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3. DEZEMBER

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Als wäre das nun mein Aufwachritual, werde ich auch am kommenden Morgen durch das Geräusch meines Handys geweckt.

Verschlafen und unwillig melde ich mich: „Blau …“

„Das meinst du doch jetzt nicht ernst“, höre ich eine entsetzlich ausgeschlafene Stimme. „Kristien, brauchst du einen Therapeuten, bist du depressiv? Kein Wunder, wenn du ohne deinen Mann schläfst, denn sonst würde ich ihn jetzt im Hintergrund schimpfen hören …“

Am liebsten würde ich ihn wegdrücken. Aber ich habe ein schlechtes Gewissen. Er hatte ja recht, als er sagte, ich hätte ihn erst angefixt, und nun würde ich vor der Anstrengung zurückscheuen. Aber es ist nicht nur die Anstrengung. Es ist etwas, wovor ich richtige Angst habe. Mord?

Ich möchte einen Rückzieher machen. Wir haben ein Rechtssystem. Wir haben eine Polizei und eine unabhängige Justiz. Die werden Anne nicht verurteilen, wenn sie unschuldig ist.

Da sagt Mark, als hätte er meine Gedanken gelesen: „Kristien, bevor du einen Rückzieher machst, solltest du wenigstens für eine anständige Anwältin für Anne sorgen, und du solltest Anne auch wenigstens einmal treffen.“

„Mark“, antworte ich unter Aufbietung all meiner Kräfte, die ich angesichts meines niedrigen Blutdrucks um diese Zeit aufbieten kann, „ich muss jetzt eine Tasse Tee trinken und Rocco zu essen geben, dann rufe ich dich wieder an …“ Ich höre förmlich seine Enttäuschung durch den Äther strömen. Menschen halten ihre Therapeutin für perfekt. In Marks Perfektionsverständnis passt keine Frau, die morgens um acht Uhr sechzehn nicht ausgeschlafen in den Tag springt.

„Okay“, höre ich. Dann ist er weg.

Nur zur Kontrolle werfe ich einen Blick auf meine WhatsApp-Anzeige. Drei Nachrichten. Soll ich oder soll ich nicht? Ich drück drauf, während ich mich aus dem Bett wälze. Zwei Nachrichten von Max. Eine von der Klientin, die heute morgen um elf Uhr kommen sollte, dem Zeitpunkt, an dem ich meistens zu arbeiten beginne. Die Klientin schreibt, sie habe über Nacht Fieber bekommen, könne den Termin nicht wahrnehmen. Erleichterung breitet sich in mir aus: Eine Stunde gewonnen, eine Stunde Leben. Ich verbiete mir, Max Nachrichten zu lesen, bereite mir einen starken Tee, fülle Roccos Napf und setze mich wieder in mein Bett, die Vorhänge habe ich zurückgezogen, draußen ist es so trist und dunkel, als wäre fast noch Nacht. Mir graut davor, gleich in die feuchte Kälte hinauszugehen und über mein verpfuschtes Leben nachdenken zu müssen.

Bevor ich mich an Max’ Nachrichten wage, rufe ich Mark zurück. „Blutdruck etwas höher als neunzig zu sechzig“, sage ich betont munter, „ich kann also denken.“

Er ist nicht munter. Das höre ich sofort. „Ich habe meine Klettersachen schon zusammengepackt, muss gleich los.“ Er betont das Muss, als ginge es um Leben und Tod. „Zum Golfen fliegt man um diese Zeit nach Dubai, das passt grad nicht, also kletter ich, in der Halle …“

Ich fühle mich schuldig. Das Ganze habe ich ihm vor Jahren eingebrockt, als ich ihm empfahl zu überlegen, wie er mit dem gleichen Elan, mit dem er Mörder dingfest machte, seine Ehe retten könnte. Er war – ist es wahrscheinlich immer noch – so entsetzlich konsequent, dass er gesagt ha:Ade Mordkommission, nun beginnt ein neues Leben, ich lasse mich vorzeitig pensionieren. Er war nicht in der Lage gewesen, beides zu vereinbaren. Er macht Dinge ganz oder gar nicht.

Und ich? Was mache ich ganz und was mache ich gar nicht?

„He, Kristien, bist du noch da?“ Seine Stimme klingt, als wäre er kurz davor, bei mir den Daumen abzusenken. Erledigt. Eine Enttäuschung. Irrtum.

