Читать книгу Mörderische Familie - Elke Vesper - Страница 7

26. NOVEMBER

Оглавление

Am Morgen treffe ich mich mit Felix im Café May zum Frühstück. Das Frühstück dort ist der Renner, es ist preiswert, opulent und köstlich. Kaum sitzen wir voreinander, er vor einem Berg voller Brötchen und Rührei und Aufschnitt, ich staunend über seinen Hunger, bemerkt er: „Sag mal, diese einarmige Anne P., kann das deine Klientin sein, die früher immer zu dir gekommen ist?“ Ich starre ihn an.

Er greift zu seinem Handy, ein paar Klicks, und vor meinen Augen erscheint schwarz auf weiß:

BRUNK, SCHLESWIG-HOLSTEIN, BRUDERMORD.

Am Montag, 21. November, wurde die einarmige und psychisch kranke Anne P. neben ihrem getöteten Bruder Johannes P. aufgefunden. Laut Aussagen der Angehörigen des Getöteten weist der Mord auf sexuelle Motive hin, ist die Täterin geständig und befindet sich in der Psychiatrie in Verwahrung.

Die Buchstaben beginnen vor meinen Augen zu tanzen.

Es ist mir schwergefallen, mit Felix zu sprechen. Zum Glück beherrsche ich die Kunst, das Gegenüber zum Reden zu animieren. Was bei Felix nicht schwer ist. Viele Freundinnen klagen über wortkarge Söhne, Felix sprudelt eher über von seinen Projekten, Gedanken, Überlegungen, Hobbys. Es ist nie langweilig mit ihm. Heute allerdings schweiften meine Gedanken immer wieder zu Anne.

Felix gegenüber habe ich abgewiegelt: „Seltsam … einarmig … Anne … naja, gibt manchmal eigenartige Zufälle … keine Ahnung … wird sich rausstellen …“

Aber innerlich war ich wie ein Rennpferd vor der Startlinie. Ich wollte losrennen, nach Hause, mich informieren über diesen dubiosen Mord.

Ich glaube, Felix hat es gemerkt, gleichwohl nichts gesagt. Als wir uns verabschiedeten, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich war nicht wirklich bei ihm gewesen. Ich forschte in seiner Miene, aber die war freundlich. Ich begleitete ihn noch bis zur U-Bahn, wir verabredeten uns für morgen Mittag ins Restaurant Little Buddha bei mir um die Ecke. Morgen Abend will er im Flixbus zurück nach Berlin fahren.

Kaum zu Hause gehe ich ins Internet.

Mich erfasst ein inneres Zittern, das ich von früher kenne. Das lange weg war und seit Max’ Betrug wieder häufiger von mir Besitz ergreift. Äußerlich ist es unsichtbar, aber innen vibriert alles. Zu der Notiz, die Felix mir gezeigt hat, finde ich einige ähnliche Artikel aus anderen Tageszeitungen, alle kurz, alle ähnlichen Inhalts. In allen Titeln taucht das Wort „Brudermord“ auf, in manchen der Begriff „schizophren“. In einem wird davon gesprochen, dass Anne ihren Bruder vergiftet haben soll. Was ist das für eine Geschichte!

Mir ist eiskalt. Habe ich etwas übersehen? War Anne gefährlich? Hätte ich reagieren müssen? Worte aus unserer letzten Therapiestunde flackern in meinem Kopf auf: „Ich habe Rachegelüste!“, sagte sie lachend. „Johannes hat sich mit mir einen Todfeind gemacht.“

Am Nachmittag eine Message über WhatsApp: „Habe über die Sache mit Anne gelesen. Wäre bereit, sie anwaltlich zu vertreten. Swantje“

Swantje ist Anwältin. Sie kennt Anne aus einer von mir geleiteten Selbsterfahrungsgruppe von vor zwölf Jahren: „Weiblichkeit und Sexualität“.

Ich tippe mit unsicheren Fingern auf mein Handy: „Ich verstehe nichts.“

Mörderische Familie

Подняться наверх