Читать книгу Das 4. Buch George - Elke Bulenda - Страница 8

Die Zukunft ist etwas, das meist schon da ist, bevor wir damit rechnen.

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(Unbekannter Verfasser)

Ja, und da war es wieder, das mir bekannte Schild, das verriet: »Bitte Ruhe! Orakel bei der Arbeit!«

Unschlüssig, ob ich sie jetzt stören sollte oder nicht, entschloss ich mich gerade anzuklopfen, als von innen eine brüchige Stimme ertönte: »Du brauchsttt nicht anzuklopfen, Rrragnorrr. Komm einfach rrrein!«

Schon von außen war mir ein ziemlich markanter Geruch aufgefallen, doch als ich die Tür öffnete, wurde er hundertmal intensiver. Und die Sicht betrug gleich null – jetzt verstand ich auch den Witz mit der Gasmaske. Dichter Tabakrauch versperrte mir die Sicht, so dass ich meinen Aurenblick einsetzen musste, um festzustellen, wo sich Frau Helma Schmidt aufhielt. Zum Glück wurden diese Räume recht gut belüftet, sonst hätte ich diese dicke Luft in Würfel schneiden und auf dem Wochenmarkt als Nikotin-Konzentrat an den Mann bringen können. Die Absauganlage röchelte mit Frau Schmidt um die Wette. So weit es mir möglich war, bewegte ich mich in das Epizentrum des Rauchs. Und da saß sie nun, Frau Helma Schmidt. Schnell packte ich auf meine enttäuschten Erwartungen noch heftig eins drauf. Diese Frau war alt – ach was! Uralt... Sie sah aus, als wäre sie schon Noah beim Bau der Arche behilflich gewesen.

»Du bisttt also Rrragnorrr. Falls du es noch nicht weißttt, mein Name isttt Helma Schmidttt, das rrrauchende Orrrakel«, stolperte sie über den spitzen Stein. Das klang eindeutig Hanseatisch. Und irgendwie kam sie mir bekannt vor, nur wusste ich nicht, an wen sie mich erinnerte. Irgendjemanden, den ich schon öfter in Bild und Fernsehen sah. Anscheinend waren dem lieben Gott die Backformen ausgegangen, denn es gibt immer jemanden, der einem anderen ähnlich sieht. Und wenn man so alt wie ich ist, dann hat man schon sehr viele Leute gesehen.

»Ich brauche dich wohl nicht erst zu fragen, woher du weißt wer ich bin, oder?«, fragte ich gerade heraus. Außerdem trug ich meinen Ausweis am Revers. Die Alte drückte ihre Kippe im Aschenbecher aus, der auf ihrem Schoß ruhte. Sie nickte mir zu und ich betrachtete verstohlen ihren Rollstuhl, an dem sie gefesselt war. Also sprichwörtlich, nicht mit Riemen und Gurten, oder so. Um nicht arrogant zu wirken, tastete ich nach einem Stuhl und setzte mich vorsichtig. Das Ding knarrte zwar erbärmlich, hielt aber meinem Gewicht stand.

»Du gucksttt so entsetttzttt, isttt es mein Alterrr, derrr Qualm, oderrr derrr Rrrollstttuhl?«, fragte sie mit einer rauen, vom Quarzen gut trainierte Stimme.

»Äh, warum sitzt du im Rollstuhl? Ein Autounfall?«, fragte ich unverblümt.

Ehe ich wusste wie mir geschah, zog sie die Decke von den Beinen zurück. Es qualmte darunter hervor, als hätte Häuptling Weiße Feder eine Einladung zum Lunch mit anschließendem Verdauungspfeifchen auf den Weg geschickt.

»Rrraucherrrbeine! Ist so eine Familienerrrbsache. Die habe ich von meinem Grrroßvaterrr geerrrbt«, grinste sie.

Geschockt und gleichzeitig fasziniert, betrachtete ich die qualmenden Beine...

