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Wen die Götter vernichten wollen, den machen sie zuerst wahnsinnig.

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(Euripides)

Ja, das war mal wieder sonnenklar, nun ließ Odin die Katze aus dem Sack. Seltsamerweise dachte ich mir, eigentlich bräuchte er mich im Moment mehr, als ich ihn. Vielleicht ist dies eine ziemlich hochmütige Einstellung, aber schließlich ist er ein echter Gott, und ich nur ein Vampir. Und trotzdem tritt er mit einem Befehl an mich heran, von dem er ausgeht, ich würde ihn bedingungslos ausführen. Normalerweise braucht ein Gott doch nur mit dem Finger zu schnippen und schon wird sein Wille erfüllt. In diesem Fall schnippt er mit dem Finger und ich soll mir die Brüche, Quetschungen und Blutergüsse für ihn einfangen. Aber so haben wir nicht gewettet! Trotz allem Ungemach beschloss ich, mir in Ruhe das anzuhören, was er mir sagen wollte. So derart überrumpelt, schloss ich den Mund und konnte es mir nicht verkneifen, genervt mit den Augen zu rollen. So etwas habe ich gerne: Erst ein wenig Smalltalk mit mir über meine Familie betreiben und anschließend unverhofft mit dem Hammer ausholen.

»Wie ich sehe bist du jetzt aufnahmefähig. Das klappt wohl erst, nachdem du mit den Augen rollst, was? Ha, ha. Es ist Folgendes: Du weißt, ich bin weise und allwissend. Ich hatte die Vision, Loki sei aus seinem Gefängnis entkommen«, gab Odin zu.

»Moment mal? Wie will er das angestellt haben? Wenn du dich mit Azrael in Verbindung setzt, kann er für dich überprüfen, ob sich Loki noch in der Hölle befindet. Schließlich hast du ihn gegen mich eingelöst, um deinen einzigen Gläubigen dort herauszubekommen.«

»Mein Junge! Glaubst du denn, ich sei auf den Kopf gefallen? Meinst du, ich hätte das nichts schon längst erledigt? Azrael meinte, der Typ, der in Lokis Zelle, Kiste, was auch immer hockt, würde beteuern, eben nicht dieser Loki zu sein! Gut, jeder würde sich wünschen nicht Loki zu sein, am meisten Loki selbst. Aber irgendetwas ist faul. Meine Vision ist keine Lüge«, versuchte er mir klar zu machen. »Und glaubst du, nach diesem Zaphiel-Skandal, würde Satan zugeben, abermals einen wertvollen Gefangenen verloren zu haben?«

»Nein, er würde es vehement leugnen, um seinen Leumund zu wahren. Hm, meinst du, Loki hat mit seiner Gestaltwandelei alle getäuscht und ist geflohen?«

»Zuzutrauen ist ihm alles. Dabei gehörte er zur Familie! Nicht nur, dass er Hödur und Baldur auf dem Gewissen hat; man treibt eben keine Scherze mit Sehbehinderten! Dafür musste er zwei seiner Söhne einbüßen. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Aber nicht nur das, er ließ Idun samt ihrer Äpfel verschwinden und pöbelte Gäste auf Ägirs Festgelage an. Definitiv hat er damit den Bogen überspannt. Auch wenn ich mir immer wieder sage, er kann nichts für das böse Blut, das durch seine Adern fließt, dennoch bleibt er eine Gefahr! Nun, nach dieser ihm erlittenen Schmach führt er etwas ganz Fürchterliches im Schilde! Nämlich Rache, er wird sich an uns allen rächen!«

»Moment! Das ist doch deine familiäre Angelegenheit, lass mich da außen vor!«

»Nein, mein Junge! Das ist Politik!«, konterte Odin.

