Читать книгу Past Perfect Life. Die komplett gelogene Wahrheit über mein Leben - Elizabeth Eulberg - Страница 5

Kapitel 1

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Beschreiben Sie ein bedeutendes Ereignis in Ihrem Leben und inwiefern es Sie beeinflusst hat.

Echt jetzt? Ich fasse es nicht, dass ich nach all der harten Arbeit, nach der ganzen Lernerei der vergangenen Jahre diese Frage beantworten muss.

Okay. Ich schaf‌fe das. Ich habe eintausendfünf‌hundert Wörter über den Einfluss prähistorischer Malereien auf die heutige Kommunikation geschrieben, dann werde ich es ja wohl hinkriegen, mir etwas über mich selbst aus den Fingern zu saugen, das eine Auswahlkommission davon überzeugt, mir ein Stipendium zu geben.

Klar, kein Druck oder so.

Was meinen die überhaupt mit »bedeutend«? Ich bin siebzehn. Wenn man direkt vor dem Termin fürs Klassenfoto einen fetten Pickel bekommt, ist das ein einschneidendes Lebensereignis. Wenn man im Unterricht drangenommen wird und keine Ahnung hat, was die richtige Antwort ist, ist das ein Riesending. Mal ehrlich: Als das Kino unserer Kleinstadt eine zweite Leinwand bekam, sorgte das wochenlang für Schlagzeilen in den Lokalnachrichten. Meine Vorstellung von »bedeutend« könnte also für alle anderen ein ganz kleines bisschen ent‌täuschend sein.

Wahrscheinlich ist irgendetwas von echter Tragweite gemeint. Schon klar. Genau da aber liegt das Problem. Mein Leben ist ziemlich ereignislos. Ich bin eine gute Schülerin und halte mich raus aus Schwierigkeiten. Mein Leben ist das genaue Gegenteil von »bedeutend«. Es ist halt … mein Leben.

Ich wohne in Valley Falls, einem winzigen Ort in Wisconsin. Hier ändert sich nie etwas, und mir gefällt das. Bevor wir vor acht Jahren hierhergezogen sind, haben Dad und ich in fünf verschiedenen Städten gelebt. Alles ist schön hier, aber das hilft mir nicht bei der Beantwortung dieser Frage. Ist meine Existenz wirklich so belanglos?

Siebzehn und nichts vorzuweisen.

»Tja, Baxter, ich geb auf«, sage ich zu meinem braunen Boston Terrier, der auf meinem Bett hockt. Ich stehe vom Schreibtisch auf und lasse mich neben ihn fallen. Als Antwort schleckt Baxter mir über die Wange.

Wenigstens mein Hund glaubt, dass ich bedeutend bin. Allerdings ist er ja auch in Sachen Futter und Gassigehen von mir abhängig, also nicht gerade unvoreingenommen. Wenn doch Stipendienkommitees nur so lieb und treu wie Hunde wären.

Baxter springt vom Bett und dreht sich einmal im Kreis. Dann bellt er zweimal und saust auf den Flur. Was nur eins bedeuten kann: Dad ist zu Hause.

Die Haustür geht auf, als ich ins Wohnzimmer komme. »Hey.«

»Ally! Wie war’s in der Schule?«, fragt Dad, während er die Arbeitsstiefel auszieht und seinen Werkzeuggürtel an einen der Garderobenhaken neben der Tür hängt.

»Gut.« Ich versuche, überzeugend zu lächeln, auch wenn ich weiß, dass er mich sofort durchschaut.

»Oh, oh.« Dad neigt den Kopf. »Was ist los?«

»Nichts. Wirklich.« Ich lasse mich auf unsere verschlissene dunkelgraue Couch fallen. »Wusstest du, dass es kein einziges bedeutendes Ereignis in meinem Leben gibt?«

Dad bleibt stehen und hält eine Einkaufstüte hoch. »Da muss ich dir widersprechen. Heute ist Taco-Dienstag.«

»Äh, ja. Das tröstet total«, sage ich. »Ich sag’s ja nur ungern, aber so, wie’s aussieht, heißt Taco-Dienstag ab sofort Stipendien-Dienstag. Alles, was Spaß macht, muss auf Eis gelegt werden, bis ich meine Unterlagen für sämtliche Stipendien im Staat Wisconsin abgeschickt habe.«

Dad kommt rüber und bleibt vor mir stehen. »Sei nicht zu streng mit dir, Ally Bean. Ich hab sowohl weiche als auch knusprige Maistortillas gekauft, es gibt also keine Verlierer!«

»Hast du auch Antworten auf gruselige Aufsatzfragen dabei?«, frage ich, worauf‌hin er in seiner Tasche wühlt, als ob er einen fertigen Aufsatz zutage fördern könnte.