»Die sehen auch wirklich wie alte Männerbeine aus! Die brauchte dein Großvater wohl nicht mehr, wie?«, platzte es ganz spontan aus mir heraus. Worauf Helma Schmidt in ein eruptives, heiseres Raucherlachen ausbrach. Dabei röchelte sie dermaßen, dass in mir der Verdacht aufkeimte, es ginge gleich mit ihr zu Ende.

»Jo, mien Jung, das könnte man vermuten. Ich mag es, wenn jemand kein Blatt vorrr den Mund nimmt, die meisttten spppielen nur den Betrrroffenen, aberrr du bisttt witzig, das mag ich«, tätschelte sie mir die Wange. Dabei fragte ich mich, seit wann mir eigentlich neuerdings so oft die Wange getätschelt wurde. Irgendjemand musste doch damit angefangen haben, und bemerkte wohl dabei, dass ich ihm nicht den Arm brach. Normalerweise lasse ich mich von niemanden gern anfassen. Aber anderthalb Jahre bei Salomons Ring, und schon ließ ich mich wie ein dressierter Hund tätscheln. Fehlt nur noch, ich beginne spontan mit dem Schwanz zu wedeln... Aber so gesehen, hatte Helma Schmidt eine Art von Welpenschutz bzw. Greisenschutz. Wir Nordmänner verehren unsere Seherinnen. Sie waren schon immer hoch angesehen, weil sie in direkter Verbindung mit den Göttern stehen.

»Du bist auch witzig. Jetzt bin ich aber doch betroffen! Musst du dir schon wieder eine Kippe anzünden? Das Rauchen ist doch schlecht für die Gesundheit!«, gab ich zu bedenken. »Hast du es schon mal mit Nikotin-Pflastern versucht?«

Das rauchende Orakel warf mir einen vernichtenden Blick zu: »Ja, natürrrlich, was denksttt du denn! Klarrr habe ich schon Nikotin-Pflasttter verrrsuchttt! Aberrr die stttanken bestialisch, als ich sie anzündete, und geschmeckt haben sie mir auch nicht!«

Ob das nun ein Witz sein sollte, ließ ich mal so im Raum stehen, zuckte lediglich mit den Schultern und guckte ratlos. Helma machte eine Geste, die sie von oben bis unten einbezog.

»Meinsttt du, ich sollte in meinem Alterrr mit dem Rrrauchen aufhörrren? Ich bin fast siebzig...«

Kaum merkbar zog ich eine Braue hoch.

»Na ja, du hasttt mich durchschaut, das isttt gelogen, eine Dame schwindelt immerrr ein wenig, wenn es ihrrr Alter betrrrifft. Gut, ich bin neunzig. Nun rrrechne mal: Nikotin ist errrsttt nach zwanzig Jahrrren vom Körrrper abgebaut, oder warrr es Teerrr? Sehe ich wie eine Optimistttin aus? Meinsttt du, ich sollttte mich noch an meinem Lebensende mit einem Entzug quälen? Es gibt nurrr einen Weg zur Lunge... Lass ihn mich teerrren!«

Mein lieber Scholli, das war mal ein Statement! Ich nickte und war leicht irritiert. Doch sie war noch nicht am Ende, schien sogar genervt, weil ich ihr das Rauchen abgewöhnen wollte. »Außerdem rrrauche ich nicht, weil es mir schmeckt. Ich rrrauche, damit die Luft nicht so schlecht isttt, wenn meine Beine die ganze Zeit überrr rrrauchen. Was meinsttt du, wie übel meine Nächte sind. Stttändig muss ich Gefahrrr laufen, mein Bettzeug könnte brennen.«

»Hm, gut, deine Nächte sind gerettet, wir haben hier Sprinkleranlagen und an den Betten Notrufknöpfe. Helma, es war nett, dich kennenzulernen. Wenn ich etwas für dich tun kann, dann sag es mir, ja?«, machte ich mich für den Aufbruch bereit. Die Luft bekam mir nicht sonderlich gut. Meine Augen begannen zu tränen und ich befürchtete, meine Haare und Klamotten würden diesen Geruch annehmen. Mein Sohn Gungnir ist auch ein starker Raucher. Allerdings pafft er nur Zigarren, aber die stinken ebenso widerlich.