„Mark“, sage ich kläglich, „ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst, aber meine Ehe ist gerade dabei, den Bach runterzugehen, und ich wohne in der Wohnung, die vorher meine Praxis war, und mein Mann hat eine Freundin, aber schwört mir Liebe, und ich mache gerade noch mit letzter Kraft meine Therapien und versuche irgendwie, ein soziales Netzwerk an Freunden aufrechtzuhalten, und jetzt kommt da Anne, und ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Entschuldige bitte sehr, wenn ich nicht deine Entschiedenheit habe, aber ich weiß einfach nicht, ob ich die Kraft aufbringen kann, mich da jetzt reinzuhängen.“

Uh, denke ich erschrocken, das war ja eine richtige Beichte.

Es ist ganz still auf der anderen Seite. Ich lausche angestrengt. Da höre ich ein Räuspern. Dann eine Stimme. Anders als zuvor, nicht mehr gereizt, sondern belegt, unsicher. „Äh … Kristien …“ Und wieder Schweigen. Ich habe diesen Mann komplett überfordert, denke ich. Ich war seine Therapeutin. Einmal Therapeutin, immer Therapeutin. Und noch für Paare. Ich habe ihm Ratschläge gegeben. Und jetzt entpuppe ich mich als komplette Versagerin in Paarangelegenheiten.

„Sorry, Mark“, sage ich schnell, „sag jetzt bloß nichts Therapeutisches oder zitiere mich bitte auch nicht. Ich wollte dir nur erklären, dass ich nicht mit Volldampf voraus meine Klientin aus der Psychiatrie retten und dann auch noch den wirklichen Mörder mit untrüglicher Intuition dingfest machen kann.“ Womöglich noch kläglicher füge ich hinzu: „So was kann ich einfach nicht.“

„Weißt du was“, sagt Mark mit belegter Stimme. „Ich geh jetzt klettern, das leert den Kopf. Und dann mache ich mir Gedanken über eine anständige Anwältin. Sobald wir die haben, kannst du Anne im Krankenhaus besuchen, weil die das nämlich bewerkstelligen kann. Und dann sehen wir weiter. Okay?“

Er ist einfach über meine Worte hinweggegangen. Ich bin ihm dankbar dafür. Was sollte er auch sagen? Gleichwohl hockt da eine kleine Enttäuschung in mir. Er hätte doch wenigstens sagen können, dass ein Mann, der mich betrügt, ein Arschloch ist.

„Kristien, ich habe jetzt endlich abgehört, was du auf meine Mailbox gesprochen hast. Es hat mich sehr berührt. Es tut mir leid. Bitte lass uns zum Paartherapeuten gehen. Ich mache auch den Termin. Weißt du einen guten? Du bist doch vom Fach.“

Immer noch einmal höre ich die Nachricht ab, horche zu seiner Stimme, auf Nebentöne, Untertöne, eine Nachricht, die unter der gesprochenen liegt. Max hat eine sehr schöne Stimme. Wie Samt, habe ich gesagt, als ich ihn kennengelernt habe. Weicher Samt in Burgunderrot.

Er will also zur Paartherapie. Aber das hatten wir doch schon mal. Letztes Mal ist nichts geschehen. Dennoch zittert in mir vorsichtige Freude. Wenn er bereit ist, mit mir zur Therapie zu gehen, muss ihm doch etwas an mir liegen und nicht nur an dieser Schnepfe. Dann will er doch offensichtlich etwas retten. Ja, und ich will das auch. Ich liebe diesen Mann. Ich vermisse ihn. Ich bin bereit, um diese Ehe zu kämpfen!

Mein Handy summt. Eine Nachricht von Mark: „Halt die Ohren steif! Ich ruf dich heute Abend an, dann weiß ich mehr.“

Ich fühle mich in die Enge getrieben. Dieser Mann hat meinen kleinen Finger komplett übersehen und sofort beide Hände gepackt. Jetzt müsste ich Anne richtiggehend verraten und ihn gleich mit, um diese Geschichte abzublasen.

Mein Hundespaziergang ist heute mehr ein Hunderenngang. Rocco und ich hasten durch Eimsbüttel, ich bin mit meinen Gedanken bei Max, frage mich, welchen Kollegen ich um Hilfe bitten kann. Meine Gedanken sind auch bei Anne, Mark will eine Anwältin organisieren, aber Swantje hatte doch noch gar nicht richtig abgesagt.

Willkommen, mein beschauliches Leben jenseits der fünfzig! Hatte ich nicht gelesen, dass Menschen jenseits der fünfzig besonders glücklich sind?