»Denen geht es ausschließlich um das, was ich bisher erreicht habe, und um meine Ziele im Leben. Ich fühle mich so … unfähig.«

»Unfähig? Meine Tochter? Mein ganzer Stolz und meine Freude?« Er setzt sich neben mich und legt seinen Arm um meine Schultern. »Gib mir die Namen. Die Kontaktdaten. Was fällt denen ein, meiner großartigen Tochter Minderwertigkeitsgefühle einzureden?! Die kriegen was von mir zu hören!« Er knuf‌ft mich so lange, bis ich mir ein Lächeln abringe.

»Das alles ist ganz schön viel im Moment«, gebe ich zu.

Ich habe mir eine Liste mit allen Stipendien gemacht, die für mich infrage kommen. Wenn ich vier Anträge pro Woche schaf‌fe, brauche ich einen Monat, bis ich mich überall beworben habe.

»Vielleicht solltest du dich nur für die Stipendien bewerben, bei denen du darüber schreiben kannst, wer den größten Einfluss auf dein Leben hatte. So ein Aufsatz schreibt sich praktisch von selbst.« Dad räuspert sich laut und zeigt mit beiden Daumen auf sich.

Ich stöhne auf, auch wenn es stimmt, was er sagt. Okay, es ist total kitschig, wenn jemand behauptet, der eigene Vater sei sein bester Freund, aber auf meinen Dad trifft es zu. Wir sind zu zweit, seit ich denken kann. Er ist derjenige, dem ich alles anvertrauen kann, der weiß, wie er ein Lächeln auf mein Gesicht zaubert, wenn es mir nicht gut geht oder ich unter großem Druck stehe. Oder wenn ich aus einem albernen Aufsatz für ein Stipendium so ein Drama mache.

»Du hast recht«, gebe ich zu.

Dad hält seine Hand ans Ohr. »Wie bitte? Kannst du das noch mal wiederholen? Laut und deutlich. Moment, warte. Lass mich das filmen.«

Er angelt in seiner Hosentasche nach seinem vorsintflutlichen Klapphandy. »Ausnahmsweise würde ich mir mal wünschen, ich hätte eins dieser neumodischen Geräte, auf die ihr Kids so steht.«

Ich muss lachen.

»So ist es schon besser.«

Ich schmiege mich an ihn und weiß bereits, was als Nächstes kommt: einer von Jason Smiths patentierten Aufmunterungssprüchen.

Er streicht sich über seine hellbraunen Bartstoppeln. »Dir ist schon klar, dass sich jedes College glücklich schätzen kann, dich zu bekommen, oder?«

Da bin ich mir zwar nicht so sicher, aber mit meinem Notendurchschnitt kann ich an jeder staatlichen Hochschule in Wisconsin studieren.

»Und das Stipendium als Jahrgangsbeste, das bekommst du schon«, erklärt er zuversichtlich.

»Sicher ist das nicht.«

Der Bundesstaat Wisconsin übernimmt für die jeweils besten Schüler und Schülerinnen der Abschlussjahrgänge einen Teil der Studiengebühren an den staatlichen Hochschulen. Ich möchte an der Green Bay, der Uni von Wisconsin, Lehramt studieren. Das Stipendium würde einen Großteil der Studiengebühren decken. Zurzeit liege ich als Jahrgangsbeste vorne, aber Dana Harris ist mit ihrem Notendurchschnitt nur einen Zehntelpunkt hinter mir.

Ich bin keine große Sportlerin und auch künstlerisch nicht besonders begabt. Ich kann nur mit meinem Grips punkten und damit, dass ich jeden Stoff kapiere, den mir meine Lehrer vorsetzen.

Die Aufnahme am College ist also nicht das Problem, sondern die Kosten. Ich muss mein Studium hauptsächlich mit Stipendien finanzieren. Dad arbeitet auf dem Bau und ist manchmal wochenlang ohne einen Auftrag. Ich jobbe, sooft ich kann, als Babysitterin und spare jeden Cent. Wir wohnen ziemlich einfach in einem kleinen, leicht verwohnten Drei-Zimmer-Bungalow, der unserem Nachbarn gehört. Weil Dad für unseren Vermieter Gelegenheitsarbeiten erledigt, zahlen wir weniger Miete.