»Wenn du mirrr beim nächsten Mal eine Flasche Aquavit mitbrrringen könntesttt, würdesttt du meine Rankinglisttte anführen«, rollte und konsonierte sie mir zwinkernd zu. Offensichtlich hatte es sich herumgesprochen, dass ich nicht in ein Glas spuckte. Aber selbst wenn nicht, Helma Schmidt ist das Orakel, und sie sieht Einiges.

»Okay, Helma, wenn du willst, besorge ich dir auch noch einen Feuerlöscher. Gut, ich bringe dir beim nächsten Mal eine Flasche Lebenswasser mit. Ja, ich weiß. Sie sehen es hier nicht gern, wenn die Mitarbeiter Alkohol trinken. Aber du bist schon so alt, da kann das Tröpfchen dir wohl kaum geschadet haben. Alkohol konserviert. Bis bald!«

»Ach, ja... Pass gut auf deine Frrrau auf, Rrragnorrr!«, meinte sie noch.

Da ich mich schon im Gehen befand, drehte ich mich heftig um. »Was meinst du damit? Was siehst du?«, fragte ich gereizt.

»Ach nur so, ich sehe nichttts Konkrrretes, aberrr sollttten wirrr nicht alle gut auf die aufpassen, die uns am Herrrzen liegen, meinsttt du nicht auch?«, fragte sie weise.

Nickend schloss ich die Tür hinter mir, nicht mal sicher, ob sie mein Nicken durch den dichten Qualm überhaupt erkennen konnte.

*

Gerade als Ragnor die Seherin verließ, öffnete sich auf der anderen Seite, genauer gesagt, auf dem Nordamerikanischen Kontinent, eine kleine Erdspalte. Laut Ortszeit war es gerade kurz vor 9.00 Uhr. Natürlich nahm um diese Zeit niemand dieses außergewöhnliche Ereignis sonderlich zur Kenntnis. Erstens, weil alle damit beschäftigt waren, möglichst pünktlich auf der Arbeitsstelle zu erscheinen; der zweite Grund war der, dass dieser Vorgang in einer abgesperrten Baustellengrube vonstatten ging, die alle schleunigst und leicht verärgert umgingen. Nicht gerade ansehnlich, grub sich daraus ein Mann hervor, der nicht nur durch die New Yorker Erde, sondern auch mit dem Ruß der Hölle beschmutzt war. Und eins konnte man ihm ansehen: Er musste augenscheinlich eine Menge durchgemacht haben. Seine fast schon bläulich-weiße Haut verriet, dass er schon lange kein Sonnenlicht mehr gesehen hatte. Doch mit List und Tücke war er seinen Peinigern entkommen. An seiner statt, saß jetzt irgendein namenloser, armer Teufel im Gefängnis und beteuerte, nicht Loki zu sein. Selbstredend würde ihm sowieso niemand glauben. Da könnte jeder Inhaftierte mäkeln, er sei nicht derjenige, der diese harte Strafe verdient habe. Und Loki war nicht nur verschmutzt, obendrein auch noch tierisch angefressen. Er war verraten und verkauft worden. Und ausgerechnet von dem, der vorgab wie ein Bruder für ihn zu sein. Dabei konnte er ohnehin niemals glauben, der Allvater Odin würde ihn wie einen der Seinigen behandeln, wo er, Loki, doch ein Sohn Odins Feinde war. Trotz des Blutschwurs glaubte Loki dem Asen Odin immer nur bedingt. Dieser aufgeblasene Übergott drosch leere Phrase, tat sich wichtig und wusste selbstverständlich alles! Alles? Na, da hatte er sich wohl gründlich geirrt, wie die Sache mit dem Mistelzweig wohl nur zu fundamental bewies. Doch ihn für diesen kleinen Scherz dermaßen abzustrafen, das hatte er nicht verdient. Dies war selbstredend Lokis Meinung, nur um Missverständnisse auszuräumen. Doch nun war er frei wie ein Vogel und konnte seine eigenen Pläne verfolgen. Er würde nicht nur durch die Befreiung des Fenrirwolfs und der Midgardschlange seinem Gottvater das Jüngste Gericht bereiten, sondern auch denen, die ihn vergessen haben und damit seine Macht schwächten. Und Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird. - Ja, das gefiel im. Aber auch der schöne Spruch: Rache wird immer zur Hure. Ja, eine Hure würde er jetzt auch dringend vergenussferkeln wollen; wieder die warmen Schenkel einer Frau spüren. Das aber später. In erster Linie müsste er erst mal peilen, wo er sich hier überhaupt befand. Mit gesteigerter Vorsicht spähte er über die Abbruchkante.

