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Um etwas zu erschaffen, müssen ein oder mehrere Dinge gleichen Wertes zerstört werden.

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(Weinbrecht Ulferdingen)

Nun kam es mir nicht mehr besonders merkwürdig vor, als ich wieder zu Amanda zurückkehrte, und sie mich erwartungsvoll angrinste. Nun wusste ich auch warum.

»Na, hast du Helma Schmidt jetzt gesehen? Aus ärztlicher Sicht frage ich mich, wieso sie überhaupt so alt werden konnte. Die Frau raucht wie ein Schlot.«

»Ja, ich habe sie mehr oder weniger durch die Rauschschwaden gesehen. Was soll daran so ungewöhnlich sein? Schließlich saufe ich auch wie ein Loch«, gab ich zurück. »Gut, dass ich Agnir nicht mitgenommen habe. Diese Frau ist schon ein wenig gruselig, wenn sie dich so aus ihren trüben, grauen Augen ansieht. Das soll aber nicht heißen, dass ich mich vor ihr grusle, ich habe schon Schlimmeres gesehen. Jedes Mal, nach dem Aufstehen, wenn ich in den Spiegel gucke«, grinste ich.

»Wem sagst du das?«, fragte Amanda und gab mir einen kecken Klaps auf den Hintern. Jetzt machte sich auch Agnir wieder bemerkbar: »Wann gehen wir endlich fischen? Ich langweile mich!«

Ja, wenn Junior sich langweilte, dann wurde es kritisch.

»Komm, Agnir. Erst besuchen wir Onkel Cornelius, dann gehen wir fischen, das haben wir doch so besprochen«, setzte ich ihm den Fahrradhelm wieder auf.

»Ach Männo! Den blöden Helm brauche ich hier drin doch gar nicht!«, grummelte er.

»Oh doch! Glaube mir. Ich kenne Connie schon etwas länger als du. Komm jetzt, du Quälgeist. Gib Mami noch einen Kuss!«

»Na gut!«, murrte er und zog sie am Kittel, damit sie sich bückte.

»Dann mal viel Erfolg ihr beiden«, meinte Amanda, als sie Agnir und mich verabschiedete. Wir winkten ihr und verließen den Raum.

Ein paar Türen weiter erreichten wir Cornelius´ Refugium. Vor nicht ganz einem Jahr war Cornelius noch der Leiter von Salomons Ring. Da benutzte er noch das Pseudonym »Salvatore Ormond«. In Paris trafen wir auf einen weiteren Blutsbruder, der uns nicht wohlgesonnen war. Er enthüllte ein paar unangenehme Fakten aus Cornelius´ Vergangenheit, die den armen Connie ziemlich aus der Bahn warfen. Vor allem outete er Cornelius vor unserem Team als Vampir. Anschließend nahm Connie seinen Hut und verzog sich an den unwirtlichsten Ort der Welt. Im Himalaya wollte er meditieren und ein paar Studien betreiben. Einleuchtenderweise wollte er auch von uns nicht gefunden werden. Nur spürten Barbiel und ich ihn auf, weil wir seine Hilfe brauchten. Molly war schwer erkrankt und nur Connie war es möglich, sie wieder zu heilen. Zwangsläufig musste der alte Kiffer mit uns gehen, weshalb er jetzt wieder hier war. Vormals hielt er seine Identität als Vampir vor allen anderen geheim. Nur musste er durch sein Auftauchen doch den Schleier heben, was ihm sehr schwergefallen war. Unsere Leute nahmen diese Enthüllung jedoch sehr gelassen auf und nun brauchte Connie nicht mehr ängstlich darauf bedacht sein, von anderen enttarnt zu werden. Ich verstand das noch nie, denn alle anderen wissen, dass ich ein Vampir bin. Warum sollten sie es bei Cornelius anders aufnehmen? Mein Blutsbruder wollte allerdings nicht mehr die Leitung von Salomons Ring übernehmen, weil er vorher schon den Posten an den ehrenwerten Magus Ambrosius Pistillum abgegeben hatte. Und der wiederum schien alles bestens im Griff zu haben. Da Cornelius ohnehin seine Studien betreiben wollte, packte er die Gelegenheit beim Schopfe und entschied sich, Alchemie zu unterrichten. Neben seiner Lehrtätigkeit hatte er so genug Zeit, sich seinen Alchemie-Studien zu widmen. Ein besonderes Augenmerk sollte man einer weiteren Nebentätigkeit widmen. Als Satan uns vor gar nicht langer Zeit höchstpersönlich besuchte, entließ er einen kleinen, roten Teufel aus seinen Diensten. Ein äußerst seltsamer Vorgang, dass er den kleinen Ructus feuerte. Aber dieser hatte in seinen Augen einfach nicht genug Loyalität an den Tag gelegt. Als der Höllenfürst wieder (samt mir!) davon rauschte, ließ er den kleinen und verwirrten Ructus zurück, der völlig verdattert über die Handlung seines Dienstherren war. Leicht ratlos fragte er, was er jetzt tun solle. Barbiel riet ihm, zuallererst einmal das Lesen und Schreiben zu lernen, denn das konnte er nicht. Ructus ist ein Fehlerteufel. Cornelius nahm sich seiner an und nun hat er Ructus als Schüler. Tja, und jetzt kommt Agnir ins Spiel. Wenn Connie ohnehin schon einen Schüler hat, dann macht ein weiterer den Kohl auch nicht mehr fett.

