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5: Dienstag, 11. Februar 2003
ОглавлениеImmerhin konnte man darunter durch krabbeln, wenn man sich vorsichtig abseilte. Ich ließ meine Tasche hinunter, wo der Hausmeister sie freundlich grinsend in Empfang nahm und dann abwartend nach oben schaute. Wollte mir der Sack beim Klettern unter den Rock schielen?
Ich setzte mich und wand mich dann seitlich zur Tür hinaus. Ich fiel bloß etwa einen Meter und war schnell wieder auf den Beinen, jedenfalls schnell genug, um zu sehen, dass der Schnösel auch nicht gerade in rhythmischer Sportgymnastik glänzte, sondern eher unsanft und vor allem unelegant aufkam.
„Hätten Sie das Ding nicht noch ein bisschen tiefer fahren können?“
„Überhaupt“, assistierte ich, „wenn das Ding bloß abgestellt war, hätte es doch genügt, den Strom wieder einzuschalten und uns anständig ins Erdgeschoss zu fahren? Wo sind wir hier? Im vierten Stock?“
„Im dritten. Ja, schon, aber irgendwas ist beim Abstellen heute Abend schief gelaufen. Ich hab´s ja versucht, ihn normal fahren zu lassen – nix!“
Der Hausmeister versuchte, intelligent dreinzuschauen, aber sehr überzeugend wirkte das nicht. „Kommen Sie, schauen wir, dass wir hier rauskommen.“
„Ja“, stimmte ich zu, „ich hab von dieser Firma echt die Schnauze voll. Nichts wie weg hier!“
„Die Firma kann doch nichts dafür!“
„Na, wer solche Hausmeister anstellt...“ Ich wusste selbst, dass das Blödsinn war, aber um kurz vor Mitternacht reichte es nicht mehr für etwas Geistvolleres. Vor der Tür blieb ich stehen. Herrlich, die frische Luft – auch wenn es tatsächlich schon wieder schneite. Überflüssig, fand ich. „Ich fahr Sie schnell heim“, bot er an.
„Was? Nein, danke, nicht notwendig“, wehrte ich sofort ab.
„Zicken Sie nicht rum, jetzt fährt doch kein Bus mehr, es ist fünf vor zwölf.“
„Wie symbolträchtig“, spottete ich. „Und ich zicke rum, so viel es mir passt. Ich nehme mir ein Taxi, vielen Dank auch.“
„Schnepfe.“
„Blödmann.“
„So eine Zicke ist mir schon lange nicht mehr untergekommen“, schimpfte er.
„Ich komm Ihnen auch garantiert nicht mehr unter“, schnappte ich zurück und wollte forsch davonstiefeln, aber ich hatte nicht an meine Entenschuhe gedacht und kam nicht recht von der Stelle. Er packte mich hart am Oberarm und riss mich zurück, ich stolperte prompt und fiel gegen ihn, kam aber nicht mehr dazu, zu zetern oder mich zu entschuldigen, weil er mich küsste.
Ziemlich grob. Und aufdringlich! Wer hatte ihm denn gestattet, mir derartig die Zunge in den Hals zu rammen? Ich zappelte, so weit das in seinem eisernen Griff möglich war, aber ich musste leider zugeben, dass er küssen konnte. Sehr gut sogar. So gut, dass ich ihn unwillkürlich zurückküsste, bis ich merkte, was ich da tat, und sofort aufhörte.
Er hörte aber nicht auf, und so musste ich leider zu etwas drastischeren Mitteln greifen. Aber nur ganz leicht, ich schwöre es. Ziemlich leicht wenigstens. Nur ein kleiner Kick mit dem Knie, er hatte echt keinen Grund, sich derartig theatralisch zu krümmen und so wehleidig herumzujammern. „Selber schuld“, warf ich ihm lässig hin und eierte genauso lässig davon, Richtung Taxistand.
Dort stand auch einer. Wieder so eine Zigarrenkiste! Egal, Hauptsache heim!