»Na, scheiß einer die Wand an! Wo bin ich denn hier herausgekommen?«, fragte er mit leicht nordischem Akzent. Zuerst sah er nur Füße samt Beinen, die sich eilig von hier nach dort bewegten. Doch als er seinen Blick gen Himmel richtete, bemerkte er riesige Gebäude und nur bedingt ein kleines Stückchen Himmel. Schnell zog er wieder den Kopf ein und resümierte: »Na, so was! Ich bin in New York! Sieht mir verdammt nach Manhattan aus. Na, da bin ich ja genau richtig! Niemand sollte es versäumen, mal einen kleinen Einkaufsbummel in New York zu unternehmen. Hä hä, und da ich schon mal hier bin, werde ich auch um 15.30 Uhr, der Börse einen kleinen Besuch abstatten. Mir dünkt, es sieht nach einem formidablen Spaß aus!«

Zuerst musste er für ein unauffälliges Äußeres sorgen. Sofort müsste er Aufsehen erregen, wenn er wie ein Moddermonster daherkam. Mit der göttlichen Gabe eines Gestaltwandlers ausgerüstet, gab er sich das adrette Aussehen eines Geschäftsmannes. Ein dunkler Anzug, eine Aktentasche und glänzend polierte Lederschuhe. Der Teint seiner Haut wurde gesünder und sauber, gleich so, als wäre der Schmutz von ihm einfach nur herabgerieselt. Das fast silbrig weiße Haar wurde kürzer, dunkel und erhielt den Glanz von Pomade. Seine durchscheinend blauen Augen nahmen einen satten Braunton an. Schimpfend bewegte er sich aus der Baugrube, acht gebend, nicht wieder schmutzig zu werden.

»Verdammte Baustellen! Das hat uns hier gerade noch gefehlt! Der Verkehr bewegt sich ohnehin schon an seine Grenzen!«

Leute, die in New York vor sich hin schimpfen, wird in der Regel niemals Beachtung geschenkt. In New York schimpft jeder - und das ständig. Mal ist das Wetter zu kalt, dann ist die Hitze unerträglich. Man findet kein freies Taxi, oder der Hotdog ist mit zu viel Kraut belegt und enthält einfach nicht genug Würstchen. Und wenn er genug Wurstanteile hat, ist das Brötchen definitiv zu klein und es kleckert Ketschup auf die Kleidung. Und das sind nur ein paar Gründe, weshalb in New York stetig und mit wachsender Begeisterung gemeckert wird. Politik ist hier ausgeklammert, darüber können die Menschen einfach nie genug meckern.