Wir kommen über die Runden.

Stopp, das ist nicht ganz wahr. Wir kommen mehr als nur über die Runden. Klar, wenn man sich unser Haus anschaut, gibt es nicht viel her. Ein paar unserer Möbel sind alt und abgewohnt, die Küchengeräte haben schon einige Jahrzehnte hinter sich. Im Winter ist es kalt und im Sommer heiß, aber es ist unser Zuhause. Jeder Gegenstand ist eine Erinnerung, jeder Riss im Sofapolster und Fleck auf dem Teppich hat eine Geschichte.

In den letzten acht Jahren haben Dad und ich uns hier praktisch ein Leben aus dem Nichts erschaf‌fen. Wir kannten niemanden. Wir besaßen fast nichts. Aber wir haben es weit gebracht.

Und ich würde es gegen nichts in der Welt eintauschen wollen.

»Diesen Blick kenne ich.« Dad schenkt mir ein Lächeln, kleine Falten tanzen um seine braunen Augen. »Dir geht etwas durch den Kopf.«

»Vielleicht ist mein Leben ja doch nicht ganz so unglaublich langweilig und eintönig«, antworte ich.

»Na, Gott sei Dank.« Er steht auf und fährt sich mit seinen schwieligen Händen über das Flanellhemd. »Ich hab Hunger. Lass uns Abendessen machen.«

Wir gehen in die Küche, die zum Wohnzimmer hin offen ist. Dad packt die Einkäufe aus und reicht sie mir. Dann schnappt er sich eine Bratpfanne und schaltet den Gasherd an, während ich meine schulterlangen, welligen braunen Haare zu einem Pferdeschwanz binde. Ein einziges Mal, und ich meine wirklich nur ein einziges Mal, hat er ein Haar von mir im Essen gefunden und das wird er mir bis in alle Ewigkeit vorhalten.

»Gute Idee.« Er zeigt auf meinen Pferdeschwanz. »Auf einen Taco mit Haar-Salsa hab ich nämlich keinen Appetit. Machst du Musik an? Nein, ich muss mich klarer ausdrücken: richtige Musik.«

»Du meinst Rentnermusik«, schieße ich zurück und schalte seinen Classic-Rock-Lieblingssender ein.

Während Dad das Putenhackfleisch anbrät, kümmere ich mich um die Beilagen für unseren Taco-Dienstag. »Moment, ich dachte, Eisbergsalat zählt nicht als grünes Gemüse?« Ich schneide die Salatblätter in feine Streifen. Dad und ich haben eine Vereinbarung. Zu jeder Mahlzeit gibt es mindestens eine Gemüse- oder Obstsorte. Und abends muss eine der Gemüsesorten grün sein. Ihr wisst schon, gesunde Ernährung und so.

»Na ja, wir haben Zwiebeln und Salsa. Salsa besteht aus Tomaten und anderem Grünzeug. Soll erfüllt.«

»Eine wahre Vitaminbombe!«

»Wir sollten ein Kochbuch schreiben oder an einem dieser Kochwettbewerbe im Fernsehen teilnehmen. Wir wären die Besten – solange von uns nicht mehr verlangt wird, als Tacos zu füllen oder Pizza in den Ofen zu schieben. Oh, und vergiss nicht, wie viel Kalzium wir gleich zu uns nehmen werden.« Er reicht mir eine Tüte mit geriebenem Cheddarkäse.

»Richtig, ich bin ja im Wachstum.« Ich nehme eine Schüssel für den Käse aus dem Schrank, kann es mir aber nicht verkneifen, ein paar Käsestreusel zu mopsen. Okay, mehr als ein paar. »Ich kann bestätigen, dass der Käse wirklich extrem … käsig ist.«

»Dann sollte ich ihn vermutlich auch mal testen, um auf Nummer sicher zu gehen. Wie es sich für einen guten Vater gehört.« Er macht seinen Mund auf und ich stecke ihm etwas Käse hinein. »Oh, du hast recht.«

»Wie bitte? Kannst du das noch mal wiederholen? Das muss ich filmen.« Und jetzt ziehe ich mein eigenes vorsintflutliches Handy aus der Hosentasche. Es ist zwar immerhin kein Klapphandy, aber auch kein Smartphone. Ziemlich blöd, ich weiß, aber immerhin kann ich Nachrichten schreiben und mehr brauche ich nicht.

