Читать книгу Past Perfect Life. Die komplett gelogene Wahrheit über mein Leben - Elizabeth Eulberg - Страница 10
Kapitel 6
ОглавлениеIn meiner Vorstellung standen die Chancen auf eine ziemlich sensationelle Woche eigentlich nicht schlecht. Ich dachte, ich hätte alles richtig gemacht: gelernt, mein Ehrenamt ausgeübt, bei diversen Schulaktivitäten mitgemacht und noch mehr gelernt. Alles andere würde sich von allein ergeben. Doch nach dem Aufstehen war es mit dem schönen Plan aus und vorbei.
»Hey!« Ich zucke zusammen, als Neils Stimme mich aus meinen Gedanken reißt. Ach ja. Neil wird bald jemanden auf ein Date einladen … und dieser Jemand ist höchstwahrscheinlich nicht ich.
»Hey, hey!« Er hebt beschwichtigend die Hände und nähert sich unserer Haustür. »Alles klar bei dir?«
»Ja«, lüge ich und fühle mich idiotisch dabei. Eigentlich wollte ich auf dem Weg zur Schule den Mund halten, nur für den Fall, ihr wisst schon, dass er mich etwas fragen will.
Doch inzwischen habe ich ganz andere Sorgen.
»Möchtest du darüber sprechen?«, durchbricht Neil das Schweigen.
»Ich …« Verzweifelt versuche ich immer noch, all das, was passiert ist, einzuordnen. »Ich hab gestern meine College-Bewerbungen abgeschickt.«
»Gratuliere«, sagt er und knufft gegen meinen Arm. »Jetzt ist es bei dir auch endlich angekommen, oder? Wir gehen aufs College!«
Ich schüttele den Kopf. »Nein. Ich hab von allen drei Unis schon eine automatische Antwort bekommen.«
Neil schaut mich mit hochgezogener Augenbraue an. »Oh, so läuft das? Die brauchen sich deine Bewerbung nicht mal anzuschauen, weil sie gesehen haben, dass es die Allison Smith aus Valley Falls ist, und: Zack! Sofort wirst du angenommen.«
Ich wünschte, es wäre so.
Vermutlich sollte ich dankbar sein, dass ich nicht schon gestern Abend meine E-Mails gecheckt habe.
Gestern war schon schlimm genug, auch wenn Dad so getan hat, als sei nichts vorgefallen, nachdem er von seinem Spaziergang zurückgekommen war. Unsere Unterhaltung und seine harsche Reaktion darauf waren wie weggefegt – genau wie jede meiner Erinnerungen an die Vergangenheit.
Ich war mit Baxter ins Bett gekrochen und hatte versucht zu schlafen. Zwar ist mir das mehr schlecht als recht gelungen – aber hätte ich gewusst, dass drei E-Mails in meinem Posteingang warteten, die mein Leben zerstören würden, hätte ich überhaupt kein Auge zugetan.
»Nein.« Ich hole tief Luft. »Meine Sozialversicherungsnummer wurde abgelehnt. Angeblich ist sie ungültig. Meine Bewerbungen sind damit nicht eingegangen.«
Neil hat sofort eine einleuchtende Antwort parat. »Wahrscheinlich hast du nur die falsche Nummer eingetippt. Passiert mir ständig. Sicher nur ein Zahlendreher.«
»Das hab ich auch gedacht, aber die Nummer stimmt. Ich hab’s nachgeprüft.«
»Hast du dir von deinem Dad die Sozialversicherungskarte geben lassen? Vielleicht ein Übertragungsfehler?«
»Er war schon unterwegs, als ich aufgestanden bin.« Nicht, dass ich mich trauen würde, ihn nach gestern Abend überhaupt noch nach irgendetwas in Sachen College-Bewerbungen zu fragen.
»Das kommt wieder in Ordnung. Wahrscheinlich bloß ein Fehler im Computersystem.« Neil tätschelt meine Schulter und lässt seine Hand ein bisschen länger liegen als sonst. »Am besten sprichst du mit Ms Pieper.«
»Ja, das hab ich auch gedacht. Ich gehe gleich bei ihr vorbei, wenn wir da sind. Im Moment bin ich einfach nur total frustriert.«
Ich hatte so lange daran gesessen, die ganzen Formulare auszufüllen und unzählige existenzielle Fragen über mein Leben zu beantworten. Sämtliche Dokumente und Steuerformulare zusammengesucht. Sichergestellt, dass ich alles genau richtig ausgefüllt habe. Jeden einzelnen Abgabetermin eingehalten.
Verdammt, Erwachsensein ist das Letzte.
»Das wird schon. Der Fehler liegt bestimmt bei denen.«
»Was für ein Fehler?« Dana kreuzt unseren Weg.
»Nichts«, sage ich. Dana ist der letzte Mensch, der von meinen Problemen erfahren darf.
