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Nicht hoffe, wer des Drachen Zähne sät, Erfreuliches zu ernten.

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(Friedrich Schiller)

Die Mokiki-Krokodilfarm, in der Nähe von Balimo, Papua-Neuguinea.

Drückende, feuchte Hitze. Der überforderte Ventilator versuchte vergebens, im Raum ein annähernd erträgliches Lüftchen herzustellen. Mit dem kläglichen Ergebnis, dass er lediglich die Hitze umrührte und ein verzweifeltes Quietschen von sich gab. Von Kühlung jedoch keine Spur. Jay Stevens, der stolze Besitzer der Krokodilfarm, blätterte in den Unterlagen, kramte ein Taschentuch aus seiner Westentasche hervor und wischte sich den strömenden Schweiß von der Stirn. Vor seinem Schreibtisch, dessen Ähnlichkeit mit einem Schlachtfeld nicht zu leugnen war, saß mit geradem Rücken, der Bewerber namens Sandy Bay. Alles war an ihm seltsamerweise sandig... Sein Haar war sandfarben, die Farbe seiner Augen, selbst die Kleidung besaß den Ton von Sand, und auch seine Haut war ebenfalls sandartig, dazu trocken wie Wüstenstaub. Überhaupt schien ihm die Bullenhitze nicht das Geringste auszumachen. Nicht einmal eine Schweißperle benetzte seine Stirn. Jay Stevens sah verwirrt von den Bewerbungsunterlagen auf, blätterte fahrig darin herum und fragte sich, was ihm hier so spanisch vorkam. War es das aalglatte Auftreten des Bewerbers, das Nichtblinzeln seines Gegenübers, oder die Tatsache, dass dieser über außerordentlich gute Zeugnisse verfügte? Was es auch immer sein mochte, dennoch besaß dieser Typ eindeutig genug Schneid und Kaltblütigkeit, um diesen nicht gänzlich ungefährlichen Job - dank seiner Erfahrung - mit Bravour zu meistern.

Jay stand auf und winkte dem Bewerber.

»Ihre Zeugnisse sind tadellos, ihre Erfahrungen sagen mir, Sie sind der Richtige für diesen Job. Na, dann folgen Sie mir mal unauffällig, Mister Bay.«

»Nennen Sie mich Sandy«, bemerkte der Eiskalte freundlich mit einer Stimme wie Sandpapier und verzog die Mundwinkel, was ihm das Aussehen einer Echse verlieh. Dabei blieben sowohl die Augen, als auch der Rest der Mimik von dem Treiben der Lippen gänzlich unbeeindruckt. Lediglich eine feuchte, sich wie eine Schlange windende Zunge, glitt über seine Lippen. Trotz der vorhaltenden und überaus drückenden Hitze, sandte die Hypophyse des Züchters den Befehl des Fröstelns an den Rest von Stevens Körper. Was dessen Rückenmark sofort und willig weitergab. Er schüttelte kurz das Unbehagen ab und ließ Mister Bay den Vortritt. Irgendetwas in ihm sagte, es sei ungesund, diesen Mann im Rücken zu haben. Er stellte das Radio vor der Tür leiser. Bei Krokodilzüchtern ein gängiger Trick, um durch die Beschallung den Stresspegel der Tiere zu senken, und sie damit an ein gewisses Maß an Nebengeräuschen zu gewöhnen. Er öffnete einen dunklen, nichtsdestotrotz recht tropisch-heißen Raum.

»Wir betreuen hier über Eintausend Exemplare verschiedener Größen. Dort sind die Brutkästen. Die frisch Geschlüpften werden hier vorerst isoliert gehalten. Wenn sie erst mal ein gewisses Alter erreicht haben, setzen wir sie in die Außengehege«, referierte Mister Stevens. Die kleinen Krokodile saßen in den Zuchtbecken und schienen von dem Neuankömmling regelrecht fasziniert zu sein. Der Farmer blickte sich um, und sämtliche Reptilaugen waren auf Sandy Bay gerichtet. Nebenbei stießen sie Quiektöne aus, die sie normalerweise nur in Anwesenheit ihrer Mütter von sich gaben. Stevens kratzte sich verwundert am Kopf. »Seltsam, sie denken, Sie wären ihre Mami. Das habe ich bisher auch noch nicht erlebt!«

»Ja, das scheint so etwas wie eine Gabe von mir zu sein. Obwohl den Reptilien nachgesagt wird, sie seien nicht sehr sozial, kam ich bisher bestens mit ihnen aus. Nicht dass ich mich über den grünen Klee loben möchte, doch schöpfen die Tiere recht schnell Vertrauen zu mir«, bemerkte Mister Bay.