„Rheinbergerstraße? Da zerkratzen die mir um die Zeit bloß den Lack“, zeterte der Taxifahrer, und mir platzte endgültig der Kragen.
„Verdammt, ich bin grade vier Stunden in so einem Scheißlift festgesessen, hab meinen Job verloren, es gerade einem Lustmolch ordentlich gezeigt und ich wohne in Spitzing, wo jetzt alle Lackzerkratzer zu Hause vor der Glotze hängen – glauben Sie, es fehlt noch viel, bis ich Amok laufe? Und jetzt fahren Sie gefälligst und texten mich nicht weiter zu, klar?“
Er starrte mich an. „Rheinbergerstraße, okay.“
In verbissenem Schweigen fuhren wir durch die Nacht, und der Nacken unter der schwarzen Kunstlederjacke strahlte förmlich eine Mischung aus Angst und Zorn aus. Vor meinem Haus bremste er sanft ab. Dachte er, wenn er seinem Frust freien Lauf ließe, würde ich ihn erwürgen?
Ich reichte ihm zwanzig Euro nach vorne, stieg aus, sagte „Stimmt so“ und eierte zur Haustür, den Schlüsselbund fest in der Hand – und die Hundekacke am Schuh, natürlich. Wieso war dieser Weg auch nicht beleuchtet?
Im Treppenhaus war niemand. Im Erdgeschoss bei den doofen Meinerz´ hörte man schon wieder einen Krach durch die Tür. Was die Alte keifen konnte! Dann sollte sie auch Grund dazu haben! Ich reinigte meinen Schuh sorgfältig an ihrem Türvorleger und drehte ihn dann um, damit es etwas länger dauerte, bis sie herauskriegte, was da so stank, und lief dann auf Strümpfen weiter bis in den zweiten Stock.
Tür auf – Tür zu – endlich! Ich machte einen Schritt in die Wohnung und schlug der Länge nach hin. Scheiße, die Klamotten und Schuhe im Flur – und der feuchte Bademantel von heute Morgen, ich hatte mich wohl im Ärmel verfangen.
Morgen sollte ich hier vielleicht doch mal... Komisch, bei diesem Winterwetter hatte ich nie Lust, aufzuräumen. Von der Küchenzeile her roch es etwas streng, ich hatte das Geschirr vorgestern „eingeweicht“ und es dann natürlich vergessen. Und die überquellenden Mülltüten an der Türklinke...
Jetzt nicht mehr, wirklich nicht. Für heute reichte es mir.
Hatte ich mich heute Morgen nicht auf diesen Tag gefreut wie eine Verrückte?, überlegte ich, während ich mich auszog und die ruinierten Klamotten einfach fallen ließ. Und was war nun das Ergebnis? Die Präsentation versaut, einen Schaden von fünftausend Euro verursacht, den Job verloren, Tom liebte eine andere und der falsche Mann hatte mich geküsst. Dieser eingebildete Affe! Glaubte der vielleicht, sein Kuss sei ein Trostpflaster? Oder dass ich es so nötig hätte? Dass alle Frauen bloß auf ihn gewartet hatten?
So schön war er wirklich nicht, eher durchschnittlich. Langweilig. Und zerknautscht. Sein Anzug war fast genauso ruiniert wie mein Kostüm. Außerdem war er unverschämt und schmatzte beim Essen. Und ein Frauenfeind war er sicher auch: Wie er immerzu darauf gewartet hatte, dass ich hysterisch wurde!
Bloß gut, dass ich den nie wieder sehen würde!
Jedenfalls war dieser Tag so scheiße gelaufen, ab morgen konnte es nur noch besser werden. Und morgen würde ich hier wirklich mal aufräumen, Zeit genug hatte ich jetzt ja wirklich! Und einen neuen Job würde ich mir suchen, irgendeinen. Und bei MediAdvert anrufen, dass ich für das einbehaltene Gehalt eine Quittung haben wollte. Denen würde ich es noch zeigen! Allen würde ich es noch zeigen – mit einer Heike Unger sprang man nicht so um!