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DIAGNOSE – UND DANN?

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Noch gibt es keine Medikamente, die eine Demenz stoppen oder heilen. Warum aber braucht man dann überhaupt eine Diagnose? Die belastet doch nur, oder?

Eine für alle hilfreiche Antwort fällt nicht leicht. Da ist zum einen die Frage nach den Finanzen (ab >): Kranken- und Pflegekassen übernehmen die Behandlungskosten nur dann, wenn die Erkrankung durch Ärzte bestätigt ist. Und es gibt noch eine Reihe anderer Faktoren, die eine Diagnose sinnvoll machen. Vor allem: Wird die nachlassende Denkfähigkeit frühzeitig festgestellt, können sich die Betroffenen und ihre Angehörigen oft leichter mit ihrer Lebensplanung darauf einstellen. Und je mehr Zeit sie dafür haben, umso besser lässt sich die Pflege auf Dauer natürlich auch bewältigen.

Nicht nur das gesellschaftliche Umfeld schaut gern weg, wenn es um den Verfall grauer Zellen geht. Auch viele Menschen, die an sich selbst erste Symptome erkennen, verleugnen sie. Oft führen sie lange Zeit einen geheimen Abwehrkampf gegen ihre immer tieferen Lücken im Gedächtnis. Dabei entwickeln sie manchmal umwerfend kreative Ausreden, um zu verdecken, dass sie etwas Wichtiges vergessen haben. Schließlich soll niemand die Veränderungen entdecken, gegen die sie sich nicht wehren können.

Diese erste Phase ist belastend, weil anfangs nicht einmal die nächsten Angehörigen begreifen, was in dem Betroffenen vor sich geht. Partner und Kinder erleben zwar, dass derjenige eigenartig reagiert. Doch sie wissen oft lange Zeit nicht, warum. Kein Zweifel, Menschen, denen per Diagnose gesagt wird, dass ihre geistigen Fähigkeiten in Zukunft dahinschwinden werden, müssen in diese Situation erst hineinwachsen.

Den Angehörigen geht es dabei ähnlich wie den Erkrankten. Für eine Weile sind sie zwischen Verzagtheit und Akzeptieren des Unausweichlichen hin- und hergerissen. Zum Annehmen der Situation gehört für beide Seiten das offene Gespräch unter Angehörigen und mit Freunden.

ERST IM REDEN ODER SCHREIBEN VERLIERT SICH FÜR VIELE DER SCHRECKEN, INSBESONDERE AUCH IM AUSTAUSCH MIT ANDEREN BETROFFENEN.

ZEICHEN AN DER WAND

Wenn Vergesslichkeit zum normalen Alterungsprozess gehört – ab wann wird es dann bedenklich? Mediziner und Pflegeforscher verstehen unter Demenz eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns, bei der Zellen absterben und Nervenverbindungen brüchig werden. Treffen von der folgenden Liste mehrere Anzeichen zu, ist das ein Grund für eine gründliche Untersuchung.

 ◆ Der/die Angehörige ist stiller als früher, oft bleibt er/sie untätig und in sich gekehrt. Er/sie wirkt geistesabwesend, manchmal auch sehr traurig.

 ◆ Phasenweise wird sie/er sehr unruhig, wandert scheinbar ziellos umher.

 ◆ Die Gegenwart scheint ihm/ihr nur wenig interessant. Er/sie lebt gedanklich immer mehr in der Vergangenheit.

 ◆ Er/sie vergisst immer häufiger Verabredungen, Geburtstage und Arzttermine.

 ◆ Er/sie verläuft sich manchmal und verliert selbst auf bekanntem Terrain leicht die Orientierung, zum Beispiel bei einem Spaziergang.

 ◆ Obwohl früher vielseitig interessiert, zieht er/sie sich von der Umwelt zurück. Er/sie verlässt das Haus nur noch nach gutem Zureden und in Begleitung.

 ◆ Fernsehbeiträge, Filme und Bücher wecken kaum noch Interesse.

 ◆ Er/sie reagiert immer wieder ohne ersichtlichen Grund gereizt und nervös, wird plötzlich aggressiv, schimpft oder wird sogar tätlich.

 ◆ Neuerungen in der Wohnung oder der Umgebung werden strikt abgelehnt.

 ◆ Er/sie schläft schlechter als früher, wandert nachts umher.

 ◆ Der/die Angehörige reagiert seit einiger Zeit ängstlich und misstraut dem Umfeld.

 ◆ Er/sie erkennt sich im Spiegel nicht mehr, schreckt vor einem vermeintlich Fremden im Spiegel zurück.

