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Der Himmel war wolkenlos an diesem Dienstagmorgen im April. Die Sonnenstrahlen kämpften sich zwischen den Blättern und Ästen der Bäume hindurch, spiegelten sich im tropfenden Tau und erweckten den kleinen Wald am Ortsrand aus der nächtlichen Ruhe. Ulrikes Mercedes-Oldtimer rauschte wie ein Fremdkörper über den Forstweg. Im Rückspiegel registrierte sie den trockenen Waldboden, die braune Wolke, die einen dunklen Film auf ihrer Heckscheibe hinterließ. Mit knirschenden Reifen kam ihr marineblauer W123 schließlich vor dem maroden Bauernhof zum Stehen. Ulrike schaltete den Motor aus, löste die durchgestreckten Arme vom Lenkrad, klappte die Sonnenblende herunter und begutachtete sich in dem kleinen Spiegel. Sie fuhr sich durchs kurze, rot gefärbte Haar, zog ihren Lippenstift nach, schob die Sonnenbrille vor bis auf die Nasenspitze und blickte über den Brillenrand auf die weiß-braune Fassade der riesigen Scheune, die sich wie ein Ungeheuer vor ihr aufbaute. Sie atmete tief durch und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Dann schaltete sie das Radio aus, stieg aus dem Wagen und ließ die Autotür hinter sich zufallen.

Trotz des guten Wetters war es zu dieser frühen Uhrzeit noch immer bitterkalt. Ulrike schlug den Mantelkragen hoch und ging an der Außenfassade des Dreiseithofs vorbei auf den Eingang zu, vor dem ein rot-weißes Absperrband aufgespannt war. Eine junge Streifenpolizistin mit einem langen blonden Pferdeschwanz kam ihr entgegen. »Sind Sie …?«

»Hauptkommissarin Kork, Kripo Regensburg.«

»Franka Brandl, Polizeiinspektion Neumarkt. Wir haben schon auf Sie gewartet. Hier lang …« Franka Brandl zog das Absperrband nach oben, und Ulrike trat durch den niedrigen, weiß verputzten Eingang in die schummrige Diele des Wohnhauses. Es roch muffig, nach großem Hund und Zigarillos, nach dreckigem Geschirr und Kauzigkeit. So als wäre schon lang nicht mehr gelüftet worden.

Rechts der Diele lag die Küche, links davon ein kleines Wohnzimmer, in dem Staubkörner und Hundehaare von den in weißen Overalls umhergeisternden Mitarbeitern der Spurensicherung aufgewirbelt wurden und im trüben Licht tanzten. Trotz der vielen Personen, die sich im Gebäude befanden, lag eine gespenstische Ruhe in der Luft. Über die knarzende Holztreppe stiegen die beiden Frauen nach oben. Ein düsterer Flur erstreckte sich vor Ulrike, kleine Zimmer rechts und links, schwaches Licht erhellte das dunkle Holz des Fußbodens und warf Schatten an die Wand.

»Da vorn, im Schlafzimmer«, sagte Franka Brandl, und Ulrike folgte ihr zum letzten Raum auf der linken Seite. Als Ulrike sich an das matte Licht gewöhnt hatte, sah sie den Arm, der halb aus der Tür auf den Flurboden ragte. Sie schauderte. Dann trat sie ein.

Die Leiche lag verkrümmt neben dem Türblatt in einer getrockneten, rostig-dunkelroten Blutlache, das karierte Hemd war völlig durchtränkt, die Haare verklebt. Ein fahler Lichtschein erhellte das blutverschmierte, ebenmäßige Gesicht des Mannes, das von einem dichten Bart und kräftigen Augenbrauen umrahmt war. Aus dunklen Höhlen starrten ihr leere braune Augen entgegen, die zuletzt einen Punkt auf dem Flur fixiert haben mussten.

An solch einen Anblick würde Ulrike sich wohl nie gewöhnen. Trotz all der Jahre im Dienst der Kriminalpolizei, trotz all der Tatorte, all der Leichen, all der Tragödien. Dieser erste Blick verlangte ihr stets am meisten ab.

Sie zog den Schal über Mund und Nase und atmete durch den Stoff tief ein. »Mit wem haben wir es hier zu tun?«

Statt Franka Brandl antwortete ihr die tiefe Stimme eines Mannes, der bereits im Zimmer stand. »Leonard Berger, siebenundfünfzig Jahre. Lebte seit etwas mehr als einem Jahr allein hier auf dem Hof.«

Der Mann, der auf Ulrike zukam, war riesig, an die zwei Meter groß. Er trug eine dunkelblaue Uniform, war um die fünfzig, hatte schwarz-graues, sauber nach hinten gekämmtes Haar, einen Schnurrbart und buschige Augenbrauen. »Yusuf Kaya, Hauptkommissar. Kripo Regensburg, nehme ich an? Wir hatten eigentlich mit Herrn Wimmer gerechnet –«

»Jetzt müssen Sie mit mir vorliebnehmen. Ulrike Kork, ich bin neu auf dem Posten«, unterbrach sie ihn forsch.