Ohne anzuklopfen spähte ich vorsichtig durch die nur Spalt breit geöffnete Tür. Die Luft war rein. Ructus saß an einem, für seine Verhältnisse ziemlich großen Tisch, streckte die Zunge beim Schreiben ein wenig heraus und wirkte im Großen und Ganzen sehr konzentriert. Vom grauen Zausel fehlte allerdings jede Spur. Leise traten Agnir und ich ein. Sofort musterte mein Sohn den kleinen Teufel neugierig von oben bis unten. Ructus wirkt durch seine geringe Körpergröße sehr kindlich, doch wie alt er wirklich ist, kann ich nicht sagen. Sein Gesicht strahlte noch rötlicher als sonst. Sogar sein Kopf schien zu qualmen. Als er mich sah, machte er äußerst erschrocken, sofort einen gekonnten Satz unter den Tisch.

»Hey, wir kommen in Frieden! Krieg dich mal wieder ein!«, beruhigte ich ihn. Unzweifelhaft besitzt er ein ausgeprägt gutes Gedächtnis. Er hatte nicht vergessen, wie ich ihm in Jodhpur Prügel angeboten hatte, falls er uns verraten sollte. Nun hatte sich die Grundvoraussetzung jedoch geändert. Nur vermutete er, dass das allerdings nicht auf ihn bezogen war. Zum Glück ging Agnir auf ihn zu und erklärte ihm die Lage: »Du brauchst keine Angst zu haben. Das ist doch nur mein Papa!«

»Ja? Wie kommst du denn mit dieser Tatsache zurecht?«, fragte Ructus skeptisch.

»Och, ganz gut!«, grinst Agnir und warf einen neugierigen Blick in das aufgeschlagene Schreibheft des Teufels. Sofort fühlte er sich bemüßigt, ihn zu korrigieren.

»Au Backe! Häuser schreibt man mit äu und nicht mit eu! Und die Mehrzahl eines Apfels sind Äpfel, und nicht Apfeln...«

Ich schaltete mich ein: »Gut, das könnt ihr ja unter euch ausmachen... Ructus? Wo ist eigentlich Cornel...«

Zum Beenden der Frage kam ich nicht mehr, weil nebenan eine heftige Detonation erklang, die die Grundfeste des Gebäudes erschütterte. Die starke Stahltür, die uns vom angrenzenden Labor trennte, bekam eine heftige Beule, deren Ausbuchtung in unsere Richtung zeigte. Geräuschvoll rollte etwas sehr Schweres davon.

