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Kapitel 17
ОглавлениеLeise Verkehrsgeräusche vermischt mit Vogelgezwitscher und warmer Luft drangen durch die geöffneten Fenster in den Sitzungssaal. Viele Polizeibeamte schauten hinaus in das sonnige Wetter. Es fiel ihnen bei diesen warmen Temperaturen schwer, sich auf die die Besprechung zu konzentrieren.
»Ernst Plebe, der Hausmeister des Max-Planck-Gymnasiums hat uns heute Morgen versetzt.« Damit begann Schnur die Besprechung.
»Das macht ihn verdächtig«, erkannte Erik sofort.
»Stimmt.« Jürgen nickte und wandte sich an Esther mit der Frage: »Konntest du eine Phantomzeichnung von dem Mann anfertigen lassen, den die Fahrschüler in der Nacht von Sonntag auf Montag an der Schule gesehen haben?«
»Nein. Sie haben sein Gesicht nicht gesehen. Er war zu weit weg und es war dunkel.«
»Könnte es der Hausmeister gewesen sein?«
»Nein. Tut mir leid. Der Mann, den sie gesehen haben, war groß und schlank.«
»Mist«, murrte Schnur. »Es wäre auch zu schön gewesen.«
»Als er durch den Lichtkegel einer Straßenlaterne ging, konnten sie deutlich erkennen, dass der Mann grauhaarig war«, fügte Esther an.
»Na gut! Ab sofort müssen wir alle schlanken, grauhaarigen Männer verdächtigen.« Schnurs Miene verdüsterte sich. Wie so oft, wenn er nicht weiterwusste, fuhr er sich über sein rasiertes Kinn.
Amüsiertes Gemurmel entstand. »Ich hätte da einen Hauptverdächtigen: Dieter Forseti.« »Stimmt!« »Der passt haargenau auf die Beschreibung.« »Brauchen wir nur noch das Motiv.«
»Schön, dass ihr mitdenkt«, mischte sich Schnur lautstark ein. »Aber ich muss euch sagen, dass ihr auf der falschen Spur seid. Ich war gestern beim Gerichtsmediziner. Bertram Andernach starb in der Zeit zwischen Mitternacht und ein Uhr. Zu der Zeit war Forseti in Wiesbaden. Er ist erst am nächsten Morgen ins Saarland zurückgekehrt.«
Damit brachte Schnur sämtliche Kollegen zum Lachen.
»Es besteht aber die Möglichkeit, dass der Hausmeister an dem Verbrechen beteiligt war.« Damit übertönte er die Erheiterung der Kollegen. »Die Grausamkeit, mit der das Verbrechen durchgeführt wurde, könnte darauf schließen lassen, dass nicht nur ein Täter am Werk war.« »Und dann wartet der Hausmeister, bis alle Schüler den erhängten Lehrer sehen, bevor er eingreift?«, zweifelte Andrea.
»Damit könnte er Spuren beseitigt haben, ohne etwas dafür zu tun«, spekulierte Schnur.
»Für meinen Geschmack sah der Mann am Tag des Leichenfundes viel zu fertig aus«, hielt Erik dagegen.
»Okay! Das war wohl nicht gerade der hellste Moment in meinem Leben«, gab Schnur nach.
Amüsiertes Gemurmel entstand, bis Schnur weitersprach: »In Andernachs Blut waren weder Alkohol noch Drogen, nichts, was zu einer Bewusstseinstrübung geführt hätte. Auch gab es keine Verletzungen, die ihn bewusstlos gemacht hätten. Er wurde auf grausame Weise erhängt, das heißt, er ist langsam erstickt und bekam alles mit.«
»Was hat Bertram Andernach getan, dass er mit so viel Grausamkeit getötet wurde?«, fragte Andrea.
»Das ist die Frage, die ich als nächstes stellen wollte«, bekannte Schnur. »Wenn du so weitermachst, liebe Andrea, werde ich hier überflüssig.«
»Gönn mir doch diesen Geistesblitz.« Andrea zwinkerte ihm zu.
»Also – um beim Thema zu bleiben: Bertram Andernach. Ich habe nach dem Besuch der Gerichtsmedizin sämtliche Unterlagen über ihn besorgt. Und das sind nicht viele«, begann Schnur zu berichten. »Bertram Andernach lebte in einer Dachwohnung in der Saarlouiser Altstadt. Das Team der Spurensicherung ist noch dort. Ich werde ebenfalls dorthin fahren und mich umsehen. »
»Hat er allein gelebt?«
»Ja. Wie wir wissen, war Bertram Andernach zweimal geschieden und seine Ex-Frauen haben wieder geheiratet, sodass auch da kein Motiv zu finden ist«, antwortete Schnur. »Beide Ehen sind kinderlos geblieben. Von einer neuen Lebensgefährtin ist nichts bekannt. Es hat sich auch niemand bei uns gemeldet, um Anspruch auf das Urheberpersönlichkeitsrecht zu stellen, nachdem die enthüllenden Fotos und Filme ins Internet gestellt wurden.«
»Keiner schert sich um ihn«, stellte Andrea erschrocken fest.
»Da fragt man sich, was schlimmer ist …« Schnur nickte nachdenklich.
»Was hat die heruntergelassene Hose zu bedeuten?« Mit dieser Frage lenkte Anton das Thema wieder auf ihre Arbeit. »Sexualmord?«
»Ich habe diese Frage Frau Dr. Ina Knappe gestellt …«
»Wer ist das?«, fragten mehrere Beamte gleichzeitig.