Ihre Mundwinkel verziehen sich ein ganz kleines bisschen, bevor sie sich Neil zuwendet. »Und wie war dein Wochenende?«
Ich senke meinen Kopf, spüre aber immer noch Neils Blick auf mir.
Hoffentlich können Dad und ich schon heute Abend bei chinesischem Essen und unserem Filmklassiker darüber lachen, sobald dieser ganze Mist geklärt ist. Bestimmt hat er richtiggelegen, als er meinte, ich würde mir viel zu viel Stress machen. Die College-Bewerbungen machen mich wirklich komplett verrückt.
»Mein Wochenende war ganz gut«, antwortet Neil auf Danas Frage.
»Ach ja?«, sagt Dana spitz. »Ich dachte, du wärst total im Stress, weil du meine Nachrichten nicht beantwortet hast.«
»Äh, ja …«
Ich schaue kurz hoch und sehe, wie Neil sich am Hinterkopf kratzt. »Ja, ich hatte echt viel um die Ohren.«
Ich beiße mir auf die Innenseite der Backe, um mir ein Lächeln zu verkneifen. Neil beantwortete nicht mal richtig Danas Frage. Das würde er aber doch tun, wenn er vorhätte, mit ihr auszugehen, oder? ODER?
Eigentlich hab ich nichts gegen Dana. Es ist sogar so, dass mir ihr Ehrgeiz, mir als Jahrgangsbeste den Rang abzulaufen, eher hilft. Denn das stachelt mich nur noch mehr an. Wahrscheinlich hätte ich keinen so guten Notendurchschnitt, wenn sie nicht die ganze Zeit so, na ja, so voll auf Konkurrenz machen würde. Aber das ist ihre Strategie – als ob jeder über ihre Erfolge, und seien sie noch so klein, Bescheid wissen müsste. Ihre Online-Profile (mit echtem Namen, denn warum soll sie etwas posten, wenn sie nicht den Ruhm einheimsen kann?) kreisen einzig und allein um das, was sie erreicht hat. Der einzige Grund, warum die ganze Schule meinen Notendurchschnitt kennt, ist der, dass Dana ständig über ihren eigenen redet und wie kurz davor sie ist, mich zu schlagen.
Letzten Endes geht es ihr wahrscheinlich nicht nur darum, die Nummer eins zu sein. Sie will bei unserer Abschlussfeier als Jahrgangsbeste die Rede halten. Ganz ehrlich, geschenkt. Mein Ziel ist nur das Stipendium.
Doch das mit Neil – das ist anders. Normalerweise bekommt Dana, was sie will. Und ich will nicht, dass sie Neil bekommt.
»Ich hab von Lees Party gehört«, sagt Dana und klingt fast ein wenig neidisch.
Gibt es irgendjemanden, der nicht von der Party gehört hat? Eben weil alle davon wissen, kommt es immer wieder vor, dass Leute ohne Einladung auf einer der vielen Gleason-Partys aufkreuzen, die dann mit offenen Armen begrüßt werden. Bei so vielen Leuten spielt einer mehr oder weniger keine Rolle.
Aber das werde ich Dana natürlich nicht verraten.
»Tja«, fährt Dana fort, »am Samstag war ich mit unserem Debattierclub in De Pere. Wir sind Erste geworden.«
Sie macht eine Pause, damit Neil und ich ihr gratulieren können. Wir tun ihr den Gefallen, wenn auch mit fehlender Begeisterung.
»Danke. Dieses Jahr sind wir noch kein einziges Mal geschlagen worden.«
Dana macht noch eine Pause, aber sowohl Neil als auch ich schweigen. »Ja. Und gestern Morgen hab ich ehrenamtlich im Altersheim gearbeitet.«
Pause.
Hilfe. Arbeitet man nicht ehrenamtlich, um anderen zu helfen – und nicht nur, damit andere Leute einen dafür bewundern? Obwohl ich bezweifele, dass Dana morgens ohne Lob oder Bewunderung von anderen überhaupt aufstehen würde.
»Und gestern hab ich mich dann noch für ein paar Colleges beworben. Zehn Anmeldungen sind schon draußen. Bleiben noch fünf.«
Fünfzehn Colleges? Wo nimmt sie bloß die Energie her? Oder die Zeit – bei all den Debattiercluberfolgen, Ehrenamtsjobs und anderen wohltätigen Aktivitäten? Und woher nimmt sie das Geld? Für jede Bewerbung wird eine Gebühr fällig. Und wenn man erst mal angenommen ist, kommen die Studiengebühren …
»Hast du dich an irgendeiner staatlichen Hochschule beworben?«, erkundige ich mich. Mir kommt nämlich der Gedanke, ob vielleicht doch irgendetwas mit dem Computersystem der Uni nicht stimmt.
»Na klar. Madison steht ganz oben auf meiner Liste. Warum?« Sie wirft ihre Haare nach hinten.