»Oh, ist schon klar. Er ist da drin! Richtig?«

Der Rote nickte heftig und nahm wieder unter seinem Schreibtisch Deckung ein. Klar erkennbar, dass er die Charaktereigenschaften seines Lehrers nur zu gut kannte.

»Siehst du, Agnir... Jetzt weißt du, warum du den Helm aufsetzen solltest!«, machte ich ihm die Lage klar. Ab nun würde der Fahrradhelm Agnirs ständiger Begleiter werden. »Ihr beiden bleibt schön wo ihr seid, ich sehe mal nach dem Rechten!«

Da sich im Labor nebenan nichts tat, öffnete ich vorsichtig die verbeulte Stahltür. Hinter einer Reihe Arbeitstische tauchte Cornelius´ grauer Schopf auf: »Ist gar nichts passiert!«

»Das nennst du also ›nichts passiert‹? Woran bastelst du? An einem neuen Sprengstoff?«, erkundigte ich mich gar nicht weiter überrascht.

»Hm, was? Mein Gehör ist im Moment leicht beeinträchtigt... Eigentlich probierte ich dort in der Waschmaschine gerade ein von mir erfundenes Waschmittel aus. Es dient dazu, die Wäsche schneller trocknen zu lassen, sodass der Gebrauch eines Trockners überflüssig wird. Das spart unglaublich viel Energie und verbessert die Emissionswerte!«, brüllte er, kam aus seiner Deckung hervor und ordnete sich das wirre Haar.

… War mal wieder klar, dass er irgendetwas erfand, das mit Wäsche in Verbindung stand. Schon immer hatte er ein Faible für alles, was mit dem Wäschewaschen zu tun hatte. Andere Forscher kümmern sich um solche weltbewegende Dinge wie einem Heilmittel gegen Krebs. Connie ist dagegen ganz anders gepolt. Schon immer schenkte er solchen Sachen eine besondere Aufmerksamkeit, die alle anderen für Firlefanz hielten. Ich kann mich gut daran erinnern, als wir noch zusammen bei meinem Schöpfer in der Vampir-Festung wohnten, wie er mir stolz ein Fass, aufgehangen an einem Gestell präsentierte, an dem eine Kurbel befestigt war. Nun, ich besaß schon immer recht wenig Fantasie und konnte mir nicht vorstellen, was das komische Ding darstellen sollte. Da ein Fass involviert war, dachte ich, es werde wohl etwas mit Wein, oder Bier zu tun haben. Connie verneinte meine Vermutung und stellte das Gerät als eine Waschmaschine!!! vor. Da war ich aber so etwas von begeistert...

»Äh, toll! Die Natur wird es dir sicherlich danken. Vor allem, weil du nicht auch noch die gesamte Umgebung ausgelöscht hast. So wie es aussieht, hast du noch deine Augenbrauen und verletzt bist du auch nicht. Vielleicht solltest du den Sprengs... Äh, das Waschmittel zu Simon bringen. Ich denke, er kann daraus sicherlich eine sinnvollere Sache machen, als damit eine Waschmaschine in die Luft zu jagen! Wir könnten es in Türschlösser spritzen, dann macht es uns den Weg auf jeden Fall frei.«

»Türen öffnen?«, fragte er lautstark. »Du brauchst doch nichts zum Türen öffnen, entweder du trittst sie ein, oder du gehst durch die Wand!«, kicherte mein Blutsbruder und putzte sich seinen schneeweißen Kittel ab. Früher lief er immer in so komischen Gewändern herum, woraufhin ich die Vermutung hegte, er hätte ein Faible für Frauenkleider. Zum Glück hatte sich das inzwischen geändert. Nun sah er wie der etwas verwirrte Doktor einer Krankenhausserie aus.