Es lieber nicht wissen?

Aber was tut man, wenn man als Angehöriger Gewissheit haben möchte, der Vergessliche jedoch vor einer Diagnose zurückschreckt und es lieber nicht so genau wissen will? Helfen könnte wohl zuerst ein Hausarzt, der ihn schon länger kennt. Er kann das Nachlassen der geistigen Fähigkeiten im Rahmen einer Routineuntersuchung prüfen. Am besten informiert man ihn vorher über den Verdacht. Kluge erfahrene Ärzte sagen ihrem Patienten dann vielleicht so etwas wie: »Viele Ältere werden ja vergesslich. Sollen wir das einmal bei Ihnen testen?«

Bietet das Ergebnis Grund zur Sorge, kann der Hausarzt in eine neurologische Praxis oder eine Gedächtnisambulanz (Adressen siehe Infokapitel ab >) überweisen, damit eventuell behandelbare Ursachen gründlich abgeklärt werden.

Klar ist aber auch: Nicht jeder Arzt kann helfen. Studien belegen, dass Hausärzte dafür extrem unterschiedlich qualifiziert sind. Deshalb erhalten viele vergessliche Menschen erst spät eine Diagnose oder auch gar keine. Gut aufgehoben ist man nur bei einem Arzt, der sich mit Demenzerkrankungen wirklich auskennt. Es lohnt sich, einfach danach zu fragen. Fehlt es ihm an konkretem Wissen, dann wiegelt er bei dem Verdacht einer Gedächtnisstörung vielleicht lediglich ab oder geht im Gegenteil aus Unkenntnis viel zu leichtfertig mit der Diagnose um, ohne sich klarzumachen, was er damit anrichten kann.

Behutsam

So bekam ein 80-jähriger ehemaliger Starjournalist bei einer Magenuntersuchung von einem jungen Arzt quasi nebenher die Diagnose »Demenz« verpasst. Der Mediziner hatte einfach nicht mitbekommen, dass der früher hochaktive Mann seit geraumer Zeit Schlafmittel einnahm. Es waren die Neben­wirkungen dieser Pillen, die seinen Kopf belasteten und ihn geistig abwesend erscheinen ließen. Nach dem Absetzen der Medikamente war der Mann ein paar Wochen später geistig wieder fit genug für die politischen Debatten im Freundeskreis, die er sein Leben lang mit Lust geführt hat.

Wahr ist leider auch, dass nicht jede Fachkraft über genügend Einfühlungsvermögen verfügt und sich die Zeit nimmt, die Wahrheit klar, aber taktvoll zu überbringen. Es sind vor allem Selbsthilfegruppen, die bei der Ver­arbeitung der Diagnose Unterstützung bieten, weil man durch Gespräche mit anderen erkennt, dass man mit seinen Problemen keineswegs allein ist.

In manchen Fällen ist es auch gut, psychologische Hilfe zu suchen und anzunehmen. Klarheit und Offenheit helfen in jedem Fall. Werden Familienmitglieder aus vielfältigen Quellen gut informiert und im Alltag unterstützt, können sie mit ihrem Angehörigen einfacher und entspannter leben.

DAS LEIDIGE FACHCHINESISCH

Mediziner, Pflegefachleute und Berater haben sich häufig eine Fachsprache angeeignet, die sie für politisch korrekt halten. Die gerät vielfach so gefühllos und sperrig, dass man sie als normaler Bürger kaum versteht. Das sozio-medizinische Kauderwelsch ist wie ein Geheimcode, an denen sich Eingeweihte erkennen, von dem aber Außenstehende wie diejenigen, die plötzlich einen Angehörigen zu Hause pflegen müssen, ausgeschlossen werden. Wie kann man sich helfen? Schließlich geht es bei den Gesprächen, die oftmals zu Monologen der Fachperson geraten, um uns und unsere Angehörigen.

Wer bei einem Beratungsgespräch mit Spezialbegriffen zugeschüttet wird, gibt dem Gegenüber am besten freundlich, aber offen zu verstehen, dass er sein Versteckspiel mit Wörtern nicht akzeptiert und Klartext möchte. Vielleicht einfach so: »Vielen Dank für Ihre Ausführungen. Nun bitte dasselbe noch einmal in Alltagsdeutsch, damit ich alles verstehe.« Denn eins ist klar: Es gibt keinen noch so schwierigen Zusammenhang, den man nicht auch verständlich ausdrücken könnte. Und es ist gewiss keine Zumutung, über eine schwerwiegende Erkrankung klare Auskunft zu verlangen. Es ist unser Recht.

Demenz - gelassen betreuen und pflegen

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