»Noch schlimmer, also Familienpolitik! Ich frage mich immer noch, was habe ich damit zu tun?«

»Du bist aber auch bräsig wie zwei Meter Waldweg! Na, alles hat mit allem zu tun! Alles ist miteinander verzahnt! Wenn etwas aus dem Geleis gerät, dann hat das Auswirkungen auf alles andere! Meinst du, Loki sitzt irgendwo faul herum und dreht Däumchen? Nein, er wird die Midgardschlange und den Fenrirwolf auf uns hetzen. Jetzt denkst du vielleicht: ›Ach, lass doch die alten Götter mit ihrem Ragnarök alleine klarkommen!‹ Aber, so ist das nicht! Kennst du diese Weissagung?... Die Offenbarung des Johannes. Dort wird die Apokalypse erwähnt, Armageddon. Und das betrifft nicht nur uns Asen, sondern überwiegend die Menschheit. Nichts wird mehr so sein wie vorher. Eine neue Weltordnung wird kommen und alle die du liebst, werden nicht mehr existieren! Bei dir bin ich mir nicht ganz so sicher, du bist schließlich ein Bluts... äh, ein Vampir. Du freust dich wahrscheinlich, wenn sich die Meere und Flüsse in Blut verwandeln, dann kannst du ein schönes Blutbad nehmen. Nein, im Ernst, es wird das verdammte Ende der dir bekannten Welt sein!«, versuchte er mir zu erklären. So langsam fiel der Groschen.

»Du willst mir weismachen, die Offenbarung hätte mit Ragnarök, der Götterdämmerung zu tun?«

»Du bist ein echter Blitzmerker! Ja, dort werden ebenfalls zwei Tiere erwähnt. Das Tier, welches aus dem Meer steigt, und das Tier aus der Erde. Nun, welche Tiere könnten das wohl sein? Und da wir nicht bei einem Quiz sind, sage ich es dir...«

»Du meinst Jormungand, die Midgardschlange und den Fenrirwolf!«, kam ich ihm zuvor.

Odin nickte anerkennend, obwohl er mich damit wohl eher auf den Arm zu nehmen beabsichtigte: »Bingo! Du bist echt clever! Jetzt fragst du dich gewiss, was das alles mit dir zu tun hat.« Er fuhr fort als ich nickte: »Loki will sich rächen und da er wegen dir in die Hölle geschickt wurde, nimmt er zuerst Rache an dir. Und da du dich mit dieser Menschenfrau eingelassen hast und dich durch den Kodex eurer Organisation der Menschheit verpflichtetest, nimmt er zu forderst genüsslich die Menschen aufs Korn. Wenn er sich dann mit der Menschheit den Hintern abgewischt hat, ja dann lässt er die Tiere kommen und nimmt sich uns vor. Wie du weißt, werde ich es nicht überleben. Aber ich lebe nun mal gerne, darum wirst du mir helfen. Wenn die Stunde gekommen ist, wird Heimdall ins Horn blasen und dann bist du gefragt! Du wirst antreten, ob du willst oder nicht. Dann bekommst du eine Aufgabe von mir, die du bedingungslos erfüllen wirst!«, forderte er von mir ein.

»Hey, Moment mal! Du bist doch von uns beiden der Gott! Warum gehst du nicht auf die Erde und bläust Loki dermaßen den Buckel, dass er nicht mehr weiß, ob er Männlein oder Weiblein ist? Und was ist mit Thor, dem tollen Hecht? Warum macht er nicht die Drecksarbeit?«

»Auf Thor komme ich gleich zurück... Tja, wenn es nur so einfach wäre! Wir Gottheiten haben eure schöne Welt als neutrales Gebiet anerkannt. Sozusagen ein Nichtangriffspakt. Zu viele beanspruchen das Diesseits als ihr Eigentum. Wenn wir erst einmal anfangen, darauf unsere Unstimmigkeiten auszutragen, wird davon nicht mehr allzu viel übrig bleiben! Hier in Asgard, hier können wir uns mit unseren Feinden bekriegen, doch dort unten, was du Erde nennst, ist für uns Gottheiten tabu. Comprende?«

»Und was ist denn nun mit Thor?«, bedrängte ich ihn.

»Thor hat keine Zeit! Er befindet sich in den Flitterwochen. Niemand will beim Honeymoon gestört werden. Du weißt sicherlich, wen er gefreit hat, oder?«

Das schlug dem Fass den Boden aus! Thor tändelte mit meiner... äh, wie soll ich das formulieren... Mit meiner verstorbenen Frau herum. Zwar habe ich ihr in dieser Beziehung die Entscheidungsfreiheit gelassen, doch dass sie sich nicht insgeheim gegen eine Verbindung mit Thor ausgesprochen hat, kränkte mich fürchterlich. Dabei habe ich Edda so sehr geliebt! Und nun durfte ihr Witwer die Scherben aufkehren! Angefressen erhob ich mich, trank meinen Met aus und warf das Horn rein zufällig in die Richtung von Hugin, der inzwischen auf einem Helm hockte und mich aus kleinen, giftigen Augen anfunkelte. Entsetzt sprang er hoch und flatterte protestierend weiter auf einen Schild, der die Wand zierte.