Ich hob den Deckel des Frontladers auf. Mutmaßlich das Teil, das zuvor so eindrucksvoll die Tür eindellte. Das Glas war gesprungen, aber noch ganz. Überall lagen Unterhosen, Socken und Unterhemden herum. Alles leicht angeschwärzt. Na, das nenne ich mal »Kochwäsche«...

»Du hast da was auf dem Kopf«, machte ich ihm verständlich.

»Was? Ich habe doch keinen Kropf!«, brüllte er zurück.

Genervt verdrehte ich die Augen und gestikulierte in Richtung seiner Haare.

»Ach, die Kröte? Hey, das ist mein neuer Mitarbeiter. Ach was, wohl eher alter Mitarbeiter. Den kennst du doch auch. Das ist Wilbur!«

...Oh, nein! Nicht dieser blöde, depperte Dschinn! Wenn es einen geben sollte, den ich überhaupt nicht ausstehen kann, dann ist es dieser Wilbur!...

»Das ist Wilbur? Normalerweise rennt er doch immer im Rock herum, getarnt als Mensch in Form eines zierlichen, mädchenhaften Ägypters!«, entfuhr es mir.

»Was? Ah, langsam kommt mein Gehör zurück... Ach ja, wie du weißt, baute Wilbur letztens ein wenig Mist in Libyen. Dafür sollte er hundert Jahre in Gewahrsam bleiben, aber ihr musstest ihn ja aus der Silberkammer herausholen!«

»Hey, hör mal, was hätten wir denn machen sollen? Du hattest dich irgendwo am Arsch der Welt verkrochen und warst unauffindbar! Es ging um Leben und Tod. Also haben wir ihn mit einer kleinen Aktion aus den Silberkammern herausgeholt. Was uns übrigens eine ganze Woche Küchendienst bescherte!«, entrüstete ich mich.

»Ja, ja! Und das war nobel von Pistillum, es hätten auch zwei Wochen werden können. Wie dem auch sei. Nach eurem Bruch entfloh Wilbur und versteckte sich in der Dämonendimension, wo ihr ihn mit Mara folglich auch wiedersaht. Nun, Mara bat beim Chef um Milde für Wilbur, und die hat er von Ambrosius Pistillum bekommen. Vorerst bleibt Wilbur in Krötengestalt, und wenn er schön brav ist, darf er wieder jede x-beliebige Gestalt annehmen und in Freiheit leben. Bis dahin, ist er sozusagen mein persönlicher Mitarbeiter und steht unter ständiger Beobachtung. Alchemie lag ihm schon immer. Er ist ein wandelndes Rezeptbuch.«

»Hey, redet mal nicht so, als wäre ich nicht da!«, beschwerte sich der Kröten-Wilbur.

Wir ignorierten ihn einfach.

»Ha, geschieht ihm ganz recht, dieser kleinen, hässlichen Kröte. Alchemie liegt ihm? Ja, das sehe ich... Hat er das Rezept fürs Waschmittel erfunden?«

Nebenbei pflückte ich Connie eine Socke von der Schulter.

»Nein, i wo! Das ist mein Rezept gewesen. Dummerweise ist es noch nicht ganz ausgereift. So wie es aussieht, ist das Waschmittel schon in der Maschine verpufft...«, resümierte Connie, kraulte sich den Bart und guckte an die Decke, als vermute er dort die Lösung seines Problems. Dann bemerkte er erst leicht verstreut, dass ich seine Heiligen Hallen betreten hatte: »Was machst du eigentlich hier? Warst du nicht zuletzt irgendwo in Mexiko?«, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

»Jepp, wir sind heute Morgen in der Frühe wiedergekommen. Was hast du sonst noch Schönes in der Mache?«

