Читать книгу Das 4. Buch George - Elke Bulenda - Страница 11

Die Räuber von Geld werden hingerichtet. Die Räuber von Ländern zu Königen gemacht.

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(Altdeutsches Sprichwort)

Nach dem Abendessen machten sich die Kinder fertig fürs Bett. Da ich schon sehr viel Zeit mit Agnir verbracht hatte, musste ich mich auch noch ausreichend um Sascha kümmern. Als Gute-Nacht-Geschichte las ich ihr ein paar Kapitel aus ihrem neuen Buch »Marmel Klebowski & Das Geheimnis des Schrumpfkopfes« vor. Ein sehr lustiges Buch. Schonmal die Heldin fast das gleiche Alter wie Sascha hat. Sascha wird im Juni zehn Jahre alt, obwohl ich manchmal vermute, dass sie innerlich wesentlich älter und reifer ist. Rein äußerlich ähnelt Sascha ihrer Mutter, nur ihre Augen sind nicht ganz so dunkelbraun. Obendrein bekommt ihr Gesicht bei Sonnenschein etliche lustige Sommersprossen, die ihr aber sehr gut stehen. Ihr dunkelbraunes Haar gleicht im Farbton absolut dem ihrer Mama. Sascha heißt eigentlich Alexandra. Seltsamerweise besitzen alle meine Familienmitglieder Vornamen mit dem Buchstaben »A«. Annie, alias Nana, Amanda, Alexandra und Agnir.

Nach dem obligatorischen Nachtkuss verließ ich die obere Etage. Im Untergeschoss befindet sich ein Spielzimmer, wo nicht nur Tische für Billard und Kicker stehen, sondern auch ein runder Tisch, an dem wir Mittwochs immer zu pokern pflegen. Dort stören wir mit unserer Lautstärke niemanden. In den vielen Gängen befinden sich noch etliche andere Räume, darunter auch ein voll bestücktes Musikzimmer, eben jenes, in dem die Zwerge heute ihre schreckliche Musik machten. Die Zwerge gehören gewissermaßen zu meiner Familie und sind sehr oft bei uns zu Gast. Vor über 600 Jahren wurde ich zu einem Ehrenzwerg ernannt, darum sind die Zwerge alle meine Brüder - metaphorisch gesehen - obwohl es sehr witzig ist, mit einer Körpergröße von über zwei Metern als Zwerg bezeichnet zu werden.