»Und heut das erste Mal im Einsatz?«

Ulrike nickte. »Hier ja, ich war davor beim LKA in München.«

»Aber von hier sind Sie auch nicht, oder? Das hört man.«

Ulrike beugte sich, statt einer Antwort, demonstrativ über die Leiche, um dem Small Talk ein Ende zu bereiten. »Wer hat ihn gefunden?«

»Eine Spaziergängerin aus dem Nachbarort. Sie war im Wald unterwegs, da kam ihr der Hund entgegen, und sie hat sich Sorgen gemacht. Sie ist draußen bei meinem Kollegen, der befragt sie gerade.«

»Wie lang liegt er hier schon?«

»Sicher ein paar Tage. Brutal niedergemetzelt haben sie ihn, den armen Kerl. Sechzehn Messerstiche in Brust- und Bauchgegend. Am Ende ist er wohl einfach verblutet.«

Ulrike blickte von der verkrümmten Hand aufs Türblatt, registrierte die blutigen Abdrücke auf der Klinke, die Spritzer auf dem dunklen Holz. »So wie es aussieht, wurde er direkt an Ort und Stelle niedergestochen …«

»Anscheinend, der Täter hat ihn im Türrahmen überrascht. Er kam vom Flur.«

»Fehlt was im Haus? Wertgegenstände, Geld?«

Yusuf Kaya schüttelte den Kopf. »Raubüberfall kann man ausschließen. Im Nachtkasten sind zweihundert Euro, sein Portemonnaie liegt gut sichtbar unten in der Garderobe, ebenfalls gefüllt. Abgesehen davon wär man hier sowieso nicht reich geworden. Der Typ hat wie ein Asket gelebt, das ist alles quasi Sperrmüll. Er ist nicht aus der Gegend. Letztes Jahr ist er hergezogen.«

»Wenn das mal keine Fehlentscheidung war«, bemerkte Ulrike und blickte ein letztes Mal in das aschfahle Gesicht und auf den leicht geöffneten Mund, der für die Ewigkeit zu einem morbiden Lächeln verzerrt war.

Ulrike trat nach draußen, stellte sich ins Sonnenlicht und sah sich um. Der Dreiseithof Nebeleck lag abgeschieden auf einer großen Lichtung in einem Waldstück, der nächste Ort Schwanghaus war etwa zehn Gehminuten entfernt. Neben der riesigen Scheune und dem Wohnhaus gab es noch einen alten Stall, der nur ein paar vor sich hin rostende landwirtschaftliche Geräte und etwas Holz enthielt. Die Wiese um den Hof hatte eine satte grüne Farbe und war gesprenkelt von leuchtend gelben Narzissen, die sich der Sonne entgegenstreckten. Vor dem tiefblauen Himmel bogen sich am Rande der Lichtung hohe Kiefern sanft im Ostwind.

Das malerische Farbenspiel des Frühjahrs kontrastierte so stark mit dem maroden Hof und der übel zugerichteten Leiche, dass Ulrike das Ganze für einen Augenblick wie eine Inszenierung vorkam. Doch hier war nichts inszeniert. Die Brutalität, durch die Leonard Berger den Tod gefunden hatte, war Indiz für ein Verbrechen, das aus purem Hass begangen worden war, das einer Hinrichtung gleichkam. Nur für einen Moment fragte sie sich, warum sie so starrsinnig darauf bestanden hatte, den Fall allein zu übernehmen. Nach allem, was in den letzten Wochen geschehen war, waren ihr die Arbeit, das Alleinsein und der Ortswechsel sehr gelegen gekommen. Auch in Regensburg hatte man ihr Drängen sofort akzeptiert, die Kriminalpolizeiinspektion war ohnehin völlig überlastet.

Sie drehte sich noch einmal zu dem Hof um und blickte durch die schmutzigen Fenster, rief sich die Leiche Bergers in Erinnerung. Es war dennoch ihre Entscheidung gewesen und jetzt auch ihre alleinige Verantwortung.

Ulrike schüttelte ihre Bedenken ab, bevor sie sich auf den Weg zum Polizeibus machte, in dem die Spaziergängerin befragt wurde, die den Toten gefunden hatte. Da erregte ganz plötzlich etwas ihre Aufmerksamkeit. Am Ende der Zufahrt zum Hof meinte sie eine Frau wahrzunehmen. Ihre Umrisse lösten sich nur kurz aus dem scharfkantigen Schattenspiel der Bäume, sie wirkte wie versteinert. Als sie Ulrikes Blick bemerkte, rannte sie davon und verschwand im Dunkel des Waldes.

***

Hallo du,

fällt mir schwer zu erklären, was heut passiert ist, als wir uns getroffen haben. Vielleicht war es Magie oder so was. Es hat sich zumindest so angefühlt. Ich bin ganz durcheinander seitdem, das ist mal sicher. Aber ich hab das Gefühl, als wär das jetzt Schicksal. Als hätt ich’s doch immer gespürt, dass es so kommt, und jetzt weiß ich’s halt, ich hätt nicht gedacht, dass mir so was noch passieren kann. Deswegen sag ich bloß Danke. Und dass ich an dich denk.

X.

Nebeleck

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