Kaum schließe ich die Wohnungstür hinter mir und gehe in die Küche, wohin ich mein Handy gelegt habe, finde ich dort eine Flut von Nachrichten vor.

Gudrun hat mich angerufen. Swantje hat mich angerufen und auf meine Mailbox gesprochen, Tankred hat eine Nachricht geschickt, und zwei Nummern, die ich nicht kenne, haben mich angerufen und auf meine Mailbox gesprochen.

Ich kann das jetzt nicht abhören und angucken. Ich muss meine Wohnung clean machen. Gleich kommt mein erstes Paar.

Mittags verzichte ich aufs Essen, rufe Gudrun an. Sie erzählt mir, dass sie fünf Tage lang im Kloster zu einem Schweigeretreat war. „Unglaublich, diese Erfahrung. Solltest du auch tun, danach schießt du Max in den Wind!“

Ich unterbreche ihr Schwärmen und erzähle ihr von Anne und dem vermeintlichen Mord. Sie verändert sofort ihre Stimme, eben noch begeistert für Meditation und Natur, jetzt sachlich, kühl, überlegend. „Verstehe, dass dich das nicht kalt lässt. Dein Kommissar hat recht. Ohne den wirklichen Mörder dingfest zu machen, wird es wahrscheinlich sogar schwer sein, Anne davon zu überzeugen, dass sie es nicht war. Sie hat sich ja nicht grundlos für schuldig erklärt, davon kann man zumindest ausgehen. Ich schau mal in der Literatur, ob es einen solchen oder ähnlichen Fall schon gegeben hat. Melde mich dann. Ciao.“

Swantje bittet um einen Rückruf.

Die beiden unbekannten Nummern stammten von Menschen, die an einer Paartherapie interessiert sind.

Tankreds Nachricht lautet: „Alles okay?“

Ich lache sarkastisch auf und tippe ein: „Das Leben ist großartig!“ Draufgedrückt und ab!

Ich merke, wie eine Migräne anrückt. Das kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen. Mein Handy klingelt. Ich kenne die Nummer nicht. Also gehe ich ran, es könnten neue Klienten sein, und ich bin Freiberuflerin.

„Blau“

„Wolfgang Petersen hier. Hallo, Frau Blau.“

„Hallo, Herr Petersen.“

Schweigen. Dann ein Räuspern, das wie ein Startschuss wirkt. „Ich habe nochmal nachgedacht. Ich glaube, das war mein Vater. Wie er das gemacht hat, weiß ich nicht, aber ich glaube, er hat das alles inszeniert, damit er Johannes und Anne auf einmal los ist. Haben Sie gehört, dass bei Kiel neue Wohngebiete erschlossen werden sollen?“

Ich antworte nicht. Wieso soll ich das gehört haben?

„Das neue Erschließungsgebiet geht genau durch unsere Felder durch.“ Jetzt klingt seine Stimme heiser vor Aufregung. „Frau Blau, dieser verpachtete Grund und Boden ist, glaube ich, mit einem Mal Milliarden wert. Das kann man sich gar nicht vorstellen. Das wusste Anne doch nicht.“

Mir wird ein wenig schwindelig. Grund und Boden. Wohnungsbau. Was hat das alles mit Anne zu tun? Und was mit mir? Milliarden. „Also, wenn ich Sie richtig verstehe, glauben Sie, dass Ihr Vater Johannes fortschaffen wollte, weil er ihm im Wege war beim Verkauf seiner Felder, die jetzt immens viel wert sind, weil dort Wohnungen gebaut werden können. Und Sie meinen, er hat diesen Mord inszeniert, um Anne gleich mit zu entsorgen, weil …?“

„Erstens, weil sie schon bei einer Anwältin ist, die ihre Interessen vertritt, und er so fürchtet, dass er etwas vom Kuchen abgeben muss, und zweitens, weil er so Rache üben kann. Es hat ihn furchtbar gewurmt, dass sie über den Missbrauch gesprochen hat.“

Ich denke nach. „Und Sie? Sind Sie ihm nicht auch im Wege, wenn er alles alleine haben will?“

Kurzes Schweigen, zögerndes Antworten: „Ich hab ja Schiss gekriegt, ich hab Anne die Klage alleine einreichen lassen. Vielleicht denkt er, dass ich kein Gegner bin.“