… Seit über einem halben Jahr wohne ich zusammen mit Amanda und ihrem Anhang in dieser stillgelegten Psychiatrischen Klinik. Das Gebäude steht ebenfalls auf dem großen, von üppiger Vegetation umwucherten, eingezäunten Grundstück unserer Organisation, nur näher in Richtung der Hauptstraße. Patienten gibt es schon lange keine mehr. Das einzige, traurige Überbleibsel dieser Klinik ist der alte, struppige Kater Joey, der damals dem Beruf der Therapie-Katze nachging. Nach einer ausgiebigen Renovierung stand das Gebäude leer, und da ich nicht mehr unterirdisch wohnen wollte, bekam ich die Erlaubnis, hier mein Quartier aufzuschlagen. Anfang August letzten Jahres zog ich ein und lebte hier gänzlich allein im großen Haus. Das Gebäude diente lange Zeit zu reinen Alibizwecken, um neugierigen Beobachtern keinen Grund für weitere Fragen zu geben. Und da es eine Privatklinik war, wissen die meisten Leute nicht, ob sie überhaupt noch Patienten aufnimmt. Bei Nachfragen wird darauf hingewiesen, dass keine Therapieplätze in absehbarer Zeit zur Verfügung stünden. Mittlerweile haben wir einen Kredit aufgenommen und sind dabei, das große Haus, das wir scherzhaft »Villa Ballerburg« nennen, in unseren Besitz übergehen zu lassen. Ja, ich weiß. Es ist voll spießig, als Vampir einen Kredit aufzunehmen, aber meine Kinder sollten ein schönes Zuhause bekommen. Und schöner, als hier inmitten heilsamer Natur, kann kein Kind aufwachsen. Ein Großteil ist schon abbezahlt, weil wir Amandas vorheriges Haus veräußerten und damit ein gutes Stück des Kredits tilgen konnten. Wir verdienen beide nicht schlecht und von daher finden wir diese Entscheidung äußerst sinnvoll. Auf dem Grundstück befindet sich auch der firmeneigene Reitstall mit Reithalle; und so konnte Saschas Pony gleich dort untergebracht werden. Das erspart ihr sehr viel Fahrerei und eine Menge Zeit. Der einzige Nachteil ist, dass Sascha keine Freundinnen mitbringen darf. Es ist einfach nicht gut, wenn Kinder mitbekommen, dass es wirklich Orks, Oger, Zentauren, Einhörner, Vampire und andere fragwürdige Lebewesen gibt, die ständig die Wege des Grundstücks passieren. Die Kinder würden unweigerlich über das Gesehene reden und dann wäre unsere schöne Tarnung dahin. Doch Sascha kann jederzeit ihre Freundinnen besuchen. Der Chauffeurdienst »Nana« bringt sie hin und holt sie anschließend pünktlich wieder ab. So müssen wir uns auch keine Sorgen machen, die Freundinnen von Sascha könnten entdecken, dass mit ihrem Bruder irgendetwas nicht stimmt, weil er innerhalb eines halben Jahres von einem Säugling zu einem fast Sechsjährigen wurde. Als Ausrede für das Besuchsverbot dient der Vorwand, ihr neuer Vater würde in der Nachtschicht arbeiten und brauche tagsüber seine Ruhe...

Im Spielzimmer ist noch ein abschließbarer Kühlschrank vorhanden, in dem wir unsere alkoholischen Getränke verstauen. Seit die Kinder im Haus wohnen, habe ich all meinen Alkohol dort deponiert. So wurde gewährleistet, dass sich keines der Kinder eine Alkoholvergiftung zuzog. Ja, und natürlich musste ich meine Waffen in einem Waffenschrank deponieren, der nur mit meiner Code-Karte und meinem Iris-Scan geöffnet werden kann. Dabei muss ich meine Kontaktlinsen herausnehmen, sonst tut sich da rein gar nichts.

Vor dem Fenster hampelte Barbiel herum. Auch Silent Blob drückte sich im wahrsten Sinne des Wortes an meinem Fenster herum, und zwar in Fladenform. Dracon begnügte sich mit einem schüchternen Winken. Ich ging zur Haustür und öffnete ihnen. »Na, ihr Pfeifen? Los kommt rein!«

Barbiel ist ein Engel. Das ist nicht so daher gesagt, sondern fundierte Tatsache. Dracon ist ein Halbdrache und Silent Blobb ein Wesen, das gänzlich ohne Knochen existieren kann. Mit dem Vorteil, dass er sich in jede noch so kleine Spalte drücken kann und so als unser Türöffner fungiert. Sie gehören zu meinem Team, mit dem ich arbeite. Diese Chaoten sind an und für sich das Letzte, doch haben wir bisher sämtliche Aufträge zur vollsten Zufriedenheit erfüllt, was wohl bedeutet, dass wir trotzdem perfekt zusammenpassen.

Der sensible Barbiel machte mal wieder ein Gesicht, wie zehn Tage Regenwetter. Sein Socken-Monster mit Namen Ernestine hatte er auch wieder mitgebracht. Wir alle lieben Ernestine, auch wenn wir es nicht offen zugeben möchten. Ich tätschelte dem kleinen Monster den Kopf und sofort schnurrte sie grinsend.

»Was ist denn mit dir los, Angelika? Hat dein Friseur dich rausgeworfen, oder was?«, fragte ich im Scherz.