»Ich arbeite zurzeit an einem Unsichtbarkeits-Trank. Allerdings funktioniert er noch nicht richtig, bisher wurden nur die Füße unsichtbar. Es ist echt blöd, wenn plötzlich deine Haxen nicht mehr sichtbar sind. Aber ich arbeite dran.« Nachdenklich betrachtete er mich von oben bis unten. »Wie siehst du eigentlich aus? Rennst hier mit Bermudas und Adiletten herum? Ist wohl schön warm draußen, wie?«

»Ja, herrliches Wetter. Du solltest auch öfter vor die Tür gehen. Überhaupt hängst du viel zu viel in geschlossenen Räumen ab. Du solltest mal rausgehen, denn die Weiber tragen wieder Dekolleté und Kleider. Da wirst selbst du feucht unter der Zunge. Überhaupt solltest du dich mal mit einem weiblichen Wesen treffen und ein wenig Druck abbauen!«, riet ich ihm, doch er winkte nur ab.

»Ach, du kennst mich doch. Welche Frau würde sich schon mit mir abgeben?«

»Hey, es gibt viele Mitarbeiterinnen, die auf dich stehen, nur du merkst mal wieder nichts. Halt dich ran, es geht schon das Gerücht herum, du wärst ein warmer Bruder.«

»Das sagst du so leicht. Du hast es beim weiblichen Geschlecht viel leichter als ich. Du gehst einfach auf ein weibliches Wesen zu und fragst: ›Haste Bock auf Ficken?‹«

»Na ja, die Zeiten sind nun vorbei, ich bin jetzt glücklich verheiratet. Lassen wir die Katze mal aus dem Sack. Ich bin nicht zwecks einer Partnervermittlung gekommen, sondern wegen Agnirs Unterricht. Amanda drängt mich, der Junge müsste in die Schule. Nur kann er nicht in eine normale Schule gehen, da würde er durch sein schnelles Wachstum auffallen. Deshalb soll ich fragen, ob es Schulen für Vampir-Hybriden gibt.«

… Damit habe ich nur ein wenig die Tatsachen verschleiert. Ich bin niemand, der andere um einen Gefallen bittet. Und das Wort »Bitte« ist außer für Amanda, sowieso nicht in meinem Wortschatz vorhanden. Ich bettele doch nicht Cornelius an! Schließlich habe ich auch meinen Stolz. Nein, ich wollte es so einfädeln, dass Connie von allein auf die Idee kam, Agnir als Schüler zu nehmen...

»Du bist glücklich verheiratet, fragt sich nur, ob Amanda es auch ist«, lächelte er verschmitzt in sich hinein. »Du meine Güte. Es gibt vielleicht eine Handvoll Vampir-Hybriden. Und soweit ich weiß, gibt es auch kein Internat für sie. Die wenigen werden von ihren Eltern unterrichtet«, meinte Connie und betrachtete den verursachten Schaden an der Waschmaschine eingehend.

»Ich würde sowieso nicht wollen, dass der Junge nach außerhalb kommt. Er soll bei uns, in einer ganz normalen Familie aufwachsen!«, reklamierte ich. »Annie ist nicht mehr die Jüngste und kümmert sich ohnehin schon aufopfernd um ihn. Amanda hat keine Zeit, das weißt du wohl am besten. Und ich kann ihn nicht unterrichten, weil mir die letzten 600 Jahre an Bildung fehlen. Das, was ich weiß, ist allemal nur rudimentär zu nennen. Okay, inzwischen weiß ich Folgendes: Niemand wohnt in einem Brockhaus und ein Analyst ist auch kein Gerät für die Darmspieglung...«

Nicht nur Cornelius lachte herzhaft, auch Wilbur kicherte leise. Der Graue schüttelte den Kopf und wischte sich eine Lachträne aus dem Auge.