»Reine Neugierde.« Ich beschleunige meine Schritte und winke Neil zum Abschied. So ungern ich ihn mit Dana allein lasse, ich muss so schnell wie möglich zu Ms Pieper.
»Komm rein, Allison«, ruft mir Ms Pieper aus ihrem Büro zu.
Die weiß gestrichenen Backsteinwände in ihrem Büro sind mit lauter Motivationssprüchen dekoriert und gegenüber von ihrem Schreibtisch steht ein dick gepolstertes Sofa mit Blümchenmuster. Wie immer mache ich es mir auf dem Sofa bequem, während sie sich daneben auf den roten Sessel setzt.
»Wie kommst du mit den Bewerbungen voran?«, fragt sie. »Hast du immer noch eine staatliche Uni im Auge?«
»Ja. Bis gestern Abend lief alles glatt. Doch dann hab ich meine Bewerbungen eingereicht und sie wurden automatisch abgelehnt, weil angeblich irgendetwas mit meiner Sozialversicherungsnummer nicht stimmt.«
»Oh.« Sie wirkt überrascht und plötzlich mache ich mir Sorgen. Ms Pieper arbeitet seit über zwanzig Jahren an unserer Schule. Garantiert ist ihr da schon jedes denkbare Problem über den Weg gelaufen, was College-Bewerbungen betrifft.
»Das hier sind die E-Mails, die ich von allen drei Hochschulen bekommen habe.« Ich reiche ihr die Ausdrucke, die ich heute Morgen gemacht habe, und eine Mappe mit all meinen Bewerbungsunterlagen.
Ms Pieper setzt ihre Lesebrille auf und wirft einen prüfenden Blick auf die automatischen Antwortschreiben. Sie schaut auf und lächelt mir aufmunternd zu. »Na, dann lass uns mal schauen, was los ist.«
Sie steht auf und nimmt hinter ihrem Schreibtisch Platz. Ein paar Minuten lang tippt sie auf ihrem Computer herum. Ihr Blick wandert zwischen dem Bildschirm und meiner Mappe hin und her und die Furchen auf ihrer Stirn vertiefen sich.
»Stimmt etwas nicht?«, frage ich.
Sie nimmt ihre Brille ab und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. »Ich glaube, ich hab das Problem gefunden. Auf der College-Bewerbung steht eine andere Sozialversicherungsnummer als die, die wir in deiner Schulakte haben.«
Ich kann nur nicken, da ich nicht sicher bin, was das bedeutet oder wie das überhaupt passieren konnte.
»Wo hast du die her?« Sie hält meine College-Bewerbung hoch und zeigt auf die Nummer, die ich eingetragen habe.
»Aus den Unterlagen von meinem Führerschein. Oh, warten Sie.« Plötzlich erinnere ich mich. »Da gab es auch ein Problem mit meiner Nummer. Mein Dad hat mir gesagt, ich bräuchte ein neue, und deswegen musste ich einen ganzen Monat warten, bis ich meine Fahrprüfung ablegen konnte.« Bestimmt ist es das. Aber wieso die neue Nummer nicht funktioniert, kapiere ich nicht.
»Du meinst Karte, nicht Nummer.«
Ich schüttele den Kopf. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich eine neue Nummer beantragt habe.«
Ms Pieper schaut mich verwundert an. Keine Ahnung, was ihr durch den Kopf geht, aber ihr Blick macht mich immer nervöser.
»Muss man denn das nicht, wenn man seine Sozialversicherungsnummer verliert?«, frage ich, denn offen gesagt hab ich keine Ahnung, wie das alles funktioniert.
Ich brauchte die Nummer bisher nur, um meinen Führerschein zu machen und um mich an den Unis zu bewerben. Dad kümmert sich immer um diesen Kram.
Nach ein paar unbehaglichen Sekunden steht Ms Pieper auf. »Na gut. Ich bin sicher, dass das nichts zu bedeuten hat. Irgendeine Erklärung muss es ja geben. Ich werde im Uni-Sekretariat anrufen und das herausfinden.«
Ich beiße mir auf die Lippe. »Bedeutet das, dass ich noch mal von vorne anfangen muss? Kann ich überhaupt mit meinen Stipendienanträgen weitermachen, wenn ich nicht mal weiß, auf welches College ich gehen werde?«
Sie schenkt mir ein beruhigendes Lächeln. »Allison, lass das mal meine Sorge sein. Mach dir keine Gedanken. Warum gönnst du dir mit deinen Bewerbungen und Stipendienanträgen nicht eine Pause, während ich mich dahinterklemme?«
Denselben Rat hat Dad mir gestern gegeben: Pause machen.
Er hat recht. Ms Pieper hat recht. Ich verliere völlig die Nerven. Diese Woche werde ich locker angehen lassen und mich entspannen. Alles andere kann warten.
»Klingt das gut?«, fragt sie.
Ich stehe auf und nicke. »Das klingt sogar sehr gut.«