»Nein, wenn das nur so wäre, würde ich meinen Friseur wechseln, aber es geht um Mara«, meinte Barbiel geknickt und kraulte Ernestines Kehle. Mara ist meine Tochter und Barbiel ist über beide Ohren in sie verschossen. Sehr zu meinem Bedauern, denn ich finde, sie hätte etwas Besseres als dieses weichgespülte Geflügel verdient.

»Mara kann dich nicht rausgeworfen haben, denn ihr wohnt nicht zusammen, richtig?«, fragte ich nach.

Bekümmert nickte er. »Das ist es ja eben, ich fragte sie, ob wir nicht zusammenziehen sollten. Sogar einen Heiratsantrag habe ich ihr gemacht, doch sie hat ihn abgeschmettert«, seufzte er schwermütig.

»Tja, Mara liebt eben ihre Freiheit. Ihr müsst ja nicht gleich heiraten, um ein Paar zu sein. Versuch es einfach noch mal in hundert Jahren, ihr habt doch alle Zeit der Welt«, tröstete ich ihn.

»Okay, wenn du meinst«, winkte er resigniert ab.

Wir nahmen unsere Plätze ein, jeder mit einer gekühlten Dose Bier und zockten was das Zeug hielt. Da ich jemanden aus meinem Team des Diebstahls verdächtigen musste, hatte ich schon etwas vorbereitet. Bei Barbiel konnte ich mir hundertprozentig sicher sein, dass er nicht der Dieb war. Er konnte nicht mal ordentlich lügen, ohne rot zu werden. Eigentlich hatte ich jemanden ganz Bestimmten im Auge.

Als Dracon dann mal das Töpfchen aufsuchen musste und anschließend die goldenen Manschettenknöpfe fehlten, die ich als Köder ausgelegt hatte, passte ich ihn ab und nahm ihn mir zur Brust.

»Dracon? Hast du die goldenen Manschettenknöpfe genommen, die ich auf dem Regal im Bad abgelegt habe? Als ich gerade meine Hände wusch, bemerkte ich, sie liegen nicht mehr dort. Also, die Manschettenknöpfe, nicht meine Hände.«

Der Drachenmann bekam ein nervöses Zucken unter dem Auge.

»Isch? Wie kommst du auf so etwas? Isch ´abe keine Manschettenknöpfe genommen!«, wehrte er sich.

»Meinst du dämlicher Froschfresser, ich würde dich unbegründet verdächtigen?«, pöbelte ich zurück. »Ich habe Beweise! Sogar auf Bild festgehalten! Komm mit!«, zog ich ihn mit mir zurück ins Badezimmer. Die anderen bekamen nichts von unserer Unterhaltung mit, weil wir uns auf dem Flur befanden. Aus dem Medizinschrank nahm ich eine Videokamera, die ich dort zuvor installiert hatte und führte ihm ein kleines Filmchen vor. Es nützte ihm nichts mehr abzustreiten, es war zwecklos. So etwas wie Scham trat in sein schuppiges Gesicht.

»Was denkst du dir nur dabei andere Leute zu bestehlen?«, fragte ich wütend. »Wenn du nicht mein Kollege wärst, hätte ich dich jetzt mit Stumpf und Stiel eingestampft!«

»Isch weiß nischt was mit mir los ist... Isch kann einfach nischt anders. Sobald isch etwas Goldenes sehe, muss isch es an misch nehmen. Es ist wie eine Sucht!«, meinte er bedrückt. »´ier, deine Manschettenknöpfe!«, gab er sie mir in die Hand.

»Okay, so ging es mir damals auch, als ich als Wikinger unterwegs war und plünderte... Wie lange hast du schon diesen Tick?«, fragte ich nach.

»Isch weiß nischt, isch glaube, es fing zeitgleisch mit dem Feuer spucken an. Es tut mir furschtbar leid, wirklisch... Isch wollte nischt...«

»Ja, ja! Erspare mir dein Gelaber! Jessas! Ich habe dir vertraut! Wo ist die Kette meiner Frau, der Anhänger von Sascha und der restliche Krempel. Ach ja, Annies goldene Gartenkugel und meine Geldklammer? Wo hast du die Schorre verbunkert?«, fragte ich ihn nicht gerade liebenswürdig.