»Hast du nicht noch ein bisschen mehr Fronarbeit für mich, mein rachsüchtiger Gott? Soll ich dir vielleicht auch noch die Halle im Apricot-Ton streichen? Oder gar die Kartoffeln, oder Kohlen aus dem Feuer holen? Okay, ich muss wohl alles tun was du willst, denn du bist mein Göttervater. Was habe ich denn für eine Wahl? Keine! Überhaupt keine! Ich denke es wurde alles gesagt! Jetzt kannst du mich wieder zurückbringen!«

»Nun werde mal nicht respektlos! Habe ich dich nicht aus der Hölle zurückgeholt, und dir obendrein jeden deiner Wünsche erfüllt? Wo wärst du jetzt ohne mich? Du würdest bis ans Ende der Zeit ewige Qualen leiden! Und hast du nicht die Frau bekommen, die du so heiß begehrtest? Habe ich dir nicht das Geschenk gemacht, einen geliebten Sohn zu bekommen, der dich so glückselig macht? Gegenseitigkeit, mein Lieber! Würdest du auch nur auf eines dieser Dinge verzichten wollen?«, fragte er mich drohend.

»Nein! Nein! Natürlich nicht! Ich würde alles für meine Familie tun! Das weißt du. Und du hast recht, einer muss dem Bösen Einhalt gebieten, das ist ja nichts Neues für mich. Mir wäre es recht, wenn du mich jetzt wieder zurückbringst. Odin, ich werde gehorchen, dies ist mein Schwur!«

»So sei es! Hast du mir eventuell noch etwas zu sagen?«, meinte Odin und nickte mir befriedigt zu.

»Äh, ja... Jetzt wo du es erwähnst, grüße meine Sippe von mir. Schade, es hätte mich sehr gefreut, sie wiederzusehen.«

»In Ordnung, ich werde alle von dir grüßen. Übrigens, durch Eddas Entscheidung hat deine Familie jetzt einen viel besseren Tisch bekommen. Ich hoffe, es freut dich das zu hören. Und nun entlasse ich dich wieder in dein langweiliges Leben, nach dem du dich so sehr sehnst.«

»Halt, stopp! Lass mich nicht wieder aus den Wolken fallen, klar? Und reiten will ich auch nicht und schon gar nicht geritten werden. Wäre schön, wenn du mich einfach ganz sanft unten absetzen würdest. Ganz ohne Stress und Tralala. Geht das?«, fragte ich nach. Es konnte nur im Sinne Odins sein, mir nicht wieder sämtliche Gräten zu brechen. Jederzeit könnte Loki zuschlagen.

»Wirf ihn runter, wirf ihn runter!«, krächzte der beleidigte Hugin fordernd und verlor beinahe das Gleichgewicht.

»Hugin, halt deinen Schnabel!«, bellte Odin. »Aha! Ragnor, sieh an, du hast dazugelernt! Obwohl das mit dem ›Zuerst denken, dann reden‹ immer noch nicht so gut funktioniert.« Dann schlug Odin einen vertraulicheren Ton an. »Äh, ich weiß, dass du mir einen kleinen Hausaltar bei dir zuhause eingerichtet hast. Da kannst du den aufblasbaren Ring drauflegen. Den Ring werde ich mir dann holen.«

»Wenn du willst, kann meine Frau sich mal deine Sache da hinten angucken. Sie ist nämlich Ärztin«, schlug ich ihm vor.

»Oh nein, kein sterbliches Wesen guckt sich Odins nackten Hintern an, ist das klar?«

»Okay, okay, das war ja nur mal ein Vorschlag. Gut, ich werde dir den Ring besorgen. Hä, hä... Sozusagen ein aufblasbarer Ring der Nibelungen...«