»Ja, wenn das so ist, dann steht ihrer Beschäftigung nichts mehr im Wege. Willkommen im Team der Mokiki Krokodilfarm. Kommen Sie, ich will Ihnen noch unsere Comodowarane zeigen. Wir züchten sie erst seit Kurzem. Wir haben sie aus Indonesien und sie sind mir gelinde gesagt, nicht gerade sympathisch. Aber die Mediziner zeigen großes Interesse an ihren Giftdrüsen, so wie sie Interesse am Immunsystem der Krokodile angemeldet haben«, berichtet Jay Stevens begeistert. »Und das bedeutet für uns ein weiteres, lukratives Geschäft.« Er führte den Neuankömmling durch die Gehege mit den Krokodilen, die alle ihre Köpfe drehten, als die beiden Männer ihren Weg passierten.

»Zum Glück sind diese versponnenen Umweltaktivisten noch nicht auf die Idee gekommen, unsere Tiere in die Freiheit zu entlassen. So schnell können sie wahrscheinlich gar nicht laufen, wie sie selbst in der Nahrungskette landen würden«, lachte Stevens. »Dabei sind wir es doch, die den Umweltschutz unterstützen. Würden wir keine Krokodile züchten, wären die Tiere durch die Bejagung längst ausgerottet. Und solange die Menschen Taschen, Gürtel und Geldbörsen aus diesem Leder begehren, wird sich daran auch so schnell nichts ändern.« Der Farmer betrachtete die Reptilien nachdenklich. »Es sind eben Produkte, ja so hart es klingen mag, diese Tiere sind nichts anderes als Gürtel, Taschen und Krokodilschnitzel. Auf dem Markt für Delikatessen heiß begehrt. Schon probiert? Schmecken ganz hervorragend, fast wie Hähnchenfleisch!«

Der neue Mitarbeiter schüttelte emotionslos den Kopf.

Stevens blieb vor dem Gehege der Comodowarane stehen, die sich in der Sonne aalten. Zuerst hatte es den Anschein als schliefen sie. Doch ihr züngeln verriet etwas anderes. Wie auf ein stilles Kommando hoben sie erst die Köpfe, danach den Rest ihrer massigen Körper. In geschlossener Formation kamen fünf ausgewachsene Exemplare züngelnd und krummbeinig an den Gitterzaun geschlendert.

Das ausgewachsene Männchen stellte sich auf die Hinterbeine und hakte die Krallen vor den Männern ins Gitter.

»Dieser Kerl hier, das ist unser Oskar, der Herr im Haus«, erläuterte Stevens. »Er hat seinen Harem ganz gut im Griff.«

Sandy Bay streckte die Hand aus und kraulte dem großen Reptil den Bauch.

Der Züchter gab eine Warnung von sich: »Das würde ich unter keinen Umständen tun! Wenn er sie beißt, bekommen Sie eine schlimme Infektion!«

»Er wird mich nicht beißen, glauben Sie mir!«

Als ein seltsames Geräusch von Oskar ertönte, das fast schon wie ein Lachen klang, verzog der Farmer das Gesicht. »So wie sich das anhört, glaube ich es fast schon selbst. Das ist außerordentlich bemerkenswert, und obendrein gruselig!«

Doch als er selbst dem Reptil den Bauch kraulen wollte, ertönte ein warnendes Fauchen. »Gut, Oskar, dann eben nicht. Sandy, wie mir scheint, sind Sie ab heute Oskars persönlicher Bauchkrauler. Dann mal viel Spaß. Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo sich das Futter befindet. Die Jungs schieben Kohldampf. So haben Sie gleich die Möglichkeit, sich noch ein wenig beliebter zu machen.«

Wie sich herausstellte, enttäuschte Sandy Bay die Erwartungen seines Chefs wirklich nicht. Er erwies sich als zuverlässiger, mit guten Instinkten ausgerüsteter Mitarbeiter. Er ließ große Sorgfalt walten, was die Hege und Pflege der Tiere betraf. Mit den anderen Mitarbeitern verstand er sich allerdings nicht ganz so gut. Sie respektierten ihn zwar, doch so richtig warm wurde niemand mit diesem seltsamen Menschen. Der Krokodilflüsterer lehnte es strikt ab, mit ihnen nach Feierabend ein Bier zu trinken. Erst recht sprach er nicht über sich, seine Gedanken oder sein Leben. Ein Insiderwitz machte die Runde, dass es sich bei Sandy nicht wirklich um einen Menschen handelte, sondern eher um ein Reptil, das in eine Menschenhaut genäht worden war. Diese Vermutung wurde zuerst laut, weil Sandy der einzige war, der nicht vom Steg aus die Krokodile fütterte, sondern inmitten der hungrigen Reptilien stand, die geduldig warteten, bis er ihnen die Hühner zuwarf, die von der nahen Geflügelfarm geliefert wurden. Wenn Sandy im Gehege stand, herrschte so etwas wie ein Ausnahmezustand. Nicht weil die Krokodile ausnahmsweise Menschenfleisch fressen wollten, sondern Sandy wie ein Dompteur die Echsen zur Ordnung rief und alles völlig gesittet vor sich ging. Wenn er ein Tier, aus der sich windenden Menge herausholen sollte, gab er lediglich einen Schnalzton von sich, und das gewünschte Tier folgte ihm wie ein frommes Lamm.