»Es liegt alles drüben, in meinem Quartier.«

»Du meine Güte! Goldgier und Feuer spucken. Da schlägt eindeutig dein Drachenblut durch. Fehlt nur noch, du fängst an, Jungfrauen zu fressen!«, schüttelte ich den Kopf.

»Wieso fressen? Mit Jungfrauen würde isch etwas ganz anderes anstellen«, gab er grinsend von sich und zuckte wie Groucho Marx mit den Wulsten seiner Augenbrauen.

»Jetzt werde mal nicht ausfallend! Das Obszöne ist mein Genre!«, blaffte ich zurück. »Gut, gehen wir den Krempel holen und überlegen gemeinsam, wie dir geholfen werden kann. Die Jungs sollen sich sich solange anderweitig beschäftigen. Schade um mein schönes, kaltes Bier!«

Ohne den anderen Bescheid zu sagen, verließen wir das Gebäude und machten uns auf den Weg. Dracon schlich wie im Büßerhemd dahin. Wenn ihr mich fragt, er hatte auch allen Grund dazu.

»Wir sollten dringend mit Dr. Dr. Gütiger über deinen Fimmel reden. Er hat mir mit dem Problem meiner unterschwelligen Aggression auch sehr gut geholfen. Und wenn er mir nicht den Tipp mit dem Brief gegeben hätte, wären Amanda und ich immer noch kein Paar«, tröstete ich ihn ein wenig.

Obwohl schon die Abenddämmerung einsetzte, erblickte ich in den Ästen einer alten Eiche diesen Raben, der mich unangenehm eindringlich anstarrte. Eigentlich müsste er längst seinen Kopf unter den Flügel stecken. Er schwebte herab, hüpfte vor unsere Füße und öffnete den Schnabel: »Sie haben eine Nachricht!«, sprach er wie ein Anrufbeantworter, pfiff, machte noch ein knisterndes Geräusch und schon ertönte eine tiefe Stimme, die mir nur zu bekannt vorkam: »Hallo mein Junge! Ich muss dringend mit dir sprechen...« Weiter kam die Aufzeichnung nicht, weil ich den Raben mit einem Telekinesestoß in die Vegetation beförderte.

»Was war denn das da gerade?«, fragte Dracon erstaunt.

»Das war ein Rabe, was sonst? Bist du blind?«, pöbelte ich angefressen zurück.

...Dabei konnte das Vieh froh sein, nicht flambiert zu werden. Verdammt, was wollte Odin denn wieder von mir? Ich muss zugeben, dass er mir ein wenig auf den Geist ging. Nicht zuletzt war ich deshalb so verstimmt, weil er mich ungebremst aus Walhalla entließ, nur weil ich sagte, ich wolle auf dem schnellsten und direktesten Weg zurück zu Amanda. Was zur Folge hatte, mich aus allen Wolken fallen zu lassen und direkt durch das Dach ihres Hauses zu befördern, wobei ich mir sämtliche Knochen brach. Danach war Amandas Haus nur noch ein einziger Trümmerhaufen und ihre Familie obendrein auch noch obdachlos. Zum Glück zog Amanda kurzerhand mit ihrer Sippe bei mir ein. Dies ist zwar nicht der schlechteste Aspekt der ganzen Sache, aber für eine Gottheit ein ziemlich fieser Zug, mich so fallen gelassen zu haben. Und, um mich zu verspotten, klatschte mir während meines Absturzes noch ein Brief von ihm ins Gesicht, der verriet, Vater Odin sei jetzt im Urlaub und ich solle doch erst nachdenken, bevor ich den Mund aufmache. Ja, und nun kam er wieder angeschissen, weil er etwas von mir wollte. Aber ich war fertig mit ihm. Er ist zwar mein Gott, aber nicht mein Dienstherr, der mich so nolens volens zu sich rufen konnte wie es ihm gerade beliebte. Wohlgemerkt habe ich bereits einen Job und bin froh, wenn ich mal ein bisschen Zeit mit Familie und Freunden verbringen konnte. Deshalb beschloss ich, meine Gottheit zu ignorieren, um ihm zu demonstrieren, wie ich Gebrauch vom Recht meines freien Willens machte...