»Sehr witzig! Es wird Zeit zu gehen! Dann wünsche ich dir eine gute Heimkehr!«, verabschiedete sich Odin und winkte mich genervt davon. Wie vom Protokoll verlangt, verneigte ich mich, wobei ich bemerkte, wie ich mich in Luft auflöste. Klammheimlich war ich erfreut darüber, dass ich entmaterialisierte, und nicht der Boden unter mir.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem heimischen Rasen und wurde von einer stinkenden Hundeschnauze abgeschlabbert. »Argh! Charlie, aus!«, wehrte ich mich. Dem Anschein nach war ich schneller gereist als mein Magen; mir war hundeelend und so drehte ich mich schnell vom Köter weg und übergab mich. Dies passierte mir nicht zum ersten Mal. Also, ist klar, übergeben habe ich mich schon oft, aber auch schon durch die Nachwirkung einer Teleportation. Meine damalige Geliebte besaß diese Fähigkeit und nahm mich mal mit, während sie sich schnell wie das Licht, durch Zeit und Raum bewegte. Danach lehnte ich dankend ab.

»Ragnor? Warum liegst du hier auf dem Rasen herum? Geht es dir nicht gut?«, fragte Annie, vom anderen Ende der Hundeleine.

»Urgh, es geht schon wieder. Komisch, sonst stellt mir immer Barbiel diese Frage!«, röchelte ich. »Annie? Ich habe dir deine Gartenkugel zurückgebracht.«

»Wenn du dafür durch die Hölle gehen musstest, dann hat es sich eindeutig nicht gelohnt. Es ist doch nur eine Gartenkugel und nicht das Goldene Vlies«, schüttelte sie den Kopf. Das liebe ich so an Annie. Diese Frau ist durch und durch pragmatisch veranlagt.

»Mag schon sein, aber hier geht es ganz allein ums Prinzip! Ich habe den Dieb gestellt«, entgegnete ich und zog das restliche Diebesgut aus der Tasche.

»Lass mich raten. Es war der Franzose, Dracon, mit der schlechten Gesichtshaut und der heiseren Stimme, habe ich recht?«

Annie sah Dracon bisher nur mit seiner Camouflage. Sie wusste nichts von seiner wahren Gestalt. Auch hatte sie keine Ahnung von Barbiels Flügel, und Silent Blobb war ihr auch noch nicht bewusst begegnet. Leider durfte ich ihr nichts über meinen Job und die Kollegen erzählen. Sie ignorierte ohnehin die seltsamen Vorkommnisse. Sie hielt selbst Karl-Heinz für ein weißes Pferd, das gelegentlich aus dem Reitstall ausbüxte. Schließlich war sie keine Jungfrau mehr.

»Woher weißt du, dass es Dracon war?«, fragte ich verblüfft.

»Dein netter Kollege Barbiel, sagte, du seist mit Dracon höchstwahrscheinlich außer Haus gegangen, weil er euch nirgendwo im Gebäude finden konnte. Übrigens, er mag ja wirklich ein hübscher Bengel sein, aber ich befürchte, er hat eine Schraube locker, weiß Mara das? Er redete mit einem Regenmantel, oder vielleicht sprach er auch mit seinem seltsamen Tier, bei dem ich mir nicht sicher sein kann, ob es überhaupt ein Tier ist. Diese Mischung aus Reptil und Hund. Aber ich kenne Hunde, und auch wenn Ernestine bellt, so kaufe ich ihr den Hund nicht ab! Ach, was weiß ich... Ich bin ja nur eine alte, törichte Frau... Trotzdem glaube ich nicht, dass Barbiel mit Ernestine so laut Tischfußball spielen kann. Und die vierte Dose Bier war sicherlich auch nicht ihre«, zwinkerte sie mir zu, obwohl sie den Braten längst gewittert zu haben schien. Annie ist eine hochintelligente Frau und ihrem Verstand bringe ich den vollsten Respekt entgegen. Soll sie von allein herausfinden, worin sie sich befindet: Im Epizentrum der Abnormalität, in Freakhausen.

»Wollen wir nur hoffen, dass du den armen Kerl nicht verprügelt hast. Er ist immer so höflich und zuvorkommend. So, jetzt komm mal wieder auf die Beine, mein tapferer Ritter, der Rasen ist recht feucht. Aufstehen musst du schon alleine, denn ich kann dir dabei nicht helfen, es sei denn, ich darf einen Kran ordern«, lächelte sie mir charmant zu.

