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Kapitel 12
ОглавлениеEin Haus sah aus wie das andere. Erik hatte Mühe zu erkennen, in welchem die Wohnung lag, die er suchte. Die Reduktion der Bauweise dieser Häuser auf das Wesentliche und die Verwendung von Baustoffen wie Spannbeton, Stahl und Glas gaben ihnen einen trostlosen Anstrich. Der Verzicht auf Dekoration und die Verwendung einheitlicher Materialien förderte ein uniformes Erscheinungsbild der Gebäude, was viel Wohnraum für geringen Bauaufwand ergab. Zum Glück stachen ihm die Hausnummern groß und deutlich entgegen. Das ersparte ihm langes Suchen. Die Deutschherrenstraße in Saarbrücken gefiel ihm nicht sonderlich. Aber er wollte nicht kritisieren, denn die Brauerstraße, in der seine Wohnung lag, gehörte wegen des Drogenhilfezentrums auch nicht gerade zu den gehobenen Wohngebieten Saarbrückens.
Da war es. Und ein Parkplatz direkt davor. Was wollte er mehr?
Er stellte seinen schicken BMW ab, stieg aus und schaute sich ein wenig um, bevor er sein Schmuckstück allein dieser rauen Welt überließ. Dann klingelte er auf den Klingelknopf, der die fünfte Etage anzeigte. Ein Summen, Erik trat ein.
Die Freude sollte nicht enden, denn einen Fahrstuhl gab es nicht. Also lief er die fünf Treppen. Zum Glück hatte er darin schon Übung. Seine eigene Wohnung lag ebenfalls im fünften Stock.
Bernhard Diez staunte nicht schlecht, als er seinen ehemaligen Arbeitskollegen schnaufend auf seine Wohnung zukommen sah.
»Du? Willst du dich an meinem Unglück weiden?«
»Blödsinn«, wehrte Erik ab. »Ich will deinen Rat als Fachmann.«
»Komm mir nicht so! Schleimen zieht bei mir nicht.«
»Na gut«, lenkte Erik ein. »Dann will ich eben den Verfall deines beschissenen Daseins bewundern. Gefällt dir die Antwort besser?«
»Ja! Das klingt wenigstens ehrlicher!«
Seit seiner Suspendierung vom Polizeidienst hatte Bernhards Sarkasmus noch zugenommen. Doch Erik kannte ihn besser, weshalb er diese Spitzen einfach überging. Er betrat eine kleine aufgeräumte Wohnung. Eine merkwürdige Uniform hing an einem Schrank, sonst gab es nichts zu sehen, was Fragen aufwerfen könnte.
»Was ist das?«
»Mein neuer Arbeitsanzug«, antwortete Bernhard. »Ich arbeite als Nachtwächter bei einer Saarbrücker Wach- und Schließgesellschaft.«
Erik grinste.
»Irgendwas muss ich ja tun«, grummelte Bernhard. »Täglich Richterin Barbara Salesch im Fernsehen angucken ist nicht mein Ding. Und ein bisschen Geld zum Leben brauche ich auch noch.«
»Ich sage ja gar nichts.«
»Das ist es ja. Würdest du was sagen, wüsste ich wenigstens, was du denkst.«
Erik überlegte kurz, bevor er antwortete: »Ich finde es gut, dass du das machst. So kommst du nicht aus der Übung. Schnur ist nämlich immer noch an deiner Sache dran. Er will dich wieder haben und tut alles, damit das Verfahren zu deinen Gunsten entschieden wird.«
»Echt?« Bernhard war so erstaunt, dass ihm keine spitze Bemerkung dazu einfiel. »Der gute Jürgen Schnur. Irgendwie schade, dass nicht er Kriminalrat ist.«
»Stimmt. Schnur ist das Beste, was uns passieren konnte.«
»Aber darum bist du bestimmt nicht zu mir gekommen. Oder doch?«
»Nein. Es geht um den Mord an dem Deutschlehrer in Saarlouis.«
Bernhard lachte. »Das habe ich mir gedacht. Der Fall ist so berühmt, dass es niemanden gibt, der nicht davon weiß.«
»Hast du schon bei Youtube reingeschaut?«
»Nein.«
»Dann tu das bitte«, bat Erik. »Ich will dir nämlich was zeigen.«
»Warum machst du das nicht selbst?«, fragte Bernhard, während er seinen Computer einschaltete und den Internetbrowser öffnete.