Was selbstverständlich auch unabdingbar ist: Loki brauchte Geld und eine integere Identität. Als aufmerksamer Beobachter entging ihm der gut angezogene Herr nicht, der aufgeregt in sein Handy blökte. Sein Ringfinger war frei, also nicht verheiratet. Ein lediger Mann muss es sein. Eine Ehefrau macht nur Ärger, vor allem, wenn ihr eigener Ehemann sie nicht erkannte. Sofort heftete er sich an dessen Fersen und folgte ihm unauffällig. Und wer in seinem Leben so aufgeregt ist und dazu noch dem Kaffeegenuss frönt, der meistens in XXL-Bechern dargereicht wird, kann bestätigen, wie schnell sich in so einer Situation die Blase zu Wort meldet. Wenn der Anzugmann nicht bald eine Toilette erreicht, platzt er, oder bekommt gelbe Augen!, dachte Loki und konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen. Wie heißt es immer so schön? Wasser hat so einen Kraft, selbst der stärkste Mann kann es auf Dauer nicht halten. Die Natur forderte immer ihren Tribut. Der Kerl mit dem Handy verschwand in eine öffentliche Bedürfnisanstalt. Loki witterte die Gunst der Stunde. Die Tür war noch nicht ins Schloss gefallen, da setzte er dem Mann schon nach, stieß die Tür auf, schlüpfte hinterher, checkte kurz die Begebenheiten. Die Luft war rein - im übertragenden Sinne gemeint -, woraufhin er den Nichtsahnenden von hinten überfiel und in die nächste Kabine zerrte. Der Fremde war nicht mal in der Lage einen Mucks von sich zu geben. Mit dem trainierten Geschick eines Kriegers brach Loki ihm lautlos das Genick. Sofort wurde der Anzugmann schlaff wie ein leerer Sack. Und da ein leerer Sack nicht stehen kann, setzte ihn der listige Gott auf der Toilettenbrille ab, wo er in aller Seelenruhe gefilzt wurde. Nachdem er die Brieftasche des Toten gefunden hatte, las er aufmerksam die Ausweispapiere.

»Aha, George Weston, Investmentbanker. Schade, George, dass du niemanden mehr erzählen kannst, wie mies dein Tag war«, kicherte der Listige. Danach nahm er das Handy und die Schlüssel an sich. Und die Krawatte entwendete er auch noch, weil sie ihm besonders gut gefiel. Er konzentrierte sich und nahm das lebendige Aussehen des Toten an, der ihn jetzt aus leblos-trüben Augen anstarrte. Dieser Blick beinhaltete einen gewissen Vorwurf, deshalb schloss Loki ihm die Augen. Nicht, weil es ein schlechtes Gewissen in ihm hervorrief; es war eher so, dass er einfach nicht von dem Deppen so unverschämt angeglotzt werden wollte. Nochmals warf er einen Blick auf die Papiere und wusste nun seinen Wohnort. Auch erfuhr er, wo er in Zukunft arbeiten würde. Und da war noch etwas. Er hatte Hunger. Einen animalischen und ungebändigten Hunger. Die Hölle ist eben nicht das Holiday Inn. Mit einer knappen Handbewegung machte er aus dem ehemaligen Investmentbanker ein undefinierbares Häufchen Asche, dem er eine Seebeerdigung angedeihen ließ. Als er den Spülknopf drückte, salutierte er zackig mit militärischem Gruß. George hat mir viel gegeben, einfach alles... Was für ein großzügiger Mensch!, dachte Loki. Er wusch sich die Hände in Unschuld und verließ die Räumlichkeiten.

Ganz in der Nähe erspähte er einen typischen Diner, auf den er sofort und schnurstracks Kurs hielt. Die Ladenglocke klingelte fröhlich als Loki das Restaurant betrat. Die Tresenkraft wischte lustlos die hölzerne Theke mit einem Tuch sauber. Als sie des gutgekleideten Herrn gewahr wurde, knipste sie sofort ein professionelles Lächeln an. Loki, jetzt George Weston, nahm an einem Fenstertisch Platz. Emsig kam die uniformierte Serviererin, ganz Gewehr bei Fuß, an seinen Tisch. Block und Stift aufmerksam gezückt, nickte sie dem Gast freundlich zu.