»Verzeih mir die Bemerkung, aber deine Familie ist alles andere als normal. Jedenfalls solange du der Familienvorstand bist... Na, du bist mir eine Marke. Tja, was machen wir mit dem Jungen?«

»Ha, ha, du Komiker! Keine Ahnung, gerade das bereitet mir Kopfschmerzen«, verriet ich ihm. »Er ist jetzt nicht besser als andere Kinder, aber hat uns schon ziemlich oft zum Staunen gebracht. Als er gerade das Laufen lernte, bauten wir Gittertüren vor die Treppe, damit er da nicht hinunter purzelte. Und was machte der kleine Kerl? Er drückte auf den Fahrstuhlknopf und ging unten im Gebäude spazieren... Ziemlich pfiffig, nicht wahr? Er sah immer, wie Annie den Fahrstuhl holte, um mit dem Hund Prince Charles hinunterzufahren. Du weißt, er ist ein Basset-Hound, nicht gerade leicht und mit seinem langen Rücken darf er keine Treppen steigen.«

»Ja, ziemlich pfiffig, das hat er eindeutig nicht von dir geerbt«, schmunzelte Connie. Ich warf ihm einen giftigen Blick zu und musste mich mäßigen, ihn nicht zu würgen.

»Ist er hier?«, fragte Cornelius neugierig.

Nickend zeigte ich in Richtung Tür. »Ja, er korrigiert gerade die Rechtschreibung von diesem Ructus. Agnir kann nämlich schon lesen und schreiben. Seine Schwester Sascha hat es ihm beigebracht«, bemerkte ich.

Cornelius betrachtete verwundert beim Verlassen des Raums die Beule in der Trenntür. Unauffällig folgte ich ihm. Die beiden Kleinen saßen am Tisch und schrieben fleißig. Zwischendurch zeigte Agnir Ructus die ein oder andere Sache, die er besser machen konnte.

»Hallo, ihr beiden. Es geht bei euch recht ruhig zu. Darf ich mal sehen?«, fragte Connie und sah sich ihre Arbeiten an. »Sehr schön! Das habt ihr sehr gut gemacht!«

»Hallo, Onkel Cornelius!«, begrüßte mein Sohn ihn freudig. Sie sahen sich nicht allzu oft.

»Sag ruhig Cornelius, oder Connie zu mir. Wenn du mich Onkel nennst, dann fühle ich mich so alt!«, lachte er meckernd. »Helm... , äh, Agnir, du bist schon wieder ein ganzes Stück gewachsen!«

»Ja, bin ich. Ach... Ich heiße jetzt Triple A!«, bekundete er und ich verdrehte die Augen.

»Ich dachte du heißt jetzt Helmut, weil du einen Helm trägst...«

»Den Helm habe ich ihm aufgesetzt. Das mit dem ›Triple A‹, das hat er von Gungnir aufgeschnappt! Da gibt man dem Kind so schöne Namen, und er will Triple A heißen! Klingt wie ein verunglückter Superheld... Oder, wie hießen eigentlich diese flauschigen Viecher aus der Episode von Raumschiff Enterprise?... Trippel?«, hakte ich nach. Doch von Connie konnte ich nicht erwarten, dass er sich jemals Star Trek angesehen hatte.

»Die hießen Tribbles... Aus der Episode: Kennen Sie Tribbles?«, antwortete Connie wie aus der Pistole geschossen.

... Aha! Jetzt kenne ich ein weiteres Geheimnis meines Blutbruders. Er ist ein verkappter Trekki!...

»Agnir, würde es dir gefallen, wenn ich dich zusammen mit Ructus unterrichte?«, fragte Cornelius.

Agnir nickte aufgeregt: »Das wäre super! Ich will nämlich mal das Gleiche wie meine Mama werden!«

»Was? Ärztin?«, fragte Connie grinsend.

»Nein, Arzt! Und den Witz hat Papa heute schon gemacht!«, erwiderte er naseweis.