»Nein, ich habe ihn nicht geschlagen, obwohl mir die Hand juckte. Wir gehen morgen gemeinsam zum Psychologen, der kümmert sich um den Sprung in seiner Schüssel«, gab ich Entwarnung. »Nein, Annie, mach dir keine Umstände. So etwas würde ich auch nicht von dir zierlichem Persönchen verlangen. Bisher kam ich immer von allein wieder auf die Beine. Annie, nicht doch! Ein Kran ist viel zu kostspielig, der sprengt unser Familienbudget!«, grinste ich und erhob mich. Schweigend gingen wir zurück zum Haus, wo sich unsere Wege trennten. Unserem Barbiel und Silent Blobb wünschte ich eine gute Nacht, die dieses Signal sehr wohl verstanden und ohne zu fragen das Weite suchten.

Mann o Mann! War das ein verrückter Tag! Sofort machte ich mir eine geistige Notiz, einen Notfallplan anzulegen. Wenn schon das Ende der Welt nahte, sollte wenigstens meine Rotte gut versorgt sein. Hoffentlich ließ die Apokalypse noch ein wenig auf sich warten. Vielleicht irrte sich Odin und verbreitete umsonst diese ganze Panik. Während ich meine imaginäre Einkaufsliste durchging, hörte ich aus dem Zimmer meines Sohnes ein leises Weinen. Derart alarmiert, betrat ich vorsichtig sein Zimmer.

»Hey, Stöpsel, was hast du denn? Tut dir etwas weh? Hast du schlecht geträumt?«

»Bin kein Stöpsel, du sollst mich doch Triple A nennen!«, schniefte er.

»Okay, was hast du denn, Ag... Triple A?«

»Die Drachenmutter ist weg! Jetzt ist das Drachenkind ganz traurig!«, jammerte er.

»Deine Mutter ist doch da! Und seid wann nennst du sie ›Drache‹? Ich hätte vielleicht meine Gründe, so etwas zu sagen, aber du? Doch so schlimm ist sie nun auch nicht, auch wenn sie ziemlich ausflippen kann!«, gab ich zu bedenken.

»Nein, so etwas würde ich nie zu Mama sagen!«, belehrte er mich.

»Und was meinst du jetzt damit? Ach, ich sehe es schon an deinem glasigen Blick, du hast einfach nur schlecht geträumt. So, mein Kleiner, jetzt wird wieder schön geschlafen...«, wollte ich mich aus dem Staub machen. Mir liegt es überhaupt nicht, jemanden zu trösten, auch wenn es mein eigener Sohn ist. Mir fehlt es an der benötigten Empathie, was auf verhängnisvolle Weise zu dem Ergebnis führt, etwas völlig Unpassendes zu sagen, was andere ziemlich irritiert, oder gar für herzlos halten.

Agnir hielt mich am Hosenbein fest, als ich mich erhob. Der kleine Hosenmatz hat einen ziemlich festen Griff, was zur Folge hatte, dass ich ihn aus dem Bett hob.

»Papa?«, fragte er mich mit einem Blick, der Bambi vor Neid erblassen ließ. »Kann ich heute Nacht bei dir und Mama im Bett schlafen?«

»Bist du nicht schon etwas zu groß dafür? Ich mache dir auch deine schöne Lampe mit den Sternen an!«, schlug ich ihm begeistert vor. Zugegebenermaßen hatte ich eigentlich ganz andere Pläne, die nur Amanda und mich beinhalteten. Und so egoistisch wie es klingen mag, dabei waren die Kinder definitiv ausgegrenzt.

»Papa, nur heute Nacht! Bitte! Danach habe ich bestimmt keine Albträume mehr. Großes Wikinger-Ehrenwort!«, krallte sich Agnir noch fester in mein Bein.

»Niemals solltest du so unbedacht einen Schwur leisten. Eigentlich müsste ich derjenige mit den verdammten Albträumen sein. Denn ich habe welche im Wachzustand. Okay, du hast mich überredet, du kleine Klette, ich kann Kinder einfach nicht weinen sehen! … Das nächste Mal mache ich meine verdammten Augen zu und stopfe mir etwas in die Ohren!«, brummelte ich in meinen Bart. Agnir wurde vom Bein gepflückt und auf den Arm genommen.

… Aus dem Augenwinkeln meines Lustzentrums sah ich, wie meine Libido mir ziemlich angepisst den Stinkefinger entgegenstreckte. Aber so ist das eben, wenn man die Vaterfreuden genießen will. Leider hat man nur Zeit dafür, bevor die Kinder da sind. Sobald sie erst mal das Licht der Welt erblicken, ist man einfach immer und rund um die Uhr ein Vater...