»Da ich ein Vorzeigevater bin, sollte ich mich vielleicht auch vergewissern, ob du alle deine Hausaufgaben gemacht hast.« Er tritt vom Herd zurück und spielt zum Song im Radio Luftgitarre. Total der Vorzeigevater.

»Alles erledigt. Ich hab in Englisch sogar schon vorgearbeitet, weil ich morgen nach der Schule zu den Dorns zum Babysitten muss.«

Dad unterbricht sein Gitarrensolo. »Wirklich? Wann kommst du denn nach Hause? Verpasst du nur die Pizza oder gleich den ganzen Filmabend?«

»Keine Ahnung. Sehen wir dann.« Ich hole Teller und Besteck. »Den Film können wir uns ja auch Samstag vor Lees Geburtstagsparty anschauen.«

»Die perfekte Vorbereitung auf die königliche Familie. Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen!«

»Das war Marie Antoinette.«

»Na gut, dann eben … ab mit dem Kopf!«

»Das ist aus Alice im Wunderland«, sage ich kopfschüttelnd.

Dad zieht die Augenbrauen hoch. »Shakespeare war der Erste.«

»Klar war er das.«

»Siehst du? Von deinem alten Paps kannst du was lernen! So, jetzt zu Wichtigerem.« Er nimmt die Tacos aus der Mikrowelle. »Was meinst du? Wird Josefina mit dem Priester durchbrennen? Oder wird sie die Farm der Familie retten und El Jeffy heiraten?«

»Er heißt El Jefe«, korrigiere ich ihn. »Du vergisst, dass Josefinas Schwester genug Material für eine Erpressung hat, die ihnen da raushelfen könnte.«

»Aber wird sie es rechtzeitig schaf‌fen?« Er packt mich an den Schultern. »Wird sie? Ich muss es wissen!« Dann schnappt er nach Luft und legt die Hand aufs Herz. »Dios mío!«

Ich schlage mir dramatisch gegen die Stirn: »Mi corazón!«

Dad wird wieder normal. »Mein Kopf?«

»Mein Herz. Kopf heißt cabeza.«

»Ah, siehst du, ich lern dazu. Ehe du dich’s versiehst, spreche ich muy fließend.« Er wippt mit dem Kopf zu dem Rhythmus des Songs, der gerade gespielt wird.

»Aha! Und wer hat sich ständig über mich lustig gemacht, als ich angefangen habe, Telenovelas zu gucken?«

»Na, komm schon, ich bin doch bloß ein verantwortungsbewusster und besorgter Vater. Nicht zu vergessen selbstlos. Und ein besonders guter Fleischanbrater.« Er nimmt die Pfanne vom Herd und beginnt, unsere Tacos zu füllen.

»So was von selbstlos«, ziehe ich ihn auf, obwohl ich es super finde, dass wir diese Serien inzwischen zusammen schauen.

Für Extrapunkte in Spanisch sollten wir im letzten Schuljahr spanischsprachige Fernsehsendungen ohne Untertitel anschauen. Ich stöberte durchs Streaming-Angebot und entschied mich für Mi Amor, Mi Vida (Meine Liebe, mein Leben), wo ein Liebespaar aufgrund einer Familienrivalität auseinandergerissen wird. Dad kam ab und zu vorbei und witzelte über die Schauspieler, die total übertrieben spielten, aber dann fing er an, Fragen zu stellen, und wollte wissen, worum es ging. Ich erzählte ihm von den abstrusen Wendepunkten im Plot und den Verwicklungen zwischen den Figuren. Eines Abends setzte er sich zu mir und wir schauten gemeinsam. Und seitdem ist das eine unserer Traditionen. Begleitet von sensationellen Tacos, die wir in uns reinstopfen.

Wir machen es uns mit unseren Tellern auf dem Sofa gemütlich und widmen uns unserer neuesten Serie, eine weibliche Version von Der Graf von Monte Christo, nur mit der mexikanischen Drogenmafia. Zumindest glauben wir das. Manchmal erfinden Dad und ich unsere eigenen Hintergründe für die Figuren, was ein bisschen ablenkt.

Dad lehnt sich zurück, sein Blick wird wehmütig. »So mag ich Dienstage: mit gutem Essen und guter Gesellschaft.«

»Du meinst mit der besten Gesellschaft«, korrigiere ich ihn.

»Ja, klar. Und was Tragödien betrifft, mag ich sie nur in einer Form: im Fernsehen.«

»Darauf Prost!« Ich stoße mit ihm an.

Past Perfect Life. Die komplett gelogene Wahrheit über mein Leben

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