»Gut, wenn du willst, kannst du ab morgen bei mir Unterricht nehmen. Papier und Bücher bekommst du gestellt. Schulranzen, Federtasche und Zirkel musst du selbst mitbringen. Ach ja, ihr habt die regulären Ferienzeiten, so wie andere Kinder auch. Noch Fragen?«, wandte Connie sich ganz allgemein dem Raum zu.

»Au fein! Wir wollen nämlich zu Pfingsten mit dem Boot die Küste entlangfahren! Ganz bis nach Norwegen! Dort zeigt mir Papa, wo er geboren wurde«, berichtete Agnir.

»Sehr schön!«, meinte Connie. »Ragnor, kann ich mal kurz unter vier Augen mit dir reden?«, fragte er und nickte in Richtung Labor.

»Klar, aber die zwei Augen von Wilbur lässt du hier! Das geht ihn nichts an!«

»Na gut, Wilbur. Bleib bei den Jungs und mache keinen Quatsch!«

Die Kröte wurde vorsichtig vom grauen Zausel auf dem Tisch abgesetzt. Zu schade, ich hatte keinen Strohhalm dabei, sonst hätte ich Agnir zeigen können, wie man einen Frosch aufbläst.

»Ja, was gibt´s denn?«, hakte ich nach und schloss hinter uns die Tür.

»Wenn ich schon so nett bin, deinen Sohn zu unterrichten, dann kannst du mir auch einen kleinen Gefallen tun, oder?«

»Äh, ja... Und das wäre?«, fragte ich voller Misstrauen. War klar, dass er von mir ebenfalls einen Gefallen einfordern würde. Auf so etwas war ich schon gefasst.

»Na ja, es geht um Ructus. Er tut sich ein wenig schwer, seit er hier bei uns ist. Von den Großen wird er nicht akzeptiert und die Zwerge mögen ihn nicht. Deshalb wäre es doch ganz nett, wenn er vielleicht bei euch öfter zum Spielen vorbeikommen könnte. Schließlich habt ihr doch genug Platz. Es wäre auch nett für Agnir, wenn er jemanden hat, mit dem er ein bisschen auf dem Grundstück herumstreifen könnte.«

»Du willst, dass wir den kleinen Roten sozusagen bei uns aufnehmen? Ist das nicht ein bisschen zu viel verlangt? Ich weiß nicht mal, ob ich ihn überhaupt leiden kann!«, gab ich zu bedenken.

»Er soll ja nicht bei euch wohnen, wäre schön, wenn er mal mit Agnir spielen könnte. Vielleicht auch mal zum Essen bleiben darf. Und im Sommer könnten die Kinder draußen zelten«, äußerte Connie. »Du weißt, dass er das Gelände nicht verlassen darf, er würde zu sehr durch sein Aussehen auffallen, aber er soll sich auch nicht wie ein Gefangener fühlen.

»Spielen? Ich weiß ja noch nicht mal, wie alt der Knabe ist«, wehrte ich ab.

»Und? Wie alt sind wir denn, hm? Jedes intelligente Wesen spielt gern. Wir spielen beide, auch wenn es Kartenspiele, Backgammon oder Schach ist.«

»Da hast du auch wieder wahr. Okay, ich frage mal Amanda, was sie davon hält. Dann gebe ich dir Bescheid. Sag Agnir aber noch nichts davon, nicht dass er nachher enttäuscht ist, falls es nicht klappt!«

»Was sollte denn dagegen sprechen?«

»Keine Ahnung, wer weiß, vielleicht zündelt Ructus, oder übt einen negativen Einfluss auf meinen Sohn aus.«

»Quatsch, er zündelt doch nicht! Okay, dann sind wir uns also einig«, nickte Connie.

»Mehr oder weniger«, grummelte ich. »Komischer Deal. Ich drücke dir mein Kind aufs Auge und dafür habe ich deinen Problemfall an der Backe...«

Das 4. Buch George

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