Amanda schlief schon, als ich den Quälgeist in unserem Bett verstaute, allerdings kann ein Muttertier noch so tief schlafen, sobald es jedoch den Geruch der eigenen Leibesfrucht wittert, steht es Gewehr bei Fuß. Zwei Dinge bemerkte mein Herzblatt: »Hat Agnir schlecht geträumt? Und seit wann gehst du um diese Uhrzeit noch reiten? Du magst doch gar keine Pferde.«

Ehe ich bejahen konnte, oder mir zum Thema Pferd eine Ausreden einfallen wollte, öffnete sich unsere Schlafzimmertür und Sascha kam mit ihrem Plüsch-Minion namens Stuart ins Schlafzimmer geschleppelt.

»Sag nicht, du hattest auch einen Albtraum?«, fragte ich entgeistert, weil wir zwar ein großes Bett haben, aber die Barriere, die die Kinder zwischen mir und Amanda zu bilden drohte, meine Liebste und mich brachial entzweite.

»Nein, ich nicht, aber Stuart hat schlecht geträumt! Und Agnir darf auch bei euch schlafen«, grinste Sascha und krabbelte ins Bett und kuschelte sich an ihre Mutter.

»Böser Stuart! Na gut, dann schläfst du ebenfalls heute Nacht in unserem Bett. Bin ich erleichtert, dass wir nicht noch ein Balg haben, sonst müsste ich hier noch anbauen. Es wird aber nicht getobt, oder Blödsinn gemacht! Ihr müsst morgen beide früh aufstehen und in die Schule«, beschwerte ich mich. Während es sich die Kinder in unserem Liebesnest gemütlich machten, eilte ich unter die Dusche und schlüpfte anschließend in Boxershorts und T-Shirt. Obwohl Amanda mich regelrecht mit Schlafanzügen zuschmiss, verweigere ich mich, so ein schreckliches Ding zu tragen. Eigentlich schlafe ich immer nackt. Anders kenne ich das gar nicht, schließlich bin ich ein Nordmann. Es sei denn, ich habe Wache oder nächtige unter freiem Himmel, das sind die einzigen Ausnahmen. Nur einmal habe ich einen Pyjama anprobiert und als ich mich im Spiegel betrachtete, sah ich aus wie ein gottverdammter Sträfling der Teufelsinsel.

Als ich wieder im Schlafzimmer auftauchte, schliefen die Kinder schon tief und fest. Vorsichtig schlüpfte ich ins Bett, darauf bedacht, kein Erdbeben auf der Matratze zu verursachen. Amanda blickte sehnsuchtsvoll zu mir herüber und seufzte. Auch ich warf ihr einen schmachtenden Blick zu. »Tut mir wirklich leid, so war das nicht geplant. Dem Anschein nach, brauche ich morgen einen Arzttermin bei dir, Frau Doktor Ferguson. Meine Testikel drohen zu explodieren. Denkst du manchmal auch an Postnatale Abtreibung?«, flüsterte ich zu ihr rüber.

»Das ist schon in Ordnung so, er hat dich sicherlich weichgeklopft. Wie wäre es morgen um zehn Uhr? Da habe ich meine Pause. Wir können uns in einem Zimmer der Krankenstation einschließen«, zwinkerte sie mir lasziv zu, und mein Herz machte einen Freudensprung. »Was meinst du mit ›Postnataler Abtreibung‹, Schatz?«, fragte sie leise, aber im ersten Unterton.

»Okay, zehn Uhr, ich kann es kaum erwarten! Ach so, Liebes, damit meine ich: Einfach eine Briefmarke auf die Racker kleben und ab mit ihnen in den Briefkasten. Falls sie zurückkommen, verweigern wir einfach die Annahme«, flüsterte ich zurück. Amanda verdrehte die Augen und lachte leise ihr hinreißend heiseres Lachen. »Du Scherzkeks! Das glaubst du doch wohl selbst nicht!«, flüsterte sie. »Du wärst der Erste, der seine Hand im Briefschlitz stecken hat, um die Kids so schnell wie möglich wieder nach dem Einwurf aus dem Kasten herauszufischen!«

… Darum liebe ich diese kluge Frau! Wo sie recht hat, hat sie recht...

*

Das 4. Buch George

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