»Das ist unsere Profilerin aus Wiesbaden – sie hat bei uns in Saarbrücken als Kriminalpsychologin angefangen und arbeitet jetzt für das Bundeskriminalamt«, antwortete Schnur.
»Und ist die Ex-Frau von Dieter Forseti«, fügte Esther vorlaut an.
»Was hat Dr. Knappe zu den heruntergelassenen Hosen gesagt?«, drängte Andrea auf eine Antwort.
»Sie hat sich die Videos angesehen und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass hier kein Sexualmord vorliegt. Sie glaubt vielmehr, dass der Täter Rache verübt hat für eine Bloßstellung, die er selbst durch Bertram Andernach erlebt hat.«
»Das hört sich nun aber doch nach einem Schüler an«, erkannte Anton und rieb sich nervös über seine wuscheligen schwarzen Haare.
»Der grauhaarige Mann spricht aber gegen einen Schüler«, hielt Schnur dagegen.
»Vielleicht ein Lehrer-Kollege«, spekulierte Esther. »Oder der Vater eines Schülers. Oder ein ehemaliger Schüler.«
»Das hört sich nach verdammt viel Arbeit an«, murmelte Erik.
»Erik! Wenn ich mir dein müdes Gesicht so anschaue, fällt mir die Frage nach Mirna wieder ein«, lautete Schnurs Reaktion darauf. »Hast du etwas über sie herausfinden können?«
Erik wand sich unter seinem Blick und antwortete knapp: »Nein.« Auf keinen Fall wollte er von der Begegnung am letzten Abend vor seiner Wohnung berichten. Die Situation war ihm entglitten und dafür schämte er sich. Er hätte den Ausweis einfach aus der Hosentasche ziehen sollen. Der Gedanke beschäftigte ihn, seit er diese Gelegenheit verpasst hatte.
Schnur bemerkte seine Verfassung zum Glück nicht, sondern richtete seine nächste Frage an die anderen Kollegen: »Habt ihr etwas in den Unterlagen, die wir vom Schulleiter bekommen haben, über eine Mirna herausgefunden? Oder sonst etwas, was für uns interessant sein könnte?«
»Eine Mirna haben wir nicht – wir sind aber noch nicht ganz durch. Dafür haben wir für jedes Schuljahr entsprechende Schülervertreter und Schülervertreterinnen. Vielleicht wissen die etwas über Schüler, die vorzeitig die Schule verlassen haben.«
»Die Idee ist gut«, stimmte Schnur zu. »Diese Mirna wird immer interessanter. Sollte sie von der Schule geflogen sein, hat sie den Lehrer, den sie dafür verantwortlich hielt, bestimmt gehasst.«
»Wie soll eine zierliche Person wie Mirna einen lebenden Mann aufhängen?«, fragte Erik zweifelnd.
»Sie hatte bestimmt Hilfe. So wie diese Frau aussieht, liegen ihr die Männer zu Füßen.«
Erik spürte schon wieder Hitze in sein Gesicht steigen. Hoffentlich schaute ihn keiner an.
»Es gilt zu überprüfen, in welchem Verhältnis der Deutschlehrer zu seinen Kollegen stand«, begann Schnur seine Anweisungen aufzuzählen. Einige Kollegen meldeten sich bereit. Dann wandte er sich an Esther und Anton: »Ihr beide werdet euch mit diesen Schülervertretern unterhalten. Erik und Andrea, ihr befragt die Geschichtslehrerin Mathilde Graufuchs. Ich werde von Bertram Andernachs Wohnung weiter zur Schule fahren und mir den Mathelehrer vorknöpfen. Der wirkte gestern nicht ganz nüchtern auf mich. Ich will sehen, in welcher Verfassung Günter Laug heute ist.«
»Und wen nimmst du mit?« Die Frage konnte sich Esther nicht verkneifen.
»Ich gehe allein – ich schaffe das schon, bin schon erwachsen«, kam als Antwort. Auf das Gemurmel fügte er an: »Aber das ist nicht zur Nachahmung empfohlen. Ihr werdet im Team arbeiten, ist das klar?« Dabei warf er einen Blick auf Erik.
Der stürmte hastig aus dem Sitzungssaal.
Andrea hatte Mühe, ihm bei dem Tempo zu folgen. Erst als er in seinem Büro ankam, warf sie die Tür hinter ihm zu und meinte: »Dieses Mal werden wir zusammenarbeiten, wie der Chef es uns aufgetragen hat.«
Erschrocken schaute Erik zurück. Er hatte Andrea nicht bemerkt.
»Gestern war mein erster Tag nach einer langen Dienstpause«, sprach Andrea weiter. »Da verzeihe ich dir, dass du dich einfach allein auf den Weg gemacht hast.«
Erik setzte an, etwas zu entgegnen, doch Andrea war noch nicht fertig: »Keine Sorge! Ich habe hier niemandem etwas gesagt. Ich gehe davon aus, dass wir solche Probleme unter uns lösen können.«
Erleichtert atmete Erik aus. »Ich war nur bei einem ehemaligen Kollegen. Ein Besuch, der längst fällig war.«
»Ich erwarte keine Rechtfertigung. Nur Loyalität.«
Erik griff nach dem Autoschlüssel des Dienstwagens und verließ in Begleitung der neuen Kollegin das Gebäude.