Schweigend setzten wir unseren Weg fort.

»Bist du mir böse?«, fragte Dracon schuldbewusst wie ein kleines Kind.

»Ich müsste lügen, wenn ich das Gegenteil behaupten würde. Du kommst in mein Haus und bestiehlst meine Familie! Aber weißt du, was das Schlimmste ist? Insgeheim habe ich geglaubt, mein kleiner Sohn würde dahinterstecken. Beinahe hätte ich ihn darauf angesprochen. So hätte ich das Vertrauen, das er in mich hat, durch diesen Verdacht zerstört. Das zwischen ihm und mir, das ist etwas ganz Besonderes. Weißt du, ich will bei ihm alles richtig machen und fast hätte ich einen bösen Fehler begangen!«, erklärte ich ihm die Lage.

»Oh, das tut mir leid. Isch ´atte nie einen Vater, dem isch misch anvertrauen konnte. Es muss wirklisch schön sein, wenn man so gut miteinander auskommt«, französelte er.

»Jetzt komm mir mal nicht damit, du hättest eine schwere Kindheit gehabt!«, polterte ich drauflos. »Wir alle durchlebten eine schwere Kindheit, schließlich hat man es als kleiner Mensch wirklich nicht leicht. Und was soll ich denn dazu sagen? Ich wuchs im tiefsten Mittelalter auf, ganz ohne Sanitäre Anlagen, Telefon und Fernbedienung!«

Als wir zum Hangar kamen, unter dem sich die Zentrale verbirgt, liefen wir direkt der rauchenden Molly Flannigan in die Arme. Das fehlte mir noch gerade. Molly und ich hatten mal etwas miteinander. Das war aber nur rein sexuell. Wenn sie nicht mit einem Baseball- Golfschläger, oder Hammer auf mich losging, machte sie mir schöne Augen. Doch mein Herz entschied sich für Amanda, seitdem guckte die Gothic-Göre mich nicht mal mehr mit dem Hintern an. Um so unangenehmer war die Situation, wenn ich zu meinem Psychologen ging. Dort arbeitet Molly an der Rezeption und assistiert ihm bei den Tests. Ich würde ihr zutrauen, heimlich meine Krankenakte zu lesen. Alles in allem, ist das Verhältnis von Molly und mir sehr ambivalent. Zum Glück führte sie keine Handtasche mit. Niemand weiß, was sie darin alles verstauen könnte.

»Hallo Jungs. Noch so spät unterwegs?«, fragte sie scheinheilig grinsend.

»Ja! Das siehst du doch!«, knurrte ich zurück und führte Dracon, der sie förmlich mit den Augen verschlang, wie einen Gefangenen ab.

»`allo, Molly!«, grüßte Dracon freundlich. »Pardon, wir ´aben es fürschterlisch eilig«, entschuldigte er unser Verhalten. Molly zuckte nur stoisch mit den Schultern, rauchte weiter ihre Zigarette und schien uns schon wieder vergessen zu haben.

Wir grüßten die Wachposten und verschafften uns mit meiner Karte Einlass. Dracon wurde immer kleiner und geknickter, je näher wir seinem Quartier kamen. Nachdem er die Tür öffnete, nahm er sofort Kurs auf sein Bett. Er ging in die Knie und zog eine große, flache Kiste darunter hervor. Als er sie aufklappte, gingen mir fast die Augen über. Goldmünzen, Ringe, Ketten, kleine Goldbarren – ein wahrer Schatz.