»Guten Morgen Sir. Was darf ich Ihnen bringen?«, fragte sie, mit noch immer professionell gebleckten Zähnen.

»Hm, was essen hier die Götter?«, fragte George Weston und musterte die Bedienung gerade so, als vermutete er, sie könne an einer Gesichtslähmung leiden.

Die Servicekraft ließ Block und Stift sinken, sah sich verstohlen um, gleich so, als würde sie nach einer verborgenen Kamera suchen. Sie überlegte angestrengt und machte einen Gesichtsausdruck, als wolle sie ein Ei legen. Doch dann strahlte sie doppelt so grell über ihren eigenen Geistesblitz: »Vielleicht Götterspeise? Die könnte ich Ihnen anbieten. Ob Götter sie hier essen, das kann ich nicht sagen. Bisher war hier noch keiner von dieser Sorte«, verriet sie im vertraulichen Ton. Loki verzog eine Braue und überlegte.

»Okay, aber eine große Portion, klar? Ich bin total ausgehungert!«

»Rote, oder Grüne?«, hakte die Serviererin nach.

»Was? Igitt! Wer isst denn grüne Sachen! Das ist doch total ungesund! Bring mir Rote, holde Maid, aber zügig!«, befahl er und die Kellnerin eilte von dannen.

Als sie wieder am Tisch erschien, hielt sie die wacklige Masse auf einem Teller bereit. Grinsend stellte sie den Pudding vor ihren Gast und wünschte ihm einen guten Appetit. In Windeseile schaufelte Loki die wabblige Masse in den Mund. Zumindest versuchte er es, denn die großen Portionen, die er mit dem Löffel ausstanzte, fielen teilweise wieder zurück auf den Teller. In Nullkommanix war der Teller blank. Loki war immer noch nicht befriedigt und warf den Teller hinter sich, worauf die entsetzte Kellnerin sofort mit Schaufel und Besen erschien. »Oh, das macht doch nichts, das kann jedem mal passieren!«, schwatzte sie und kehrte auf.

»Widerliches Zeug, da waren noch nicht mal Knochen drin! Bringe Sie mir Brot! Viel Brot! Und Schinken, viel Schinken! Und ein paar gebratene Eier!...«

»Lassen Sie mich raten: Viele Eier! Richtig? Und etwas zu trinken dazu?«, fragte die Serviererin freundlich.

»Ja, irgendwas! Ist mir egal! Nur soll es schnell gehen! Laufe Sie! Hurtig!«

Noch immer mit Kehrblech und Besen bewaffnet, eilte sie in Richtung Küche. Schon als sie heute Morgen aufwachte, wusste sie, dass dieser mal wieder einer dieser ganz verrückten Tage werden würde. Das sagte jedenfalls ihr Großer Zeh, der empfindlich bis zum Ballen schmerzte. Blieb nur zu hoffen, dass der Kerl ein ordentliches Trinkgeld gab.

Kurz darauf kam sie beladen mit einem vollen Teller Rührei mit gebratenem Schinken, einer Brotplatte und einer Kanne Kaffee zurück, und kredenzte die Speisen. Mit offenem Mund verfolgte sie, wie der Gast alles in sich hinein schlang. Und als ihr das bewusst wurde, schenkte sie schleunigst Kaffee ein. Da ihr der Herr immer unsympathischer wurde, ließ sie die Kanne direkt auf dem Tisch stehen. Sie hatte das Gefühl sich schnellstens eine Beschäftigung suchen zu müssen, die von diesem Tisch fortführte. Und der Kerl bedankte sich noch nicht einmal, sondern mampfte und soff wie ein Bierkutscher. Was völlig konträr zu seinem Äußeren stand. Schnellstens suchte sie Schutz hinter der Theke und widmete sich wieder der Wischerei. Als die Türglocke klingelte und sie aufsah, war der Kerl verschwunden. Auf dem Tisch lag ein Hundert Dollarschein...

*

Das 4. Buch George

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