Ich höre, dass er mir etwas verschweigt. „Ich frage mich“, sage ich langsam und jedes Wort abwägend, „ob es nicht besser wäre, Sie würden das alles der Polizei erzählen. Ich will Ihnen gern glauben, aber mein Glaube ist irrelevant.“

Ich höre förmlich, wie er kurz und angestrengt Luft holt. Er atmet flach. Er hat Panik. Aber was genau macht ihm Panik? „Ich habe gedacht, dass wir zu zweit stärker sind, und die Polizei glaubt mir doch sowieso nicht, da dachte ich, eine Therapeutin mit Doktortitel kann mehr bewirken als ich Assi allein.“

Es klingt plausibel. Ich kann ihn verstehen. Dennoch verschwindet das Gefühl, dass er mir etwas verschweigt, nicht. In meinem Magen rumort es gefährlich.

Was nimmt mich an diesem „Fall“ nur so sehr mit? Es geht über mein Mitgefühl für Anne hinaus. Irgendetwas daran nehme ich persönlich. Als fühlte ich mich von ihr verraten. Ich bin in meiner fachlichen Kompetenz verunsichert. Irgendwie habe ich versagt. Wenn sie sich umgebracht hätte, würde ich genauso an mir zweifeln. Aber ich fühle mich von ihr absurderweise im Stich gelassen. Gefangen in meinen eigenen Überlegungen lausche ich Wolfgangs Worten nicht besonders aufmerksam.

Er erzählt etwas von seiner gesundheitlichen Situation, von der Unfähigkeit der Ärzte, die ihn immer noch kranker machen. Er merkt, dass ich nicht mehr richtig zuhöre. Er redet immer schneller, immer hektischer, sagt dann: „Ich glaube, ich raube Ihnen gerade Zeit. Ich rufe später nochmal an.“

Oje, ich komme mir schlecht vor. Es ist respektlos, während man telefoniert, sich mit etwas anderem zu beschäftigen. Das merkt der andere immer.

Ich räuspere mich, damit er nicht an meiner Stimme merkt, wie durcheinander ich bin. „Tut mir leid, aber heute bin ich voll von Terminen. Am besten melde ich mich, wenn ich irgendetwas Neues weiß.“

„Klar, wieso sollte auch jemand Zeit für mich haben, wenn ich nicht dafür zahlen kann, dass man mir zuhört. War ja klar. Vielen Dank für nichts.“ Aufgelegt.

Noch schlechter kann man sich gar nicht fühlen.

Da zeigt mein Handy eine Nachricht an:„???“

So war Max immer. Wenn er etwas wollte, eine Antwort oder selbst Sex, durfte es keinen Verzug geben. Dann erwartete er eine prompte Reaktion, und zwar eine positive. Ich habe das anfangs für Leidenschaft gehalten, dabei war es Ungeduld. Er hingegen erlaubte sich unendliches Zögern bis hin zum Verweigern. Das konnte sehr verletzend sein, besonders wenn es Sex betraf.

Erwartet er jetzt, dass ich heute Vormittag sofort einen Kollegen oder eine Kollegin ausfindig gemacht und einen Termin vereinbart habe? Ich zügel meinen aufkeimenden Zorn. Er möchte eine Antwort, und das ist verständlich. Im Gegensatz zu mir ist er in der Lage, seine Bedürfnisse klar zu formulieren.

Also zücke ich mein Handy, schreibe: „Ja, einverstanden. Ich kümmer mich drum. Finde das gut.“ Will es grad abschicken, denke an seine Empfindlichkeit. Füge „Deine Kristien“ hinzu. Ein emotionales Zeichen: Ich bin immer noch dein.

Während der Therapien am Nachmittag bin ich entsetzlich bedrückt.

Draußen ist das Wetter ebenso trüb und bedeckt wie ich. Ich muss den ganzen Tag über das Licht anlassen, was allerdings auch gut ist, weil so wenigstens etwas Wärme in die Räume kommt.

Als ich am Abend nach den Therapien mein Handy wieder anschalte, überschlägt es sich an Nachrichten: Felix. Mark. Mark. Swantje. Max. Wolfgang. Gudrun. Eine mir unbekannte Nummer. Entweder haben sie mich angerufen oder Nachrichten gesprochen oder Nachrichten geschrieben.

Nein, das geht zu weit. Nun gut, ich höre wenigstens die Mailbox ab.