»Du bist ja echt verrückt! Hast du dir das ganze Zeug zusammengeklaut?«, fragte ich erstaunt. Der Kerl legte sich unter seinem Bett einen richtigen Drachenhort an.

»Isch ´abe das nischt alles gestohlen! Was denkst du von mir? Was meinst du, was isch mit meinem Ge´alt mache? Isch lege es eben in Gold an«, meinte er verschnupft.

Auch wieder wahr. Wir verdienen bei Salomons Ring nicht schlecht. Sogar ausgesprochen gut, wir bekommen Schmutz- Gefahrenzulage, Schmerzensgeld, Trennungsgeld und etliche andere Leistungen zusätzlich. Unser Job besteht nun mal nicht daraus, Kinder zu hüten. Da ging es immer hart zur Sache. Dämonen sind keine Kuscheltiere.

Es fiel ihm ausgesprochen schwer, das Diebesgut an mich zurückzugeben, was ich nicht verstand. Schließlich blieb noch genug von seinem Schatz übrig.

»Du wirst doch nischt Ambrosius Pistillum davon erzählen? Oder meiner Mutter davon berischten?«, fragte er zaghaft.

»Hör zu, ich will nicht deine Zukunft hier gefährden. Äh, wieso sollte ich deiner Mutter davon erzählen? Ich kenne sie doch noch nicht mal. Außerdem will ich deinem armen, alten Muttchen nicht das Herz brechen. Wir gehen morgen zu Dr. Dr. Gütiger. Von mir aus soll er dich hypnotisieren, oder was weiß ich...«

»Das ist wirklisch nett von dir. Ma mére wäre fürschterlisch enttäuscht von mir. Sie denkt, isch ´ätte misch wieder in den Griff bekommen. Und sie ist doch so stolz auf misch, weil isch doch diesen Job ´abe, von dem isch ihr natürlisch nischt ausführlisch erzählen konnte, weil es doch ge´eim ist.« Dracon war beinahe den Tränen nahe.

Er gehörte einst wie ich, der Reha-Gruppe an. Wir haben alle mehr oder weniger, etwas auf dem Kerbholz. Silent Blobb wurde als Spanner auf einem FKK-Strand festgesetzt, Barbiel war ein gefallener Engel; Dracon lief mit einem Flammenwerfer durch Paris und brüllte, er sei ein Drache. Na ja. Und ich war schon allein durch meine Vergangenheit für diese Gruppe prädestiniert. Mein Sündenregister würde der Encyclopædia Britannica zur Ehre gereichen.

Mir blieb nichts anderes übrig, als einen Termin bei Dr. Dr. Gütiger zu holen. Zwar sagt er immer, ich könne ihn jederzeit anrufen, doch nehme ich diese Leistung nur ungern in Anspruch. Genauer betrachtet, habe ich ihn noch nie außerhalb seiner Geschäftszeiten angerufen. Trotz dieser späten Störung blieb er freundlich und wollte sofort wissen, wo der Schuh drückt. Wohl oder übel musste ich ihm von Dracons Schwierigkeiten erzählen. Er schlug ein gemeinsames Gespräch vor. Offenbar war Dracon noch nie bei ihm in Behandlung gewesen. Da ich ein wenig ausschlafen wollte, verabredeten wir uns morgen um elf Uhr vormittags. Dieser Termin war Dracon ebenfalls recht. Dann war das schon mal geritzt.

Als ich mein Handy wieder in die Tasche steckte, sah Dracon mich bedrückt an.

»Isch denke, isch werde ´ier bleiben und nischt mehr mit rüber ge´en.«

Daraufhin nickte ich: »Ja, das würde ich gutheißen. Solange du deine Finger nicht im Zaum behalten kannst, hast du vorübergehend bei mir Hausverbot. Dann wünsche ich dir eine gute Nacht!«, verabschiedete ich mich und verließ das Zimmer.

*

Das 4. Buch George

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