Читать книгу Demenz - gelassen betreuen und pflegen - Elisabeth Lange - Страница 5
DAS TABU BRECHEN
ОглавлениеVerschämt, entmutigt, überfordert – oder besser: informiert, aufgeklärt, unterstützt? Wie wir auf die Demenz blicken, kann entscheidend bestimmen, wie uns der Umgang mit vergesslichen Menschen gelingt.
Wenn Sie dieses Buch in Händen halten, sorgen Sie sich vielleicht um einen Angehörigen, der vergesslicher wird. Es könnte sein, dass Sie als Partner oder als Kind seine vertrauteste Person sind und fühlen, dass Sie bald mehr Verantwortung übernehmen müssen. Oder Sie erleben, wie ein vergesslicher Mensch für seine Angehörigen zur Herausforderung gerät. Vielleicht aber pflegen Sie ein Familienmitglied bereits seit geraumer Zeit und wollen es einfach noch besser hinkriegen. Womöglich arbeiten Sie in einem pflegenden Beruf und nehmen dieses Buch zur Hand, um die Sorgen der Angehörigen noch besser zu verstehen und den Kontakt zu ihnen leichter und hilfreicher zu gestalten.
Doch wie soll das gehen bei dieser Krankheit, die trotz gigantischer Forschungsmittel bisher nicht besiegt werden konnte? Der Umgang damit ist eine Herausforderung für uns als Gesellschaft und für jeden persönlich, der sich damit konfrontiert sieht. Was helfen kann? Wissen! Praktisches Know-how, das den Betroffenen, ihren pflegenden Angehörigen und ihren Freunden dabei hilft, mit der Krankheit möglichst entspannt weiterzuleben. Noch immer bestimmen Klischees das Bild von Demenz und eine Menge Leute redet darüber – ohne eigene Erfahrung.
Unbestritten gehört das Aufzeigen von Missständen in der Pflegewirtschaft zu den legitimen Aufgaben der Medien. Doch es schürt auch Ängste. Denn wie soll man auf der persönlichen Ebene mit diesem enormen gesellschaftlichen Manko umgehen und die eigenen Angehörigen – oder auch sich selbst – davor schützen?
Wir lassen das Thema lieber nicht zu nah an uns heran und reden ungern darüber, wenn in unserer Umgebung ein Mensch seine Erinnerungen verliert. Denn fast immer beschleicht uns dabei der Gedanke, wir könnten irgendwann auch betroffen sein. Und dem möglichen Niedergang des eigenen Denkvermögens entgegenzusehen, das ist wahrhaftig nichts für Feiglinge.
Auch das Erleben, dass »es« einen Angehörigen, unsere Mutter, unseren Vater, unsere Schwester oder unseren Bruder, treffen könnte oder bereits getroffen hat, kann überwältigend und nur schwer zu tragen sein.
Mein Vorschlag in all dem: Versuchen wir es doch mit mehr Offenheit! Über die alltäglichen Probleme von Betreuten und Betreuern reden, das Thema nicht unter den Teppich kehren – das hilft dabei, die Krankheiten der Vergesslichkeit zu verstehen und ein wenig leichter zu nehmen.
STATISTISCH GESEHEN TRAGEN NUR KNAPP 7 PROZENT DER ÜBER 65-JÄHRIGEN EIN RISIKO, AN EINER DEMENZ ZU ERKRANKEN. NICHT JEDES »VERGESSLICHWERDEN« IST ALSO WIRKLICH DEMENZ.
Mehr Offenheit zeigt auch: Der Alltag von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen sieht zum Glück anders aus, als viele Menschen denken! Die Realität präsentiert sich viel freundlicher als das triste Klischee, denn die allermeisten Familien sorgen hingebungsvoll für ihre vergesslichen Angehörigen und wachsen Tag für Tag mit ihrer Aufgabe. Gelingt sie, dann beschreiben sie die Pflege als positiv und erfüllend. Wie beherzt der Einsatz der pflegenden Angehörigen ist, zeigt sich an vielen Stellen und bei vielen Themen dieses Buchs. Fakt ist: Die Angehörigen sind der größte Pflegedienst der Nation!
Uns Gesunden öffnet mehr Offenheit die Augen dafür, wie vielfältig die geistigen Fähigkeiten sind, die man braucht, um den Alltag zu meistern. Und nur wenn wir das innere Erleben eines vergesslichen Menschen begreifen, wenn wir also seine Welt mit seinen Augen sehen, können wir ihm richtig helfen und dabei sogar unsere eigenen Kräfte schonen. Wenn wir uns auf diese Vorstellung einlassen, könnte dies der erste Schritt zur Befreiung sein und zu einem leichten und fürsorglichen, vielleicht sogar heiteren Umgang mit den Betroffenen führen.