Alles lief bestens, bis er mit Quindo, dem einheimischen Arbeiter, die Tore der Farm abschließen wollte.

»Willst du dich nicht von den Großen nochmals verabschieden? Morgen geht es ihnen ans Leder«, grinste Quindo, und in seinem dunklen Gesicht strahlten Zähne wie Suchscheinwerfer in der Finsternis.

»Was? Morgen schon? Warum hat mich niemand davon unterrichtet?«, erkundigte sich Sandy.

»Wir dachten, wir verschonen dich vor dieser Hiobsbotschaft, weil du sonst in deinem stillen Kämmerlein Krokodilstränen weinst«, tröstete ihn der Kollege. »Aber weil du mit ihnen so eine besondere Beziehung hegst, dachte ich, du solltest das wissen. Das ist doch nur fair, oder? Hör zu, mir gefällt das auch nicht, es ist sozusagen gegen meine Natur, uns Ureinwohnern sind die Krokodile heilig. Aber damit verdienen wir nun mal unser Geld. Schließlich habe ich eine Familie zu ernähren.Willst du nochmal rein?«

Sandy verfiel augenblicklich in eine Schockstarre. Sein Blick schien Tür und Tor zu durchdringen. Dann kam er wieder zu sich und sah zu seinem Kollegen. »Nein, ich werde jetzt nach Hause gehen. Danke, Quindo, dass du so aufrichtig zu mir warst. Wir sehen uns morgen«, nickte er dem Eingeborenen zu und machte sich auf den Nachhauseweg.

Quindo sah seinem Kollegen bekümmert hinterher, schüttelte den Kopf und murmelte: »Armer Kerl, das bricht ihm glatt das kalte Herz.«

Danach zuckte er mit den Achseln und trollte sich.

Mitternacht. Kein Beobachter ist zugegen, um das sich anbahnende Schauspiel zu betrachten. Folgendes: Ein Schlüssel wird im Schloss gedreht. Das Tor bleibt weit geöffnet. Ein Mann betritt das Gelände und verschafft sich Zugang zu den Gehegen. Auch hier kommt wieder der Schlüsselbund zum Einsatz. Unzählige Augen sind auf eine vertraute Person gerichtet. Diese gibt ihnen das Signal, ihm zu folgen. Unerwarteterweise geht alles mucksmäuschenstill vonstatten. Krallen kratzen leise über Holz und Fliesen. Unzählige Krokodilmütter nehmen die Fährte zu ihrer Brut auf. Bereitwillig werden Mäuler geöffnet, um Eier und die kleinsten Echsen, die nicht Schritt halten können, sicher in Empfang zu nehmen. Die stille Karawane bewegt sich fast lautlos durch das Gebäude. Nur ein Mann steht noch an einem wassergefüllten Becken. Er wirft seinen Hut hinein. Den wird er jetzt nicht mehr brauchen. Er ist offiziell gestorben. Zerrissen und nur noch aus halbverdauten Fleischfetzen bestehend, verteilt in unzähligen Mägen von aggressiven Krokodilen. Möge Sandy Bay in Frieden ruhen, denn er war echt kein übler Kerl.

Der Mann tritt leise an die Spitze dieser seltsamen Prozession. Seine Augen scheinen von innen zu leuchten. Er kniet sich nieder, er reckt und streckt sich. Ehrfürchtige Blicke werden ihm zuteil, als sich seine Proportionen verändern. Er wird größer, seine Haut wird rissig und darunter schuppig; seine Gliedmaßen sind nun stämmiger. Fingernägel werden zu mächtigen Krallen. Hände und Füße mutieren zu großen, Fleisch zerreißenden Pranken. Er schält sich heraus, aus dem beengenden Mantel, menschlichen Fleisches, der ihn bisher umgab. Und aus seinem Rücken sprießen ledrige Schwingen. Der Drache wirkt wie ein König, stehend vor seinen Untertanen. Er wirft einen Blick auf sein Volk und gibt ihnen nickend das Zeichen für den Aufbruch ins gelobte Land. Wie eine ledrige Welle bewegen sich die Reptilien vorwärts. Nur der Comodowaran, Oskar, nimmt sich noch etwas Zeit, um vor dem Tor der Mokiki-Farm einen mächtig dampfenden Haufen zu hinterlassen. Leises, zischelndes Gekicher ertönt. Dann verebbte, die sich windende dunkle Welle, in den tiefen des Dschungels. Immer weiter der Freiheit entgegen; unzählige Leiber gleiten in Bäche, Flussläufe und Seen. Die Natur zeigt ihnen ihren angestammten Platz. Ein Leben in Freiheit, unbehelligt von der Gier und den Waffen der Menschen, fern des Profits. Das jahrtausendealte Gesetz des Stärkeren kommt wieder zum Einsatz: Fressen und gefressen werden. Als das letzte Reptil seinen Platz in der ökologischen Nische findet, schwingt sich der Drache in die Lüfte. Seine Mission ist noch nicht beendet. Es gibt noch viel zu tun. Packen wir es an!

