieder auf die Beine bringen!“

„Danke, aber das mach ich schon selber. Sei nicht so betulich, Gudrun. Ich weiß, du meinst es gut, aber -“

„Schon klar“, antwortete sie, leicht beleidigt. Gudrun begluckte jeden, der sich nicht energisch genug wehrte. Eigentlich musste sie solche Zurückweisungen nachgerade gewohnt sein, aber sie fand immer noch die Welt generell etwas undankbar. „Aber du rührst dich, wenn ich dir helfen kann, ja?“ Unverdrossen, die Gute!

„Mach ich“, log ich ergeben. „Du, ich muss weiter, ich hab zu Hause noch eine Menge zu tun. Und ich werde schon was finden, sei unbesorgt.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich.“ Ich hoffte, dass ich optimistischer klang, als ich mich fühlte.

„Na, dann – ich muss auch zurück in die Tretmühle – ein Antrag am anderen... Fast könnte ich dich beneiden.“

„Fast.“ Ich lächelte etwas schief. „Frohes Schaffen – und ich ruf dich an, bestimmt.“ Im Sommer vielleicht. Oder wenn ich die Sache richtig in Ordnung gebracht hatte. Alle meine Vorsätze eingehalten und so... Dann war ich für Gudrun, die perfekte Gudrun, wenigstens nicht mehr ein Wohltätigkeitsobjekt.

Verdammt, jetzt konnte ich mir so richtig vorstellen, wie meine Eltern reagieren würden – genauso betulich (die kleine Heike, zu blöd, um selbst durchs Leben zu kommen – sie ist schon eine schwere Last für ihre armen, alten Eltern) und außerdem vorwurfsvoll, eben weil ich zu blöd war, um selbst zurechtzukommen. In deren Augen war doch wieder alles alleine meine Schuld.

Am besten sagte ich es ihnen gar nicht erst. Andererseits konnte es gut sein, dass ich sie irgendwann mal anpumpen musste – aber lieber putzen gehen! Sie würden so tun, als müssten sie das Geld vom Munde absparen, das kannte ich schon. Verdammt, suchte denn hier niemand eine Aushilfe? Ich würde sogar das Obdachlosenblatt verkaufen!

Neben der Rathausbuchhandlung (da hätte ich ganz gerne gearbeitet) gab einen Schreibwarenladen, der tatsächlich eine Hilfskraft suchte. Der Geschäftsführer musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen: „Nur vorübergehend? Tja, wir suchen allerdings jemanden für länger... Sie sprechen deutsch?“

„Ich spreche Deutsch, ich habe Abitur, einen Führerschein, kann mit einem PC umgehen und scheue keine Arbeit.“

„So kess müssen Sie aber nicht sein. Wissen Sie, wir haben sehr distinguierte Kunden, wir sind schließlich das erste Haus am Platz für hochwertige Schreibwaren – ich glaube nicht, dass Sie da den rechten Tonfall treffen – und das erforderliche Auftreten haben. Es tut mir Leid, aber ich fürchte...“

Zwingen konnte ich ihn ja schlecht, und mein Bedarf an zugeknallten Türen war für heute eigentlich gedeckt, also ging ich für meine Verhältnisse leise und bescheiden wieder.

Shoe´s suchte niemanden.

Hermer& Reuchlin hatten gerade Personal abgebaut und ihr Sortiment verkleinert: Computerbücher gingen im Moment nicht so furchtbar gut.

Flippy Fashion interessierte sich nur für blonde Verkäuferinnen unter zwanzig und unter Größe sechsunddreißig; gepiercter Nabel war Pflicht.

Der Copyshop war ein Einmannbetrieb, und das Semester war so gut wie vorbei – einer langweilte sich da schon genug.

Obst verkaufen wollte ich auch nicht, da würden mich bloß noch meine Eltern sehen.

Der Schnickschnackladen, in dem es mir vielleicht ganz gut gefallen hätte, lag offensichtlich im Sterben – alles voller Plakate: Räumungsverkauf – alles muss raus!

Ich strich ein bisschen durchs Kaufhaus, bezähmte mich mühsam bei den Parfums und den Taschen und fuhr schließlich ins Tiefgeschoss, wegen der Cheese&Onion-Chips.

Fehlstart

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