„Mama, wie geht es dir?“

„Kristien, ruf zurück, wenn du Zeit hast. Mark“

„Also, Kristien, ich hab mich entschieden. Ich werde Anne anwaltlich vertreten. Aber ich erwarte, dass du mir und meinem Mann bald einen Termin gibst. Das pressiert.“

„Ich habe mich mit einer Anwältin in Verbindung gesetzt, die ich sehr schätze. Sie ist bereit, Annes Fall zu übernehmen. Mark“

„Meiner Meinung nach muss man diesen Bruder mal genauer unter die Lupe nehmen. Ich finde den Fall interessant. Könnte vielleicht etwas darüber veröffentlichen. Halte mich auf dem Laufenden, Gudrun.“

Ich bin unendlich erschöpft. Eine tiefe körperliche Erschöpfung. Mir fällt auf, dass ich heute nicht ein einziges Mal geschwitzt habe. Gestern? Erinnere ich nicht mehr. Vielleicht ist sogar das ausgeschöpft.

Ich kann nicht mehr reden, denken, reagieren auf die Wünsche anderer Menschen. Es geht einfach nicht. Da summt mein Handy wieder. Ich guck nicht mal, wer mich anruft, geh einfach ran. „Blau.“

„Frau Doktor, wir waren zu einem Telefonat verabredet, sollten Sie das vergessen haben.“

Telefonat? Ich stehe so neben mir, dass ich an einen Therapietermin denke. Dann erst erkenne ich die Stimme.

„Mark. Ich habe vor einer Viertelstunde aufgehört zu arbeiten. Du erwartest zu viel von mir.“

„Ich von dir? Schätzchen, soweit ich mich erinnere, warst du die Initiatorin der ganzen Unternehmung …“

Diesen Ton kenne ich von Mark nicht. Schätzchen? Verwirrt schüttle ich den Kopf. Aber er hat ja recht. Ich habe die Sache ins Rollen gebracht.

„Du hast gesagt, du hättest eine Anwältin …“

„Genau.“ Er sprudelt los. „Ich kenne sie von früher. Sie ist genial. Sie gegen sich zu haben, erschwert das Leben. Die Frau paukt noch einen Dieb raus, der in Flagranti ertappt wurde.“

„Stop!“, sage ich. „Ich habe auch eine Anwältin, eine frühere Klientin. Sie kennt Anne und will den Fall übernehmen.“

Schweigen. Dann ein mürrisches gedehntes Okay. Dann wieder Schweigen.

Um den Missklang zwischen uns ein wenig zu harmonisieren, sage ich betont munter: „Und ich habe eine Freundin auf den Fall angesprochen. Sie ist interessiert, sich damit zu beschäftigen. Gudrun Brinkmann, Professor für Kriminologie …“

„Kristien, du wirst mir unheimlich“, sagt er. „Frau Professor Gudrun Brinkmann? Das ist deine Freundin? Na, dann sind wir doch schon mal vier Koryphäen im Boot. Ich, Gudrun Brinkmann, du und deine Anwältin. Hoffentlich ist sie gut.“

Vier Koryphäen, meine Freundin Gudrun ist also eine bekannte Koryphäe. Hätte ich mir eigentlich denken können.

„Also, Kristien, am Telefon kommen wir nicht weiter. Ich schlage vor, dass wir morgen ein Arbeitstreffen machen, wo wir einen Schlachtplan entwickeln. Gudrun an unserer Seite zu haben, ist schon mal super.“ Er rattert herunter, als wären wir bei der Polizei und müssten uns zur Kostenersparung mit mündlichen Mitteilungen kurz fassen: „Morgen ist Mittwoch, haben Therapeuten da auch nachmittags frei? Um drei Uhr bei dir? Lädst du bitte die beiden Frauen ein?“

Mir wird schwindelig. Kaum öffne ich den Mund, sagt er: „Top. Bis morgen. Schönen Abend!“

Aufgelegt.

Es ist also beschlossene Sache. Ich zücke mein Handy, drücke Swantjes Nummer, schreibe: „Morgen um 15 h treffen sich bei mir ein paar Leute, um über Annes Fall zu sprechen. Es wäre toll, wenn du auch kommen könntest.“

Danach rufe ich meinen Sohn an. Aber er geht nicht ran. Also schreibe ich: „Geht mir super!“

Nun noch Gudrun. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mitten am Tag Zeit hat, aber sie ist sofort Feuer und Flamme. „Es ist aufregend, wie viele Leute du kennst, Kristien“, sagt sie. „Ich beschäftige mich sonst immer theoretisch mit Kriminalfällen. Das ist doch mal etwas anderes.“

Mörderische Familie

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