Es ist wohl nur zu verständlich für das, was sich am nächsten Tag in der Mokiki-Krokodilfarm abspielte. Die Polizei war vor Ort. Nicht nur, weil es einen großangelegten Diebstahl zu melden gab, sondern auch einen mehr als tragischen Todesfall. Nur, dass vom Toten nicht mehr allzu viel übriggeblieben war. Kopfschüttelnd und nahezu in Tränen aufgelöst, jammerte der Besitzer der Farm in sein feuchtes Taschentuch, während der Polizist mit stoischer Miene das Gesagte in sein Protokoll aufnahm.

»Gar kein Zweifel! Ich hatte schon gleich so ein seltsames Gefühl bei diesem Burschen. Er blinzelte nie und war viel zu sehr vernarrt in die Tiere, als dass es einem normal erscheinen konnte. Haben Sie das?«, fragte Stevens und ballte die Hand zur Faust. Der Polizist nickte, und der Farmer fuhr fort. »Er hat mein Vertrauen aufs Übelste missbraucht! Ich habe heute mal etwas im Internet recherchiert und ein paar Telefonate getätigt. Die Farmen, die er als seine vorherigen Arbeitgeber nannte, sie kennen den Kerl gar nicht! Er hat seine Identität gefälscht. Prüfen Sie nach, ob jemand in der Psychiatrie diesen Typen vermisst!«

»Es wurde schon alles in die Wege geleitet, Sir«, brummte der Officer und schob sich die Mütze etwas weiter aus dem Gesicht. Obwohl noch recht früh, herrschte schon wieder drückende Hitze.

Stevens war immer noch aufgebracht. »Dieser Bursche hat mich ruiniert! Weg, alle Tiere sind weg! Selbst die Eier im Brutkasten sind verschwunden! Aber eins sage ich ihnen! Das, was mit ihm passiert ist, das geschieht ihm nur zu recht!« Stevens riss sich den verschwitzten Hut vom Kopf und warf ihn wütend zu Boden.

»Sir, beruhigen Sie sich. Der Täter kann unmöglich allein für das Ereignis zuständig gewesen sein. Schließlich können die Eier nicht mit Beinen aus der Farm spazieren. Wir sind mit der Spurensicherung beschäftigt, und ich versichere Ihnen, wenn es Mittäter gibt, dann werden wir sie fassen. Sie werden dann zur Rechenschaft gezogen und ihre Existenz wird nicht den Bach runter gehen müssen«, beruhigte ihn der Officer und blickte auf den staubigen Hut.

Doch wie sich im Laufe der Ermittlungen herausstellte, konnten keinerlei Wagenspuren, oder Fußabdrücke anderer Menschen festgestellt werden. Die Fingerabdrücke stammten nur von Sandy Bay und den Mitarbeitern der Farm. Die einzigen, vorhandenen und verwertbaren Abdrücke, waren die der flüchtigen Krokodile.

Die Polizei sah es als zu mühsam an, für jedes entlaufene Krokodil eine Fahndung in Gang zu setzen. Zumal die Tiere nicht mit Marken gekennzeichnet waren und somit ihre Identität von einem freilebenden Exemplar nicht zu unterscheiden war.

Bei der Überprüfung von Sandy Bays Konten wurde lediglich bemerkt, dass er den Betrag seines Lohnschecks bei der Bank in Goldmünzen, Krügerrand, umtauschte und dann an sich nahm. Trotz eines vorliegenden Verbrechens, traten die Ermittler auf der Stelle und der Fall wurde wenig später eingestellt. Die Mokiki-Krokodilfarm musste durch diese Folgen ihren Betrieb einstellen und Konkurs anmelden, was auf Zustimmung bei allen befreiten Krokodilen in Papua-Neuguinea und Umgebung traf. Nur einer glaubte nicht an Sandy Bays Tod. Nicht nachdem Quindo eine Krügerrand-Münze in seinem Briefkasten fand, der ihm gut über die Runden half, bis er einen neuen Job als Ranger in einem Naturschutzgebiet fand.

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Das 4. Buch George

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