»Mein privater Rechner ist hinüber – hab mein Geld lieber in ein neues Auto statt in einen neuen Rechner investiert. Und auf der Dienststelle wollte ich nicht, weil ich jetzt so eine nette Mutti im Nacken sitzen habe. Ich wollte mir dir darüber reden.«
»Welche Mutti hast du im Nacken sitzen?« Bernhard konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Andrea Westrich heißt sie. Eigentlich ist sie ganz nett. Sie muss früher schon mal bei uns gearbeitet haben. Kennst du sie?«
Bernhard überlegte eine Weile, bis er sich erinnerte: »Ich habe den Namen schon mal gehört. Mehr aber nicht.«
Der Bildschirm zeigte die Youtube-Seite an. Verschiedene Bilder wurden mit dem Hinweis auf ein Video angezeigt. Immer war es das des erhängten Lehrers.
»Das ist ja furchtbar«, stöhnte Erik. »Was ist nur aus den Menschen geworden?«
»Willst du es jetzt sehen? Oder willst du lieber über den Zerfall unserer Moral philosophieren?«, fragte Bernhard.
»Ich will es mir natürlich ansehen«, gestand Erik.
»Also bist du auch nicht besser!« Bernhard grinste. »Ich wundere mich nur, dass die Kollegen diese Videos noch nicht gesperrt haben.«
»Das werden sie bald tun. Deshalb will ich es dir vorher schnell noch zeigen.«
Bernhard loggte sich bei Youtube ein, was Erik die Frage entlockte: »Sag nur, du hast ein Konto bei Youtube?«
»Klar! Ich muss doch wissen, was auf der Welt los ist.«
»Und diese Lehrerfilme sind geschützt?« Erik staunte.
»Ja! Schau was unter dem Lehrer-Video steht: ›Dieses Video beziehungsweise diese Gruppe enthält möglicherweise Inhalte, die für einige Nutzer unangemessen sein können, und wurde daher von der Youtube-Community gemeldet. Damit du dieses Video oder diese Gruppe anzeigen kannst, musst du bestätigen, dass du mindestens 18 Jahre alt bist, indem du dich anmeldest oder ein Konto erstellst.‹«
Nachdem sich Bernhard eingeloggt hatte, konnten sie sich die vielen Videos ansehen, die inzwischen eingestellt worden waren.
»Meine Güte! Im Internet sind die Kids fleißig«, stöhnte Erik, als er die Auswahl sah. Aber das Video war immer das gleiche. Der Lehrer wurde von allen Seiten gezeigt und dazu die aufgeregten Schüler und Lehrer und der Tumult, der um den Erhängten entstanden war. Jüngere Schüler rannten weinend davon, Ältere profilierten sich mit coolen Sprüchen, die alle auf den Videos zu verstehen waren. Ein junger Mann versuchte, den Knoten zu öffnen, der den Erhängten in unerreichbarer Höhe hielt, während ein Lehrer mit Glatze ihn daran hinderte.
Und dann kam sie.
Groß, schön, schwarzhaarig, mit frechem Blick und ein Handy in der Hand, mit dem sie offensichtlich filmte.
Erik zuckte zusammen, als er das sah.
»Scheiße«, fluchte er. »Als ich mit Mirna zusammengestoßen bin, hat sie schon mehr gewusst als ich.«
»Zusammengestoßen?« Bernhard grinste anzüglich. »Mit der würde ich auch gern mal zusammenstoßen.«
»Nicht so!« Erik berichtete ihm von der ersten Begegnung mit Mirna. »Und jetzt soll ich ausgerechnet diese Frau aufspüren und feststellen, ob sie mehr über das Verbrechen weiß.«
»Ein gefährlicher Auftrag.« Bernhard pfiff durch die Zähne und schaute wieder auf den Bildschirm. »Ich weiß zufällig, dass die Wach- und Schließgesellschaft in Saarbrücken noch Leute sucht.«
»Sehr tröstlich«, murrte Erik.
Es war deutlich zu sehen, wie Mirna selbst einen Film von dem erhängten Lehrer machte. Dabei schwenkte sie zu den Schülern, die gegen den kahlköpfigen Lehrer ankämpften. Darunter erkannte Erik seinen Nachbarn Yannik Hoffmann.
»Naja«, lenkte Bernhard ein. »Schnur hat dir nicht umsonst diese Andrea als Begleitschutz zugeteilt. Du solltest schlauer sein als ich und sie mitnehmen, wenn du zu dieser Mirna fährst. Ich dachte damals, ich könnte es allein mit drei Frauen von dem Kaliber aufnehmen. Wo es mich hingeführt hat, siehst du ja.«